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El mirón - José Ramón Larraz (1977)

Verfasst: So 30. Sep 2018, 20:19
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: El mirón

Produktionsland: Spanien 1977

Regie: José Ramón Larraz

Darsteller: Héctor Alterio, Alexandra Bastedo, Aurora Bautista, Carlos Ballesteros, Pep Munné, Aurora Redondo
Abt. Vorglühen für Köln…

Eigentlich steht Ramon auf dem Zenit seines beruflichen und privaten Lebens: Er hat einen gut bezahlten Job, ist verheiratet mit der attraktiven Elena, und lebt mit dieser in einem schicken Appartement gemeinsam mit seiner greisen Mutter im Herzen Madrids. Wirklich genießen kann unser Held sein Glück jedoch nicht. Schuld daran ist eine irrationale, regelrecht paranoide Züge annehmende Eifersucht, die ihn fest in ihrem Klammergriff hält, und ihn schließlich so weit bringt, dass in ihm der stetig stärker werdende Wunsch keimt, Elena beim Sex mit anderen Männern zuzuschauen, wäre damit doch einerseits seine Eifersucht gewissermaßen gebändigt, weil er es ist, der die Beischlafe seiner Gattin kontrolliert, arrangiert und inszeniert. Andererseits ist sein Wunsch aber auch Ausdruck einer sich allmählich aus seinem Unterbewussten herausschälenden voyeuristischen Obsession, die bald zur fixen Idee mutiert. Elena, die gar nicht daran denkt, in fremde Betten zu steigen, steht den Vorstellungen ihres Ehemanns nur deshalb verständnisvoll gegenüber, weil sie ihre Ehe nicht gefährden will, und Ramon wirklich liebt. Nach mehreren missglückten Versuchen, potentielle Geschlechtspartner für Elena in die Wohnung zu lotsen, nach vielen Streitereien und Aussprachen, sieht das Paar letztlich, sehr zum Missfallen von Ramons Mutter, ein, dass ein bisschen Abstand, eine Trennung auf Zeit, für alle Beteiligten das Gesündeste wäre: Ramon zieht aus, Elena bleibt mit der Schwiegermama im Appartement wohnen. Dann aber macht sie die Bekanntschaft einer Nachbarin, die einen Schönheitssalon betreibt, und deren jüngerem Liebhaber, mit dem Elena bald mehr als eine innige Freundschaft verbindet. Ramon bleibt natürlich nicht verborgen, dass Elena nun, wo er sie freigegeben hat, offenbar genau das in die Tat umzusetzen scheint, was sie an seiner Seite nicht hat ausleben können oder wollen...

Bei dem Namen José Ramon Larraz denkt man, wahlweise, an zu Leinwandleben erwachten Gothic Novels wie SYMP-TOMS und VAMPYRES, an subversive und/oder drollige Sexualstudien wie LA VISITA DEL VICIO oder LAS ALUMNAS DE MADAME OLGA, oder an 80er Horror- und Slasherfilme wie DEADLY MANSION oder LOS RITOS SEXUA-LES DEL DIABLO. Dass der Mann, unter anderem, mit GOYA eine TV-Mini-Serie über den gleichnamigen Maler, mit GOLDEN LADY einen Agententhriller, und mit LA MOMIA NACIONAL eine Satire auf das Franco-Regime gedreht hat, das sind Informationen, die sich weitgehend unterhalb eines Radars befinden, der Larraz‘ Oeuvre sowieso nur selten einmal in den Fokus seines Schlaglichts rückt. Auch EL MIRÓN ist ein nahezu unbekanntes Werk des Spaniers – was mich vor allem deshalb erstaunt, da es sich mit Abstand um den seriösesten, konventionellsten und, wenn man so will, „erwachsensten“ all seiner Filme handelt, die ich mir in Vorbereitung auf unser Forentreffen im Oktober die letzten Monate über zu Gemüte geführt habe.

Was beginnt wie eine von feiner Ironie durchzogene Gesellschaftssatire im Stil Luis Bunuels – worauf Szenen schließen lassen wie die, in der Ramon einen Schuhputzer dazu verpflichten möchte, seine Frau zu begatten, der dann aber schnell die Flucht antritt, als er begreift, was die Aufgabe sein soll, die ihm Ramon fürstlich zu entlohnen verspricht, oder die, in der Ramon eben jenen Schuhputzer, der unter die Räder gekommen ist, im Spital aufsucht, und zwei Nonnen ihn als leuchtendes Beispiel für einen mitleidenden, barmherzigen Christenmenschen hochhalten nichtahnend, dass ihn einzig seine Libido überhaupt zu ihnen geführt hat –, entpuppt sich mit zunehmender Laufzeit als wenig augenzwinkerndes, trotz der einen oder anderen Sexszene recht zugeknöpftes, mit Dialogen nicht sparsam umgehendes Ehedrama, das sich wirklich für seine psychologisch glaubwürdig modellierten Figuren interessiert, und dadurch sowohl das Psychogramm eines von seinen Lüsten beherrschten Mannes darstellt als auch die sorgfältige Studie einer ihre Unabhängigkeit entdeckenden Frau, und, quasi als Symbiose aus beiden, die Bestandsaufnahme einer Ehesituation, in der Herzensliebe und sexuelle Selbstfindung erheblich auseinanderdivergieren. Technisch-ästhetisch tritt EL MIRÓN mit seinem, was Montage, Kameraarbeit, Bildkompositionen betrifft, sicheren Seifenoper-Modus niemanden auf die Füße, schafft es aber trotzdem mich über eineinhalb Stunden nicht nur bei Laune zu halten, sondern ernsthaft Anteil an den Schicksalen seiner Protagonisten nehmen zu lassen. Dass genau diese im Mittelpunkt stehen, und nicht etwa etwaige Schauwerte wie nacktes Fleisch, oder ein dramaturgisch ausgefeilter Spannungsbogen, kann, je nach Rezipient, Genickbruch oder Lorbeerkranz vorliegenden Films sein. Obwohl ich mir durchaus vorstellen kann, dass ein Publikum, das genau die oben skizzierten Assoziationen beim Namen Larraz hat, und daher einen erotischen Thriller oder eine hyperventilierende Sexklamotte erwartet, aus dem Gähnen nicht herausfinden wird, überwiegt auf meiner Seite erneut bei Weitem die Überraschung darüber, was für ein facettenreicher Regisseur der gute Mann offenbar gewesen ist.

Re: El mirón - José Ramón Larraz (1977)

Verfasst: Mo 1. Okt 2018, 10:39
von Onkel Joe
Ich finde es Klasse das Larraz wieder vermehrt seinen Weg ins Wohnzimmer eingehalten hat :thup: .

Re: El mirón - José Ramón Larraz (1977)

Verfasst: Mi 3. Okt 2018, 08:49
von Salvatore Baccaro
Daran seid natürlich ihr "Schuld". Alleine wäre ich wohl nie auf die Idee einer privaten Larraz-Retrospektive gekommen... ;-)