Die weisse Schwadron - Augusto Genina (1936)
Verfasst: Mo 12. Sep 2016, 19:29
Originaltitel: Lo squadrone bianco
Produktionsland: Italien 1936
Regie: Augusto Genina
Darsteller: Antonio Centa, Fosco Giachetti, Fulvia Lanzi, Guido Celano, Olinto Cristina
Mario ist bis über beide Ohren verknallt in Cristiana. Seine Wochenenden verbringt der Armeeoffizier am liebsten in ihren Betten, in ihren Armen. Dann aber versetzt sie ihn dreimal hintereinander. Er wartet vergeblich in ihrem Stammhotel auf sie, erhält lediglich die Nachricht, dass sie unpässlich sei. Tatsächlich handelt es sich bei Cristiana um einen ausgemachten Vamp der alten Schule. Während Mario wie ein Hündchen nach ihr schmachtet, hat sie schon längst den nächsten Fisch an der Angel, vertreibt sich die Zeit auf Cocktailpartys und Konzerten. Schließlich hält Mario die Ungewissheit nicht mehr aus und sucht sie zu Hause auf. Cristiana begegnet ihm kühl, eröffnet ihm recht schnell, dass sie einen andern habe, gibt ihm den Laufpass. Für Mario bricht eine Welt zusammen. In seiner Verzweiflung will er nichts anderes als Rom so weit hinter sich zu lassen wie möglich, weshalb er sich entscheidet, sich nach Afrika versetzen zu lassen. Mario erreicht den kleinen libyschen Grenzposten als gebrochener Mann, der das Lachen verlernt hat und stumpf auf Befehle reagiert. Seinem Vorgesetzten, Kapitän Santelia, schmeckt das überhaupt nicht. Marios Vorgänger ist als Held im Kampf gegen die Partisanen gefallen, die sich in der Wüste versteckt halten und jede Gelegenheit nutzen, gegen die italienischen Besatzer zu agitieren. Diese Fußstapfen sind viel zu groß für Mario, dem Santelia vor allem vorwirft, dass er, wie er bald feststellt, nicht aus kolonialistischer Passion nach Libyen gekommen sei, sondern aus dem rein sentimentalen Grund, Cristiana zu vergessen. Während diese in Rom allmählich begreift, dass sie mit Mario die einzige Liebe ihres Lebens verloren hat und Nachforschungen anzustellen beginnt, wohin es ihn verschlagen hat, startet Santelia eine Kriegsmission, die den Rebellen endgültig das Genick brechen soll. Für Mario wird das zu einer Bewährungsprobe auf Leben und Tod, als der Trupp von den Partisanen immer tiefer in die Wüste gelockt wird, der einheimische Führer schließlich die Orientierung verliert und die Wasserressourcen bald knapper nicht mehr sein könnten…
Am 3. Oktober 1935 erklärt das faschistische Italien unter Mussolini dem letzten unabhängigen afrikanischen Königreich Abessinien den Krieg und annektiert es endgültig am 9.Mai des Folgejahrs. Gemeinsam mit den bereits bestehenden Kolonien Eritrea und Italienisch-Somaliland bildet Abessinien, das heutige Äthiopien, von nun an das Kolonialgeflecht Italienisch-Ostafrika. Obwohl offiziell 1936 besiegt und dem Italienischen Reich einverleibt, enden die kriegerischen Handlungen in Abessinien zwischen Kolonisierten und Kolonisatoren niemals völlig. Gerade die weitreichenden Wüstenregionen dienen Rebellengruppen als Verstecke und Rückzugsgebiete, von denen aus sie den Kampf gegen die italienischen Besatzer planen und durchführen können. Die freilich völkerrechtswidrige Annexion Abessiniens sollte demnach eine kleine, aber an Toten reiche Episode innerhalb der Geschichte des Kolonialismus bleiben. Unfähig, das Land vollkommen unter seine Kontrolle zu bringen, verliert Italien es letztlich bereits 1941 wieder an britische und abessinische Truppen. Auch Libyen teilt mit Abessinien ein ähnliches Schicksal. 1934 offiziell zur Kolonie erklärt, siedelt man im Norden des Landes zahllose Italiener an, während man gleichzeitig mit Militärgewalt und äußerster Brutalität gegen die einheimischen Araber vorgeht. Nach knapp zehn Jahren der Besatzung müssen italienische und deutsche Truppen sich 1943 vor den Briten zurückziehen, und damit ihre letzte Afrikanische Kolonie aufgeben. Dass der Film LO SQUADRONE BIANCO von Augusto Genina aus dem Jahre 1936 ganz explizit auf diese Tendenzen der italienischen Außenpolitik Bezug nimmt, zeigen allein schon die beiden dem Vorspann vorangestellten Texttafeln. Zum einen hat der Film 1936 den Coppa Mussolini, Italiens höchsten, weil staatlich legitimierten Filmpreis gewonnen. Zum andern ist da die Widmung an all die tapferen Sahara-Truppen, mit denen der Herzog D’Aosta die Libyer unter dem siegreichen Banner Roms niedergerungen hat. Amadeus von Savoyen, der dritte Herzog von Aosta, war nicht nur Blutsverwandter König Viktor Emanuels II., sondern auch Gouverneur und Viezkönig von Italienisch-Ostafrika. Auch er stirbt gemeinsam mit den Träumen von einem italienischen Kolonialreich, das große Teile Afrika umfassen sollte, und zwar 1942 in einem Kriegsgefangenenlager der Engländer in Kenia.
Nach alldem dürfte es nicht verwundern, dass LO SQUADRONE BIANCO ein überaus idealisiertes Bild von Kolonialherrschaft, von Männertugenden wie Opferbereitschaft, Patriotismus und Freude am Kampf, von der glorreichen Zukunft zeichnet, die Italien noch unter Mussolini bevorstehen wird. LO SQUADRONE BIANCO ist ein reiner Regierungsfilm, gedacht dafür, sein Publikum für die koloniale Sache zu begeistern, und ihm außerdem mit Cristiana und Mario zwei Figuren vorzustellen, an deren Wandlung von Ich-bezogenen, gefühlsorientierten Menschen, die schon ziemlich viel Negatives abgekriegt haben vom degenerierten Großstadtleben mit seiner florierenden Unterhaltungsindustrie, seinen leichtfertigen Beziehungen und seinen Rauschmitteln, hin zu welchen, die aufopferungsvoll bereit sind, ihre eigenen Emotionen und Wünsche denen ihres Staates und ihres Volkes unterzuordnen, es sich ein Beispiel nehmen sollte. Unter der glühenden Wüstensonne Libyens erkennt Mario seine wahre Bestimmung, nämlich seinem Land zu dienen. Als Cristiana ihm am Ende ihrer Liebe versichert, kann sie ihn dadurch auch nicht zurück nach Rom holen. Mario hat im Soldatenleben seinen Lebenssinn gefunden, und alles andere erscheint ihm von nun an flüchtiger Tand. Von nun an wird er die Erinnerung an den verstorbenen Santelia wachhalten, indem er in dessen Fußstapfen noch das versteckteste Rebellennest aufhebt. Aber auch Cristiana begeht ein Opfer, und kehrt unglücklich verliebt zwar, aber geläutert in die Hauptstadt zurück, wo sie, wie der Film suggeriert, ab jetzt ein Leben fernab von Sektgläsern und Männerbekanntschaften führen wird. Wenn man so will, ist LO SQUADRONE BIANCO in seinem Kern eine Parabel darüber, wie man als an der Moderne krank gewordener Mensch zurück zur Gesundheit kommt, und dabei wie von selbst seine Aufgabe innerhalb eines autoritären Staatsgefüge einnimmt. Da ist nichts ironisch, nichts subversiv, nichts, das irgendwie aus der Reihe tanzt. Vollkommen ernsthaft, fast schon stur, folgt Geninas Film der Logik eines Dreischritts. Im Prolog, in der Großstadt noch, lernen wir Marios Dilemma kennen, seine Liebe zu Cristiana, die diese kein bisschen verdient. Im zweiten, längsten Teil wächst Mario nach und nach in sein Leben als Kolonialherr hinein, und entpuppt sich, als es im Kampf mit den arabischen Partisanen hart auf hart kommt, als wahrer Held. Im dritten Teil wechselt die Perspektive dann zu Cristiana, die inzwischen in Marios Stützpunkt angelangt ist, und auf Nachricht wartet, ob er die Gefechte lebend überstanden hat. Das hat er, doch ist jetzt er es, der ihre Liebe ausschlägt. Diese Logik ist so bestechend, dass es schwer fällt, ihr nicht in die Falle zu gehen. LO SQUADRONE BIANCO ist ein suggestiver Film, der einem kaum Platz für eigene Gedanken lässt. Es ist, als würde man selbst im Zimmer eines Anwerbers sitzen, der tausend Argumente auf Lager hat, wieso man sich unbedingt zur Fremdenlegion melden sollte – und bevor man sich versieht, hat man schon seine Unterschrift irgendwo hingesetzt.
LO SQUADRONE BIANCO könnte man damit abtun als ein interessantes zeitgeschichtliches Dokument, dessen pathetisch-plakative Handlung jedoch zu Recht dafür gesorgt hat, dass es in den Archiven der Filmhistorie verschwunden ist. Trotzdem – oder gerade deswegen? – haben mich, fernab der wenig komplexen Handlung mit ihren eindimensionalen Charakteren, einige Dinge an vorliegendem Film doch berührt, überrascht und nachdenklich gemacht. Ich zähle im Folgenden die drei für mich bemerkenswertesten Szenen auf, die sich allesamt in der ersten halben Stunde des Films finden lassen. Es sind:
1. Nachdem wir Mario und sein gebrochenes Herz haben kennenlernen dürfen, wechselt die Handlung von LO SQUADRONE BIANCO in die Sahara, wo der Film übrigens an Originalschauplätzen entstanden ist. Die erste Figur, die uns dort begegnet, ist einen Kapitän namens Donati, der sich, scheint es, gerade auf Inspektionstour durchs Lager befindet. Die Kamera fährt schräg vor ihm her, während Donati, begleitet von einem schwarzen Diener, tüchtig zwischen den Beduinen entlangschreitet. Schon rein optisch fällt der Offizier aus dem ihn umgebenden Menschenpanorama heraus. Er trägt Anzug, Hut und Spazierstock, während die seinen Weg säumenden Menschen in Kaftane eingehüllt sind oder, wie sein Diener, in Stoffe, deren Schnitt zwar angelehnt ist an die europäische Mode, trotzdem aber noch exotisch genug wirken, ihre Herkunft nicht verleugnen zu können. Die Beduinen sind mit Arbeiten beschäftigen. Neue Straßen sollen entstehen, erfahren wir später, um den Militärposten noch besser mit den umliegenden italienischen Siedlungen zu verbinden. In der Nähe eines Zeltes und einer Gruppe Kamele bleibt Donati stehen, wischt sich Schweiß aus dem Nacken und erklärt seinem Diener, er habe Durst. Sofort setzt dieser Satz eine ganze Kettenreaktion in Gang. Sein Diener ruft zum Zelt hinüber, man solle dem Herrn Wasser bringen, worauf dort zwei Eheleute aufschrecken wie von einem Skorpion gestochen. Da die Frau es nicht schnell genug fertigbringt, ist es ihr Mann, der mit einer Flasche voller frischem Brunnenwasser zu Donati und Diener herübereilt. Der Arzt nimmt das als selbstverständlich hin, und knüpft trinkend ein Gespräch mit dem Wasserboten an. Auch hier geht es um Kleidung. Er fragt ihn, wer ihn denn so angezogen habe, sein Anzug, der ebenfalls versucht, betont europäisch zu wirken, stehe ihm nicht schlecht. Sein Gegenüber bietet ihm an, doch einmal den Stoff zu fühlen, und erzählt wie teuer er gewesen sei, ganze zwei Lire habe er dafür bezahlt, und nun sei er so gut wie bankrott. Donati fragt ihn, ob er ihm nicht auch so einen Anzug besorgen könne. Sicher, erwidert der Mann, doch der würde dann fünf Lire kosten. Für zweieinhalb Lire würde er ihn kaufen, beginnt der Offizier darauf das Feilschen, das der Libyer indes schnell unterbricht: Er werde ihm die andern zweieinhalb Lire aus der eigenen Kasse hinzugeben, sodass er den Anzug als Geschenk von ihm betrachten könne. Als Lohn dafür erhält er von Donati eine Zigarette sowie eine Schachtel Streichhölzer geschenkt. Obwohl dieses locker-flockige Gespräch innerhalb von LO SQUADRONE BIANCO eigentlich nur dazu dient, das Publikum in den Haupthandlungsort des Films einzuführen und die Figur Donatis vorzustellen, die im weiteren Verlauf hauptsächlich dazu da ist, für den einen oder andern komischen Moment zu sorgen, hat Genina, ob nun bewusst oder nicht, mit der Szene ziemlich genau abgebildet wie man sich das Verhältnis zwischen italienischen Kolonialherren und der indigenen Bevölkerung Nordafrikas zur damaligen Zeit vorstellen muss. Klar ist, dass Donati als Vertreter Italiens in seiner absoluten Autorität zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt wird. Weder die Einheimischen innerhalb der Handlung noch der Film selbst tastet die rechtmäßige Herrenmentalität des Mannes an. Stattdessen folgt ihm die Kamera wie einem König, der sein Reich abschreitet. Stattdessen wird seine Forderung nach Wasser wie der Befehl eines Herrschers inszeniert, dem sofort Folge zu leisten ist. Stattdessen wird er im Gespräch mit dem bezeichnenderweise namenlosen afrikanischen Arbeiter innerhalb des Bildkaders so vor diesem platziert, dass er konsequent auf ihn herabzuschauen scheint. Auch der Inhalt des Gesprächs ist unter diesen Gesichtspunkten interessant. Im Grunde unterhalten sich Donati und der Afrikaner nämlich über nichts weiter als materielle und ökonomische Belange, und das ausnahmslos in ziemlich durchschaubaren Floskeln. Der Offizier lobt die Kleidung des Afrikaners, worauf dieser sofort auf die finanzielle Schiene ausschert, und sein gesamtes rhetorisches Geschick dazu nutzt, seinem Gegenüber irgendwelche Güter oder Geld aus den Rippen zu leiern. Nicht nur, dass er ihm zweieinhalb Lire für einen Stoff abschwatzt, den er selbst für zwei bekommen hat, am Ende geht er auch mit einer Zigarette und Streichhölzern in den Taschen aus dem Gespräch hervor. Die indigene Bevölkerung Libyens, erklärt uns der Film, ist eine große Masse, wenn schon nicht von Sklaven, dann zumindest Untergebener, die man leicht unter Kontrolle halten kann, wenn man nur ihre Konsumgier befriedigt. Der Arzt weiß genau, wie er sich die Loyalität des Mannes sichern kann, nämlich indem er ihm Komplimente und Geschenke macht. Dabei tritt er ihm freilich mehr wie einem unbedarften Kind als einem gleichberechtigten Erwachsenen auf Augenhöhe gegenüber. Ein normaler Kinogänger des Jahres 1936 wird sich darüber wohl kaum den Kopf zerbrochen haben, und möglicherweise auch keinen Anstoß daran genommen haben, dass LO SQUADRONE BIANCO – wie übrigens so ziemlich jeder zeitgenössische Afrikafilm, sei er nun aus dem Deutschen Reich, aus Hollywood oder Frankreich – zu Protagonisten einzig und allein europäische Figuren wählt, während die Einheimischen eine dumpfe, stumme, austauschbare Masse ergeben, die man nur dann beachtet, wenn sie sich auflehnen oder wenn man sie für Feldzüge benötigt. Tatsächlich ist die einzige arabische Figur in LO SQUADRONE BIANCO, die einen eigenen Namen und so etwas wie eine eigene Persönlichkeit zugestanden bekommt, der Beduine El Fennek, in dem letztlich aber auch bloß ein Klischee reproduziert wird, nämlich das des treuen, anhänglichen, umsorgenden Dieners, der Mario schließlich das Leben rettet - wobei anzumerken ist, dass El Fennek nicht etwa von einem Araber, sondern von einem als Araber verkleideten Italiener gespielt wird. Die indigene Bevölkerung Libyens hat keine Stimme und somit keine Sprache in vorliegendem Film, und wird als eine absolute Alterität begriffen, die LO SQUADRONE BIANCO auch soundtechnisch untermalt: Die teilweise schrecklich dick auftragende Orchestermusik – darunter Vivaldis Largo – wird in schöner Regelmäßigkeit kontrastiert mit lokaler Wüstenfolklore, die für die Ohren eines Zeitgenossen wohl noch tausendmal fremdartiger geklungen haben mag als für unsere globalisierten und kosmopolitischen.
2. Ein kleines Meisterstück faschistischen Filmschaffens kann man kurz darauf bewundern. Bettini, Marios Vorgänger, ist im Kampf gegen die Rebellen gefallen. Ihm zu Ehren hält Santelia eine ergreifende Rede vor stumm und stramm stehenden Einheimischen, die der italienischen Armee als Kanonenfutter im Krieg gegen ihre eigenen Landsleute dienen. Das, was Santelia über seinen toten Freund und Schlachtgefährten zu erzählen weiß, kann an hohlen Phrasen kaum noch überboten werden, und lässt sich auf die simple Formel bringen, dass mit Bettini ein Held von uns gegangen ist, dem es nachzueifern gilt. Wundervoll ist die Kameraarbeit in dieser Szene. Vor minimalistischer Palmenkulisse wirken die bis auf die Augen in ihre Kaftane eingemummelten Beduinen, die dadurch allesamt gleich aussehen, wie leblose Puppen, in die erst Bewegung kommen wird, wenn irgendein Apell ertönt. Im Gegensatz zu diesem zur Regungslosigkeit konditioniertem Menschenmaterial befindet sich aber die Kamera in einer gleitenden Bewegung, indem sie einmal die gesamte Reihe Krieger entlangfährt, und dann, bei Santelia und seinem Übersetzer angekommen - denn, natürlich, er selbst spricht kein Arabisch und die Araber kein Italienisch -, sich einmal um hundertachtzig Grad dreht, und ihre Fahrt mit Blick in die Richtung beendet, aus der sie gekommen ist. Santelia tritt einen Schritt nach vorne, und einen Schnitt später sehen wir ihn aus einer fast schon übertriebenen Froschperspektive. Von der Hüfte ab aufwärts füllt er den Bildrahmen, wobei seine aufrechte, mann- und wehrhafte Gestalt noch zusätzlich von einer direkt hinter ihm in die Höhe wachsenden Palme akzentuiert wird. Links und rechts sind, Ornamente bloß, zwei Soldaten zu sehen, starr wie Statuen. Während Santelia in dieser Pose davon spricht, dass der Tod auf dem Schlachtfeld der schönste Tod für jeden sei, der das Herz eines Kriegers in seiner Brust schlagen habe, ist der Gedanke an Benito Mussolini nicht weit. Santelia wirkt wie dessen Miniaturabziehbild, so sehr durchdrungen vom faschistischen Geist, dass es beinahe den Bildrahmen sprengt. Die Kamera fährt indes weiter fort, ist förmlich fasziniert von den Massen an Kriegern, die bereit sein werden, ihr Blut für das des toten Bettini zu vergießen. Sicherlich ist diese Szene alles andere als ironisch intendiert. Santelias Appell an seine Gefolgsleute fungiert zugleich auch als ein Aufruf an das Kinopublikum, wenn schon nicht sein eigenes Leben für den Staat zu opfern, so doch zumindest ein bisschen mehr nach den Prämissen zu leben, die der Kapitän als männliche Tugenden aufführt. Was aber ist von der beängstigenden Schweigsamkeit der arabischen Krieger zu halten? Militärisch gedrillt zucken sie mit keiner Wimper, schultern ihre Gewehre erst, als Santelia es ihnen erlaubt. Sie sind nichts weiter als Auffangbecken für die heroischen Worte ihres Anführers. Auch im weiteren Verlauf des Films werden diese Araber stumm ihre vermeintliche Pflicht tun, das heißt: töten und sterben, in dieser Reihenfolge – genau wie es ihre Herren von ihnen verlangen. Etwas Beunruhigendes kommt mit dieser Szene zum Ausdruck: Die Disziplin im Lager Santelias ist vor allem eine, die an der Entmenschlichung der in ihm lebenden Individuen wirkt. Genau das ist die Lehre, die Mario später für sich ziehen wird: Wenn er sein eigenes Ich aufgibt und einfach nur noch stur Befehlen folgt und kämpft, tötet und stirbt wie Bettini und Santelia vor ihm, dann wird er selbst aufgehen in einer Kriegsornamentik, bei der sein eigenes Subjekt nichts mehr zählt, dafür die Ideale, für die er kämpft, tötet und stirbt, alles. In diesen eineinhalb Minuten hat Genina eine essentielle Wahrheit des Faschismus möglicherweise besser, sprich: prägnanter, pointierter, zum Ausdruck gebracht als es jede seitenlange wissenschaftliche Studie tun könnte.
3. Aber ich möchte mit etwas Versöhnlichem enden, einem Moment in LO SQUADRONE BIANCO, in dem die Montage für etwa eine Minute komplett verrückt spielt. Was ist geschehen? Santelia möchte den Tod seines geliebten Bettini rächen. Hierfür soll den Rebellen endgültig das Handwerk gelegt werden. Gemeinsam mit Mario und seinen Beduinen will er in die Wüste ziehen, um seine Feinde im Gefecht zu stellen und zu vernichten. Hierfür lässt er die Einheimischen das Kriegsbeil ausgraben, sprich: die Beduinen machen sich auf, ihren Stammesgenossen den anstehenden Kriegszug zu verkünden. Eine allgemeine Mobilisierung ergreift die Wüste – und das visualisiert Genina auf sensationelle Weise. Wir sehen, zu arabischer Musik, wie die Kamera seitlich einem Araber auf seinem galoppierenden Kamel folgt. Bei ihm handelt es sich um den Überbringen der Botschaft Santelias. Dazwischen Aufnahmen von weidenden Kamelen, manche aus weiter Distanz, manche in Großaufnahme direkt vor ihren kauenden Mäulern. Bald aber ist es mit dem Müßiggang vorbei: Unser Reiter erreicht eine Oase, brüllt auf Arabisch und sofort sind die übrigen Beduinen auf den Beinen, um ihrerseits die Kamele zu satteln und zuzusehen so schnell wie möglich zu Santelia zu gelangen. Immer rasanter werden die Schnitte, während die Männer ihre Kamele aufscheuchen. Erneut ist der Film fasziniert von den sich in Bewegung setzenden Massen. Mensch und Tier verschwimmen mit- und ineinander, wenn in hohem Tempo verschiedene Aufnahmen der loslaufenden Kamele und Beduinen aneinandergereiht werden. Genina filmt durch Kamelbeine hindurch, lässt sich einen Strom der Tiere von links ins Bild ergießen, um einen Schnitt später sie von der rechten Seite kommen zu lassen, man verliert den Überblick, befindet sich mal mitten im Geschehen, betrachtet es dann aus der Ferne, wobei die Kamele direkt auf die Handkamera zulaufen, und die Tonspur ist erfüllt vom Schreien der Araber und dem Grunzen der Reittiere. Die vielleicht schönste Aufnahme in LO SQUADRONE BIANCO: Wir sehen die Kamele im wilden Laufen, überstrahlt von einem nahezu impressionistischen Licht, das den Tieren ihre Konturen nimmt, und die Szene mit einem traumhaften Gleißen überzieht. Für einen kurzen Moment ist Krieg, Kampf und Tod vergessen, und da sind einfach nur ein paar Kamele im Galopp, die der untergehenden Sonne entgegenziehen.
Am 3. Oktober 1935 erklärt das faschistische Italien unter Mussolini dem letzten unabhängigen afrikanischen Königreich Abessinien den Krieg und annektiert es endgültig am 9.Mai des Folgejahrs. Gemeinsam mit den bereits bestehenden Kolonien Eritrea und Italienisch-Somaliland bildet Abessinien, das heutige Äthiopien, von nun an das Kolonialgeflecht Italienisch-Ostafrika. Obwohl offiziell 1936 besiegt und dem Italienischen Reich einverleibt, enden die kriegerischen Handlungen in Abessinien zwischen Kolonisierten und Kolonisatoren niemals völlig. Gerade die weitreichenden Wüstenregionen dienen Rebellengruppen als Verstecke und Rückzugsgebiete, von denen aus sie den Kampf gegen die italienischen Besatzer planen und durchführen können. Die freilich völkerrechtswidrige Annexion Abessiniens sollte demnach eine kleine, aber an Toten reiche Episode innerhalb der Geschichte des Kolonialismus bleiben. Unfähig, das Land vollkommen unter seine Kontrolle zu bringen, verliert Italien es letztlich bereits 1941 wieder an britische und abessinische Truppen. Auch Libyen teilt mit Abessinien ein ähnliches Schicksal. 1934 offiziell zur Kolonie erklärt, siedelt man im Norden des Landes zahllose Italiener an, während man gleichzeitig mit Militärgewalt und äußerster Brutalität gegen die einheimischen Araber vorgeht. Nach knapp zehn Jahren der Besatzung müssen italienische und deutsche Truppen sich 1943 vor den Briten zurückziehen, und damit ihre letzte Afrikanische Kolonie aufgeben. Dass der Film LO SQUADRONE BIANCO von Augusto Genina aus dem Jahre 1936 ganz explizit auf diese Tendenzen der italienischen Außenpolitik Bezug nimmt, zeigen allein schon die beiden dem Vorspann vorangestellten Texttafeln. Zum einen hat der Film 1936 den Coppa Mussolini, Italiens höchsten, weil staatlich legitimierten Filmpreis gewonnen. Zum andern ist da die Widmung an all die tapferen Sahara-Truppen, mit denen der Herzog D’Aosta die Libyer unter dem siegreichen Banner Roms niedergerungen hat. Amadeus von Savoyen, der dritte Herzog von Aosta, war nicht nur Blutsverwandter König Viktor Emanuels II., sondern auch Gouverneur und Viezkönig von Italienisch-Ostafrika. Auch er stirbt gemeinsam mit den Träumen von einem italienischen Kolonialreich, das große Teile Afrika umfassen sollte, und zwar 1942 in einem Kriegsgefangenenlager der Engländer in Kenia.
Nach alldem dürfte es nicht verwundern, dass LO SQUADRONE BIANCO ein überaus idealisiertes Bild von Kolonialherrschaft, von Männertugenden wie Opferbereitschaft, Patriotismus und Freude am Kampf, von der glorreichen Zukunft zeichnet, die Italien noch unter Mussolini bevorstehen wird. LO SQUADRONE BIANCO ist ein reiner Regierungsfilm, gedacht dafür, sein Publikum für die koloniale Sache zu begeistern, und ihm außerdem mit Cristiana und Mario zwei Figuren vorzustellen, an deren Wandlung von Ich-bezogenen, gefühlsorientierten Menschen, die schon ziemlich viel Negatives abgekriegt haben vom degenerierten Großstadtleben mit seiner florierenden Unterhaltungsindustrie, seinen leichtfertigen Beziehungen und seinen Rauschmitteln, hin zu welchen, die aufopferungsvoll bereit sind, ihre eigenen Emotionen und Wünsche denen ihres Staates und ihres Volkes unterzuordnen, es sich ein Beispiel nehmen sollte. Unter der glühenden Wüstensonne Libyens erkennt Mario seine wahre Bestimmung, nämlich seinem Land zu dienen. Als Cristiana ihm am Ende ihrer Liebe versichert, kann sie ihn dadurch auch nicht zurück nach Rom holen. Mario hat im Soldatenleben seinen Lebenssinn gefunden, und alles andere erscheint ihm von nun an flüchtiger Tand. Von nun an wird er die Erinnerung an den verstorbenen Santelia wachhalten, indem er in dessen Fußstapfen noch das versteckteste Rebellennest aufhebt. Aber auch Cristiana begeht ein Opfer, und kehrt unglücklich verliebt zwar, aber geläutert in die Hauptstadt zurück, wo sie, wie der Film suggeriert, ab jetzt ein Leben fernab von Sektgläsern und Männerbekanntschaften führen wird. Wenn man so will, ist LO SQUADRONE BIANCO in seinem Kern eine Parabel darüber, wie man als an der Moderne krank gewordener Mensch zurück zur Gesundheit kommt, und dabei wie von selbst seine Aufgabe innerhalb eines autoritären Staatsgefüge einnimmt. Da ist nichts ironisch, nichts subversiv, nichts, das irgendwie aus der Reihe tanzt. Vollkommen ernsthaft, fast schon stur, folgt Geninas Film der Logik eines Dreischritts. Im Prolog, in der Großstadt noch, lernen wir Marios Dilemma kennen, seine Liebe zu Cristiana, die diese kein bisschen verdient. Im zweiten, längsten Teil wächst Mario nach und nach in sein Leben als Kolonialherr hinein, und entpuppt sich, als es im Kampf mit den arabischen Partisanen hart auf hart kommt, als wahrer Held. Im dritten Teil wechselt die Perspektive dann zu Cristiana, die inzwischen in Marios Stützpunkt angelangt ist, und auf Nachricht wartet, ob er die Gefechte lebend überstanden hat. Das hat er, doch ist jetzt er es, der ihre Liebe ausschlägt. Diese Logik ist so bestechend, dass es schwer fällt, ihr nicht in die Falle zu gehen. LO SQUADRONE BIANCO ist ein suggestiver Film, der einem kaum Platz für eigene Gedanken lässt. Es ist, als würde man selbst im Zimmer eines Anwerbers sitzen, der tausend Argumente auf Lager hat, wieso man sich unbedingt zur Fremdenlegion melden sollte – und bevor man sich versieht, hat man schon seine Unterschrift irgendwo hingesetzt.
LO SQUADRONE BIANCO könnte man damit abtun als ein interessantes zeitgeschichtliches Dokument, dessen pathetisch-plakative Handlung jedoch zu Recht dafür gesorgt hat, dass es in den Archiven der Filmhistorie verschwunden ist. Trotzdem – oder gerade deswegen? – haben mich, fernab der wenig komplexen Handlung mit ihren eindimensionalen Charakteren, einige Dinge an vorliegendem Film doch berührt, überrascht und nachdenklich gemacht. Ich zähle im Folgenden die drei für mich bemerkenswertesten Szenen auf, die sich allesamt in der ersten halben Stunde des Films finden lassen. Es sind:
1. Nachdem wir Mario und sein gebrochenes Herz haben kennenlernen dürfen, wechselt die Handlung von LO SQUADRONE BIANCO in die Sahara, wo der Film übrigens an Originalschauplätzen entstanden ist. Die erste Figur, die uns dort begegnet, ist einen Kapitän namens Donati, der sich, scheint es, gerade auf Inspektionstour durchs Lager befindet. Die Kamera fährt schräg vor ihm her, während Donati, begleitet von einem schwarzen Diener, tüchtig zwischen den Beduinen entlangschreitet. Schon rein optisch fällt der Offizier aus dem ihn umgebenden Menschenpanorama heraus. Er trägt Anzug, Hut und Spazierstock, während die seinen Weg säumenden Menschen in Kaftane eingehüllt sind oder, wie sein Diener, in Stoffe, deren Schnitt zwar angelehnt ist an die europäische Mode, trotzdem aber noch exotisch genug wirken, ihre Herkunft nicht verleugnen zu können. Die Beduinen sind mit Arbeiten beschäftigen. Neue Straßen sollen entstehen, erfahren wir später, um den Militärposten noch besser mit den umliegenden italienischen Siedlungen zu verbinden. In der Nähe eines Zeltes und einer Gruppe Kamele bleibt Donati stehen, wischt sich Schweiß aus dem Nacken und erklärt seinem Diener, er habe Durst. Sofort setzt dieser Satz eine ganze Kettenreaktion in Gang. Sein Diener ruft zum Zelt hinüber, man solle dem Herrn Wasser bringen, worauf dort zwei Eheleute aufschrecken wie von einem Skorpion gestochen. Da die Frau es nicht schnell genug fertigbringt, ist es ihr Mann, der mit einer Flasche voller frischem Brunnenwasser zu Donati und Diener herübereilt. Der Arzt nimmt das als selbstverständlich hin, und knüpft trinkend ein Gespräch mit dem Wasserboten an. Auch hier geht es um Kleidung. Er fragt ihn, wer ihn denn so angezogen habe, sein Anzug, der ebenfalls versucht, betont europäisch zu wirken, stehe ihm nicht schlecht. Sein Gegenüber bietet ihm an, doch einmal den Stoff zu fühlen, und erzählt wie teuer er gewesen sei, ganze zwei Lire habe er dafür bezahlt, und nun sei er so gut wie bankrott. Donati fragt ihn, ob er ihm nicht auch so einen Anzug besorgen könne. Sicher, erwidert der Mann, doch der würde dann fünf Lire kosten. Für zweieinhalb Lire würde er ihn kaufen, beginnt der Offizier darauf das Feilschen, das der Libyer indes schnell unterbricht: Er werde ihm die andern zweieinhalb Lire aus der eigenen Kasse hinzugeben, sodass er den Anzug als Geschenk von ihm betrachten könne. Als Lohn dafür erhält er von Donati eine Zigarette sowie eine Schachtel Streichhölzer geschenkt. Obwohl dieses locker-flockige Gespräch innerhalb von LO SQUADRONE BIANCO eigentlich nur dazu dient, das Publikum in den Haupthandlungsort des Films einzuführen und die Figur Donatis vorzustellen, die im weiteren Verlauf hauptsächlich dazu da ist, für den einen oder andern komischen Moment zu sorgen, hat Genina, ob nun bewusst oder nicht, mit der Szene ziemlich genau abgebildet wie man sich das Verhältnis zwischen italienischen Kolonialherren und der indigenen Bevölkerung Nordafrikas zur damaligen Zeit vorstellen muss. Klar ist, dass Donati als Vertreter Italiens in seiner absoluten Autorität zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt wird. Weder die Einheimischen innerhalb der Handlung noch der Film selbst tastet die rechtmäßige Herrenmentalität des Mannes an. Stattdessen folgt ihm die Kamera wie einem König, der sein Reich abschreitet. Stattdessen wird seine Forderung nach Wasser wie der Befehl eines Herrschers inszeniert, dem sofort Folge zu leisten ist. Stattdessen wird er im Gespräch mit dem bezeichnenderweise namenlosen afrikanischen Arbeiter innerhalb des Bildkaders so vor diesem platziert, dass er konsequent auf ihn herabzuschauen scheint. Auch der Inhalt des Gesprächs ist unter diesen Gesichtspunkten interessant. Im Grunde unterhalten sich Donati und der Afrikaner nämlich über nichts weiter als materielle und ökonomische Belange, und das ausnahmslos in ziemlich durchschaubaren Floskeln. Der Offizier lobt die Kleidung des Afrikaners, worauf dieser sofort auf die finanzielle Schiene ausschert, und sein gesamtes rhetorisches Geschick dazu nutzt, seinem Gegenüber irgendwelche Güter oder Geld aus den Rippen zu leiern. Nicht nur, dass er ihm zweieinhalb Lire für einen Stoff abschwatzt, den er selbst für zwei bekommen hat, am Ende geht er auch mit einer Zigarette und Streichhölzern in den Taschen aus dem Gespräch hervor. Die indigene Bevölkerung Libyens, erklärt uns der Film, ist eine große Masse, wenn schon nicht von Sklaven, dann zumindest Untergebener, die man leicht unter Kontrolle halten kann, wenn man nur ihre Konsumgier befriedigt. Der Arzt weiß genau, wie er sich die Loyalität des Mannes sichern kann, nämlich indem er ihm Komplimente und Geschenke macht. Dabei tritt er ihm freilich mehr wie einem unbedarften Kind als einem gleichberechtigten Erwachsenen auf Augenhöhe gegenüber. Ein normaler Kinogänger des Jahres 1936 wird sich darüber wohl kaum den Kopf zerbrochen haben, und möglicherweise auch keinen Anstoß daran genommen haben, dass LO SQUADRONE BIANCO – wie übrigens so ziemlich jeder zeitgenössische Afrikafilm, sei er nun aus dem Deutschen Reich, aus Hollywood oder Frankreich – zu Protagonisten einzig und allein europäische Figuren wählt, während die Einheimischen eine dumpfe, stumme, austauschbare Masse ergeben, die man nur dann beachtet, wenn sie sich auflehnen oder wenn man sie für Feldzüge benötigt. Tatsächlich ist die einzige arabische Figur in LO SQUADRONE BIANCO, die einen eigenen Namen und so etwas wie eine eigene Persönlichkeit zugestanden bekommt, der Beduine El Fennek, in dem letztlich aber auch bloß ein Klischee reproduziert wird, nämlich das des treuen, anhänglichen, umsorgenden Dieners, der Mario schließlich das Leben rettet - wobei anzumerken ist, dass El Fennek nicht etwa von einem Araber, sondern von einem als Araber verkleideten Italiener gespielt wird. Die indigene Bevölkerung Libyens hat keine Stimme und somit keine Sprache in vorliegendem Film, und wird als eine absolute Alterität begriffen, die LO SQUADRONE BIANCO auch soundtechnisch untermalt: Die teilweise schrecklich dick auftragende Orchestermusik – darunter Vivaldis Largo – wird in schöner Regelmäßigkeit kontrastiert mit lokaler Wüstenfolklore, die für die Ohren eines Zeitgenossen wohl noch tausendmal fremdartiger geklungen haben mag als für unsere globalisierten und kosmopolitischen.
2. Ein kleines Meisterstück faschistischen Filmschaffens kann man kurz darauf bewundern. Bettini, Marios Vorgänger, ist im Kampf gegen die Rebellen gefallen. Ihm zu Ehren hält Santelia eine ergreifende Rede vor stumm und stramm stehenden Einheimischen, die der italienischen Armee als Kanonenfutter im Krieg gegen ihre eigenen Landsleute dienen. Das, was Santelia über seinen toten Freund und Schlachtgefährten zu erzählen weiß, kann an hohlen Phrasen kaum noch überboten werden, und lässt sich auf die simple Formel bringen, dass mit Bettini ein Held von uns gegangen ist, dem es nachzueifern gilt. Wundervoll ist die Kameraarbeit in dieser Szene. Vor minimalistischer Palmenkulisse wirken die bis auf die Augen in ihre Kaftane eingemummelten Beduinen, die dadurch allesamt gleich aussehen, wie leblose Puppen, in die erst Bewegung kommen wird, wenn irgendein Apell ertönt. Im Gegensatz zu diesem zur Regungslosigkeit konditioniertem Menschenmaterial befindet sich aber die Kamera in einer gleitenden Bewegung, indem sie einmal die gesamte Reihe Krieger entlangfährt, und dann, bei Santelia und seinem Übersetzer angekommen - denn, natürlich, er selbst spricht kein Arabisch und die Araber kein Italienisch -, sich einmal um hundertachtzig Grad dreht, und ihre Fahrt mit Blick in die Richtung beendet, aus der sie gekommen ist. Santelia tritt einen Schritt nach vorne, und einen Schnitt später sehen wir ihn aus einer fast schon übertriebenen Froschperspektive. Von der Hüfte ab aufwärts füllt er den Bildrahmen, wobei seine aufrechte, mann- und wehrhafte Gestalt noch zusätzlich von einer direkt hinter ihm in die Höhe wachsenden Palme akzentuiert wird. Links und rechts sind, Ornamente bloß, zwei Soldaten zu sehen, starr wie Statuen. Während Santelia in dieser Pose davon spricht, dass der Tod auf dem Schlachtfeld der schönste Tod für jeden sei, der das Herz eines Kriegers in seiner Brust schlagen habe, ist der Gedanke an Benito Mussolini nicht weit. Santelia wirkt wie dessen Miniaturabziehbild, so sehr durchdrungen vom faschistischen Geist, dass es beinahe den Bildrahmen sprengt. Die Kamera fährt indes weiter fort, ist förmlich fasziniert von den Massen an Kriegern, die bereit sein werden, ihr Blut für das des toten Bettini zu vergießen. Sicherlich ist diese Szene alles andere als ironisch intendiert. Santelias Appell an seine Gefolgsleute fungiert zugleich auch als ein Aufruf an das Kinopublikum, wenn schon nicht sein eigenes Leben für den Staat zu opfern, so doch zumindest ein bisschen mehr nach den Prämissen zu leben, die der Kapitän als männliche Tugenden aufführt. Was aber ist von der beängstigenden Schweigsamkeit der arabischen Krieger zu halten? Militärisch gedrillt zucken sie mit keiner Wimper, schultern ihre Gewehre erst, als Santelia es ihnen erlaubt. Sie sind nichts weiter als Auffangbecken für die heroischen Worte ihres Anführers. Auch im weiteren Verlauf des Films werden diese Araber stumm ihre vermeintliche Pflicht tun, das heißt: töten und sterben, in dieser Reihenfolge – genau wie es ihre Herren von ihnen verlangen. Etwas Beunruhigendes kommt mit dieser Szene zum Ausdruck: Die Disziplin im Lager Santelias ist vor allem eine, die an der Entmenschlichung der in ihm lebenden Individuen wirkt. Genau das ist die Lehre, die Mario später für sich ziehen wird: Wenn er sein eigenes Ich aufgibt und einfach nur noch stur Befehlen folgt und kämpft, tötet und stirbt wie Bettini und Santelia vor ihm, dann wird er selbst aufgehen in einer Kriegsornamentik, bei der sein eigenes Subjekt nichts mehr zählt, dafür die Ideale, für die er kämpft, tötet und stirbt, alles. In diesen eineinhalb Minuten hat Genina eine essentielle Wahrheit des Faschismus möglicherweise besser, sprich: prägnanter, pointierter, zum Ausdruck gebracht als es jede seitenlange wissenschaftliche Studie tun könnte.
3. Aber ich möchte mit etwas Versöhnlichem enden, einem Moment in LO SQUADRONE BIANCO, in dem die Montage für etwa eine Minute komplett verrückt spielt. Was ist geschehen? Santelia möchte den Tod seines geliebten Bettini rächen. Hierfür soll den Rebellen endgültig das Handwerk gelegt werden. Gemeinsam mit Mario und seinen Beduinen will er in die Wüste ziehen, um seine Feinde im Gefecht zu stellen und zu vernichten. Hierfür lässt er die Einheimischen das Kriegsbeil ausgraben, sprich: die Beduinen machen sich auf, ihren Stammesgenossen den anstehenden Kriegszug zu verkünden. Eine allgemeine Mobilisierung ergreift die Wüste – und das visualisiert Genina auf sensationelle Weise. Wir sehen, zu arabischer Musik, wie die Kamera seitlich einem Araber auf seinem galoppierenden Kamel folgt. Bei ihm handelt es sich um den Überbringen der Botschaft Santelias. Dazwischen Aufnahmen von weidenden Kamelen, manche aus weiter Distanz, manche in Großaufnahme direkt vor ihren kauenden Mäulern. Bald aber ist es mit dem Müßiggang vorbei: Unser Reiter erreicht eine Oase, brüllt auf Arabisch und sofort sind die übrigen Beduinen auf den Beinen, um ihrerseits die Kamele zu satteln und zuzusehen so schnell wie möglich zu Santelia zu gelangen. Immer rasanter werden die Schnitte, während die Männer ihre Kamele aufscheuchen. Erneut ist der Film fasziniert von den sich in Bewegung setzenden Massen. Mensch und Tier verschwimmen mit- und ineinander, wenn in hohem Tempo verschiedene Aufnahmen der loslaufenden Kamele und Beduinen aneinandergereiht werden. Genina filmt durch Kamelbeine hindurch, lässt sich einen Strom der Tiere von links ins Bild ergießen, um einen Schnitt später sie von der rechten Seite kommen zu lassen, man verliert den Überblick, befindet sich mal mitten im Geschehen, betrachtet es dann aus der Ferne, wobei die Kamele direkt auf die Handkamera zulaufen, und die Tonspur ist erfüllt vom Schreien der Araber und dem Grunzen der Reittiere. Die vielleicht schönste Aufnahme in LO SQUADRONE BIANCO: Wir sehen die Kamele im wilden Laufen, überstrahlt von einem nahezu impressionistischen Licht, das den Tieren ihre Konturen nimmt, und die Szene mit einem traumhaften Gleißen überzieht. Für einen kurzen Moment ist Krieg, Kampf und Tod vergessen, und da sind einfach nur ein paar Kamele im Galopp, die der untergehenden Sonne entgegenziehen.