Seite 1 von 1

Mondo Flasho - Bitto Albertini (1984)

Verfasst: Sa 29. Okt 2016, 23:16
von Salvatore Baccaro
Bild

Originaltitel: Nudo e crudele

Produktionsland: Italien 1984

Regie: Bitto Albertini
Zunehmend schnellere Flugzeuge machen es dem modernen Menschen möglich, von einem Kontinent zum nächsten in einem Tempo zu reisen, dass er das Hinter-Sich-Lassen tausender von Kilometer oftmals nicht mal mehr bewusst mitbekommt. Von Ost nach West, von Süd nach Nord – das alles sind nunmehr Strecken, die problemlos, quasi zwischen zwei Lidschlägen, gemeistert werden können. Doch trotz oder gerade wegen dieser Feststellung fragt sich der Off-Sprecher zu funkiger Musik von Nico Fidenco und Aufnahmen von startenden und landenden Flugzeugen: Hält die Erde für uns und vor uns denn noch immer nennenswerte Geheimnisse zurück? Der folgende Film – Bitto Albertinis Mondo NUDO E CRUDELE aus dem Jahre 1984 – soll angeblich gedreht worden sein, um eine Antwort auf genau diese Frage zu finden. Das Filmteam hat seine Siebensachen – Kameras, Mut und weitere Konservendosen voller Klänge aus der Werkstatt Nico Fidencos, die klingen, als seien sie ursprünglich für eine Sommer/Sonne/Strand-Party auf Ibiza gedacht gewesen -, zusammengepackt und sich auf die beschwerliche Reise in die Ferne und Fremde aufgemacht, um erneut, immerhin über zwanzig Jahre nach Jacopettis und Prosperis MONDO CANE, noch einmal allerhand Kuriositäten, Absurditäten und Gräuel auf uns loszulassen, die wir möglicherweise schon geglaubt haben, diese schöne, grausame Welt sei inzwischen vollkommen entzaubert, enträtselt und durchrationalisiert worden. Ihren Trip beginnen Albertini und seine Gang parallel an den beiden Polen, zwischen denen die gesamten kommenden achtzig Minuten oszillieren werden: Auf der einen Seite die graphische Geburt eines Menschenkindes und einer Ziege, auf der andern ein alter Hindu, der zum Ganges pilgert, um dort auf den Tod zu warten und anschließend von seinen Glaubensbrüdern in den heiligen Fluten bestattet zu werden. Was, fragt sich und uns erneut der Sprecher aus dem Off, hält das Leben in dieser Rahmung aus Geburt und Tod für die ihm ausgelieferten Menschen an Wunderlichkeiten bereit? Kann, frage ich mich und euch, ein Film mit einem Titel wie NUDO E CRUDELE dazu wirklich eine Erklärung liefern, die, erneut, nicht bereits Jacopetti und Prosperi, je aus Perspektive, zwanzig Jahre zuvor entweder bereits gefunden haben oder an der sie kläglich gescheitert sind?

Ich nehme die Antwort gleich vorweg: In den frühen bis späten 80ern hat der Mondo-Film seinen Zenit längst überschritten, und die Meisterwerke von Jacopetti und Prosperi wie AFRICA ADDIO oder ADDIO ZIO TOM liegen weit zurück in einer goldenen Vergangenheit, von der es bloß noch wenige kümmerliche Strahlen in die Gegenwart herüberschaffen. Auch die zweite Welle italienischer Mondo-Filme, getragen vor allem von den beiden Konkurrenzteams um Climati/Morra und Castiglioni/Castiglioni hat sich aufgebäumt, ist gebrochen und danach sanglos im Sand verlaufen. Das Ruder übernehmen haben inzwischen Shockumentaries wie die berühmt-berüchtigten FACES OF DEATH, die noch fragmentarischer, wahllo-ser und, wenn man so will, sinnloser reelle und vor allem gestellte Bilder von Tod und Sterben aneinanderreihen, oder strukturell ähnlich ziellose Sex-Mondos wie LIBIDOMANIA, für die das Gleiche gilt, nur eben, dass ihre Aufnahmen nicht in Hinrichtungszellen, Schlachthäusern oder Autowracks entstanden sind, sondern weit unterhalb der Gürtellinie. Wo MONDO CANE als Genre-Grundstein durchaus noch über eine professionelle Machart und über eine idiosynkratische Ästhetik verfügt, sind Anfang der 80er selbst Antonio Climati und Mario Morra, die mit ULTIME GRIDA DALLA SAVANE immerhin einen der besseren Mondos der 70er produziert haben, mit ihrem DOLCE E SELVAGGIO bei etwas angekommen, das ich guten Gewissens als antiquierten Vorläufer heutiger Videoplattformen wie Youtube oder Liveleaks bezeichnen würde: Random clips folgen auf random clips, ohne dass irgendein Zusammenhang zwischen ihnen bestehen würde. Der einzige Unterschied: Bei DOLCE E SELVAGGIO sind die Einzelschnipsel, Zeit und Medium geschuldet, noch diachron und nicht synchron gereiht, d.h. sie laufen ohne mein Zutun ganz von selbst, nachdem ich sie einmal in Gang gesetzt habe. Trotzdem findet man sogar den heutigen Mousecursor in solchen Filmen wieder, nämlich in Form der häufigen Flugzeug- und Zug-Aufnahmen, die wie Kitt zwischen den bruchstückhaften Segmenten fungieren und verzweifelt sich abmühen, sie irgendwie in eine übergeordnete Rahmung zu bringen. Schon die Eröffnung von NUDO E CRUDELE macht klar: Den Film kann man exakt in den gleichen Topf werfen, und tatsächlich ist Albertinis Filmchen noch mal ein paar Güteklassen unterhalb von DOLCE E SELVAGGIO und sogar, finde ich, FACES OF DEATH anzusiedeln.

Das liegt vor allem daran, dass NUDO E CRUDELE nicht mal den halbherzigen Versuch unternimmt, zu verhehlen, dass es sich bei ihm um einen ziemlich lieblos zusammengesetzten Flickenteppich handelt. Eine typische Szenenfolge in vorliegendem Film sieht beispielweise wie folgt aus: Mit Affen werden in irgendeinem US-Zoo schlüpfrige Experimente veranstaltet. Die sie betreuenden Forscher zeigen den Primaten ununterbrochen Hardcore-Pornos und erhoffen sich davon tiefergehende Erkenntnisse über das Abstammungsverhältnis von Mensch und Affe. Die Äffchen allerdings scheinen ihre Fellpflege wesentlich interessanter zu finden als das Gerammel auf den Bildschirmen. Nach einem Schnitt sind wir plötzlich in der afrikanischen Steppe, wo, das behauptet zumindest der Off-Sprecher, ein Nashorn sich in eine Giraffe verliebt hat und dieser nachstellt. Dabei sind Nashorn und Giraffe niemals gemeinsam im Bild zu sehen, und die angebliche tragikomische Liebesgeschichte wird allein – und zwar ziemlich schlecht – durch die Montage vermittelt. Dazu erklingt Musik aus tiefen Blasinstrumenten, die die plumpen Bewegungen des Rhinos untermalen soll und die gesamte Szene durch solche Mickey-Mousing fast wie Material aus den Mülleimern der Verantwortlichen von Meilensteinen des Anthropomorphismus wie ANIMALS ARE BEAUTIFUL PEOPLE wirken lässt. Kaum eine Minute dauert dieser Blödsinn, bevor uns der nächste Schnitt in einen kleinen arabischen Staat versetzt, wo ein Mann, der sich angeblich an einer Frau vergriffen hat, auf seine Exekution wartet. Die besteht darin, dass ihm auf dem Marktplatz vor den Augen hunderter Schaulustiger – und vor allem den Augen, die der einzig nicht verschleierte Teil im Gesicht seines Opfers sind -, der Penis natürlich in aller effekthascherischen Schönheit abgehackt wird. An das abgetrennte, freilich unechte, Glied schließt – da hat jemand zu viele Hitchcock-Filme geschaut – eine der oben erwähnten Kitt-Aufnahmen eines fahrenden Zugs an, der unser Team nicht etwa irgendwohin bringt, sondern lediglich dazu da ist, die jetzt folgenden Großaufnahmen von Ruinen altrömischer Bordelle inklusive Phallusstatuen in der Montage nicht allzu holprig aussehen zu lassen – ein Vorhaben, das allein schon dadurch vereitelt wird, dass der Ausflug in die Ewige Stadt höchstens eine halbe Minute dauert, und wir dann jäh mitten in Zeremonien eines Peniskultes irgendwo in Japan geraten sind, von denen ich mir fast sicher bin, dass ich die bereits aus SHOCKING ASIA besser kenne als mir lieb ist.

Noch mehr als sich NUDO E CRUDELE in seiner vollen Länge zu betrachten, ermüdet mich, diesen Film schriftlich nachzuskizzieren, weshalb ich das jetzt sein lasse, und mich auf wenige allgemeine Äußerungen beschränke: Wirklich nichts in vorliegender Verschwendung von kostbarer Lebenszeit hat man nicht schon in anderen Mondos gesehen, und dort größtenteils, wenn solch ein Wort in dem Kontext überhaupt angebracht ist, wesentlich besser: Eine Geschlechtsumwandlung, bei der die Kamera förmlich an den Geschlechtsorganen des Patienten klebt. Ein Initiationsritus eines Eingeborenenstamms, bei der die Knaben, um ins Erwachsenenalter eintreten zu dürfen, mit Pfeilen auf Rinderkehlen zielen und danach das aus den Wunden schießende Blut trinken müssen. Leoparden, Hyänen und Geier bei der Jagd bzw. beim Fressen des Aases, das nach bereits erfolgten Jagden in der Savanne liegengeblieben ist. Ich frage mich ernsthaft, welcher Hund mit solchen spekulativen Szenen 1984 noch hinter welchem Ofen hervorgelockt werden sollte. Dabei sind das aber noch die reißerischsten Aufnahmen in der bunten Wundertüte von NUDO E CRUDELE. Ein Großteil seiner Szenen behandelt Themen, von denen ich mich genauso ernsthaft frage, welcher Hahn denn überhaupt jemals nach ihnen gekräht haben mag: Eine Python und ein Kaninchen leben als beste Freunde zusammen in einem Gehege. In Arizona werden von Möchtegern-Cowboys wilde Pferde für Wild-West-Shows zugeritten. In Japan nehmen die Männer zum Arm-Wrestling nicht etwa ihre Arme, sondern übergroße Dildos. Letzte Woche hat sich ein Marienkäfer in mein Zimmer verirrt und ich habe ihn in die hohle Hand gekehrt und draußen auf die Fensterbank gesetzt.

Was NUDO E CRUDELE jedoch beinahe wieder rettet – und die Betonung liegt bei diesem Satz auf dem beinahe -, das sind eine hohe Anzahl von Spielszenen, die, wenn ich den eigentlichen Kontext nicht kennen würde, mir auch gut und gerne als Versatzstücke aus einer ziemlich tumben Sexklamotten hätten verkauft werden können. Ach, und wer weiß: Da NUDO E CRUDELE sowohl die Pferdesexszene aus Borowczyks LA BÊTE sowie die Alligatoren-Szene aus FACES OF DEATH recycelt, und ich regelrecht im Urin habe, dass auch das meiste übrige Material ursprünglich nicht für vorliegenden Film gedreht worden ist, halte ich es gar nicht für unwahrscheinlich, dass die größte Anstrengung für Albertini und sein Team es gewesen sein mag, durch verschiedene Filmarchive zu streifen und genug Ramsch zusammenzusuchen, den man ihnen mit Kusshand überlassen hat. Die drei schlechtesten respektive besten Szenen von NUDO E CRUDELE möchte ich, da nach meiner Kritik die wenigen Menschen – wie viele mögen das sein? Mehr als fünf? -, die überhaupt jemals an diesem zu Recht in der Versenkung verbuddelten Schmarrn interessiert gewesen sind, ihn sich wohl sicher niemals ihrem Gemüt zuführen werden, dann doch noch kurz nacherzählen: 1. Unser Filmteam streift scheinbar ohne rechtes Ziel durch eine arabische Großstadt. Da hält plötzlich ein Auto neben den Männern. Das Fenster wird runtergekurbelt und eine verschleierte Dame zwinkert einem von ihnen kokett zu. Kurz darauf ist er, obwohl er weiß, dass sich das in einem muslimischen Staat nicht ziemt – die Kombination Penis und Hackklotz zu Beginn hat es schon bewiesen! -, mit ihr in einem Hotelzimmer gestrandet. Sie legt einen erstklassigen Bauchtanz hin und beginnt die Hüllen fallen zu lassen. Ihr Fehler: Sie enthüllt nicht nur ihren attraktiven Körper, sondern auch, dass sie die Mätresse eines Scheichs ist. Der aber, sagt sie bzw. unser Off-Kommentator, befriedige sie nur einmal die Woche, und sie sei doch so heiß auf Schwanz. Schon als er das Wort Scheich hört ergreift der Hasenfuß vom Filmteam jedoch die Flucht. Da ist ihm sein Penis doch lieber als eine noch so aufregende Liebesnacht mit der orientalischen Schönheit. 2. Mitten in der Arabischen Wüste befinden sich Grenzposten, die aus nichts weiter bestehen als einem Wärterhäuschen und einer Schranke, umgeben von etlichen Kilometern Sand. Mit dem Jeep klappert unser Filmteam diese einsamen Orte ab, muss bei jedem Papiere und Lizenzen vorzeigen, der Wächter dann sein Büdchen verlassen, mit ernster Miene die Schranke heben und das Fahrzeug passieren lassen. Einmal erlauben sich unsere Freunde einen Streich und fahren einfach keck um die Schranke herum. Sofort läuft der Wärter ihnen wild gestikulierend hinterher. Sie kehren um, erklären ihm, dass es nur ein Spaß sein sollte, und alle lachen, schütteln Hände, und formell kann die Durchreise mit ernsten Mienen und Heben und Senkend der Schranke noch einmal wiederholt werden. 3. Einem reichen Pärchen in irgendeinem südlichen Land ist während ihrer Abwesenheit schon mehrmals der Bungalow geplündert worden. Statt einer Alarmanlage besorgen sie sich nun eine Giftschlange, die sie, scheint es, einfach in ihrem Häuschen zurücklassen. Kaum ist ihr Wagen um die Ecke gebogen, springt schon der nächste Dieb aus den Büschen und dringt in die Hütte ein. Die Kamera bleibt draußen, und zeichnet lediglich die offenstehende Tür und die schrillen Schreie auf, die durch den Spalt herausdringen. Als das Pärchen zurückkommt, bleibt ihnen nichts weiter als den Tod des Langfingers festzustellen.

Gerade wenn ich an letztere Szene denke kann ich mir selbst jetzt noch kaum ein Grinsen verkneifen. Schon lange habe ich nichts derart unfreiwillig Komisches gesehen und fast noch nie etwas, bei dem die Regeln der Kinematographie derart außer Kraft gesetzt worden sind. Fast bin ich versucht, mein Urteil über NUDO E CRUDELE noch einmal zu überdenken. Sollte Bitto Albertini, immerhin ein verdienter Kameramann und Regisseur, der zur Produktionszeit vorliegenden Films bereits über sechzig Lenze zählte, nicht am Ende doch eine Art Meta-Mondo habe schaffen wollen, eine Genre-Demontage, ein subversives Spiel, dessen Sinn es ist, uns unsere eigene Schaulust vorzuführen? Nein, wenigstens diesmal werde ich mich bremsen und NUDO E CRUDELE als das benennen, was er ist: Ein wertloses, billig heruntergekurbeltes, schamlos plagiierendes, ästhetisch, technisch und inhaltlich schlicht nicht vorhandenes Stück Zelluloid, um das jeder einen weiten Bogen machen sollte, der sich nicht wirklich ALLES geben möchte. Bei dem Gedanken, dass Albertini danach noch zwei weitere Mondos gedreht hat – nämlich MONDO SENZA VELI und, oh Graus!, NUDO E CRUDELE 2 -, läuft es mir eiskalt den Rücken runter…