Il giardino delle delizie - Silvano Agosti (1967)
Verfasst: Di 14. Jun 2016, 19:43
Originaltitel: Il giardino delle delizie
Produktionsland: Italien 1967
Regie: Silvano Agosti
Darsteller: Maurice Ronet, Ida Galli, Lea Massari, Franco Bertoni, Franco Dora, Vanna De Rosas
Wie Giulio Questi, Romano Scavolini oder Alberto Cavallone zählt Silvano Agosti zu jener Gruppe italienischer Regisseure, die es zwar mit dem einen oder anderen Werk geschafft haben, die Aufmerksamkeit zumindest des Genre-Publikums auf sich zu ziehen, deren Gesamtoeuvre allerdings selbst den meisten sich mit Vorliebe in den hintersten Winkeln und zugemauertsten Gewölben der europäischen Filmgeschichte aufhaltenden Cineasten unbekannt sein dürfte. Agostis bekanntester Film – wobei bekannt in dem Zusammenhang lediglich bedeutet, dass ihn scheinbar mehr als fünf Leute gesehen haben – dürfte noch NEL PIÚ ALTO DEI CIELI aus dem Jahre 1977 sein, der wirkt wie ein radikales Remake von Bunuels EL ÁNGEL EXTERMINADOR: Während in letzterem eine Gruppe gutbürgerlicher Partygäste sich aus unerfindlichem Grund gefangen sieht in ihrem gutbürgerlichen Gastgeberhaus und sich daraus eine absurde Situation nach der andern entwickelt, ist es bei Agosti eine Gruppe Vatikan-Besucher auf dem Weg zur Audienz mit dem Papst höchstpersönlich, die so lange in einem Fahrstuhl steckenbleiben bis unter den frommen Fassaden die Bestien zum Vorschein kommen, und sich alles in einer Orgie aus Sex, Blut und Scheiße auflöst. Allerdings stellt NEL PIÚ ALTO DEI CIELI eine eher singuläre Erscheinung im Werk des nicht nur als Regisseur, sondern auch als Drehbuchautor, Cutter, Kameramann und Produzent arbeitenden Lombarden dar. Kratzt man nur ein bisschen an der Oberfläche seiner leider weitgehend unsichtbaren Filmographie, findet man nicht etwa noch mehr antiklerikale Scheußlichkeiten, sondern zum Beispiel mit N.P. IL SEGRETO (1973) einen verrückten Science-Fiction-Film mit Irene Papas, mit LA RAGION PURA (2001) ein Arthouse-Kammerspiel mit Franco Nero, oder mit NESSUNO O TUTTI (1975) eine dreistündige, preisgekrönte Fernsehdokumentation über Psychiatriepatienten, die er gemeinsam mit seinem engen Freund und Kollaborateur Marco Bellocchio realisiert hat. Seine ersten Kurzfilme reichen bis in die frühen 60er zurück, als er gerade mal Anfang 20 war, sein erster Langfilm heißt IL GIARDINO DELLE DELIZIE, datiert von 1967, und wurde, genauso wie Bellocchios Debut I PUGNI IN TASCA (1965) von genau dem Enzo Doria produziert, der uns mit ADAMO ED EVA, LA PRIMA STORIA D’AMORE (1983) den einzigen mir bekannten Film beschert hat, in dem Adam und Eva gegen Dinosaurier kämpfen.
Auch IL GIARDINO DELLE DELIZIE beginnt mit dem ersten Menschenpaar im himmlischen Paradies, vermittelt über das gleichnamige Triptychon des niederländischen Meisters Hieronymus Bosch, dessen groteske Gestalten und phantasievollen Martern mehr als einem Metal-Album als Cover gedient haben. Adam und Eva werden von Gott im Garten Eden platziert. Adam und Eva kopulieren im Stehen miteinander und werden dabei von einem riesengroßen Vogel beobachtet. Adam und Eva versuchen ihre Blöße unter Blättern zu verdecken und werden von einem schwertschwingenden Engel aus dem Paradies gejagt. Dazu ertönt ein beeindruckend beklemmender Morricone-Score aus düsteren Streichern und scheinbar wortlos schreienden Männerstimmen. Schon diese ersten zwei, drei Filmminuten machen deutlich, dass IL GIARDINO DELLE DELIZIE kein Werk sein wird, bei dem die Ästhetik sich dem Inhalt unterordnet. Tatsächlich sollte man nicht den Fehler begehen, Agostis Film nach seiner reinen Geschichte zu beurteilen. Die klingt nämlich abgedroschen wie folgt: Ein Mann, Carlo, hat geheiratet, und zwar Carla, mit der er zu den Flitterwochen aufgebrochen ist. Statt die Hochzeitsnacht zu vollziehen, wird Carlo von Unruhe im Hotelzimmer hin und her getrieben. Nachdem Carla eingeschlafen ist, prasseln Rückblenden und halluzinatorische Traumsequenzen auf ihn ein, die uns seine Vergangenheit und gegenwärtigen Ängste enthüllen. Die groben Stationen sind: gutbürgerliches, aber liebloses Elternhaus, katholische Erziehung, inklusive molestierender Priester und verinnerlichter Schuldkomplexe, offenbar unbefriedigender sexueller Kontakt mit einer früheren Liebschaft. An reiner Handlung passiert nicht mehr im Verlauf der etwa achtzig Minuten als dass Agosti uns seinen eher unsympathischen Protagonisten als einen von Neurosen und Komplexen zerfressenen Charakter vorstellt, in dem alles zusammenkommt, unter dem ein weißer, heterosexueller Mann Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, eingebildet oder uneingebildet, leiden kann. Wäre das alles, könnte man vielleicht verstehen, dass IL GIARDINO DELLE DELIZIE innerhalb der Filmgeschichte nicht mal eine Fußnote bildet, und dass alles, was der eine oder andere von dem Film heute noch kennt, ein Teil des wirklich wunderbaren Morricone-Soundtracka ist, den man, ganz bestimmt autorisiert, in einem Hongkonger Frauenlager aus Bambus, NU JI ZHONG YING (1973), recycelt hat.
Doch, wie man wohl schon ahnt, natürlich hat Agostis Film mehr zu bieten als die selbstmitleidige Seelenschau eines Man-nes, der die gesamte Welt auf die in ihm steckenden Problemen reduziert, denn, aus formaler, technischer, ästhetischer Sicht ist IL GIARDINO DELLE DELIZIE wohl nichts weniger als eine Anthologie all der Stilmittel, mit denen der Experimentalfilm Mitte der 60er operiert hat, eine Art Lexikon kinematographischer Avantgarde-Techniken, eine Gesamtschau dessen, was man selbst mit einem eher unbeeindruckendem Drehbuch so alles anstellen kann, wenn man es in Bilder übersetzt, die es permanent über es selbst hinausheben. Gleich die ersten Szenen nach dem entrückten Bosch-Auftakt sind symptomatisch für die Art und Weise wie der gesamte Film inszeniert ist. In schneller Schnittfolge treffen aufeinander: Ida Galli alias Evelyn Stewart im Hochzeitsschleier wie sie ihr Gesicht der Kamera zuwendet, lächelt und in eine Frucht beißt. Eine extreme Nahaufnahme der Hochzeitstorte, in der eine Männerhand herumschneidet. Eine weitere extreme Nahaufnahme, diesmal von einem Tablett mit Schnittchen, das weiteren Händen, diesmal von Frauen, gereicht wird. Noch mehr Stückchen, die aus Torten gelöst werden, und, scheint es, noch näher an die Kameralinse herangeholt. Dann: Maurice Ronet, das Gesicht halb von etwas verdeckt, das sich derart weit im Vordergrund befindet, dass die Kamera es nur absolut unscharf hat fassen können, wie er seinen Kopf einem Mann entgegenneigt, der ihm etwas ins Ohr flüstert. Die Kamera fährt heran bis wir die ernste Miene unseres Helden dicht vor uns haben. Erneut gilt: das, was die Bilder transportieren, ist wenig spektakulär. Eine Hochzeitsfeier wie jede andere, man isst, trinkt, tratscht und klatscht, und, wie so oft, liegt irgendwas Unangenehmes in der Luft. Die Art und Weise aber wie die Bilder transportieren, was sie transportieren sollen, ist zum Niederknien. Im Prinzip jede der vier oben von mir skizzierten Aufnahmen wird dominiert von einer visuellen Idee, die sie vollständig bestimmt und denen sich ihr Inhalt zwangsläufig unterordnen muss. Virtuos, so, als sei er überhaupt nicht vertraut mit den lange vor seiner Geburt etablierten Konventionen des Erzählkinos, gestaltet Agosti seinen Lustgarten als eine Sammlung von Beispielen wie man die banale Realität allein dadurch vollkommen ins Surreale verformen kann, wenn man sie aus irren Kamerawinkeln und in verrückten Bildkompositionen einfängt.
Obwohl IL GIARDINO DELLE DELIZIE natürlich mit anderen Namen des wagemutigen europäischen Kinos der 60er und 70er in Verbindung gebracht werden kann – an Federico Fellinis OTTO E MEZO (1963) erinnert, dass die in der Reali-tät spielenden Szenen und die, die einzig in Carlos Kopf stattfinden, miteinander derart verschlungen sind, dass es ab einem bestimmten Punkt schwerfällt, überhaupt eine klare Trennlinie zwischen beidem zu ziehen, an Fernando Arrabal und Luis Bunuel erinnern die antiklerikalen Tendenzen, die Agosti in pointierten, fast schon allegorischen, mitunter witzigen Bildern oder Situationen festhält, an Alain Resnais oder Alain Robbe-Grillet erinnert die labyrinthische Struktur des Films, der Alltäglichkeiten und Banalitäten wie eine Nacht in einem Hotel oder einen Kaffee in einem Strandcafé in etwas absolut Desorientiertes zu verwandeln weiß, an Bertoluccis PRIMA DELLA RIVOLUZIONE (1964) erinnert, nicht zuletzt aufgrund der Kameraarbeit Aldo Scavardas, ganz generell die exquisite, irgendwo zwischen elegant und verwaschen anzusiedelnde Schwarzweißphotographie -, ist der Film doch derart eigenständig, dass die oben genannten Regisseure und Filme lediglich ungefähre Koordinationspunkten sind. Mehr Sinn macht es vielleicht sowieso, IL GIARDINO DELLE DELIZIE als ziemlich delirierendes und fiebriges Amalgam aus allem Möglichem zu begreifen, was im abseitigen Kino der 60er so an Ideen herumgeflogen ist. Hitchock!, ruft mir ein Glas Orangensaft zu, das Agosti inszeniert, als sei es mindestens ein menschenfressendes Monstrum. Wir sehen Carlo verkleidet als Zirkusclown wie er ein Hündchen, das er wohl selbst sein soll, dressiert. Mehrmals darf Ida Galli on-screen Flüssigkeiten erbrechen. Als Kind hat Carlo eine Schwarze Messe zelebriert. Die Hotelzimmertoilette gibt seltsame Gurgellaute von sich, so, als wolle sie mit den Frischverheirateten kommunizieren. Eine lange Sexszene zwischen Carlo und Carla wirkt, als würde mindestens die Welt dabei untergehen. Meine liebste Szene ist aber eine, die ganz schön zeigt, dass Agosti sowohl ein durchaus ansehnliches Budget zur Verfügung gestanden haben muss, das nicht nur für die Verpflichtung eines Stars wie Ronet draufgegangen ist, sowie dass er nicht nur keine Kosten, sondern auch scheinbar keine Mühen gescheut hat, seine Visionen auf die Leinwand zu bannen: Plötzlich ist es kurzzeitig vorbei mit Morricones Sakralklängen und eine waschechte Beat-Band steht am Strand und spielt ein Instrumentalstück, das in keiner zeitgenössischen Jukebox deplatziert gewesen wäre. Dann kommt aber schon der Bruch, denn im Hintergrund der Szene sehen wir eine Gruppe Kinder, angetan wie Klosterschüler, die in einer Prozession den Hügel entlangwandern. Das Ganze ist geschnitten wie ein Musikvideo, mit vielen Großaufnahmen tanzender Beine, in Gitarrensaiten greifenden Händen, wackelnder Hippie-Köpfe, und mit vielen Kamerafahrten über die andächtig dahinschreitenden Kuttenträgerkinder hinweg. Auch die Tonspur oszilliert zwischen dem fetzigen Sound der Rockgruppe und einem Morricone-Chor von Engelsstimmchen. Irgendwann verzehrt die offener und offener werdende Kamerablende die statistenvolle und recht aufwändig gestaltete Szenerie. Nach einem Schnitt sind wir zurück an der Uferpromenade, wo Carlo und Carla herumflanieren. Ein Kind ruft off-screen: Mama, Mama, schau, das Blasorchester! – und genau diese übernimmt nun die Tongestaltung.
Es ist schlicht meisterhaft wie Agosti seine Zuschauer durch diesen zwar überaus unorthodoxen, aber, meine ich, überhaupt nicht sperrigen Film führt, und die oben genannte Szene, in der Bild und Ton sich gegenseitig darin ergänzen, den Betrachter wechselweise zu irritieren und zu beruhigen, ist nur eine von vielen, die zum Ausdruck bringen, dass IL GIARDINO DELLE DELIZIE das Werk von jemanden sein muss, der nicht bloß mit Bildern und Sounds hantiert, um mit ihnen eine konkrete Botschaft zu vermitteln, sondern mit ihnen regelrecht denkt und fühlt. Zugleich ist es mir schlicht schleierhaft, weshalb ein solches kleines Meisterwerk, das ich mir durchaus in einem Programm mit Luigi Cozzis IL TUNNEL SOTTO IL M ONDO (1969) oder Romano Scavolinis LA PROVA GENERALE (1969) vorstellen kann, noch immer auf seine (Wieder?-)Entdeckung warten muss.
Auch IL GIARDINO DELLE DELIZIE beginnt mit dem ersten Menschenpaar im himmlischen Paradies, vermittelt über das gleichnamige Triptychon des niederländischen Meisters Hieronymus Bosch, dessen groteske Gestalten und phantasievollen Martern mehr als einem Metal-Album als Cover gedient haben. Adam und Eva werden von Gott im Garten Eden platziert. Adam und Eva kopulieren im Stehen miteinander und werden dabei von einem riesengroßen Vogel beobachtet. Adam und Eva versuchen ihre Blöße unter Blättern zu verdecken und werden von einem schwertschwingenden Engel aus dem Paradies gejagt. Dazu ertönt ein beeindruckend beklemmender Morricone-Score aus düsteren Streichern und scheinbar wortlos schreienden Männerstimmen. Schon diese ersten zwei, drei Filmminuten machen deutlich, dass IL GIARDINO DELLE DELIZIE kein Werk sein wird, bei dem die Ästhetik sich dem Inhalt unterordnet. Tatsächlich sollte man nicht den Fehler begehen, Agostis Film nach seiner reinen Geschichte zu beurteilen. Die klingt nämlich abgedroschen wie folgt: Ein Mann, Carlo, hat geheiratet, und zwar Carla, mit der er zu den Flitterwochen aufgebrochen ist. Statt die Hochzeitsnacht zu vollziehen, wird Carlo von Unruhe im Hotelzimmer hin und her getrieben. Nachdem Carla eingeschlafen ist, prasseln Rückblenden und halluzinatorische Traumsequenzen auf ihn ein, die uns seine Vergangenheit und gegenwärtigen Ängste enthüllen. Die groben Stationen sind: gutbürgerliches, aber liebloses Elternhaus, katholische Erziehung, inklusive molestierender Priester und verinnerlichter Schuldkomplexe, offenbar unbefriedigender sexueller Kontakt mit einer früheren Liebschaft. An reiner Handlung passiert nicht mehr im Verlauf der etwa achtzig Minuten als dass Agosti uns seinen eher unsympathischen Protagonisten als einen von Neurosen und Komplexen zerfressenen Charakter vorstellt, in dem alles zusammenkommt, unter dem ein weißer, heterosexueller Mann Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, eingebildet oder uneingebildet, leiden kann. Wäre das alles, könnte man vielleicht verstehen, dass IL GIARDINO DELLE DELIZIE innerhalb der Filmgeschichte nicht mal eine Fußnote bildet, und dass alles, was der eine oder andere von dem Film heute noch kennt, ein Teil des wirklich wunderbaren Morricone-Soundtracka ist, den man, ganz bestimmt autorisiert, in einem Hongkonger Frauenlager aus Bambus, NU JI ZHONG YING (1973), recycelt hat.
Doch, wie man wohl schon ahnt, natürlich hat Agostis Film mehr zu bieten als die selbstmitleidige Seelenschau eines Man-nes, der die gesamte Welt auf die in ihm steckenden Problemen reduziert, denn, aus formaler, technischer, ästhetischer Sicht ist IL GIARDINO DELLE DELIZIE wohl nichts weniger als eine Anthologie all der Stilmittel, mit denen der Experimentalfilm Mitte der 60er operiert hat, eine Art Lexikon kinematographischer Avantgarde-Techniken, eine Gesamtschau dessen, was man selbst mit einem eher unbeeindruckendem Drehbuch so alles anstellen kann, wenn man es in Bilder übersetzt, die es permanent über es selbst hinausheben. Gleich die ersten Szenen nach dem entrückten Bosch-Auftakt sind symptomatisch für die Art und Weise wie der gesamte Film inszeniert ist. In schneller Schnittfolge treffen aufeinander: Ida Galli alias Evelyn Stewart im Hochzeitsschleier wie sie ihr Gesicht der Kamera zuwendet, lächelt und in eine Frucht beißt. Eine extreme Nahaufnahme der Hochzeitstorte, in der eine Männerhand herumschneidet. Eine weitere extreme Nahaufnahme, diesmal von einem Tablett mit Schnittchen, das weiteren Händen, diesmal von Frauen, gereicht wird. Noch mehr Stückchen, die aus Torten gelöst werden, und, scheint es, noch näher an die Kameralinse herangeholt. Dann: Maurice Ronet, das Gesicht halb von etwas verdeckt, das sich derart weit im Vordergrund befindet, dass die Kamera es nur absolut unscharf hat fassen können, wie er seinen Kopf einem Mann entgegenneigt, der ihm etwas ins Ohr flüstert. Die Kamera fährt heran bis wir die ernste Miene unseres Helden dicht vor uns haben. Erneut gilt: das, was die Bilder transportieren, ist wenig spektakulär. Eine Hochzeitsfeier wie jede andere, man isst, trinkt, tratscht und klatscht, und, wie so oft, liegt irgendwas Unangenehmes in der Luft. Die Art und Weise aber wie die Bilder transportieren, was sie transportieren sollen, ist zum Niederknien. Im Prinzip jede der vier oben von mir skizzierten Aufnahmen wird dominiert von einer visuellen Idee, die sie vollständig bestimmt und denen sich ihr Inhalt zwangsläufig unterordnen muss. Virtuos, so, als sei er überhaupt nicht vertraut mit den lange vor seiner Geburt etablierten Konventionen des Erzählkinos, gestaltet Agosti seinen Lustgarten als eine Sammlung von Beispielen wie man die banale Realität allein dadurch vollkommen ins Surreale verformen kann, wenn man sie aus irren Kamerawinkeln und in verrückten Bildkompositionen einfängt.
Obwohl IL GIARDINO DELLE DELIZIE natürlich mit anderen Namen des wagemutigen europäischen Kinos der 60er und 70er in Verbindung gebracht werden kann – an Federico Fellinis OTTO E MEZO (1963) erinnert, dass die in der Reali-tät spielenden Szenen und die, die einzig in Carlos Kopf stattfinden, miteinander derart verschlungen sind, dass es ab einem bestimmten Punkt schwerfällt, überhaupt eine klare Trennlinie zwischen beidem zu ziehen, an Fernando Arrabal und Luis Bunuel erinnern die antiklerikalen Tendenzen, die Agosti in pointierten, fast schon allegorischen, mitunter witzigen Bildern oder Situationen festhält, an Alain Resnais oder Alain Robbe-Grillet erinnert die labyrinthische Struktur des Films, der Alltäglichkeiten und Banalitäten wie eine Nacht in einem Hotel oder einen Kaffee in einem Strandcafé in etwas absolut Desorientiertes zu verwandeln weiß, an Bertoluccis PRIMA DELLA RIVOLUZIONE (1964) erinnert, nicht zuletzt aufgrund der Kameraarbeit Aldo Scavardas, ganz generell die exquisite, irgendwo zwischen elegant und verwaschen anzusiedelnde Schwarzweißphotographie -, ist der Film doch derart eigenständig, dass die oben genannten Regisseure und Filme lediglich ungefähre Koordinationspunkten sind. Mehr Sinn macht es vielleicht sowieso, IL GIARDINO DELLE DELIZIE als ziemlich delirierendes und fiebriges Amalgam aus allem Möglichem zu begreifen, was im abseitigen Kino der 60er so an Ideen herumgeflogen ist. Hitchock!, ruft mir ein Glas Orangensaft zu, das Agosti inszeniert, als sei es mindestens ein menschenfressendes Monstrum. Wir sehen Carlo verkleidet als Zirkusclown wie er ein Hündchen, das er wohl selbst sein soll, dressiert. Mehrmals darf Ida Galli on-screen Flüssigkeiten erbrechen. Als Kind hat Carlo eine Schwarze Messe zelebriert. Die Hotelzimmertoilette gibt seltsame Gurgellaute von sich, so, als wolle sie mit den Frischverheirateten kommunizieren. Eine lange Sexszene zwischen Carlo und Carla wirkt, als würde mindestens die Welt dabei untergehen. Meine liebste Szene ist aber eine, die ganz schön zeigt, dass Agosti sowohl ein durchaus ansehnliches Budget zur Verfügung gestanden haben muss, das nicht nur für die Verpflichtung eines Stars wie Ronet draufgegangen ist, sowie dass er nicht nur keine Kosten, sondern auch scheinbar keine Mühen gescheut hat, seine Visionen auf die Leinwand zu bannen: Plötzlich ist es kurzzeitig vorbei mit Morricones Sakralklängen und eine waschechte Beat-Band steht am Strand und spielt ein Instrumentalstück, das in keiner zeitgenössischen Jukebox deplatziert gewesen wäre. Dann kommt aber schon der Bruch, denn im Hintergrund der Szene sehen wir eine Gruppe Kinder, angetan wie Klosterschüler, die in einer Prozession den Hügel entlangwandern. Das Ganze ist geschnitten wie ein Musikvideo, mit vielen Großaufnahmen tanzender Beine, in Gitarrensaiten greifenden Händen, wackelnder Hippie-Köpfe, und mit vielen Kamerafahrten über die andächtig dahinschreitenden Kuttenträgerkinder hinweg. Auch die Tonspur oszilliert zwischen dem fetzigen Sound der Rockgruppe und einem Morricone-Chor von Engelsstimmchen. Irgendwann verzehrt die offener und offener werdende Kamerablende die statistenvolle und recht aufwändig gestaltete Szenerie. Nach einem Schnitt sind wir zurück an der Uferpromenade, wo Carlo und Carla herumflanieren. Ein Kind ruft off-screen: Mama, Mama, schau, das Blasorchester! – und genau diese übernimmt nun die Tongestaltung.
Es ist schlicht meisterhaft wie Agosti seine Zuschauer durch diesen zwar überaus unorthodoxen, aber, meine ich, überhaupt nicht sperrigen Film führt, und die oben genannte Szene, in der Bild und Ton sich gegenseitig darin ergänzen, den Betrachter wechselweise zu irritieren und zu beruhigen, ist nur eine von vielen, die zum Ausdruck bringen, dass IL GIARDINO DELLE DELIZIE das Werk von jemanden sein muss, der nicht bloß mit Bildern und Sounds hantiert, um mit ihnen eine konkrete Botschaft zu vermitteln, sondern mit ihnen regelrecht denkt und fühlt. Zugleich ist es mir schlicht schleierhaft, weshalb ein solches kleines Meisterwerk, das ich mir durchaus in einem Programm mit Luigi Cozzis IL TUNNEL SOTTO IL M ONDO (1969) oder Romano Scavolinis LA PROVA GENERALE (1969) vorstellen kann, noch immer auf seine (Wieder?-)Entdeckung warten muss.