Die Fratze (Großbritannien 1971, Originaltitel: Fright)
Gefährlichster Job der Welt? Babysitter!
Amanda (Susan George) sucht das Anwesen von Helen (Honor Blackman) und Jim (George Cole) auf, die Studentin hat sich als Babysitter für Helens dreijährigen Sohn Tara (Tara Collinson) auf einen ruhigen Abend eingestellt. Das alte Gemäuer mutet unheimlich an, tatsächlich wird Amanda recht schnell von einem unguten Gefühl heimgesucht, glaubt durchs Fenster eine verzerrte Fratze in der Dunkelheit zu sehen. Alles nur Einbildung oder ein dummer Scherz? Vermutlich, denn plötzlich taucht Chris (Dennis Waterman) auf, der Bekannte der jungen Frau hofft auf ein heisses Schäferstündchen. Derweil erreichen Helen und Jim ihr Ziel, ein ungefähr zehn Kilometer entfernt gelegenes Lokal. Helen kann ihre Beunruhigung nicht abstreifen, noch immer hat sie die schrecklichen Vorfälle nicht verarbeitet, welche sich während der Ehe mit ihrem psychisch kranken Mann Brian (Ian Bannen) zutrugen. Dr. Cordell (John Gregson) behandelt den Psychopathen in einer geschlossenen Anstalt. Der Mediziner ist mit Helen und ihrem neuen Partner Jim befreundet, er ist ebenfalls im Lokal anwesend, versucht beruhigend auf Helen einzuwirken. Von den damaligen Vorfällen ahnt die Babysitterin nichts, erst durch Chris erfährt sie die beängstigende Geschichte, mag ihrem Freund aber nicht glauben und reagiert verärgert auf dessen Erzählung. Chris zieht erneut den Zorn Studentin auf sich, als er während eines Anrufs der besorgten Helen groben Unfug treibt. Äusserst ungehalten wirft Amanda den jungen Burschen raus, im Wald vor dem Haus hat Chris eine unangenehme und schmerzhafte Begegnung...
Regisseur Peter Collinson trug sich mit
"Charlie staubt Millionen ab" (The Italian Job, 1969) in die Filmhistorie ein, für die Gruselspezialisten Hammer inszenierte er den Thriller
"Ehe der Morgen graut" (Straight on Till Morning, 1972).
"Die Fratze" gehört zum edlen Kreis der frühen Slasherfilme, die etliche Jahre vor John Carpenters Meisterwerk
"Halloween" (1978) entstanden. Erst
"Halloween" sorgte für einen deutlich erhöhten
(bis in die Gegenwart anhaltenden) Ausstoss dieser Spielart, deren Wurzeln zwar noch viel weiter zurückreichen, doch Hitchcocks
"Psycho" (1960) mag als erstes und übergrosses Ausrufezeichen gelten! Collinson tischt dem Zuschauer zahlreiche Spezialitäten des Genres auf, selbstverständlich liegt das Haus des Schreckens irgendwo am Anus der Welt. Damit nicht genug, es rumpelt in der Wasserleitung, es klappert die Wäschespinne, der Möchtegernstecher erzählt Gruselgeschichten, im Fernsehen läuft ein Horrorstreifen von Hammer. Freilich trägt die Heldin ein dekoratives Minikleid und schwarze Lackstiefel, unvermeidbar die überschaubaren Fähigkeiten der zuständigen Gesetzeshüter. Weitere Standards sind vorhanden, aber ich will mich nicht in endlosen Auflistungen verlieren. Wer auf wüstes Gemetzel mit jeder Menge Mettgut und Möpsen hofft, dem wird dieser Film eventuell zu brav und arm an Schauwerten angelegt sein. Wirft man eine solche
(sowieso überflüssige) Erwartungshaltung jedoch über Bord, bietet
"Die Fratze" vortrefflich gemachtes Genrekino für Geniesser, punktgenau inszeniert, erstklassig gespielt und konsequent zu Ende gebracht.
Ausufernd angelegte Gewalt grafischer Natur ist in diesem Fall nicht nötig, die
"natürlich gruselige" Umgebung und der herrlich irre aufspielende Bösewicht wiegen vordergründiges Gepansche ohne Schwierigkeiten auf. Zunächst soll Susan George gewürdigt werden, deren Leistung mich beeindruckt, begeistert und fasziniert hat. Die frühen siebziger Jahre waren Susans grosse Zeit, in
"Straw Dogs" (1971) spielte sie an Dustin Hoffmans Seite, Pete Walker strapazierte Frau George in seinem
"Schrei nach Leben" (Die Screaming, Marianne, 1971), unverzichtbare und
(hoffentlich) unvergessene Perlen. Susan bietet im hier kurz vorgestellten Proto-Slasher viel mehr als der Großteil ihrer Leidensgenossinnen aus zahllosen anderen Flicks, ihre Amanda ist kein Abziehbildchen ohne Tiefe. Nein, Amanda ist eine intelligente, selbstbewusste und fürsorgliche junge Frau, sich durchaus ihrer weiblichen Reize bewusst. So bleibt sie uns nicht fremd, berührt uns ihr Kampf ums nackte Überleben, der ungleiche Kampf gegen einen total aus dem Ruder laufenden Gegner. Susan meistert die Klischeeabteilung mit Bravor, drückt den typischen
"Slashermomenten" lieblichen Charme auf, behauptet sich in den tragischen Ausritten ebenso souverän. Besser kann man diese Rolle nicht spielen! Honor Blackman wurde durch den dritten Bond-Streifen
"Goldfinger" (1964) zur Legende,
Pussy Galore war nicht nur ein unverschämt frivoler Name für ein Bond Girl, Blackman spielte nicht minder prickelnd auf. Diesmal sehen wir sie als besorgte Mutter und drangsalierte Frau, die noch immer von ihrer jüngeren Vergangenheit gepeinigt wird. Obschon der grosse Schrecken und grauenvolle Terror, vor allem die zunächst ahnungslose Babysitterin heimsucht. Zu Beginn neigt Blackmans Helen zu hysterischen Anwandlungen, mit Blick auf die später ausgeleuchtete Vorgesichte eine absolut nachvollziehbare Darbietung. Die dritte grosse Nummer in diesem Kosmos ist Ian Bannen, der einen Bogen vom angeblich hilfsbereiten Nachbarn zum wahnsinnigen Mörder spannt, schliesslich vor keiner Grausamkeit zurückschreckt. Neben diesen starken Akteuren bleibt für das übrige Ensemble nicht mehr allzu viel Raum. George Cole ringt als neuer Lebensgefährte um Fassung, John Gregson möchte Zuversicht verbreiten, Dennis Waterman sorgt für den unvermeidbaren Nachwuchsbock, mit Maurice Kaufmann, Roger Lloyd-Pack und Michael Brennan sind gefragte Nebendarsteller im Rennen.
Nach knapp 84 Minuten endet das Treiben abrupt, mündet in einen Knall aus Trauer, Tränen und trügerischer Erlösung. Bei mir drückt
"Die Fratze" die richtigen Knöpfe in der verpolten Schaltzentrale, sorgt für ein rundum glücklich machendes Filmerlebnis. Europäisches Genrekino nach meinem Geschmack, neben Mario Bavas
"Im Blutrausch des Satans" ( Reazione a catena, 1971) und Sergio Martinos
"Torso" (I corpi presentano tracce di violenza carnale, 1973) ein Höhepunkt aus dem
"Zeitalter vor Halloween"! Hölle, diese drei Streifen als Triple Feature in einer gepflegten
"Proto-Slasher-Nacht", ich würde vor lauter Glück einen Herzkasper erleiden! Wer es bei einem Double Feature britischer Natur belassen möchte, dem lege ich
"Fright" als Nachbrenner zu
"Assault" (1971) ans Herz.
Längst war eine Veröffentlichung für den deutschen Markt überfällig! Media Target hat den Streifen im Rahmen der
"Special Screenings" Reihe auf DVD gebannt, in sehr schöner Qualität, inklusive deutscher und englischer Tonspur. Zusätzlich dürfen wir die Super 8-Version geniessen, bekommen einen englischen Trailer zu Gesicht, erhalten einen Überblick über weitere Filme mit Susan George, obendrauf gibt es eine Fotogalerie. Die grösste Zierde der Bonussektion darf nicht unterschlagen werden, der geschätze Pelle Felsch philosophiert unterhaltsam über den Slasherfilm und dessen blutiges Wurzelwerk, sehr angenehm! Klare Sache, diese Scheibe muss in jeder geplegten Sammlung einen Ehrenplatz erhalten, vielen Dank dafür!
8/10 (sehr gut)
Lieblingszitat:
"Du hast von allen Mädchen -Das Blap™ wieder, war ja klar-
die schönsten Beulen im Pulli."