Drei Dinge, die mich an Luciano und Nicolás Onettis FRANCESCA erheblich gestört haben:
1. Kennt ihr das, wenn ihr euch verschiedenes Gemüse, verschiedene Gewürze gekauft habt, und steht vor eurem Kochtopf oder eurer Bratpfanne, und ahnt schon: Das wird nie und nimmer zusammenpassen, und selbst wenn ich das jetzt alles da hineingebe und es herumrühre, kommt vielleicht irgendwas etwas dabei heraus, eine harmonische Einheit aber bestimmt nicht? Am Ende ist es dann genauso: Die Aubergine verträgt sich nicht mit der Schokosauce, die Avocado beißt sich mit dem Ingwer. Jede Zutat steht isoliert für sich, und das schmeckt man deutlich. Genauso ungefähr verläuft FRANCESCA für mich. Es ist wie im frühen Jahrmarktskino, wie bei einer Nummernrevue: Was da aufeinander folgt, ist im Einzelnen durchaus spannend, unterhaltsam, staunenswert – manchmal aber auch schlicht langweilig -, wirklich im Dienste eines transzendenten Überbaus steht das nicht. Es ist, als würde man einzelnen Ideen dabei zusehen wie sie jemandem, der mittels Gialli vor allem der 70er und 80er sozialisiert worden ist, durch den Kopf purzeln. Eine junge Frau wird in einem Beichtstuhl mit einem spitzen Gegenstand konfrontiert, der sich ihr statt des Priesterworts ins Gehör wühlt. Ein unheimlicher Mann im Rollstuhl sitzt allein und verlassen im Park seines weitläufigen Grundstücks und schaut bedeutungsschwanger in die Ferne. Eine rotbehandschuhte Hand reißt Seiten aus einer Buchausgabe von Dantes DIVINA COMMEDIA. Das obligatorische Kindheitstrauma darf ebenso nicht fehlen wie vorzügliche Zeitlupenaufnahmen einer sich in die Luft schwingenden Stadttaube, einem pulsierenden Goblin-Referenz-Score sowie so viele J&B-Flaschen wie sie nicht mal die Tanke meines Vertrauens auf Lager hat. Unterm Strich fügen sich all diese vertrauten, teilweise in traumhafter Optik dargebotenen Elemente aber nicht nur schwerlich zusammen, sondern letztlich überhaupt nicht. Wir zappen gewissermaßen mit den Filmemachern durch ein erstes Brainstorming unter dem Motto: „Aus welchen Komponenten könnten wir eine Hommage an unsere liebsten Filme zusammenzimmern?“ Über diese erste Stufe ist FRANCESCA rein strukturell kein Stück hinausgekommen – was den Film oftmals ermüdend wirken lässt, schleppend. Es fehlt das, was mich bei Argento, Bava, Martino, Lenzi, Bido, Avati in ihren Giallo-Großtaten an den Korbstuhl fesselt: Ein Gespür nicht nur dafür, wie man bei den Schauwerten, Tondesign, Kameraarbeit, Beleuchtung usw. quasi en nuce einsetzt, um Ästhetik und Gewalt einen teuflischen Pakt eingehen zu lassen, sondern den Zuschauer auch über diese Partikel hinaus bei der Stange zu halten, sprich: irgendeinen Mehrwert zu generieren: Der Konnex zwischen Kunst und Tod bei Argento. Die zynischen Gesellschaftsanalysen bei Bava. Die laszive Fenech-Erotik bei Martino.
2. FRANCESCA, diese Fragmenten-Sammlung aus den Fanarchiven des italienischen Kriminalthrillers, macht in narrativer Hinsicht aber auch weitgehend falsch, was man falsch machen kann, wenn/falls man neben optischer Opulenz noch eine Geschichte erzählen möchte: Die Story ist verworren bzw. schlicht nicht existent. (Obwohl ich dem Film, glaube ich, recht aufmerksam gefolgt bin, habe ich persönlich nicht begriffen, weshalb einer der beiden ermittelnden Kommissaren einen Zusammenhang herstellt zwischen dem Verschwinden Francesca Viscontis vor fünfzehn Jahren und der Mordserie, die die italienische Kleinstadt, in der unser Film spielt, gerade erschüttert: nur weil sich die Entführung Francescas ausgerechnet in dieser Zeit zum fünfzehnten Mal jährt? Auch vollkommen schleierhaft bleibt mir trotz oder gerade wegen des abrupten Endes, was ich nun mit dem Dante-Faible des Killers anfangen soll, und vielleicht am wenigsten geht mir in den Kopf, was genau denn nun seine Motivation bei den Mordtaten gewesen ist. Ich kann mir das ungefähr so hindrehen, dass Dante bei seiner Reise in die Unterwelt ja Station für Station berühmte oder weniger berühmte Verbrecher kennenlernt, die dort für ihre Taten auf Erden sühnen, und dass es auch der Killer im Film vorrangig auf eher subversive Elemente der Gesellschaft abgesehen hat, das ist aber, wie gesagt, nur eine vorsichtig geflüsterte These, die ich dem Film quasi gewaltsam überstülpen muss, und die für mich trotzdem irgendwie noch keinen rechten Sinn ergibt.) Es fehlt dem Film an Identifikationsfiguren. (Die beiden Kommissare, die noch am ehesten den Verdacht erwecken, für diese herhalten zu können, erfüllen den Zweck letztendlich überhaupt nicht. Wo Argento beispielweise kunstvoll oft den Zuschauer selbst ins Geschehen reißt, indem er, wie sein Lehrmeister Hitchcock, einen Menschen wie Du und Ich in den Fokus seiner überbordenden, oftmals genauso verworrenen, verzettelten, verklausulierten Krimi-Plots stellt, der mit einem Verbrechen konfrontiert wird, und nun auf eigene Faust, quasi als Projektion des Betrachters, dieses seiner Auflösung entgegenbringen möchte, haben wir in FRANCESCA neben gerade mal zwei kauzigen Figuren, die als Täter in Frage kommen, und einer Vielzahl gesichtsloser Opfer eben nur die beiden Beamten, deren Ermittlungen auch nicht das Gelbe vom Ei sind, und an den entscheidenden Stellen von Meister Zufall kräftig in den Hintern getreten bekommen. Wo sind nur die skurrilen Ermittler-Charaktere, die pausenlos Eier verspeisen oder Kreuzworträtsel lösen, wenn man sie braucht?) Es fehlt überhaupt irgendeine Grunddramaturgie, ein Pulsschlag, der die einzelnen Versatzstücke vielleicht nicht sinnvoll, aber zumindest zielgereicht auf einen Kulminationspunkt hinbewegen würde. (Auch auf die Gefahr hin, nun mindestens als misogyn oder blutlüstern zu gelten: Etwas Sleaze, der in den Filmen, auf die die Onettis sich vollmundig berufen, immerhin einen kaum zu leugnenden Stellenwert einnimmt, sowie etwas sadistische Kreativität bei der Ausgestaltung der Mordszenen hätte dem Film wohl mehr gutgetan als geschadet – bis auf den allerersten, dann doch recht harten – und treffend an die musikalische Untermalung gekoppelten - Mord sehe ich die deutsche FSK 18 eigentlich nirgendwo gerechtfertigt.)
3. Was FRANCESCA aber für mich letztlich das Genick bricht, das ist die enervierende Post-Synchronisation bzw. die Versuche der Onettis, notdürftig zu kaschieren, dass die Lippenbewegungen ihrer Darsteller selten mit den nachträglich hinzuaddierten italienischen Stimmen auf der Tonspur übereinstimmen. Was tut man, wenn man offenbar seine Schauspieler erstmal hat vor der Kamera agieren zu lassen, und sie danach erst mit Lautäußerungen versieht? Am besten dafür sorgen, dass ich ihre Lippen nie so genau zu Gesicht bekommen. Ein schönes (oder grässliches) Beispiel für die Praktik, mit der die Onettis ihren eigenen Film rupfen wie ein Suppenhuhn, ist eine der einschläfernden und wenig Erkenntnisgewinn beinhaltenden Dialogszenen zwischen den beiden Kommissaren. Diesmal haben sie sich zum Billard getroffen. Unmotiviert fährt die Kamera die Tische entlang, zoomt sich auf die Kugeln ein. Genauso unmotiviert verdeckt einer der Darsteller die Kauleiste des andern, und deplatziert wirken zumindest für meine Ohren auch die Stimmen an sich, die man den offenkundigen Laien in die Münder gestopft hat. Wenn FRANCESCA in seinen Alptraumsequenzen, seinen surrealen Farbspielereien, seinen Gewaltexzessen mit angezogener Handbremse nicht selten imstande ist, sein niedriges Budget phantasievoll zu übertünchen, wirkt der Film auf mich immer dann, wenn zwei seiner Charaktere sich in Form von mehr als zwei Sätzen miteinander unterhalten, beinahe schon wie eine bessere Amateurproduktion. (Dass ich die deutsche Synchronfassung nicht kenne, ist in der Hinsicht wahrscheinlich ein Segen für mich.) Zumal das, was die Figuren einander zu sagen haben, nun wirklich nicht von Relevanz ist, und gerade die andauernden Dante-Querverweise mir sauer aufstoßen. Ich erwarte von einem Film dieses Genres nun beileibe keine literaturwissenschaftlichen Abhandlungen auf Hochschulniveau, doch wie offensichtlich es ist, dass man einfach mal ein paar Hochkultur-Referenzen um ihrer selbst willen ins fade Spiel wirft, ohne scheinbar selbst genau zu wissen, was mit ihr anzustellen, das ist schon ein starkes Stück von einem Film, der seine Vorbilder eben nicht etwa reflektiert, nicht mit ihnen jongliert, sie schon gar nicht dekonstruiert oder sie auch nur so dreht, dass das Licht in einer Weise auf sie fällt, die ihnen neue Seiten abgewinnt, sondern sie sklavisch nachbetet wie ich abends meinen Katechismus.
Eigentlich mag ich aber gar nicht allzu hart mit diesem Film von Fans für Fans ins Gericht gehen. Ich weiß, dass die Onettis rund um Buenos Aires für eine Handvoll Pesos ein Retro-Italien der 70er errichtet haben, und das al-lein empfinde ich schon als eine Leistung, der ich Respekt zolle. Der Anfang ist außerdem Gott! – diese Musik, und wie der Laptop-Schirm sich regelrecht vor mir eröffnet, und dann dieses Panorama schwankender Bäume vorm Nachthimmel -, nur wird mit zunehmender Laufzeit aus diesem Gott ein recht langweiliger, schwerfälliger Götze, der immer ausgesprochen adrett ausschaut, unter seiner Maskerade aber vor allem klaffende Leere versteckt. Würde den Onettis mal jemand ein intelligentes Drehbuch schreiben, oder würden die Onettis den Weg von Cattet-Forzani in die absolute Abstraktion einschlagen, dann wäre bestimmt meine Tasse Tee. Im Moment schmeckt vorliegendes Werk für mich wie Auberginen im Schokomantel und Avocados, die auf Kriegsfuß mit Ingwer stehen.