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Gumnaam - Raja Nawathe (1965)

Verfasst: Sa 28. Jan 2017, 18:30
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Gumnaam

Produktionsland: Indien 1965

Regie: Raja Nawathe

Darsteller: Nanda, Pran, Manoj Kumar, Mehmood, Helen, Madan Puri, Dhumal, Manmohan, Tarun Bose
Die Geschichte dürfte jedem bekannt sein, der entweder Agatha Christies TEN LITTLE NIGGERS (1939) oder wahlweise irgendeine der zahllosen Filmadaption von dessen Grundmotiv gesehen hat – angefangen bei René Clairs AND THEN THERE WERE NONE (1945) über die vermeintliche Edgar-Wallace-Adaption DAS INDISCHE TUCH (1965) bis hin zu Mario Bavas zynischem High-Society-Sterben QUANTE VOLTE QUELLA NOTTE (1971). Dieses Grundmotiv lautet: Zwei Handvoll Leute, die sich nicht oder kaum kennen, werden unter irgendeinem Vorwand an irgendeinem Ort – sei es ein entlegenes Schloss oder eine von der Außenwelt vergessene Insel – versammelt, und sterben, nachdem sie festgestellt haben, dass sie besagten Ort nicht mehr verlassen können, wie die Fliegen. Einer von ihnen muss der Killer sein - oder doch nicht? Am Ende folgt die verblüffende, manchmal auch krude Enthüllung, was all diese unterschiedlichen Charaktere nun eigentlich miteinander zu tun haben, und weshalb jemand sie allesamt über die Klinge hat springen lassen wollen, und im Idealfall haben zwei, die das Finale erleben, sich ineinander verguckt und entlassen uns mit der Gewissheit in den Abspann, dass die Welt um ein Liebespaar reicher ist.

Der indische Film GUMNAAM von 1965 passt wie die Faust aufs Auge in das oben skizzierte Schema. Er beginnt damit, dass sieben sich fremde Personen einen Abend in einem Tanzlokal verbringen, wo ein Gewinnausschreiben damit lockt, man könne mit einem Traumurlaub beschenkt werden. Erwartungsgemäß sind es genau unsere sieben Helden, die als erfolgreiche Teilnehmer ausgerufen werden, und scheinbar hat keiner von ihnen irgendwelche beruflichen oder familiären Verpflichtungen, die ihn davon abhalten würden, bald in ein eigens für die Reise gemietetes Flugzeug zu steigen. Dann aber kommt es zu Komplikationen, Pilot Anand muss auf einer Insel notlanden, und kaum haben die Passagiere die Maschine verlassen, erhebt die sich wie von selbst in die Lüfte und segelt davon. Unsere nunmehr acht Gestrandeten kratzen sich die Köpfe, und beschließen endlich, ihr unfreiwilliges Exil nach menschlichem Leben abzusuchen. Dabei lernen wir schnell, dass der Großteil unserer Rasselbande eher zu den unsympathischeren Figuren der Filmgeschichte gehört. Barrister Rakesh ist ein notorischer Säufer, dessen Flachmann sich scheinbar permanent von selbst auffüllt. Er hat ein Auge auf die laszive Miss Kitty geworfen, deren Körper eine Promiskuität ausstrahlt, die einen schwindeln machen kann. Mr. Kishan und Mr. Dharamdas wirken zumindest verdächtig, Dr. Acharaya mit seinem falschen rotgefärbten Bart regelrecht unheimlich, während der in Frauenkleidern agierende Madhusudan Sharma dazu da ist, ein bisschen Blödelkomik in die Sache zu bringen. Die einzigen Figuren, die sich positiv von ihrer Umgebung abheben, sind Anand und die junge, süße Asha, die – darauf hätte ich schon in den ersten zwanzig Minuten jede Wette abgeschlossen – sich während der insgesamt zweieinhalb Stunden Laufzeit zu zwei Teilen einer Einheit mausern werden.

Letztlich stößt unser Reisetrupp auf ein Landhaus, wo sie ein Butler bereits mit Speis, Trank und warmen Betten erwartet. Er sei, sagt er, vor einigen Tagen hierhergeflogen worden, um alles für die Ankunft der Gäste vorzubereiten, den Hausherren selbst habe er nie gesehen. Beim Abendessen grübeln unsere Helden zwar darüber, was das alles zu bedeuten habe, denn immerhin sei es doch gar nicht geplant gewesen, diese Insel überhaupt anzufliegen, über dem guten Essen und dem schönen Wetter auf dem Eiland vergessen sie aber bald ihre Sorgen, und beginnen, das Leben in vollen Zügen zu genießen, sprich: Anand und Asha knüpfen keusche Liebesbande, Rakesh betrinkt sich am laufenden Band, Miss Kitty verdreht den Männern den Kopf, und der Butler, gespielt von dem seinerzeit populären Komiker Mehmood, entpuppt sich als einer der überzeichnetesten, groteskesten comic-relief-Charakteren, die ich jemals in einem Film gesehen habe, und gegen den selbst ein Ismail Yassin sich zuweilen ausnimmt wie ein absolut integrer, am Naturalismus geschulter Schauspieler. Obwohl sich innerhalb kurzer Zeit die Morde zu häufen beginnen, und Anand, der sich zu unserer Identifikationsfigur entwickelt hat, wirklich jeder, außer natürlich Asha, suspekt erscheint, macht GUMNAAM früh schon deutlich, dass sein Fokus gar nicht auf der eigentlichen Kriminalhandlung liegen soll. Die gerät nämlich oft genug in den Hintergrund, und wird buchstäblich übertönt sowohl von Mehmoods grellen komödiantischen Einlagen – die hauptsächlich aus dem Schneiden von Grimassen, Slapstick-Stürzen und Dialogen bestehen, die zumindest für meine, mit der indischen Kultur nicht vertrauten Ohren wie völliger Nonsens klingen – als auch von den zahlreichen Gesangs- und Tanz-Einlagen, die dann auch verantwortlich sind für die epische Länge des Streifens.

Diese Tänze und Gesänge haben es teilweise in sich. Gleich zu Beginn empfängt uns GUMNAAM mit einer ziemlich irren Club-Performance der mir bis dato unbekannten indischen Rock-N-Roll-Combo mit dem tollen Namen TED LYONS & HIS CUBS, bei der Hauptdarstellerin Nanda gemeinsam mit einer Gruppe maskierter Männer sich zu Bewegungen hinreißen lässt, die mir auch in einem Strawinsky-Stück nicht schräger vorkommen könnten. Auf der Insel wiederum illustriert Regisseur Raja Nawathe die sich steigernde Zuneigung zwischen Asha und Andan damit, dass er sie über Sandstrände und Baumstümpfe tanzen und einander sich besingen lässt – eine Szene, die von der Farbgebung, der Kameraführung, dem Inhalt her mich derart stark an das Duett zwischen Jean-Paul Belmondo und Anna Karina im ebenfalls 1965 erschienen PIERROT LE FOU erinnert, dass es mich nicht wundern würde, Godard habe sie direkt als Parodie derjenigen in GUMNAAM intendiert. Zu guter Letzt darf auch Mehmood das Tanzbein und die Singstimme schwingen. In phantastischer, nahezu surrealer Kulisse erträumt er sich, dass sein Herz Miss Kitty gehöre, und übersetzt das daraus resultierende Glücksgefühl in äußerst absonderliche Körperbewegungen, die zu beschreiben ich einfach nicht genügend Adjektive kenne.

Neben diesen durchweg unterhaltsamen, kurzweiligen Ausflügen in die indische Populärmusik der 60er Jahre, hat GUMNAAM, trotz seiner nicht zu leugnenden Länge, noch das eine oder andere Detail zu bieten, das vor allem Freunde des Gotischen Kinos vom Schlage eines Corman oder Bava gefallen dürften. Großartigste Kulisse ist ein verlassener Inselfriedhof, auf dem Heiligenstatuen wie Figuren eines Wachsfigurenkabinetts herumstehen. Auch die Beleuchtung mit ihren akzentuierten Schatten und den teilweise kunterbunten Farben ruft Erinnerungen an den frühen Bava wach. Wenn dann noch mancher Mord wie die Vorwegnahme einer Szene in einem typischen Slasher präsentiert wird und wenn die finale Auflösung ein derartiges Kuddelmuddel ist, dass zumindest ich nicht ansatzweise begriffen habe, wer nun mit wem was gemacht hat und wer wegen was sterben musste, der irgendwer mit irgendwem gemacht hat, und wohl unterm Strich nicht weniger logisch ist als die eines typischen Giallos, dann fällt mir kein Grund mehr ein, weshalb der geneigte Genre-Aficionado nicht den einen oder anderen Blick auf dieses stimmungsvolle murder mystery werfen sollte.

Re: Gumnaam - Raja Nawathe (1965)

Verfasst: Sa 28. Jan 2017, 18:34
von Salvatore Baccaro
Damit jeder weiß, womit er es hier zu tun hat - zwei meiner liebsten Szene dieses für westliche Augen wohl doch recht sonderbaren Vergnügens direkt aus der Röhre:
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Re: Gumnaam - Raja Nawathe (1965)

Verfasst: Sa 28. Jan 2017, 23:09
von Dr. Monkula
Ich liebe den Film ! wie das Logo aus dem Auge kommt...einfach toll ! Mohammed Rafi´s "Jaan Pehchan Ho" war jahrelang meine Putz-Musik zu Hause (hab mich auch tierisch im Kino gefreut als ich den Clip aus dem Film in "Ghost World" 2001 gesehen habe), wollte sehr gerne so´n Club in Berlin aufmachen !

P.S.: unbedingt auch "DON" 1978 schauen, grandioser Filmanfang plus Titelthema !

Re: Gumnaam - Raja Nawathe (1965)

Verfasst: Sa 28. Jan 2017, 23:23
von Dr. Monkula
Btw, dieser Winter Clip mit "Shammi Kapoor" war früher in den 90´s Berliner Kinowerbung von der Berliner Zeitung !

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