6)
Der Bootgott vom Seesportclub - Robert Bramkamp (2006)
Außerordentlich merkwürdiger Film, von dem ich bis heute nicht weiß, was ich von ihm halten soll. Ein arbeitsloser Mann, der sich für die Reinkarnation einer sumerischen Gottheit hält, wird vom Arbeitsamt als 1-Euro-Jobber an einen Seesportclub verwiesen, wo er sodann seine religiösen Lehren predigt, Kontakt zu Nymphen hat, die sich als Supermarktkassiererinnen herausstellen, und natürlich Freizeitaktivitäten auf und um den ehemals ostdeutschen See herum nachgeht. Für eine Komödie nicht wirklich witzig, für einen Experimentalfilm nicht wirklich experimentell, für eine Mystery-Geschichte zu wenig mystisch, nicht mal wirklich spannend oder sonstwie aufsehenerregend, trotzdem hat dieser Film seinen ganz eigenen Reiz - ich weiß nur noch nicht, worin der besteht.
7)
La Région Centrale - Michael Snow (1971)
Hoch droben in den kanadischen Bergen stellt der Experimentalfilmer Michael Snow in den frühen 70ern eine Kamera auf, die von einem Roboterarm gelenkt wird, dessen Bewegungen allesamt im Voraus unter der Prämisse progammiert worden sind, sich niemals zu wiederholen, sprich: keine einzige Kamerafahrt in diesem dreistündigen Film gleicht der vorherigen. Was aber filmt diese Kamera, die sich permanent zu elektronischem Fiepsen und Piepsen ihrer Armsteuer hin und her bewegt? Nichts anderes als die Berglandschaft, die sie vor sich hat. LA RÉGION CENTRALE ist einer jener Filme, vor denen ich mit vierzehn, fünfzehn einfach nur fassungslos gesessen habe. Drei Stunden Kamerafahrten über eine an sich langweilige kanadische Berglandschaft? Wer soll sich das bloß freiwillig antun? Aber auf einmal beginnt die Landschaft zu leben, man entdeckt Details, die man nie zuvor auch nur geahnt hat, man wird völlig wach und hat die Augen weit offen und alles macht Sinn.
8)
Riti, Magie Nere e Segrete Orge nel Trecento - Renato Polselli (1971)
Oh, wie ich diesen Film liebe! Allein sein Titel ist es schon wert, sich auf der Zunge zergehen zu lassen. Der studierte Philosoph Polselli ist in meinen Augen ein verkannter Kinoreformer, der nur deswegen bislang einzig in Geheimzirkeln gewürdigt worden ist, weil seine Filme, einmal rein inhaltlich betrachtet, nach Genrekino aussehen. In Wirklichkeit ist RITI, MAGIE NERE E SEGRETE ORGE NEL TRECENTO weder ein Horrorfilm noch ein Sexfilm, sondern reinstes Experimentalkino, bei dem kein Schnitt, keine Kameraeinstellung, keine Dialogzeile irgendwelchen Konventionen gehorcht. Es verwirrt einen einfach nur, und das ist gut, fast besser als Drogen.
9)
Finisterrae - Sergio Caballero (2010)
Noch so ein Film, von dem ich keine Ahnung habe, was ich eigentlich mit ihm anfangen soll. Immerhin waren die Umstände, unter denen ich ihn gesehen habe, merkwürdig genug: in einem winzigen Kino in Valencia, kurz nach Silvester, fast gänzlich ohne Publikum. Sergio Caballero möchte offenbar ganz bewusst so sperrig wirken, dass nur einer von hundert Zuschauern seinen Film bis zum Ende durchsteht - ungemein faszinierend und vor allem ungemein ungewöhnlich ist dieses road movie, das von zwei Gespenstern erzählt, die sich vom Orakel von Garrel zu einer Pilgerreise nach Santiago de Compostella schicken lassen und dabei allerhand skurille Abenteuer erleben, allemal.
10)
L'Amour Braque - Andrzej Zulawski (1985)
Ich kann kaum beschreiben wie sehr mich die Filme des Herrn Zulawski erregen, erreichen, erfüllen, erleuchten. L'AMOUR BRAQUE ist mit Sicherheit eines seiner wildesten, hysterischsten, mind-gefuckdesten Meisterwerke. Auf das Fundament einer hypterhysterischen Verfilmung von Dostojewskijs ziemlich lesenswertem und ziemlich komplexem Roman DER IDIOT (Идиот, 1868) stellt Zulawski in Monumenthöhe alles, was ich an ihm liebe: keine Dialogzeile wird einfach nur gesprochen, sondern gehechelt, geschrien, gewinselt, jeder Schnitt gleicht einer Eruption der Konvention, nur einen einzigen Moment der Ruhe gibt es und der ist wunderschön und danach bricht die Apokalypse über diesen unbeschreiblichen Film herein.
11)
Amor Pedestre - Marcel Fabré (1914)
Zwar wäre sein "Groteskspielfilm" LE AVVENTURE STRAORDINARISSIME DI SATURNINO FARANDOLA (1913) auch ein heißer Anwärter auf den Titel eines der ungewöhnlichsten Filme aller Zeiten, aber letztendlich scheint mir AMOR PEDESTRE dann doch noch ungewöhnlicher zu sein. Ich bin nach wie vor fassungslos wie modern dieser Film nach knapp einhundert (!) Jahren noch wirkt. Eine Liebesgeschichte, einzig erzählt über Großaufnahmen von Füßen. Minimalistischer und seltsamer wird es in den folgenden einhundert Jahren nur noch selten.
12)
End of the Wicked - Teco Benson (1999)
Dieser nigerianische Horrorfilm, entstanden unter der Ägide der evangelikalischen Predigerin und selbsternannten Hexenjägerin Helen Ukapio, der eigentlich längst eine ausführliche Kritik verdient hätte, ist möglicherweise DER ungewöhnlichste Film, den ich jemals gesehen habe. Beelzebub lässt sich im westafrikanischen Dschungel nieder und terrorisiert die Familie eines gewissen Chris. Ungelogen hat mich keine einzige Szene an irgendetwas erinnert, das ich aus der europäischen Filmtradition kenne, mit der ich aufgewachsen bin. Vielleicht sieht ein Nigerianer das völlig anders, aber ich für meine Person stehe entsetzt und entzückt vor diesem völlig irren, in Worten nicht mal ansatzweise vermittelbaren Hexentrip.
13)
L'Enfant Secret - Philippe Garrel (1979)
Philippe Garrel hat in seiner nunmehr fünfzigjährigen (!) Laufbahn als Filmemacher viele ungewöhnliche Filme gedreht, von allen diesen ist aber L'ENFANT SECRET für mich wohl der, der am heftigsten hervorsticht. Wer einmal einen verfilmten Selbstmord sehen möchte, der ist hier genau richtig. L'ENFANT SECRET ist der wohl mit Abstand hoffnungsloseste, trostloseste, deprimierendste Film, den ich jemals gesehen habe. Garrel verarbeitet seine gescheiterte Beziehung zu Nico und lässt den Zuschauer teilhaben an physischen wie psychischen Schmerzen der Sonderklasse. Kino mit Rasierklingen zwischen den Bildern.
14)
Sayat Nova - Sergei Parajanov (1968)
Der armenische Regisseur Sergei Parajanov verfilmt das Leben des armenischen Dichters Sayat Nova (1712-1795). Wer ein übliches Biopic mit tollen Historienszenen erwartet, wird enttäuscht. Wer sich darauf einlässt, eine Reihe von Tableaus präsentiert zu bekommen, in denen die Kamera sich - bis auf eine kleine Ausnahme - nie bewegt, und die sich vor allem aus enigmatischen, für einen westlichen Zuschauer möglicherweise niemals gänzlich entschlüsselbaren Symbolen zusammensetzen, der wird belohnt mit einem großen, mediativen Meisterwerk, das im Prinzip aussieht wie ein Film Jodorowskys, nur ohne Tabubrüche, ohne Hysterie, ohne Humor.
15)
Anyab - Mohammed Shebl (1981)
Mohammed Shebl ist wohl, neben Youssef Chahine, der interessanteste ägyptische Regisseur, über den ich bislang gestolpert bin - und ANYAB sein ungekröntes Meisterwerk. Ich kann kaum glauben, dass im Ägypten der frühen 80er ein solcher Film möglich gewesen ist. Was anfängt wie eine arabische Variante der ROCKY HORROR PICTURE SHOW, inklusive Gesangs- und Tanzeinlagen der Extraklasse, ufert aus zu einem metafilmischen Exzess irgendwo zwischen purem Wahnsinn, hintersinniger Selbstironie und Fassungslosigkeit auf Seiten des Betrachters. Noch ein Film, von dem ich glaube, dass einen, wenn man ihn gesehen hat, wirklich nichts mehr erschüttert.