Private Collections - Borowczyk/Jaeckin/Terayama (1979)
Verfasst: Mo 18. Mai 2020, 22:26
Originaltitel: Collections privées
Produktionsland: Frankreich 1979
Regie: Just Jaeckin, Shuji Terayama, Walerian Borowczyk
Darsteller: Roland Blanche, Laura Gemser, Marie-Catherine Conti, Yves-Marie Maurin, Hiroshi Mikami
Was für eine brillante Idee des französischen Filmproduzenten Pierre Braunberger: Ein Portmanteau-Film, bestehend aus drei Episoden, in denen es, platt gesagt, um die vielen Facetten von Erotik und Sexualität gehen soll, eben ganz so wie in Walerian Borowczyks Triptychon LES HEROINS DU Mal, das Braunberger kurz zuvor produziert hat. Borowczyk ist deshalb schon einmal eine sichere Bank. Welche Regisseure aber für die anderen beiden Episoden buchen? Just Jaeckin liegt nahe, immerhin hat der sowohl mit EMMANUELLE wie auch mit der HISTOIRE D’O zwei der kommerziell erfolgreichsten Sexfilme der letzten Jahre vorgelegt. Ganz so nahe liegt der japanische Film-Avantgardist Shuji Terayama wiederum nicht, dessen Filme im Westen so gut wie kaum veröffentlicht worden sind. Möglicherweise wird er deshalb gebucht, weil ein anderer kontroverser Japaner, nämlich Nagisa Oshima, der kurz zuvor unter der Ägide von Anatole Daumont mit AI NO KIRDA einen großen (Skandal-)Erfolg verbuchen konnte, terminlich nicht greifbar ist? Versammelt, um ihre privaten Kollektionen sexueller Anekdoten zu öffnen, sind jedenfalls letztendlich: Ein polnischer Regisseur, der ursprünglich aus dem Experimentalfilm-Sektor kommt, und seinen Status als Kritikerliebling Anfang der 70er mit sich zunehmend nackten Körpern und devianten Sexualphantasien öffnenden Spielfilmen ruiniert; ein japanischer Regisseur, der mit eineinhalb Beinen noch immer tief im Experimentalfilm verwurzelt steht, da er bislang lediglich einen einzigen Spielfilm – eine Art Anti-ROCKY – veröffentlicht hat, den man guten Gewissens als massentauglich bezeichnen kann; ein französischer Modephotograph, der mit seinen Spielfilmen ab Mitte der 70er wie kaum ein Zweiter die weichzeichnerische Ästhetik eines zeigefreudigen, sich jedoch selbst durchaus als intellektuell bepinselnden Erotik-Kinos seiner Epoche geprägt hat.
Bei Just Jaeckin handelt es sich dann auch um dasjenige Mitglied unseres Regie-Trios, mit dessen Oeuvre ich am wenigsten vertraut bin. (Tatsächlich erinnere ich mich noch wesentlich deutlicher an seine unterhaltsam-überdrehte Comic-Adaption GWENDOLINE,- seine letzte Regiearbeit aus dem Jahre 1984, bevor er sich wieder hauptberuflich der Hochglanz-Modephotographie zuwandte, - statt an seine ungleich bekannteren und einflussreicheren Werke EMMANUELLE oder die HISTOIRE D’O, die ich vor einer halben Ewigkeit auf ARTE gesehen haben muss.) Nichtsdestotrotz bietet sein Beitrag L'ÎLE AUX SIRÈNES all die Ingredienzien, die ich mit seinem Namen automatisch verbunden hätte: Eine weichzeichnerische Ästhetik, bei der sich die schwelgerische Kamera mehr an nackter (Frauen-)Haut interessiert zeigt als daran, komplexen Plots hinterher zu hecheln. Was einem in L’ÎLE AUX SIRENES präsentiert wird, das ist im Grunde ein (mit Augenzwinkern vorgetragener) Neuaufguss klassischen Seemannsgarns: Ein namenloser Hobbysegler hält sich für den größten Kapitän aller Zeiten, weshalb er bei einem Ausflug mitten in Sturmgebiet weder die Warnungen auf der anderen Seite seines Funkgeräts ernstnimmt noch es für nötig hält, seine exakten Koordinaten durchzugeben, und seine Überheblichkeit bald dafür bezahlt, dass er beim Segelhissen von Bord gefegt wird, und am nächsten Morgen halbertrunken am Strand eines scheinbar verlassenen Eilands zu sich kommt. Erst versucht sich unser Robinson wider Willen auf eigene Faust durchzuschlagen, ernährt sich von Früchten, von denen manche ihn das Erbrechen lehren, hisst am Ufer eine Flagge, um etwaige vorbeikommende Schiffe auf sich aufmerksam zu machen, verliert fast den Verstand vor lauter Einsamkeit – bis er feststellen muss, dass er gar nicht allein auf seiner neuen Heimat ist: Denn eines Tages steht die bis auf einen Lendenschurz splitterfasernackte Laura Gemser vor ihm, um ihn in eine kleine Siedlung zu führen, wo noch drei weitere naiv wirkende, lediglich einer exotischen Sprache fähigen Damen im Evakostüm ihn sich fühlen lassen wie im Paradies auf Erden. Bald ist für unseren Helden jedwede Sehnsucht nach dem Festland getilgt: Selbst die SOS-Fahne hat er schnell verschwinden lassen, um weiter ungestört bei seinen Gespielinnen bleiben zu dürfen, die ihn hofieren wie einen Sultan, köstliche Speisen und zwangloser Sex inklusive. Allerdings keimt mit der Zeit dann doch ein schlimmer Verdacht in dem Gestrandeten: Weshalb nur sind die vier Frauen so sehr darauf bedacht, ihm permanent den Bauch vollzustopfen, sodass es manchmal gar den Anschein erweckt, sie legten es darauf an, ihn so schnell wie möglich so fett wie möglich werden zu lassen? Und wem hat bloß die Armbanduhr gehört, die er einmal im Unterholz unweit der Hütten findet? Die Pointe dürfte derart auf der Hand liegen, dass ich sie gar nicht explizit zu erwähnen brauche, - zumal Jaeckins Episode zielsicher, konsequent und ohne nennenswerte Schnörkel auf die erwartbaren Szenen zusteuern, in denen unser Held von Laura Gemser und ihren Schwestern durch den Dschungel gehetzt wird, als befänden wir uns in einem Remake von THE MOST DANGEROUS GAME mit umgekehrten Gender-Vorzeichen. L’ÎLE AUX SIRENES ist wirklich hübsch anzuschauen, (gerade für Augen, die sich gar nicht sattsehen können an Frau Gemser), bietet in seinen letzten Minuten überraschend explizite Splattereffekte, und folgt seiner (simplen) Dramaturgie geradlinig genug, dass der Unterhaltungsfaktor sehr hoch liegt. Ob es die eher fade Pointe nach der Pointe wirklich bedurft hätte, - (am Ende ist es eben doch alles nur ein Traum gewesen) -, lasse ich mal ebenso dahingestellt wie die Frage, ob denn Hauptdarsteller Roland Blanche seine Rolle nicht doch einen Tick zu komödiantisch, wenn nicht gar blödelnd angelegt hat. Sicher, mir ist klar, dass Jaeckin offenbar mit der Demontage von Männlichkeitsbildern spielen möchte, - aber dafür hätte es dann doch vielleicht nicht ganz so plakativer Obertöne bedurft. Wenig Kritik indes kann ich anbringen am sphärig-kosmischen Synthesizer-Score von Jaeckins Stammkomponist Pierre Bachelet, der gerade in Kombination mit den traumgleichen Tropenlandschaftsbildern eine ganz eigene (und eigenartige) Wirkung entfaltet.
Wirkt L’ÎLE AUX SIRENES, als sei diese Episode doch eher für den Massengeschmack zugeschnitten worden, kann man Shuji Terayamas Beitrag KUSA-MEIKYU an Sperrigkeit wohl kaum noch überbieten, - und das meine ich wohlgemerkt nicht bloß im Kontext von COLLECTIONS PRIVÉES, sondern vor allem auch auf der Folie von Terayamas größtenteils avantgardistisch geprägtem eigenem Oeuvre. Mit etwa vierzig Minuten ist KUSA-MEIKYU nicht nur die längste Episode der Sammlung, sondern auch die, die sich am vehementesten etablierten Sehgewohnheiten widersetzt. Hatte Jaeckins Kurzfilm sich durchaus noch zwar nicht selbstzweckhaft, aber genüsslich an den Anblicken seiner vier Frauenkörper geweidet, spielt weibliche Nacktheit bei Terayama eine höchstuntergeordnete Bedeutung, und beschränkt sich im Grunde auf zwei bizarre Sexszenen, (von denen die eine die Vergewaltigung eines jungen Mannes durch eine Prostituierte behandelt.) Besagter junger Mann, Akira, befindet sich auf einer eigenartigen Suche: Ein Lied aus Kindertagen, das ihm Mutter und Amme oft vorgesungen haben, will ihm nicht mehr aus dem Kopf. Problem ist nur: Er erinnert sich zwar an die Melodie, doch der Text mag ihm beim besten Willen nicht mehr einfallen. KUSA-MEIKYU begleitet den Protagonisten nunmehr bei seinen Versuchen, Menschen zu finden, die die Melodie mit lyrischem Inhalt füllen könnten: Er befragt die eigene Mutter, die Mädchen eines Freudenhauses, selbst ein Priester wird konsultiert. Dabei erzählt Terayama indes freilich nicht linear, sondern wechselt munter Zeit und Raum, springt in Rückblenden, die selten als solche gekennzeichnet sind, vermengt das Ganze mit surrealen Traumsequenzen und Phantasmagorien, in denen unser Held beispielweise die eigenen Eltern beim Selbstmord im Meer beäugt oder sich selbst inmitten der Wüste umringt von spielenden Kinder imaginiert, und verliert sich zu guter Letzt auch noch in einer metareflexiven Performance-Aufführung, die schön Terayamas eigene Verwurzelung im japanischen Experimentaltheater zeigt: Bizarre, weißgeschminkte Gestalten kommentieren scheinbar die zurückliegende Handlung auf hysterischste Weise und tanzen dabei wie von Sinnen um den abgeschlagenen Kopf der Mutter herum. Etliche technisch-ästhetische Trademarks und Kernthemen aus Terayamas (nicht nur kinematographischem) Werk sind hier gebündelt, weswegen ich, der ich von diesem wahren Ikonoklasten zumindest sämtliche Hauptwerke gesehen habe, KUSA-MEIKYU durchaus als ein Kondensat bezeichnen würde, in dem all das, was Terayamas Bildsprache auszeichnet, auf engstem Raum gebündelt ist: Farbfilter; wildeste Kamerawinkel; eine Montage, die auf Raum-Zeit-Kontinuität wenig Wert legt; Szenen, in denen sich künstliche Interieurs plötzlich hin zu naturalistischen Kulissen öffnen, (beispielweise wenn Theaterwände zusammenkrachen und dahinter wunderschöne Strand- oder Wiesenlandschaften entblößen); die Figur einer Über-Mutter, die wahlweise mordet oder gemordet werden muss; Durchbrechungen der vierten Wand, wenn die erwähnte Theatergruppe die Kameralinse (und damit ihr eigenes Publikum) verlacht; nicht zuletzt bezaubernd-verstörende Einfälle wie die, dass Akiras Mutter ihren Sohn, um ihn vor dem Zugriff einer nymphomanischen Dirne zu schützen, an einen Baum fesselt und über und über mit magischen Schriftrollen bedeckt; dazu ein betörend zwischen fernöstlicher Folklore und Klangkunst pendelnder Soundtrack von Terayamas Hauptkomponist J.A. Seazer. Selbst für jemanden, der mit Terayama auf halbwegs vertrautem Fuß steht, dürfte KUSA-MEIKYU noch einmal eine besondere, aber dabei auch besonders berauschende Erfahrung darstellen. Dass Terayamas derart demonstrativ non-narratives Drehbuch auf einem Roman des japanischen Schriftstellers Kyoka Izumi (1873 – 1939) basieren soll, reizt mich regelrecht, dort ebenfalls einmal einen Blick hineinzuwerfen.
Gewissermaßen die Balance zwischen der konventionellen Narration Jaeckins und den ungestümen Eskapaden Terayamas hält das Segment L’ARMOIRE von Walerian Borowczyk, einem Regisseur, mit dem ich auf vertrautem Fuß stehe wie mit sonst wenigen seiner Zunft. Wie so oft adaptiert der Wahlfranzose einen klassischen literarischen Text, in diesem Fall eine Kurzgeschichte des französischen Schriftstellers Guy de Maupassant (1850 - 1893), (dessen ROSALIE ihn übrigens bereits 1966 zu einem gleichnamigen Kurzfilm inspiriert hat.) Ein Fin-de-Siècle-Dandy wird vom Weltüberdruss auf die nächtlichen Straße getrieben, da er, wie er uns aus dem Off verrät, ernsthafte Sorge trägt, Hand an sich zu legen, würde er allein in seinem Appartement verbleiben. Zerstreuung sucht der junge Mann zunächst im rauschhaften, leichtfüßigen, übersexualisierten Leben der Pariser Vergnügungsviertel, und schließlich in den Armen einer Prostituierten, die weit hinter den Bühnen der erotischen Varietés ein ärmliches Zimmerchen gemietet hat. Zwar kommt es zum (sehr zurückhaltend gefilmten) Sex zwischen den Beiden, anschließend aber verbringen sie noch die halbe Nacht plaudernd in einem immer offenherziger werdenden Gespräch, bei dem beispielweise die Freudendame ihrem Freier die Geschichte ihres allerersten Mals erzählt, und Borowczyks Kamera vor allem die Gelegenheit zu einem ihrer bekannten Streifzüge über historische Garderoben, Einrichtungsgegenstände, Gemälde und Körperpartien nutzt, so, als solle die Objektwelt ein eigenständiges Leben eingehaucht werden, das dem der vermeintlich im Vordergrund stehenden Protagonisten mindestens gleichwertig gegenübersteht. Besonders angetan hat es dem Objektfetischisten Borowczyk ein Schrank, aus dem unser Dandy zunehmend verdächtige Geräusche hört: Sollte sich da etwa ein zweiter Freier oder gar der eigentliche Liebhaber der Dirne versteckt halten? Wie sich herausstellt, ist es zwar tatsächlich ein Mann, der seit Stunden in der Finsternis und Enge des Schranks verharrt, jedoch kein ausgewachsener, sondern vielmehr der kleine Sohn der Prostituierten. Unter Tränen rechtfertigt sie sich: Sie könne sich kein zweites Zimmer leisten, deshalb müsse ihr Bub, wenn sie Kunden empfange, eben in sein Versteck. Nachdem der Dandy seine Frau für eine Nacht entlöhnt hat, stürzt er sich wieder in das burleske Getümmel des Cabarets, wo der frivole Score Carlo Rustichellis einen starken Kontrast zu der melancholischen Grundstimmung dieses Segment setzt. L’ARMOIRE ist, ähnlich wie auch KUSA-MEIKYU und L’ÎLE DES SIRENES, eine Kapsel, die die poetologische Essenz seines Schöpfers ziemlich perfekt einfängt. Jedem, der Borowczyk gerne reduziert auf ein zwar hübsch ausgestattetes, aber doch primär auf seine Schauwerte fixiertes und deshalb inhaltlich leerlaufendes Erotik-Kino, sollte L’ARMOIRE als Antidot verabreicht werden: So ziemlich alles in diesem Kurzfilm stiehlt etwaigen erotischen Spektakeln nämlich die Schau, angefangen von der dekadenten Fin-de-Siécle-Atmosphäre über den reichhaltigen Fundus an Kostümen, Objekten, Möbeln bis hin zu dem sehr stillen, sehr unaufgeregten, (mancher möchte sagen: sterbenslangweiligen), zwischenmenschlichen Drama, das subtil einen großen Themenkomplex an Käuflichkeit und Verkäuflichkeit von Liebe, Kapitalismus und Körper und Geschlechterbeziehungen anstößt, ohne sich dabei in Penetranz und Plakativität zu verrennen. Auch L'ARMOIRE befleißigt sich einer Weichzeichner-Ästhetik, die mich jedoch im Gegensatz zu derjenigen Jaeckins, deren trübe Schleier mich eher an Lippgloss denken lassen, vielmehr an impressionistisch angehauchte Malerei aus genau jener Epoche erinnert, in der das Segment angesiedelt ist.
Dass COLLECTIONS PRIVÉES seit jeher vermarktet wird als Sex-Spektakel - (die DVD-Fassung von Donau Film tönt gar mit "Legenden der Lust", während auf dem Cover natürlich Zugpferd Gemser prangt) -, wird den drei Episoden weder gerecht noch trifft es ihren jeweiligen Kern auch nur annähernd, - denn, einmal mehr: Die Taschentücher werden während der Sichtung dann doch eher vergeblich auf ihre Füllung warten müssen. Stattdessen stellt COLLECTIONS PRIVÉES eine vergleichsweise zugängliche Möglichkeit dar, sich mit den Poetiken gleich dreier interessanter, wenn nicht gar begnadeter 70er-Regisseure vertraut zu machen, - und von dieser Basis aus bei Bedarf weiterführende Spaziergänge durch ihre höchst unterschiedlichen Werke zu unternehmen.
Bei Just Jaeckin handelt es sich dann auch um dasjenige Mitglied unseres Regie-Trios, mit dessen Oeuvre ich am wenigsten vertraut bin. (Tatsächlich erinnere ich mich noch wesentlich deutlicher an seine unterhaltsam-überdrehte Comic-Adaption GWENDOLINE,- seine letzte Regiearbeit aus dem Jahre 1984, bevor er sich wieder hauptberuflich der Hochglanz-Modephotographie zuwandte, - statt an seine ungleich bekannteren und einflussreicheren Werke EMMANUELLE oder die HISTOIRE D’O, die ich vor einer halben Ewigkeit auf ARTE gesehen haben muss.) Nichtsdestotrotz bietet sein Beitrag L'ÎLE AUX SIRÈNES all die Ingredienzien, die ich mit seinem Namen automatisch verbunden hätte: Eine weichzeichnerische Ästhetik, bei der sich die schwelgerische Kamera mehr an nackter (Frauen-)Haut interessiert zeigt als daran, komplexen Plots hinterher zu hecheln. Was einem in L’ÎLE AUX SIRENES präsentiert wird, das ist im Grunde ein (mit Augenzwinkern vorgetragener) Neuaufguss klassischen Seemannsgarns: Ein namenloser Hobbysegler hält sich für den größten Kapitän aller Zeiten, weshalb er bei einem Ausflug mitten in Sturmgebiet weder die Warnungen auf der anderen Seite seines Funkgeräts ernstnimmt noch es für nötig hält, seine exakten Koordinaten durchzugeben, und seine Überheblichkeit bald dafür bezahlt, dass er beim Segelhissen von Bord gefegt wird, und am nächsten Morgen halbertrunken am Strand eines scheinbar verlassenen Eilands zu sich kommt. Erst versucht sich unser Robinson wider Willen auf eigene Faust durchzuschlagen, ernährt sich von Früchten, von denen manche ihn das Erbrechen lehren, hisst am Ufer eine Flagge, um etwaige vorbeikommende Schiffe auf sich aufmerksam zu machen, verliert fast den Verstand vor lauter Einsamkeit – bis er feststellen muss, dass er gar nicht allein auf seiner neuen Heimat ist: Denn eines Tages steht die bis auf einen Lendenschurz splitterfasernackte Laura Gemser vor ihm, um ihn in eine kleine Siedlung zu führen, wo noch drei weitere naiv wirkende, lediglich einer exotischen Sprache fähigen Damen im Evakostüm ihn sich fühlen lassen wie im Paradies auf Erden. Bald ist für unseren Helden jedwede Sehnsucht nach dem Festland getilgt: Selbst die SOS-Fahne hat er schnell verschwinden lassen, um weiter ungestört bei seinen Gespielinnen bleiben zu dürfen, die ihn hofieren wie einen Sultan, köstliche Speisen und zwangloser Sex inklusive. Allerdings keimt mit der Zeit dann doch ein schlimmer Verdacht in dem Gestrandeten: Weshalb nur sind die vier Frauen so sehr darauf bedacht, ihm permanent den Bauch vollzustopfen, sodass es manchmal gar den Anschein erweckt, sie legten es darauf an, ihn so schnell wie möglich so fett wie möglich werden zu lassen? Und wem hat bloß die Armbanduhr gehört, die er einmal im Unterholz unweit der Hütten findet? Die Pointe dürfte derart auf der Hand liegen, dass ich sie gar nicht explizit zu erwähnen brauche, - zumal Jaeckins Episode zielsicher, konsequent und ohne nennenswerte Schnörkel auf die erwartbaren Szenen zusteuern, in denen unser Held von Laura Gemser und ihren Schwestern durch den Dschungel gehetzt wird, als befänden wir uns in einem Remake von THE MOST DANGEROUS GAME mit umgekehrten Gender-Vorzeichen. L’ÎLE AUX SIRENES ist wirklich hübsch anzuschauen, (gerade für Augen, die sich gar nicht sattsehen können an Frau Gemser), bietet in seinen letzten Minuten überraschend explizite Splattereffekte, und folgt seiner (simplen) Dramaturgie geradlinig genug, dass der Unterhaltungsfaktor sehr hoch liegt. Ob es die eher fade Pointe nach der Pointe wirklich bedurft hätte, - (am Ende ist es eben doch alles nur ein Traum gewesen) -, lasse ich mal ebenso dahingestellt wie die Frage, ob denn Hauptdarsteller Roland Blanche seine Rolle nicht doch einen Tick zu komödiantisch, wenn nicht gar blödelnd angelegt hat. Sicher, mir ist klar, dass Jaeckin offenbar mit der Demontage von Männlichkeitsbildern spielen möchte, - aber dafür hätte es dann doch vielleicht nicht ganz so plakativer Obertöne bedurft. Wenig Kritik indes kann ich anbringen am sphärig-kosmischen Synthesizer-Score von Jaeckins Stammkomponist Pierre Bachelet, der gerade in Kombination mit den traumgleichen Tropenlandschaftsbildern eine ganz eigene (und eigenartige) Wirkung entfaltet.
Wirkt L’ÎLE AUX SIRENES, als sei diese Episode doch eher für den Massengeschmack zugeschnitten worden, kann man Shuji Terayamas Beitrag KUSA-MEIKYU an Sperrigkeit wohl kaum noch überbieten, - und das meine ich wohlgemerkt nicht bloß im Kontext von COLLECTIONS PRIVÉES, sondern vor allem auch auf der Folie von Terayamas größtenteils avantgardistisch geprägtem eigenem Oeuvre. Mit etwa vierzig Minuten ist KUSA-MEIKYU nicht nur die längste Episode der Sammlung, sondern auch die, die sich am vehementesten etablierten Sehgewohnheiten widersetzt. Hatte Jaeckins Kurzfilm sich durchaus noch zwar nicht selbstzweckhaft, aber genüsslich an den Anblicken seiner vier Frauenkörper geweidet, spielt weibliche Nacktheit bei Terayama eine höchstuntergeordnete Bedeutung, und beschränkt sich im Grunde auf zwei bizarre Sexszenen, (von denen die eine die Vergewaltigung eines jungen Mannes durch eine Prostituierte behandelt.) Besagter junger Mann, Akira, befindet sich auf einer eigenartigen Suche: Ein Lied aus Kindertagen, das ihm Mutter und Amme oft vorgesungen haben, will ihm nicht mehr aus dem Kopf. Problem ist nur: Er erinnert sich zwar an die Melodie, doch der Text mag ihm beim besten Willen nicht mehr einfallen. KUSA-MEIKYU begleitet den Protagonisten nunmehr bei seinen Versuchen, Menschen zu finden, die die Melodie mit lyrischem Inhalt füllen könnten: Er befragt die eigene Mutter, die Mädchen eines Freudenhauses, selbst ein Priester wird konsultiert. Dabei erzählt Terayama indes freilich nicht linear, sondern wechselt munter Zeit und Raum, springt in Rückblenden, die selten als solche gekennzeichnet sind, vermengt das Ganze mit surrealen Traumsequenzen und Phantasmagorien, in denen unser Held beispielweise die eigenen Eltern beim Selbstmord im Meer beäugt oder sich selbst inmitten der Wüste umringt von spielenden Kinder imaginiert, und verliert sich zu guter Letzt auch noch in einer metareflexiven Performance-Aufführung, die schön Terayamas eigene Verwurzelung im japanischen Experimentaltheater zeigt: Bizarre, weißgeschminkte Gestalten kommentieren scheinbar die zurückliegende Handlung auf hysterischste Weise und tanzen dabei wie von Sinnen um den abgeschlagenen Kopf der Mutter herum. Etliche technisch-ästhetische Trademarks und Kernthemen aus Terayamas (nicht nur kinematographischem) Werk sind hier gebündelt, weswegen ich, der ich von diesem wahren Ikonoklasten zumindest sämtliche Hauptwerke gesehen habe, KUSA-MEIKYU durchaus als ein Kondensat bezeichnen würde, in dem all das, was Terayamas Bildsprache auszeichnet, auf engstem Raum gebündelt ist: Farbfilter; wildeste Kamerawinkel; eine Montage, die auf Raum-Zeit-Kontinuität wenig Wert legt; Szenen, in denen sich künstliche Interieurs plötzlich hin zu naturalistischen Kulissen öffnen, (beispielweise wenn Theaterwände zusammenkrachen und dahinter wunderschöne Strand- oder Wiesenlandschaften entblößen); die Figur einer Über-Mutter, die wahlweise mordet oder gemordet werden muss; Durchbrechungen der vierten Wand, wenn die erwähnte Theatergruppe die Kameralinse (und damit ihr eigenes Publikum) verlacht; nicht zuletzt bezaubernd-verstörende Einfälle wie die, dass Akiras Mutter ihren Sohn, um ihn vor dem Zugriff einer nymphomanischen Dirne zu schützen, an einen Baum fesselt und über und über mit magischen Schriftrollen bedeckt; dazu ein betörend zwischen fernöstlicher Folklore und Klangkunst pendelnder Soundtrack von Terayamas Hauptkomponist J.A. Seazer. Selbst für jemanden, der mit Terayama auf halbwegs vertrautem Fuß steht, dürfte KUSA-MEIKYU noch einmal eine besondere, aber dabei auch besonders berauschende Erfahrung darstellen. Dass Terayamas derart demonstrativ non-narratives Drehbuch auf einem Roman des japanischen Schriftstellers Kyoka Izumi (1873 – 1939) basieren soll, reizt mich regelrecht, dort ebenfalls einmal einen Blick hineinzuwerfen.
Gewissermaßen die Balance zwischen der konventionellen Narration Jaeckins und den ungestümen Eskapaden Terayamas hält das Segment L’ARMOIRE von Walerian Borowczyk, einem Regisseur, mit dem ich auf vertrautem Fuß stehe wie mit sonst wenigen seiner Zunft. Wie so oft adaptiert der Wahlfranzose einen klassischen literarischen Text, in diesem Fall eine Kurzgeschichte des französischen Schriftstellers Guy de Maupassant (1850 - 1893), (dessen ROSALIE ihn übrigens bereits 1966 zu einem gleichnamigen Kurzfilm inspiriert hat.) Ein Fin-de-Siècle-Dandy wird vom Weltüberdruss auf die nächtlichen Straße getrieben, da er, wie er uns aus dem Off verrät, ernsthafte Sorge trägt, Hand an sich zu legen, würde er allein in seinem Appartement verbleiben. Zerstreuung sucht der junge Mann zunächst im rauschhaften, leichtfüßigen, übersexualisierten Leben der Pariser Vergnügungsviertel, und schließlich in den Armen einer Prostituierten, die weit hinter den Bühnen der erotischen Varietés ein ärmliches Zimmerchen gemietet hat. Zwar kommt es zum (sehr zurückhaltend gefilmten) Sex zwischen den Beiden, anschließend aber verbringen sie noch die halbe Nacht plaudernd in einem immer offenherziger werdenden Gespräch, bei dem beispielweise die Freudendame ihrem Freier die Geschichte ihres allerersten Mals erzählt, und Borowczyks Kamera vor allem die Gelegenheit zu einem ihrer bekannten Streifzüge über historische Garderoben, Einrichtungsgegenstände, Gemälde und Körperpartien nutzt, so, als solle die Objektwelt ein eigenständiges Leben eingehaucht werden, das dem der vermeintlich im Vordergrund stehenden Protagonisten mindestens gleichwertig gegenübersteht. Besonders angetan hat es dem Objektfetischisten Borowczyk ein Schrank, aus dem unser Dandy zunehmend verdächtige Geräusche hört: Sollte sich da etwa ein zweiter Freier oder gar der eigentliche Liebhaber der Dirne versteckt halten? Wie sich herausstellt, ist es zwar tatsächlich ein Mann, der seit Stunden in der Finsternis und Enge des Schranks verharrt, jedoch kein ausgewachsener, sondern vielmehr der kleine Sohn der Prostituierten. Unter Tränen rechtfertigt sie sich: Sie könne sich kein zweites Zimmer leisten, deshalb müsse ihr Bub, wenn sie Kunden empfange, eben in sein Versteck. Nachdem der Dandy seine Frau für eine Nacht entlöhnt hat, stürzt er sich wieder in das burleske Getümmel des Cabarets, wo der frivole Score Carlo Rustichellis einen starken Kontrast zu der melancholischen Grundstimmung dieses Segment setzt. L’ARMOIRE ist, ähnlich wie auch KUSA-MEIKYU und L’ÎLE DES SIRENES, eine Kapsel, die die poetologische Essenz seines Schöpfers ziemlich perfekt einfängt. Jedem, der Borowczyk gerne reduziert auf ein zwar hübsch ausgestattetes, aber doch primär auf seine Schauwerte fixiertes und deshalb inhaltlich leerlaufendes Erotik-Kino, sollte L’ARMOIRE als Antidot verabreicht werden: So ziemlich alles in diesem Kurzfilm stiehlt etwaigen erotischen Spektakeln nämlich die Schau, angefangen von der dekadenten Fin-de-Siécle-Atmosphäre über den reichhaltigen Fundus an Kostümen, Objekten, Möbeln bis hin zu dem sehr stillen, sehr unaufgeregten, (mancher möchte sagen: sterbenslangweiligen), zwischenmenschlichen Drama, das subtil einen großen Themenkomplex an Käuflichkeit und Verkäuflichkeit von Liebe, Kapitalismus und Körper und Geschlechterbeziehungen anstößt, ohne sich dabei in Penetranz und Plakativität zu verrennen. Auch L'ARMOIRE befleißigt sich einer Weichzeichner-Ästhetik, die mich jedoch im Gegensatz zu derjenigen Jaeckins, deren trübe Schleier mich eher an Lippgloss denken lassen, vielmehr an impressionistisch angehauchte Malerei aus genau jener Epoche erinnert, in der das Segment angesiedelt ist.
Dass COLLECTIONS PRIVÉES seit jeher vermarktet wird als Sex-Spektakel - (die DVD-Fassung von Donau Film tönt gar mit "Legenden der Lust", während auf dem Cover natürlich Zugpferd Gemser prangt) -, wird den drei Episoden weder gerecht noch trifft es ihren jeweiligen Kern auch nur annähernd, - denn, einmal mehr: Die Taschentücher werden während der Sichtung dann doch eher vergeblich auf ihre Füllung warten müssen. Stattdessen stellt COLLECTIONS PRIVÉES eine vergleichsweise zugängliche Möglichkeit dar, sich mit den Poetiken gleich dreier interessanter, wenn nicht gar begnadeter 70er-Regisseure vertraut zu machen, - und von dieser Basis aus bei Bedarf weiterführende Spaziergänge durch ihre höchst unterschiedlichen Werke zu unternehmen.