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Personal Shopper - Olivier Assayas (2016)

Verfasst: Mo 16. Apr 2018, 22:49
von Salvatore Baccaro
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Produktionsland: Frankreich 2016

Regie: Olivier Assayas

Darsteller: Kristen Stewart, Lars Eidinger, Nora von Waldstätten, Sigrid Bouaziz, Anders Danielsen Lie
Selten dieses Jahr hat ein Film mich derart verzaubert wie Olivier Assayas' THE CLOUDS OF SILS MARIA aus dem Jahre 2014, den ich kürzlich völlig unvorbereitet im Kino sehen durfte. Die Geschichte einer alternden Filmschauspielerin, verkörpert von Juliette Binoche, und ihrer Assistentin, verkörpert von Kristen Stewart, die sich zum Proben eines Drehbuchs in den Schweizer Kanton Graubünden zurückziehen, und dort viel wandern, viel streiten, viel über sich lernen, und oft die Grenze zwischen Fiktion und Realität zumindest ein bisschen brüchig machen, entfaltet sich in dem Zwei-Stunden-Film wesentlich komplexer als es diese prosaische Inhaltsangabe vermuten lässt: Wie schon in seinem Meisterwerk IRMA VEP versteht Assayas es, sich aus dem Handgelenk einen ganzen Kosmos an Figuren, intra- und intertextuellen Querbezügen, und einer ganze Menge an unausgesprochenen bzw. nicht explizit gezeigten Plotentwicklungen zu schütteln, und mir dabei trotzdem nicht das Gefühl zu geben, irgendwie distanziert von dieser dem ersten Anschein nach wenig offenherzigen Welt zu sein. Deshalb ist THE CLOUDS OF SILS MARIA zugleich der seriöseste Film, den ich seit langem gesehen habe – und das meine ich durchweg positiv. Statt Seriosität könnte man dem Film auch Altersweisheit unterstellen. Obwohl (oder gerade weil) eigentlich nicht viel passiert, und obwohl das meiste Essentielle zwischen den Montageschnitten versteckt ist, und die dargestellten Ereignisse mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben, hat man nach den zwei Stunden das Gefühl, gerade ganz konzentriert einem ganzen Schwall an Lebensweisheiten ausgesetzt worden zu sein, die nicht prätentiös, sondern ehrlich klingen, auch wenn man nicht alle von ihnen verstanden hat.

Für PERSONAL SHOPPER hat Assayas erneut auf Kristen Stewart in der Hauptrolle zurückgegriffen – oder, besser gesagt: Er hat den Film, wie er mehrfach in Interviews betont, extra für Stewart gezimmert. Dass er minimalistischer, zurückhaltender ist als THE CLOUDS OF SILS MARIA beweist schon allein diese Information. Es gibt kaum eine Szene, in der Stewart nicht präsent ist. Die Kamera klebt förmlich an ihren Fersen, begleitet sie auf Schritt und Tritt, sowohl äußerlich wie innerlich. Erneut gibt Stewart die Assistentin einer berühmten Schauspielerin, nur diesmal dafür zuständig, deren Modeeinkäufe zu erledigen, sprich: für ein paar Wochen in Paris alle möglichen angesagten Boutiquen abzuklappern, um für ihre Chefin Kyra angesagte Garderoben auszuleihen, die diese dann gar nicht oder nur verspätet wieder zurückgibt, eben den Job eines Personal Shoppers auszuüben, der nach Sichtung des Films in meiner Berufs-Wunschliste nunmehr mindestens auf einem der ersten zehn Plätze liegt. Es gibt aber noch einen anderen Grund für Maureen, wie Assayas Heldin heißt, in der französischen Hauptstadt zu sein: Ihr Zwillingsbruder, der, wie sie, an einem Herzfehler gelitten hat, ist dort vor Kurzem gestorben; seine Freundin indes lebt mit ihrem neuen Partner noch dort; und Maureen, die, ebenfalls wie ihr verstorbener Bruder, über die Fähigkeit verfügt, mit den Toten zu kommunizieren (oder dies zumindest glaubt), wartet seitdem auf irgendein Zeichen von ihm, dass es ihm drüben, in der anderen Welt, falls es sie denn gibt, gutgehe - und wo sollte sie das besser empfangen als in der Stadt, in der er verstorben ist, und wo seine letzte Lebensgefährtin noch lebt? Als Maureen anonyme Textnachrichten auf ihrem Smartphone zu erhalten beginnt, steht für sie natürlich bald fest, dass es Lewis sein müsse, der sich mit ihr in Verbindung setzen möchte. Immerhin weiß sie aus ihren Recherchen bspw. zu spiritistischen Experimenten Victor Hugos, dass bereits die Gespenster des neunzehnten Jahrhunderts, um zu erscheinen, sich mit Vorliebe moderner Technologien wie der Photographie oder der Phonographie bedient haben. Verkompliziert wird ihr digitales Zwiegespräch mit dem Unbekannten, der eher unausgelebte Seiten an ihr freisetzt, indes, als sie ihre Chefin Kyra bestialisch ermordet in ihrem Appartement auffindet: Vom Täter fehlt jede Spur, doch Maureens unsichtbarer Chat-Partner scheint bereits von dem Vorfall zu wissen…

Das hört sich nun sicherlich nach einem spannenden parapsychologischen Thriller an, gerade das möchte PERSONAL SHOPPER aber gar nicht sein – was man allein daran sieht, dass Assayas die finale Aufklärung des Mordes, (die zumindest ich meilenweit gegen den Wind gerochen habe), wie beiläufig abhandelt, und, wie schon in THE CLOUDS OF SILS MARIA, viel Deduktionsarbeit an seine Zuschauer delegiert. Wenn PERSONAL SHOPPER mich aber nicht mit stockendem Atem in den Kinosessel fesseln möchte, was bietet mir der Film stattdessen an, um als würdiger Nachfolger seines Vorgängers zu gelten? Gewissermaßen steht der Film zwischen zwei Stühlen: Zum einen haben wir den Plot um Maureens mediale Fähigkeiten, der mitunter in reichlich deplatzierten CGI-Spuk-Effekten gipfelt, nebenbei aber auch zu einigen sehr realistischen, sehr schönen Gesprächen zwischen ihr und der Freundin des toten Lewis bzw. deren neuen Lebenspartner über Verlust, Schmerz und Trauerbewältigung führt. Auf der anderen Seite wiederum schildert Assayas die inhaltsleere, oberflächliche Celebrity-Welt, in der Kyra umherschwirrt, und in der Maureen eigentlich nur aus ökonomischen Gründen (kurzfristig) partizipiert, und eigentlich auch gar nicht hineinpasst. Zusammenfinden beide Stränge relativ selten, was dann auch den Filmtitel PERSONAL SHOPPER eher wirken lässt wie ein Notbehelf, der nicht wirklich viel aussagt über das, was einen in den neunzig Minuten dann wirklich erwartet: Nämlich, Kristen Stewart durch Paris zu folgen, mit ihr zusammen Motorrad zu fahren, shoppen zu gehen, sie minutenlang beim Tippen von SMS-Nachrichten zu beobachten – und, wenn mich ihre schauspielerische Leistung nicht schon in THE CLOUDS OF SILS MARIA überzeugt hätte, wäre PERSONAL SHOPPER wohl der Film, dem das gelungen wäre. Ein bisschen ist das so wie mit Virgine Ledoyen in LA FILLE SEULE von Benoît Jacquot: Beide Filme fallen und stehen mit ihren (zugegebenermaßen eher introvertierten) Hauptdarstellerinnen, und wenn es einen nicht stört, dass Plot, Drive, Thrill, Storytelling und all der andere Kram komplett ins Hintertreffen geraten, kann man sich hier wie dort daran ergötzen, einer jungen Schauspielerin einfach dabei zuzusehen, wie sie hervorragend photographiert Dinge tut.

Freilich hat PERSONAL SHOPPER darüber hinaus doch noch die eine oder andere Qualität. (Und damit meine ich nicht die beiden für die Handlung vollkommen irrelevanten Szenen, in denen Stewart sich der Kamera barbusig präsentieren muss, und die den Film kurzzeitig in eine unangenehm voyeuristische Richtung kippen lassen.) Assayas ist zum Beispiel König darin, moderne Medien wie vor allem das SMS-Schreiben zur Generierung von Spannung zu nutzen – zumindest hat mich Maureens Zugfahrt nach England, in der sie im Grunde pausenlos mit ihrem unbekannten Briefpartner triggert, weniger angeödet denn gebannt. Auch das in Oman spielende Finale überzeugt komplett; höchstens, wenn Stewart direkten Blickkontakt mit der Kameralinse aufgenommen hätte, bevor das Bild in Weiß verschwimmt, hätte das die Intensität dieser Szene noch steigern können. Nicht zuletzt die hübsche Unterredung mit dem neuen Freund von Lewis‘ Liebster kurz davor, bei der ein stiller Spezialeffekt im Hintergrund Wassergläser umherschweben lässt, hat es mir angetan, und entschädigt dann auch für die eher schlimme CGI-Schau relativ zu Beginn, die den Film schon in wenigen Jahren älter aussehen lassen wird als er eigentlich ist. Unterm Strich bleibt PERSONAL SHOPPER dennoch weit hinter meinen (hochgesteckten) Erwartungen zurück, und wirklich funktioniert hat der Film nur dann für mich, wenn ich das Drehbuch beiseiteschiebe, und mich völlig Kristen Stewarts Leinwandpräsenz, den wahren Dialogen, und Details wie dem gerade erwähnten Wasserglastänzchen hingebe, verzaubern konnte er mich, wie THE CLOUDS OF SILS MARIA, indes nur in rar gesäten Momenten – was mich wiederum zu der Frage bringt, weshalb ich meine Zeit nicht genutzt habe, über Assayas großartigen Vorgänger ein paar Zeilen zu verlieren?