Matthias Sesselmann – Revolution im Herzen. Ein Ex-68er begegnet dem echten Revolutionär
Die Einbandgestaltung mit auffällig roter Farbe, Straßenprotestfoto und stilisiertem „Antifa-proof“-Störer ist anscheinend darauf ausgerichtet, ein entsprechend affines Publikum anzusprechen. Dieses dürfte jedoch schnell dahinterkommen, dass dieses 100-seitige Mini-Taschenbüchlein ein sog. Missionstool (Selbstbezeichnung) des christlichen Münchner Soulbooks-Verlags ist, das 2015 in seiner ersten Auflage erschien und gestaffelt ab 1,- EUR abwärts rausgehauen wird, also in größerer Menge beispielsweise für Straßenmissionierungsaktionen erworben werden kann.
Das Vorwort stammt von den Glücklichen, die sich die gott.de-Domain sichern konnten; Autor Matthias Sesselmann blickt von der Buchrückseite als Jesus-Lookalike mit langen Loden und Augenringen an einem vorbei. Ein ‘68er sei er gewesen, verrät der Klappentext, nach dem
„Woodstock-Desaster“ sei jedoch eine
„heilsame Ernüchterung“ gefolgt. Der Titel verrät bereits eine Begegnung mit
„dem echten Revolutionär“ – na, wer damit wohl gemeint sein wird…?
Der in 18 Kapitel unterteilte Text ist in angenehm großer Schriftgröße auf Recyclingpapier gedruckt und mit zahlreichen Schwarzweißfotos aus Sesselmanns Leben illustriert. Der Einband ist aus fester Pappe und die Mühe, ein Inhaltsverzeichnis voranzustellen, hat man sich auch gemacht. Sesselmann beschreibt die verschiedenen Stationen seines Lebens und, aufgrund seiner Eigenschaft als ehemaliger ‘68er-Polit-Hippie-Aktivist, somit auch der jeweiligen Politik sowie des in seinen Kreisen jeweils vorherrschenden Zeitgeists. Und das könnte alles typischer kaum sein: Demonstrationen und andere Protestaktionen, Ärger mit der Exekutive, Hausbesetzungen, alternative Zentren und schließlich Abkehr vom Radikalismus, Fremdeln mit nachwachsenden Generationen, Enttäuschungen, innere Einkehr und Sinnsuche. Dies ging einher mit Drogenkonsum, Interesse an „östlicher Mystik“, schließlich Drogenabhängigkeit und gesundheitlichen Problemen. Dann die Religion als Rettungsanker und Missionierung in Teestuben, um anderen „verlorenen Seelen“ zu helfen.
Über weitere Strecken lesen sich Sesselmanns Erinnerungen wie ein kurzweiliger, weil durchaus auch hier und da mit etwas Humor versehener Schnelldurchlauf einer typischen Hippiekarriere, die in einem bedenklichen Drogenmissbrauch mündet und als letzte Station der ewigwährenden Sinnsuche die christliche Religion entdeckt. Dass es Sesselmann dabei leider nicht um eine gesunde Spiritualität als Ausgleich zu einer materialistischen Welt geht, um Horizonterweiterung und Selbstfindung oder das Erreichen einer inneren Balance, sondern ums Beharren auf einer monotheistischen Religion mit Jesus als einzig wahrem Anführer, wird dann auf den letzten Metern deutlich, genauer: ab S. 84, wenn er von seiner Plauderei mit Barclay-James-Harvest-Mitglied Lees berichtet, der sich zu seinem Bedauern
„nicht in seinem zusammengewürfelten Privat-Glauben“ habe
„erschüttern“ lassen. Von nun an zeigt Sesselmann sein wahres Gesicht, geht weiter mit seinem Kontakten zu Bands und nun auch bis in die Politik hausieren, schildert seine Missionierungsversuche und stellt zum Ende hin noch einmal klar, dass man keinesfalls für verschiedene Glaubensrichtungen offen sein solle, sondern besser ausschließlich an Jesus glaube.
Dass ein ehemaliger Weltverbesserer nun einen solch anmaßenden, absolutistischen Ansatz vertritt, zeigt, dass er letztlich nichts – weder von Weltoffenheit und gegenseitiger Akzeptanz noch von den Ursachen der zahlreichen Konflikte auf dieser Welt – verstanden und stattdessen sein Seelenheil gefunden hat, indem er seine geistige Freiheit zugunsten einer monotheistischen religiösen Führergestalt aufgab. Damit landet dieses Buch in meiner kleinen Religionsecke beim anderen bedenklichen Propagandamaterial der Zeugen Jehovas und der Jesus Freaks. Fazit: Never trust a hippie.