Der Turm der sündigen Frauen - Abel Gance (1955)
Verfasst: Mi 30. Okt 2019, 09:30
Originaltitel: La Tour de Nesle
Produktionsland: Frankreich 1955
Regie: Abel Gance
Darsteller: Pierre Brasseur, Silvana Pampanini, Paul Guers, Jacques Toja, Lia Di Leo, Constant Rémy
Ich muss gestehen, dies dürfte dann wohl die erste wirklich "kalkulierte" Kurzkritik meinerseits in diesem Forum sein. Hintergrund ist: Zurzeit gibt es in der Mediathek von Arte die restaurierte Fassung von Abel Gances Stummfilm-Epos "La Roue" aus dem Jahre 1923 mit über 6 Stunden Laufzeit zu besehen. Da ich möchte, dass so viele Menschen wie möglich in den Genuss dieses Meisterwerks irgendwo zwischen progressiver Film-Avantgarde und naturalistischem Melodrama kommen, ich mich aber noch nicht bemüßigt fühle, dem Film in einer eigenen Entsprechung gerecht zu werden, (und ich außerdem die neue Version zu sehen noch nicht die Zeit gefunden habe), überlege ich natürlich: Wie kann man eher genre-affinen Leuten einen solchen Streifen dennoch schmackhaft machen? Meine logische Schlussfolgerung: Wieso nicht einen anderen Film des gleichen Regisseurs besprechen, in dem man dann den Hinweis auf die Arte-Mediathek wie zufällig fallenlassen könnte?, am besten auch einen Film mit einem zugkräftigen Titel, der irgendwie nach Exploitation schmeckt, und am allerbesten einer, der nun nicht unbedingt so meisterhaft ist, dass sich meine Leser kurzerhand entschließen, sich den zuerst zu Gemüte zu führen, und LA ROUE darüber am Ende doch wieder in Vergessenheit gerät...
In den 20er Jahren gehört Abel Gance zur Speerspitze der französischen Film-Avantgarde. J’ACCUSE (1919), LA ROUE (1923) und sein Lebenswerk NAPOLÉON (1928) dürften diejenigen Filme seiner Karrierehochphase sein, bei denen den meisten Cinephilen das Wasser im Munde zusammenläuft. Geschult an der naturalistischen Literatur des vorherigen Jahrhunderts erzählt Gance mit dem langen Atem eines Dickens oder Hugos Geschichten, die allein dadurch mit Bedeutung aufgeladen werden, weil ihre Umsetzung in jedweder Hinsicht episch ist: Episch ist ihre Laufzeit – niemals unter drei Stunden, am besten vier, sechs oder acht! -, episch ist der Aufwand, der für sie betrieben wurde – für J’ACCUSE zieht es Gance gar in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, und zwar noch während aktive Kampfhandlungen stattfinden, und verpflichtet Frontsoldaten als Statisten –, episch ist der Katalog an teilweise unerhörten Spezialeffekten und Filmtricks, die Gance für sie in Anschlag bringt oder gleich einfach erfindet: MG-Montagen, Überbelichtungen, Split-Screen-Sequenzen, konzipiert für mehrere parallel laufende Projektoren. Beseelt sind Gances drei Hauptwerke aber auch von einer gewissen Schizophrenie, die vor allem in NAPOLÈON besonders greifbar wird: Visuell-inszenatorisch wird diese Huldigung Bonapartes oft und gerne als Lexikon der damaligen Filmtechnik bezeichnet, derart dicht gesät sind die Innovationen und Subversionen, mit denen Gance sich gegen gängige Konventionen des Kommerzkinos sträubt. Von seinem Sujet her aber könnte NAPOLÉON kaum reaktionärer sein: Es ist, wie gesagt, eine ironisch ungebrochene Huldigung Bonapartes – und, wenn man diesen Film ernstnimmt, fast schon eine Apologie von Diktaturen.
NAPOLÉON wird Gance sein Leben lang begleiten. Immer wieder montiert er den Film neu, vertont ihn nachträglich, dreht zusätzliche Szenen, arbeitet an möglichen Fortsetzungen. Nebenbei ist er aber, nach dem Übergang vom stummen zum tönenden Film, weiterhin als Regisseur beschäftigt. In Werken wie UN GRAND AMOUR DE BEETHOVEN (1936), VÉNUS AVEUGLE (1941) oder LA CAPTAIN FRACASSE (1943) kann man die wohlüberlegte Experimentierfreude vergangener Tage jedoch höchstens noch in Spuren wiederzufinden. Allein Gances Schuld mag das nicht sein: Kolossal gescheitert ist er 1931 mit seinem FIN-DE-MONDE-Projekt, dem letzten, in dem er die kreative Oberleitung innehaben konnte. Danach dreht er Studiofilme fürs kommerzielle Verleihsystem Frankreichs, vorrangig Kostümschinken und Melodramen, die genau von dem Schlag sind, den die Nouvelle-Vague-Reformer als cinema de qualité abkanzelten. In Gances erstem Farbfilm, LA TOUR DE NESLE von 1955, jedenfalls mehr zu erkennen als einen steifen Kostümschinken mit gotischen Obertönen, das mag mir beim besten Willen nicht gelingen – da mag Francois Truffaut in den Cahiers, zu meinem Erstaunen!, noch so wohlwollend über den Film schreiben, und da mag auch noch so fett auf manchem zeitgenössischen Postern der Name Alexandre Dumas prangen, auf dessen gleichnamigen Erfolgsstück von 1832 der Film nämlich basiert.
Trotz zwei Stunden Laufzeit kann man die zumindest in Ansätzen auf historisch verbürgten Ereignissen fußende Handlung kurz und knapp zusammenschnüren, ohne Essentielles wegzulassen: Im (heute nicht mehr existenten) Tour de Nesle am Pariser Seineufer unterhält im 14. Jahrhundert die französische Königin Margaret mit ihren beiden Schwestern eine Art blaublütiges Bordell. Hübsche Jünglinge werden in das Gemäuer gelotst, dort ihres Samens erleichtert, und danach, damit ihre Verschwiegenheit gewahrt bleibt, von den Handlangern der modernen Nymphen vom Leben in den Tod befördert. Schon mehrere Leichname haben die Seineufer gesäumt, was selbstverständlich bereits zu genügend Klatsch und Tratsch geführt hat, dass man meinen könnte, die majestätischen Männermörderinnen würden etwas vorsichtiger agieren. Munter geht das Meucheln jedoch weiter – solange jedenfalls bis Jehan Burdian, ein früherer Geliebter Margaretes zu Zeiten, als sie noch nicht die Königskrone trug, es schafft, den Turm lebend zu verlassen, und sich, auch um den Treuebruch der frühen Angebeteten zu sühnen – (denn immerhin hat er in ihrem Auftrag ihren Vater getötet, um danach jedoch nicht zu ihrem Gatten ernannt, sondern ins Exil gejagt zu werden) –, an eine ausgefuchste Erpressungsaktion macht. Was weder Burdian noch Margarete ahnen: Die beiden Liebhaber, die sich die Königin zeitgleich hält, sind Söhne, die aus der früheren Liaison unseres tragischen Pärchens entsprungen sind, und die von beiden für totgehalten werden. Mit einem Mindestmaß an Phantasie kann man sich wohl schon ausmalen, auf welchen inzestuösen, bluttriefenden und intriganten Pfaden der Film in seinem Schlussakt entgegenwandelt…
Auch wenn – was mich dann doch nicht wenig überrascht hat! – in vereinzelten Szenen doch tatsächlich die eine oder andere entblößte Frauenbrust aufblitzt: Die exploitativen Verheißungen, die ein Verleihtitel wie DER TURM DER SÜNDIGEN FRAUEN in jedem von uns weckt, möchte Gance natürlich nicht im Ansatz erfüllen. Statt lasziven Intermezzi an der Schwelle zwischen Eros und Thanatos verliert sich der Film viel eher in ermüdenden Dialogszenen, denen man ihre Herkunft von Bühnenbrettern nur zu deutlich anmerkt, in kecken Sprüchen und Kneipenduellen wie aus einem x-beliebigen zeitgenössischen Mantel-&-Degen-Abenteuer und, nicht zuletzt, in zwar nett anzuschauenden Kulissen, die aber ebenso zu keinem Zeitpunkt verhehlen, dass die Kamera nur ein Stück zur Seite schwenken müsste, und wir würden sehen, dass sie in einem sterilen Studio hochgezogen worden sind. Da ich von einem Film, der mit Gances Namen wirbt, Mitte der 50er, was Kameraführung, Schnitt, Kadrage anbelangt, keine Höhensprünge mehr erwarte, hat es mich zudem nicht sonderlich enttäuscht, dass LA TOUR DE NESLE unmöglich zu unterscheiden ist von irgendeinem anderen biederen Prestigekino-Erzeugnis seiner Zeit. Wenn dann noch Pierre Brasseur als D’Artegnan für Arme seine Zeilen deklamiert, als müsse er am Hofe des Sonnenkönigs brillieren, und die zarten Anflüge von Spannung und Schauer, die der Film durchaus besitzt, unter dem Staub von Allonge-Perücken versinkt, dann kann ich, nach einem verzweifelten Aufstöhnen, eigentlich gar nicht anders, als mir nochmals die sechs Stunden LA ROUE reinzuziehen - einen Ratschlag, den ich hiermit erneut allen Mitlesenden an die Hand gebe...!
In den 20er Jahren gehört Abel Gance zur Speerspitze der französischen Film-Avantgarde. J’ACCUSE (1919), LA ROUE (1923) und sein Lebenswerk NAPOLÉON (1928) dürften diejenigen Filme seiner Karrierehochphase sein, bei denen den meisten Cinephilen das Wasser im Munde zusammenläuft. Geschult an der naturalistischen Literatur des vorherigen Jahrhunderts erzählt Gance mit dem langen Atem eines Dickens oder Hugos Geschichten, die allein dadurch mit Bedeutung aufgeladen werden, weil ihre Umsetzung in jedweder Hinsicht episch ist: Episch ist ihre Laufzeit – niemals unter drei Stunden, am besten vier, sechs oder acht! -, episch ist der Aufwand, der für sie betrieben wurde – für J’ACCUSE zieht es Gance gar in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, und zwar noch während aktive Kampfhandlungen stattfinden, und verpflichtet Frontsoldaten als Statisten –, episch ist der Katalog an teilweise unerhörten Spezialeffekten und Filmtricks, die Gance für sie in Anschlag bringt oder gleich einfach erfindet: MG-Montagen, Überbelichtungen, Split-Screen-Sequenzen, konzipiert für mehrere parallel laufende Projektoren. Beseelt sind Gances drei Hauptwerke aber auch von einer gewissen Schizophrenie, die vor allem in NAPOLÈON besonders greifbar wird: Visuell-inszenatorisch wird diese Huldigung Bonapartes oft und gerne als Lexikon der damaligen Filmtechnik bezeichnet, derart dicht gesät sind die Innovationen und Subversionen, mit denen Gance sich gegen gängige Konventionen des Kommerzkinos sträubt. Von seinem Sujet her aber könnte NAPOLÉON kaum reaktionärer sein: Es ist, wie gesagt, eine ironisch ungebrochene Huldigung Bonapartes – und, wenn man diesen Film ernstnimmt, fast schon eine Apologie von Diktaturen.
NAPOLÉON wird Gance sein Leben lang begleiten. Immer wieder montiert er den Film neu, vertont ihn nachträglich, dreht zusätzliche Szenen, arbeitet an möglichen Fortsetzungen. Nebenbei ist er aber, nach dem Übergang vom stummen zum tönenden Film, weiterhin als Regisseur beschäftigt. In Werken wie UN GRAND AMOUR DE BEETHOVEN (1936), VÉNUS AVEUGLE (1941) oder LA CAPTAIN FRACASSE (1943) kann man die wohlüberlegte Experimentierfreude vergangener Tage jedoch höchstens noch in Spuren wiederzufinden. Allein Gances Schuld mag das nicht sein: Kolossal gescheitert ist er 1931 mit seinem FIN-DE-MONDE-Projekt, dem letzten, in dem er die kreative Oberleitung innehaben konnte. Danach dreht er Studiofilme fürs kommerzielle Verleihsystem Frankreichs, vorrangig Kostümschinken und Melodramen, die genau von dem Schlag sind, den die Nouvelle-Vague-Reformer als cinema de qualité abkanzelten. In Gances erstem Farbfilm, LA TOUR DE NESLE von 1955, jedenfalls mehr zu erkennen als einen steifen Kostümschinken mit gotischen Obertönen, das mag mir beim besten Willen nicht gelingen – da mag Francois Truffaut in den Cahiers, zu meinem Erstaunen!, noch so wohlwollend über den Film schreiben, und da mag auch noch so fett auf manchem zeitgenössischen Postern der Name Alexandre Dumas prangen, auf dessen gleichnamigen Erfolgsstück von 1832 der Film nämlich basiert.
Trotz zwei Stunden Laufzeit kann man die zumindest in Ansätzen auf historisch verbürgten Ereignissen fußende Handlung kurz und knapp zusammenschnüren, ohne Essentielles wegzulassen: Im (heute nicht mehr existenten) Tour de Nesle am Pariser Seineufer unterhält im 14. Jahrhundert die französische Königin Margaret mit ihren beiden Schwestern eine Art blaublütiges Bordell. Hübsche Jünglinge werden in das Gemäuer gelotst, dort ihres Samens erleichtert, und danach, damit ihre Verschwiegenheit gewahrt bleibt, von den Handlangern der modernen Nymphen vom Leben in den Tod befördert. Schon mehrere Leichname haben die Seineufer gesäumt, was selbstverständlich bereits zu genügend Klatsch und Tratsch geführt hat, dass man meinen könnte, die majestätischen Männermörderinnen würden etwas vorsichtiger agieren. Munter geht das Meucheln jedoch weiter – solange jedenfalls bis Jehan Burdian, ein früherer Geliebter Margaretes zu Zeiten, als sie noch nicht die Königskrone trug, es schafft, den Turm lebend zu verlassen, und sich, auch um den Treuebruch der frühen Angebeteten zu sühnen – (denn immerhin hat er in ihrem Auftrag ihren Vater getötet, um danach jedoch nicht zu ihrem Gatten ernannt, sondern ins Exil gejagt zu werden) –, an eine ausgefuchste Erpressungsaktion macht. Was weder Burdian noch Margarete ahnen: Die beiden Liebhaber, die sich die Königin zeitgleich hält, sind Söhne, die aus der früheren Liaison unseres tragischen Pärchens entsprungen sind, und die von beiden für totgehalten werden. Mit einem Mindestmaß an Phantasie kann man sich wohl schon ausmalen, auf welchen inzestuösen, bluttriefenden und intriganten Pfaden der Film in seinem Schlussakt entgegenwandelt…
Auch wenn – was mich dann doch nicht wenig überrascht hat! – in vereinzelten Szenen doch tatsächlich die eine oder andere entblößte Frauenbrust aufblitzt: Die exploitativen Verheißungen, die ein Verleihtitel wie DER TURM DER SÜNDIGEN FRAUEN in jedem von uns weckt, möchte Gance natürlich nicht im Ansatz erfüllen. Statt lasziven Intermezzi an der Schwelle zwischen Eros und Thanatos verliert sich der Film viel eher in ermüdenden Dialogszenen, denen man ihre Herkunft von Bühnenbrettern nur zu deutlich anmerkt, in kecken Sprüchen und Kneipenduellen wie aus einem x-beliebigen zeitgenössischen Mantel-&-Degen-Abenteuer und, nicht zuletzt, in zwar nett anzuschauenden Kulissen, die aber ebenso zu keinem Zeitpunkt verhehlen, dass die Kamera nur ein Stück zur Seite schwenken müsste, und wir würden sehen, dass sie in einem sterilen Studio hochgezogen worden sind. Da ich von einem Film, der mit Gances Namen wirbt, Mitte der 50er, was Kameraführung, Schnitt, Kadrage anbelangt, keine Höhensprünge mehr erwarte, hat es mich zudem nicht sonderlich enttäuscht, dass LA TOUR DE NESLE unmöglich zu unterscheiden ist von irgendeinem anderen biederen Prestigekino-Erzeugnis seiner Zeit. Wenn dann noch Pierre Brasseur als D’Artegnan für Arme seine Zeilen deklamiert, als müsse er am Hofe des Sonnenkönigs brillieren, und die zarten Anflüge von Spannung und Schauer, die der Film durchaus besitzt, unter dem Staub von Allonge-Perücken versinkt, dann kann ich, nach einem verzweifelten Aufstöhnen, eigentlich gar nicht anders, als mir nochmals die sechs Stunden LA ROUE reinzuziehen - einen Ratschlag, den ich hiermit erneut allen Mitlesenden an die Hand gebe...!