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El extraño viaje - Fernando Fernán Gómez (1964)

Verfasst: Mo 10. Dez 2018, 22:39
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: El extraño viaje

Produktionsland: Spanien 1964

Regie: Fernando Fernán Gómez

Darsteller: Carlos Larrañaga, Tota Alba, Lina Canalejas, Rafaela Aparicio, Jesús Franco

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Hätte ich nicht kürzlich für die noch in diesem Monat erscheinende, inzwischen bereits dreißigste Ausgabe des 35-Milimeter-Retromagazins zur kinematographischen Kultur bis 1965 einen ausführlichen Artikel zum frühesten mir bekannten Schauerfilm Spaniens, dem grandiosen LA TORRE DE LOS SIETE JOROBADOS von Edgar Neville aus dem Jahre 1944, verfasst, und kurz darauf Arkadins ebenso ausführliche (und vorzügliche) Aufarbeitung von Jess Francos Frühwerk lektoriert, wäre mir so schnell wahrscheinlich nicht EL EXTRANO VIAJE vor die Linse geraten, ein 1964 gedrehter Film des mir ansonsten gänzlich unbekannten Regisseurs, Schauspielers und Schriftstellers Fernando Fernán Gómez, dessen Alleinstellungsmerkmal (zumindest in meinem Kosmos) es ist, dass Jess Franco dort die wohl größte schauspielerische Leistung abseits des eigenen Oeuvres und dem Andreas Bethmanns absolviert.

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EL EXTRANO VIAJE ist ein Film, der gleich mehrere Sitzgelegenheiten okkupiert hält: Wenn Gómez das eher trist-langweilige Dorfleben eines spanischen Provinznestes bebildert, in dem die Männer ihre Freizeit ausnahmslos in der einzigen Schnapsbude des Ortes verleben, und die Frauen sich auf jede noch so winzige Möglichkeit stürzen, sich die Mäuler mit Tratsch und Klatsch zerfetzen zu können, bekommt die Schwarzweißphotographie genauso spielerisch den Anstrich einer neorealistischen Milieustudie, wie sie andererseits, sobald wir uns im Herrenhaus der Dorfpatronin Ignacia Vidal befinden, die die Gemeinde, wie Bates‘ Mutter, von ihrem Balkon aus mit Adlerauge überwacht, genauso unbekümmert in waschechte Gothic-Horror-Gefilde hinüberwechseln kann – zumal wenn ein Gewitter tobt, und die antiquierten Möbel und Gemälde längst zu Staub verfallener Ahnen im Widerschein jäher Blitze zucken. Am Ende entpuppt sich EL EXTRANO VIAJE gar noch relativ unvermittelt als augenzwinkerndes murder mystery, bei dem ein ins verschlafene Hinterland beorderter Inspektor herausfinden soll, wie denn die Leiche besagter Ignacia Vidal in ein Weinfass ihres eigenen Kellers geraten ist, und vor allem, wessen Hände sie dort hineingestopft haben. Dass der Film zudem mit komisch-klamaukigen Elementen ebenso wenig sparsam umgeht wie er sich offensichtlich genussvoll an dem Zuschaustellen von Sexualfetischen ergötzt, die einem Bunuel nicht unangenehm gewesen wären, könnte den Verdacht nähren, EL EXTRANO VIAJE sei weder Fisch noch Fleisch. Ganz im Gegenteil aber macht er, meiner Meinung nach, die eigene Heterogenität zum eigentlichen Strukturprinzip. Das hat zweierlei zur Folge: Zum einen, dass man nie wissen kann, was für Kapriolen die nicht linear erzählte Handlung in den nächsten fünf Minuten plötzlich zu schlagen anfängt, und zum andern, dass ich so gut wie gar nichts über den narrativen Inhalt zu verraten wage, um jemandem, der dem Film, wie ich, völlig unvoreingenommen begegnen möchte, nicht den Spaß zu verderben, den ich bei den mäandernden, kurvenreichen Verästelungen des Plots empfunden habe.

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Ein paar Worte aber noch zu Jess Franco, der im Doppel mit der andalusischen Schauspielerin Rafaela Aparicio das Geschwisterpaar der Dorfpatronin gibt, zwei kindlich-einfältige, tollpatschige, ängstliche und stellenweise von niederen Gelüsten geleitete Personen namens Venancio und Pacquita, die von ihrer mächtigen Schwester permanent herumkommandiert, beschimpft und mit bösen Blicken bedacht werden. Es ist schlicht eine Lust, dem Mittdreißiger dabei zuzusehen, wie er nachts durch die Gemächer der VidalVilla tappt, um mysteriösen Geräuschen aus den Gemächern Ignacias nachzugehen, und dabei, als befänden wir uns in einer infantilen Slapstick-Komödie der Stummfilmzeit, beinahe einen Herzinfarkt zu bekommen, als er mit seiner anderen, ebenso neugierigen Schwester auf den Fluren zusammenstößt, oder dabei, wie er mit Pacquita Ränke schmiedet, um den Verkauf des Familienanwesens zu verhindern, den Ignacia bereits in die Wege geleitet hat, und der einen Umzug in die Großstadt mit sich bringen würde, oder wie er schließlich sein groteskes Ende an einem malerischen Sandstrand findet, nachdem er von einem alkoholischen Getränk gekostet hat, das besser nicht seine Lippen berührt hätte. Einmal abgesehen davon, dass EL EXTRANO VIAJE eine außerordentlich unterhaltsame Wundertüte ist, deren bunt zusammengewürfelter Inhalt wohl für jeden aufgeschlossenen Cineasten mehrere Bonbons in petto hat, die ihm wie Samt auf der Zunge zergehen, hat mich der Film vor allem von einem überzeugt: Was für ein drolliger Schauspieler Franco doch gewesen ist, wenn er die Gelegenheit dazu hatte.

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Ich habe herzhaft gelacht, und mich köstlich amüsiert, und rate mit einem breiten Grinsen im Gesicht, sich so schnell wie möglich dieses vergessene Werk zu Gemüte zu führen, und danach die aktuelle 35-Milimeter-Ausgabe mit weiteren gehaltvollen Texten zum spanischen Filmpionier Segundo de Chomón, Salvador Dalís Verstrickungen in die Filmkunst und Juan Antonio Bardems Meisterstück MUERTE DE UN CICLISTA zu ordern – oder von mir aus auch umgekehrt…