Seite 1 von 1

Sick-o-pathics - Brigida Costa, Massimo Lavagnini (1995)

Verfasst: Mo 27. Mai 2019, 10:32
von Salvatore Baccaro
Bild

Originaltitel: Sick-o-pathics

Produktionsland: Italien 1995

Regie: Brigida Costa, Massimo Lavagnini

Darsteller: Dardano Sacchetti (!), Lucio Fulci (!!), Joe D'Amato (!!!), Luigi Cozzi (!!!!), Renato Polselli (!!!!!) usw.
…und weshalb habe ich von diesem Film noch nie zuvor gehört? Mag ja sein, dass die beiden Regisseure Brigida Costa und Massimo Lavagnini ansonsten nicht viel im Filmbusiness gerissen haben – (Lavagnini findet man noch in den Stabsangaben von Al Festas selbst von Giallo-Hardlinern eher belächeltem FATAL FRAMES in einer Rolle namens „Maniac Cop“; Costa hat es in der Folge gar, laut imdb, noch zum „third assistant director“ von Andreas Schnaas für dessen DEMONIUM geschafft) -, aber der Cast liest sich wie ein elaborierter Lexikoneintrag über einige der wichtigsten Namen des italienischen Transgressions-Kinos der 70er und 80er Jahre: Lucio Fulci; Luigi Cozzi; David Warbeck; Joe D’Amato; Sergio Bergonzelli; Renato Polselli; Dardano Sacchetti – die sollen, falls das kein verspäteter Aprilscherz ist, allesamt in dieser gerade mal dreiviertelstündigen Horror-Anthologie vor der Kamera agieren. Dann werfen wir doch mal höchstinteressiert mehrere Augen auf Costas und Lavagninins Hommage an das Goldene Zeitalter italienischen Gores…

SICK-O-PATHICS beginnt mit einer ausgedehnten Prologsequenz: Zu schepperndem Metal wandelt Lavagnini, angetan mit einer Langhaarperücke, als Rüpel Max O’Keest [Miles O’Keeffee, oder wem soll hier gehuldigt werden?] durch eine idyllische Vorortgegend und knöpft sich in destruktiver Absicht alles und jeden vor, was seinen Weg kreuzt: Einer älteren Dame wird die Einkaufstasche zu Boden geworfen, und die aus dieser herauskullernden Eier zertreten; einem behinderten Jungen wird der rechte Arm ausgerissen, worauf die erzürnte Mutter unseren Helden mit diesem zu verprügeln versucht; selbst eine Truppe Satanisten mit Taschenmessern kann Max nicht erschrecken, sondern veranlasst ihn nur dazu, sie heftig anzurempeln. Seinen Feldzug der sinnlosen Gewalt beendet der Rowdy in einem Häuschen, zu dem er sich unerlaubterweise Zutritt verschafft, und wo er auf einen gewissen Dare Dane trifft, den man, seiner Garderobe nach, für einen Zirkuszauberer halten könnte, der Max aber stattdessen versichert, weltberühmter Horrorregisseur zu sein. Da Max ihn allerdings nicht kennt und auch nicht gewillt ist, sich mit ihm zusammen sein Lebenswerk anzuschauen, schlägt der Hausherr den Eindringling kurzerhand k.o., um ihn an einen Stuhl zu fesseln, und zu zwingen, sich nunmehr drei seiner angeblichen Meisterwerke auf VHS zu betrachten.

Festhalten kann man bis hierhin: Obwohl ich es ziemlich witzig finde, dass man Dare Dane ausgerechnet mit Dardano Sachhetti besetzt hat, der in seinem Leben wohl mehr italienische Genrefilme geskriptet hat als sich das Gros der Menschheit jemals anschauen wird, ist dieser Einfall dann auch der einzige, der meine Mundwinkel im Prolog von SICK-O-PATHICS ein bisschen zum Zucken veranlasst hat. Dass Costa und Lavagnini kein Budget zur Verfügung gestanden zu haben scheint, das über den Preis einer billigen Videokamera hinausreichte, mag ich ihnen gerne verzeihen. Weniger gnädig gestimmt bin ich, wenn es um die wirklich debilen Soundeffekte nebst eingeblendeten Comic-Strip-Sprechbläschen geht, und überhaupt nicht abholen kann man mich mit dem nun wirklich juvenilen, wenn nicht gar infantilen Humor, dem die Beiden sich verschworen haben. Findet das wirklich ernsthaft jemand amüsant, wenn ein Rüpel-Rocker grundlos einem kleinen Bub den Arm ausreißt, worauf sich eine Blutfontäne, die von Farbe und Konsistenz her eher an verwässerten Himbeersaft erinnert, Bahn bricht, worauf wiederum die Mutter des Bengels unseren Helden mit der demontierten Extremität attackiert? Für einen kurzen Moment habe ich bei den sinnlosen, bewusst auf komisch getrimmten Gewaltorgien Mäxchens vielleicht an Luis Bunuels L’AGE D’OR gedacht, und zwar jene Szenen, in denen ebenso grundlos ein Kind erschossen und ein blinder Passant verprügelt wird, aber, nein, die ersten fünf Minuten lassen dann doch eher an eine beliebige BEAVIS-&-BUTTHEAD-Folge abzüglich deren Metaebene denken.

HELLO DOLLY heißt das erste Tape, das Max sich unfreiwillig zu Gemüte führen muss, und führt eine weitere Ikone des (wenn auch jüngeren) italienischen Horrorkinos als Sexshop-Verkäufer ein: Effekt-Spezialist Sergio Stivaletti, der hier unter dem originellen Namen „Mr. Sinister“ firmiert, und dem Protagonisten vorliegender Episode, einem jungen Einsiedler, der sowohl Bier wie Metal nicht abgeneigt scheint, die von ihm bestellte Sex-Puppe völlig ohne finanzielle Gegenleistung, dafür mit einem diabolischen Grinsen überlässt. Mehr verdutzt denn angewidert stellt unser Held zu Hause beim Auspacken fest: Das Ding ist schon benutzt! Da trieft nur so der Lustsaft früherer Benutzer aus dem wenig lebensechten Frauenkörper heraus! Statt jedoch sofort die Reklamation einzuleiten, betrinkt sich der Jüngling erst einmal, und lässt sich wie ohnmächtig auf seine Matratze fallen. Kaum sind seine Äuglein geschlossen, fängt seine neue Freundin sich jedoch zu regen an, plustert sich zur vollen Größe auf, macht sich über unseren Helden her, verschlingt ihn in ihrem Plastik, worauf sich im Innern ihres Körpers so etwas wie ein Verpuppungsprozess zu vollziehen scheint. Cut zu Stivaletti, der gerade eine neue Kundin berät. Im Katalog an Sexspielzeug, den sie apathisch durchblättert: Unser Held, offenbar verwandelt in eine männliche Sex-Puppe! Wenn ich der Episode zugestehe, dass ihre Spezialeffekte für einen Film dieser Preisklasse sogar relativ akzeptabel (und freilich außerordentlich ekelerregend ausgefallen sind), und dass sie sich immerhin bemüht, Rudimente einer klassischen Narration wie Exposition, Hauptteil und Pointe zu bedienen, so lässt mich Costas und Lavagninis Humorverständnis doch sogleich wieder zurückzurudern: Welcher Teufel mag die Beiden nur geritten haben, gerade Stivaletti mit einer piepsigen Teletubby-Stimme zu synchronisieren?, und ob man nun herzhaft über Großaufnahmen von Spermaflüssen aus künstlichen Vaginen lachen kann, stelle ich auch einmal zur Diskussion.

Nachdem wir zwei fingierten Werbe-Spots beigewohnt haben – (Luigi Cozzi als Salamimetzger, und Lucio Fulci, der einfach nur dasitzt, und ein erotisches Comic-Heftchen in die Kamera hält: „Lokula – The best breast from the grave“), - liefert THE POOR, THE FLESH & THE BAG immerhin die Beteiligung eines meiner Heroen der italienischen Kino-Delirien: Renato Polselli, dessen gesamtes Oeuvre ich hiermit zum wiederholten Male ganz oben auf meine Ahnentafel kinematographischer Großtaten nagle, spielt Mr. Polselli, einen Mafia-Typen, der gemeinsam mit seinem Handlanger einem jungen Mann auflauert, um ihn an das Geld zu erinnern, das er ihm schulde. Verzweifelt wie unser Held ist, denn auch die eigene Freundin hat ihm nur eine leere Börse zu bieten, nimmt er die Gelegenheit wahr, einen Koffer zu stibitzen, den seine Nachbarin regelmäßig spazieren trägt. Statt der erhofften Kohlen jedoch wiederholt sich die narrative Volte der vorherigen Episode: Der Koffer verfügt über Augen, Monsterklauen und einen unersättlichen Appetit, weswegen er unseren Helden, als er allein mit ihm ist, sofort attackiert, und verspachtelt. Die schrillen Todesschreie seines Opfers hallen durch das Wohnhaus – und lassen sowohl Sergio Bergonzelli, der gerade mit dem Malen eines abstrakten Gemäldes beschäftigt ist, als auch Joe D’Amato, der sich gerade in seine Tageszeitung vertieft, aufhorchen. Pointe, nachdem es auch mit der Liebsten unseres Protagonisten ein schlimmes Ende genommen hat: Die Nachbarin holt sich ihren teuflischen Koffer zurück, und wird an der nächsten Straßenecke von einem Punk überfallen, der ihn ihr entreißt. Das Spiel kann also von vorne losgehen. Auch für diese Episode gilt: Kreatives Storytelling sieht irgendwie anders aus, dafür hat man sich bei der Belebung des ominösen Koffers sogar noch etwas mehr Mühe gegeben als bei den Spezialeffekten der vorherigen Geschichte, und wenn es der Freundin unseres Helden an den Kragen bzw. an die Brüste geht, dann ruft das Assoziationen sowohl zu HELLRAISER als auch zu der wohl berühmtesten Szene in Lenzis CANNIBAL FEROX wach. Einen Gnadenpunkt gibt es für Mr. Polselli, ansonsten bin ich weit davon entfernt, Applaus zu klatschen.

Worauf – (nach einem dritten Werbespot, diesmal für „Dr. Riker’s Hair Lotion“, und mit Rick Gianasi und Linnea Quigley, die ich allerdings erst einmal googeln musste, auf nunmehr internationalem Parkett) - AEROPHAGUS, die dritte und längste Episode, abzielt, dürfte klar sein: In einem „fake greece village“, wo die Straßen nach George Eastman benannt sind, flaniert ein Pärchen durch eine 1:1-Replik des Prologs von D’Amatos ANTHROPOPHAGUS, inklusive übel ausgehendem Badeausflug. Der Unterschied: In AEROPHAGUS haben wir es nicht mit einem Schiffsbrüchigen zu tun, den die Not auf hoher See dazu verleitet hat, die eigene Familie zu verspeisen. Stattdessen hat der moderne Odysseus in vorliegendem Segment, während er in einem Gummiboot (!) auf dem Mittelmeer herumtreiben musste, kiloweise Dosenbohnen in sich hineingestopft, um sich vor dem Hungertod zu bewahren. Dieser grenzenlose Konsum leitete die Transformation zum titelgebenden Monstrum ein, das seine Opfer nicht mit den bloßen Zähnen tötet, sondern mittels der durch die einseitige Ernährung hervorgerufenen Darmwinde: Sobald eine dieser giftgrünen Furzwolken mit Menschen in Berührung kommt, zerfallen diese in ihre Einzelteile, oder, sollte es sich um schwangere Frauen handeln, platzen ihnen regelrecht die Embryonen aus den Bäuchen hervor. Dies geschieht in AEROPHAGUS beispielhaft der Fulci-Tochter Antonella, während der zweite große Cameo von David Warbeck als transvestitischem Psychiater bestritten wird, der einem Patienten rät, aufgrund einer geheimnisvollen Krankheit einige Zeit auf einem griechischen Eiland zu verbringen: Um seinen Organismus wieder auf Vordermann zu bringen, müsse er dort mit so viel Unrat in Kontakt kommen wie möglich. Gesagt, getan stiefelt unser Held fortan die Ägäis-Strände entlang, schnüffelt an getragenem Schuhwerk und ernährt sich vom Inhalt gebrauchter Präservative. Die Konfrontation mit dem Aerophagus ist unausweichlich, und gestählt von all den Bakterien, die er bislang zu sich genommen hat, kann der junge Mann dem Monster die Stirn bietet.

Nein, nichts von alldem habe ich mir selbst ausgedacht, und nein, keine einzige dieser kreativen Ideen – (einmal abgesehen von Warbeck, der als Frauenunterwäsche tragender, lüstern mit seiner Zunge spielender Arzt dem Begriff Overacting neue Dimensionen eröffnet) – zündet im Entferntesten. Wohl hatten Costa und Lavagnini im Sinn, so etwas wie eine Parodie auf den D’Amato-Klassiker zu drehen, herausgekommen ist jedoch eine stümperhafte Abfolge von Szenen, die wahlweise todlangweilig, ekelhaft oder Fremdscham evozierend ausfallen. Was bei kompakten Erzählungen wie den vorherigen noch halbwegs funktionierte, zerfasert völlig, sobald das Regie-Duo sich an einem etwas, eh, komplexeren Beitrag versucht. Dass AEROPHAGUS zugeschnitten ist auf eine Fraktion von Zuschauern, die die Pubertät noch nicht überwunden haben, und sich lachend auf die Schenkel klopfen, sobald von Körperausscheidungen die Rede ist, rückt dieses Segment ebenso auf Distanz zu mir wie die Tatsache, dass man inszenatorisch auf einer Ebene operiert, die nicht wirklich nennenswert tiefer liegt als die, auf die man Kollegen wie Jochen Taubert oder Andreas Schnaas normalerweise findet. Da macht es nur Sinn, dass sich zumindest Costa später genau diesem talentfreien Vielfilmer kurzzeitig angeschlossen hat.

Obwohl ich Costa und Lavagnini zugutehalte, dass sie all diese Ikonen des italienischen Genrekinos vor ihrer Kamera versammelt haben, frage ich mich abschließend doch: Hätte das Ergebnis nicht etwas weniger geschmacklos, plump und peinlich ausfallen können? Großartige Inspiration nämlich scheinen die Beiden nicht von den Männern abgezapft haben, denen sie huldigen, indem sie sie in teilweise winzigen Cameo-Auftritten verheizen. Wo ist das Talent Sacchettis, völlig abstruse, mitunter dezidiert a-logische Geschichten auf dramaturgisch ausgefeilte Weise zu erzählen? Wo ist die apokalyptische visuelle Überfülle von Fulcis besten Splatter-Filmen? Wo finde ich den adoleszenten Charme der Pulp-Poesie eines Luigi Cozzi? Wo sind auch nur Spuren der surrealistischen Großoffensiven gegen filmische Zeit, filmischen Raum, filmische Konvention eines Renato Polselli versteckt? Stattdessen: Schulhofscherze von Halbstarken, die man in seiner eigenen Schulzeit wo es nur ging gemieden hat; Persiflagen, deren Gags nicht augenzwinkernd ausgefallen sind, sondern vollgesogen mit dem Odeur von getrocknetem Sperma und Blähungen; grobschlächtige Geschichtchen, denen gegenüber die Drehbücher eines D’Amato-Pornos wirken wie die Ergüsse eines Goncourt-Preisträgers. Puh, nein, beim besten Willen nicht: SICK-O-PATHICS fühlt sich an wie eine dieser US-amerikanischen Pennäler-Komödien á la SCARY MOVIE, nur realisiert mit dem Budget von VIOLENT SHIT.

In der Prologsequenz tritt Max übrigens beinahe in einen Hundehaufen. Ein Schild hat man in die braunen Würste gesteckt: Typical Italian Movie. Mäxchens Fußsohle entgeht dem Kontakt mit dem Kot nur knapp. Dafür ist allerdings SICK-O-PATHICS ungebremst in ihn hineingerast.

Re: Sick-o-pathics - Brigida Costa, Massimo Lavagnini (1995)

Verfasst: Mo 27. Mai 2019, 11:02
von jogiwan
wenn das Filmchen nur annähernd so viel Spaß macht wie das Lesen deines Textes, kann es ja eigentlich nicht so schlimm sein... :troest:

Re: Sick-o-pathics - Brigida Costa, Massimo Lavagnini (1995)

Verfasst: Mo 27. Mai 2019, 23:01
von Salvatore Baccaro
jogiwan hat geschrieben:wenn das Filmchen nur annähernd so viel Spaß macht wie das Lesen deines Textes, kann es ja eigentlich nicht so schlimm sein... :troest:
Niemals!

Morgen filme ich mich beim Frühstückscroissantkauen und schneide dazwischen kurze Aufnahmen von Jogi, Bux, Onkel Joe und Santini, und schon ist der experimentell-subversive Kurzfilm fertig? ;)

Die besten Szenen immerhin:

[BBvideo][/BBvideo]

Re: Sick-o-pathics - Brigida Costa, Massimo Lavagnini (1995)

Verfasst: Di 28. Mai 2019, 18:19
von Canisius
Oha, der ist in der Tat speziell. Lange nicht mehr gesehen. :shock: :hirn:
Hatte ich mein Tape eigentlich hier an einen Forianer verkauft? :?

Re: Sick-o-pathics - Brigida Costa, Massimo Lavagnini (1995)

Verfasst: Di 28. Mai 2019, 18:59
von jogiwan
Salvatore Baccaro hat geschrieben: Die besten Szenen immerhin:

[BBvideo][/BBvideo]
*autsch*