Umbracle - Pere Portabella (1970)
Verfasst: Mi 16. Jan 2019, 10:33
Originaltitel: Umbracle
Produktionsland: Spanien 1970
Regie: Pere Portabella
Darsteller: Christopher Lee, Jeannine Mestre, Miguel Bilbatúa, Román Gubern, Joan Enric Lahosa, Joan Miró
Nachdem sich Pere Portabella bereits als Produzent und Förderer diverser alternativer künstlerischer Stimmen innerhalb des spanischen Franco-Regimes hervorgetan hat – unter anderem verantwortet er Bunuels wundervollen VIRIDIANA (1961), Marco Ferreris EL COCHECITO und Carlos Sauras LOS GOLFOS (beide 1960) –, dreht er ab den frühen 70ern selbst eine Handvoll Experimentalfilme, von denen CUADECUC, VAMPIR von 1970 wohl noch der bekannteste sein dürfte. Das liegt allerdings weniger an der Zugänglichkeit des Werks, sondern an seiner interessanten Entstehungsgeschichte. Portabella nämlich treibt sich mit seiner Kamera am Set von Jess Francos DRACULA-Adaption EL CONDE DRÁCULA herum, und filmt, was ihm vor die Linse kommt - darunter natürlich vor allem, wie Franco wiederum seinen eigenen Film dreht, wie die Techniker die Kulissen arrangieren und ausleuchten, wie künstliche Spinnweben verteilt werden, und, als einzige Lautäußerung einer menschlichen Stimme, wie in der Schlussszene Hauptdarsteller Christopher Lee aus Bram Stokers Roman vorliest. Im Sinn hat Portabella freilich etwas ganz anderes als ein konventionelles Making-Of bzw. eine Behind-the-Scenes-Featurette, für die man seinen Film fälschlicherweise halten könnte. Stattdessen wird Francos Horrorstreifen großflächig demontiert, dekonstruiert, Szenen durcheinandergewirbelt, dramatische Momente dadurch ironisch untergraben, dass wir genau sehen, wie sie inszeniert worden sind. Dazu gibt es einen atonalen Score von Portabellas bevorzugtem Komponisten Carles Santos, und grobkörnige, kontrastreiche Schwarzbilder, die diejenigen von EL CONDE DRÁCULA spielerisch in ihrem knietiefen Waten in expressionistisch-gotischer Ästhetik ausstechen.
Da mich CUADECUC, VAMPIR seinerzeit ziemlich begeistert hat, freute ich mich umso mehr, nun endlich mehrere Augen auf einen Film werfen zu können, den Portabella parallel zu diesem gedreht hat, der jedoch erst 1972 an die Öffentlichkeit gelangt ist. Auch in UMBRACLE ist Christopher Lee wieder Dreh- und Angelpunkt, diesmal allerdings nicht am Set eines Franco-Films, sondern in Szenen, die Portabella ihm persönlich auf den Leib geschrieben hat. Auch in UMBRACLE sorgt Carles Santos für einige eigenwillige Töne und Geräusche. Auch in UMBRACLE dominieren Bilder, an deren brillanten Gefechten zwischen Licht und Schatten ich mich nicht sattsehen kann. Nicht zuletzt sollte auch in UMBRACLE niemand auch nur eine Fingerspitze Konventionalität erwarten. Seinen Punkt macht Portabella relativ früh klar: Einige Freunde und Filmschaffende debattieren in einer fünfzehnminütigen Sequenz die willkürlichen, restriktiven Zensurmaßnahmen, mit denen man sich als Freigeist im faschistischen Spanien herumschlagen muss. Anschließend serviert uns Portabella nahezu ebenso lang einen Ausschnitt aus einem Film, der die höchsten Weihen des franquistischen Kultusministeriums empfangen durfte, ein klischeebeladenes, pathetisches Kriegsdrama um einen Priester, der im Feld seinen Mann steht.
Freilich sind diese Momente die einzigen beiden in UMBRACLE, denen man eine klare Zielsetzung, eine Agenda anheften kann. Ansonsten sehen wir nämlich folgendes: Christopher Lee schleicht durch das Zoologische Museum in Barcelona. Christopher Lee beobachtet auf offener Straße einen Überfall. Christopher Lee sitzt mit einer Frau – es handelt sich um Jeannine Mestre, die in Francos DRÁCULA eine der Gespielinnen des Grafen verkörpert hat, und deren bekannteste Rolle wohl die der heroinabhängigen Katie West in Jorge Graus Zombies-im-englischen-Hinterland-Schocker NO PROFANAR EL SUENO DE LOS MUERTOS sein dürfte – in einem Zimmer, und man schweigt sich an. Christopher Lee wird von Portabella gebeten, in einem leeren Konzertsaal zu improvisieren, worauf er eine Opernarie zu trällern anfängt, und danach aus dem Kopf Edgar Allan Poes THE RAVEN rezitiert. Dazwischen wandert aber auch der surrealistische Maler Joan Miro, der zudem das Filmplakat zu UMBRACLE gestaltet hat, durchs Bild; es werden Hühner im Schlachtbetrieb gezeigt, die am Fließband sterben und danach ebenso maschinell entfiedert werden; und zwei Harlekins werden dabei beobachtet, wie sie auf einer Bühne ihren naiven Klamauk treiben.
Ich bin überfragt, wenn man von mir wissen wollen würde, ob all diese scheinbar heterogenen, kontingenten Fragmente eine übergeordnete Bedeutung haben – und wenn, welche. Aber was ich weiß, das ist: UMBRACLE ist einer der dramaturgisch einwandfreisten, visuell reizendsten und unterhaltsamsten Experimentalfilme, die ich seit langem gesehen habe. Mehr noch: An Portabella ist ein veritabler Horrorfilmregisseur verlorengegangen. Diese irgendwie rauen, irgendwie aber auch sinnlichen 16mm-Schwarzweißbilder tragen die Handschrift eines Meisters. Obwohl UMBRACLE fernab auch nur des Ansatzes einer Narration angesiedelt ist, engagiert er mich emotional allein darüber, wie dieser Film ausschaut, wie virtuos er montiert wurde, wie die Kamera sich durch die Pulks an Schatten und Schneisen grellen Lichts bewegt. Fast habe ich den Verdacht, UMBRACLE könnte so etwas sein wie eine umfassende Dekonstruktion dessen, was Hitchcock mit Suspense meint, angestrebt haben: Permanent wird Spannung aufgebaut, die sich dann aber in keinem Konflikt, in keiner konkreten Handlung, in keiner verständlichen Geste entlädt. Also muss ich ihr helfen, sich loszuwerden, und das geschieht über meinen eigenen, direkt von den Bildern affizierten Körper. Hinzukommt ein Sounddesign, ebenfalls aus Meisterhand: Hypnotische elektronische Klangflächen, oder auch mal einfach minutenlang das schrille Schellen eines Telefons.
Wem das alles nun schon beim Lesen zu schräg, zu wirr, zu wenig fokussiert klingt, dem rate ich natürlich ab, sich in diesen wundervollen Bilderreigen abzuseilen. Ich indes bin nachhaltig beeindruckt von diesem nahezu vergessenen Kleinod des aufmüpfigen Experimentalkinos mitten im Herzen der Restriktion…
Da mich CUADECUC, VAMPIR seinerzeit ziemlich begeistert hat, freute ich mich umso mehr, nun endlich mehrere Augen auf einen Film werfen zu können, den Portabella parallel zu diesem gedreht hat, der jedoch erst 1972 an die Öffentlichkeit gelangt ist. Auch in UMBRACLE ist Christopher Lee wieder Dreh- und Angelpunkt, diesmal allerdings nicht am Set eines Franco-Films, sondern in Szenen, die Portabella ihm persönlich auf den Leib geschrieben hat. Auch in UMBRACLE sorgt Carles Santos für einige eigenwillige Töne und Geräusche. Auch in UMBRACLE dominieren Bilder, an deren brillanten Gefechten zwischen Licht und Schatten ich mich nicht sattsehen kann. Nicht zuletzt sollte auch in UMBRACLE niemand auch nur eine Fingerspitze Konventionalität erwarten. Seinen Punkt macht Portabella relativ früh klar: Einige Freunde und Filmschaffende debattieren in einer fünfzehnminütigen Sequenz die willkürlichen, restriktiven Zensurmaßnahmen, mit denen man sich als Freigeist im faschistischen Spanien herumschlagen muss. Anschließend serviert uns Portabella nahezu ebenso lang einen Ausschnitt aus einem Film, der die höchsten Weihen des franquistischen Kultusministeriums empfangen durfte, ein klischeebeladenes, pathetisches Kriegsdrama um einen Priester, der im Feld seinen Mann steht.
Freilich sind diese Momente die einzigen beiden in UMBRACLE, denen man eine klare Zielsetzung, eine Agenda anheften kann. Ansonsten sehen wir nämlich folgendes: Christopher Lee schleicht durch das Zoologische Museum in Barcelona. Christopher Lee beobachtet auf offener Straße einen Überfall. Christopher Lee sitzt mit einer Frau – es handelt sich um Jeannine Mestre, die in Francos DRÁCULA eine der Gespielinnen des Grafen verkörpert hat, und deren bekannteste Rolle wohl die der heroinabhängigen Katie West in Jorge Graus Zombies-im-englischen-Hinterland-Schocker NO PROFANAR EL SUENO DE LOS MUERTOS sein dürfte – in einem Zimmer, und man schweigt sich an. Christopher Lee wird von Portabella gebeten, in einem leeren Konzertsaal zu improvisieren, worauf er eine Opernarie zu trällern anfängt, und danach aus dem Kopf Edgar Allan Poes THE RAVEN rezitiert. Dazwischen wandert aber auch der surrealistische Maler Joan Miro, der zudem das Filmplakat zu UMBRACLE gestaltet hat, durchs Bild; es werden Hühner im Schlachtbetrieb gezeigt, die am Fließband sterben und danach ebenso maschinell entfiedert werden; und zwei Harlekins werden dabei beobachtet, wie sie auf einer Bühne ihren naiven Klamauk treiben.
Ich bin überfragt, wenn man von mir wissen wollen würde, ob all diese scheinbar heterogenen, kontingenten Fragmente eine übergeordnete Bedeutung haben – und wenn, welche. Aber was ich weiß, das ist: UMBRACLE ist einer der dramaturgisch einwandfreisten, visuell reizendsten und unterhaltsamsten Experimentalfilme, die ich seit langem gesehen habe. Mehr noch: An Portabella ist ein veritabler Horrorfilmregisseur verlorengegangen. Diese irgendwie rauen, irgendwie aber auch sinnlichen 16mm-Schwarzweißbilder tragen die Handschrift eines Meisters. Obwohl UMBRACLE fernab auch nur des Ansatzes einer Narration angesiedelt ist, engagiert er mich emotional allein darüber, wie dieser Film ausschaut, wie virtuos er montiert wurde, wie die Kamera sich durch die Pulks an Schatten und Schneisen grellen Lichts bewegt. Fast habe ich den Verdacht, UMBRACLE könnte so etwas sein wie eine umfassende Dekonstruktion dessen, was Hitchcock mit Suspense meint, angestrebt haben: Permanent wird Spannung aufgebaut, die sich dann aber in keinem Konflikt, in keiner konkreten Handlung, in keiner verständlichen Geste entlädt. Also muss ich ihr helfen, sich loszuwerden, und das geschieht über meinen eigenen, direkt von den Bildern affizierten Körper. Hinzukommt ein Sounddesign, ebenfalls aus Meisterhand: Hypnotische elektronische Klangflächen, oder auch mal einfach minutenlang das schrille Schellen eines Telefons.
Wem das alles nun schon beim Lesen zu schräg, zu wirr, zu wenig fokussiert klingt, dem rate ich natürlich ab, sich in diesen wundervollen Bilderreigen abzuseilen. Ich indes bin nachhaltig beeindruckt von diesem nahezu vergessenen Kleinod des aufmüpfigen Experimentalkinos mitten im Herzen der Restriktion…