Der Letzte der Gladiatoren - Umberto Lenzi (1964)
Verfasst: Do 5. Nov 2020, 09:53
Produktionsland: Italien 1964
Regie: Umberto Lenzi
Darsteller: Richard Harrison, Lisa Gastoni, Marilù Tolo, Philippe Hersent, Livio Lorenzon, Jean Claudio, Lidia Alfonsi, Gianni Solaro
Abt.: Filmvorschläge fürs Forentreffen
Kaum ein Genre, dem Umberto Lenz in seiner von den späten 50ern bis in die mittleren 90er dauernden Laufbahn als Regisseur nicht mindestens eine Stippvisite abgestattet hätte: Polizeifilme, Kannibalenfilme, Piratenfilme, Geisterhausfilme, Zombiefilme, Robin-Hood-Filme, Western, Gialli, Klamaukkomödien – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, und tatsächlich muss man schon ein bisschen wühlen, um Filoni zutage zu fördern, an denen sich dieser ungemein produktive Filmemacher in seinen weit über sechzig Werken nicht versucht hat. Dass Lenzi jemals einen Nonnen-Sexfilm gedreht hat, ist mir beispielweise nicht bekannt. Auch einen Vampirfilm dürfte er nicht auf dem Kerbholz zu haben. Und auch bei der Ende der 70er nach Tinto Brass‘ Skandalepos CALIGOLA einsetzenden Welle an Caligula-Exploitation, sprich, Sandalenfilmen, die sich in expliziter Gewalt und Sex suhlen, glänzt Lenzi mit vornehmer Zurückhaltung. Doch, Moment: Einen Caligula-Film hat er doch gedreht, und zwar einen der ersten seiner Art. L’ULTIMO GLADIATORE von 1964 nämlich, einen Streifen, in dem der schottische Schauspieler Charles Borromel zumindest im ersten Drittel in kleinem Rahmen bereits die Exzesse vorexerzieren darf, die Malcolm McDowell und David Brandon fünfzehn bis zwanzig Jahre später unter der Leitung von Brass oder Joe D’Amato veranstalten werden. Dabei wirkt Borromels Figur aber primär inspiriert von Peter Ustinovs Darstellung des verrückten Kaiser Nero im Hollywood-Blockbuster QUO VADIS?, und bildet damit ein interessantes Bindeglied zwischen den seriös auftretenden, oft mit christlichen Obertönen orchestrierten Monumentalfilmen US-amerikanischer Provenienz und den ungleich billigeren, trashigeren Peplums, die Cinecittà seit den späten 50ern fließbandartig hervorbringt. Borromels Caligula gackert wie ein Irrer, wenn er seinen Untergebenen das Geschenk von einunddreißig Peitschenhieben macht; stets ist er von einem Hofzwerg umgeben, den er wahlweise zur Zielscheibe seines Spotts macht oder sich an ihm ergötzt wie an einem possierlichen Haustier; dass ihn Senat und Prätorianer allein aufgrund der Tatsache, dass er seinen Hengst Incitatus in den Senatorenstand erhebt, für einen Geisteskranken halten, kümmert den sich für einen Gott haltenden Imperator genauso wenig wie, dass die erhofften kriegerischen Konflikte der römischen Armee in Großbritannien ausbleiben und reihenweise Legionen als Kanonenfutter auf den fremdländischen Schlachtfeldern verbleiben. Besonders in zwei Szenen kommt Caligulas Ambivalenz zwischen Boshaftigkeit und Furcht eines verzogenen Kindes besonders schön zum Ausdruck: Einmal hält er einen Maskenball ab, der dadurch gestört wird, dass eine Gruppe in Gefangenschaft geratener germanischer Krieger der erfolgreiche Ausbruch gelungen ist – der Kaiser zieht eine Schnute, als sei ihm sein Lieblingsspielzeug kaputtgegangen. Ein anderes Mal erfreut er sich am Anblick derselben germanischen Krieger, die vor ihrem erfolgreichen Ausbruch zwangsweise in Gladiatorenkämpfen der kaiserlichen Arena verheizt werden sollen, - doch Glaucus, einer der Germanen, bewirft ihn mit einem Speer, der die imperatorische Brust nur knapp verfehlt und im Holz seines Throns steckenbleibt, worauf Caligula vor lauter Panik erst eine Kreischattacke erleidet, und dann kurzerhand ohnmächtig wird.
Glaucus ist nomineller Held vorliegenden Spektakels: Richard Harrison als muskelbewehrter, edelmütiger Brite, der im Grunde nichts weiter möchte, als dass sich die römischen Heere aus seiner Inselheimat zurückziehen, wo er gerne mit seiner Liebsten Ena ein Leben in Ruhe und Frieden führen würde. Wie gesagt ist er aber leider unter die Fittiche Caligulas geraten, während Ena wiederum das Schicksal ereilt, dass sie Messalina als Sklavin zugeteilt werden soll. Diese Messalina, in vorliegendem Film unterkühlt verkörpert von Lisa Gastoni, ist eine weitere mythische Gestalt aus der frühen Kaiserzeit Roms, die Ehefrau von Claudius, Caligulas Onkel, den Politik und Macht kein bisschen interessiert, und der lieber seine Nase in philosophische Traktate steckt, statt auch nur einen Gedanken an die Staatsgeschäfte zu verschwenden. In der zeitgenössischen Geschichtsschreibung fällt Messalina dann mehrheitlich die Rolle des machtgeilen, nymphomanen Luders zu, das sich angeblich durch zahllose Betten, angefangen von der Schlafstatt einfacher Soldaten bis hin zu altehrwürdigen Senatoren, gevögelt haben soll. Natürlich hat Messalina Claudius auch nur geehelicht, um dichter am Kaiserthron zu siedeln, den sie als erste Frau zu ersteigen erhofft. Und dafür ist ihr jedes Mittel Recht: Zum Beispiel das, gemeinsam mit der Prätorianergarde eine Intrige zu schmiegen, die ihren Gatten an die Spitze des römischen Reichs spülen soll. Es kommt, wie es uns unsere Geschichtsbücher gelehrt haben: Eines Tages wird Caligula abgestochen wie ein Schwein, worauf die Kaiserkrone seinem nächsten Verwandten Claudius zufällt. Damit gibt sich Messalina aber noch immer nicht zufrieden, - zumal die Wahl des sichtlich unfähigen und auch überhaupt nicht vom Regieren begeisterten Claudius nicht auf einhellige Zustimmung bei den Senatoren stößt, die vermuten, dass Messalina allmählich dazu übergehen wird, selbst die Zügel des Reichs in die Hände zu bekommen. Als persönlichen Leibwächter guckt sich unsere Antagonistin nunmehr Glaucus aus: Dessen Bärenstärke soll sie nicht nur gegen etwaige Mordanschläge schützen, sondern ihr außerdem helfen, ihre politischen Feinde aus dem Weg zu räumen. Um Glaucus, für den Messalina durchaus eine gewisse erotische Faszination hegt, gefügig zu machen, hat sie freilich das beste Druckmittel in ihrem Besitz: Sollte der inzwischen entflohene Germane, der sich mit anderen ehemaligen Gladiatoren zur Guerillamiliz vereinigt hat, auf Messalinas Angebot nicht eingehen, wird eben seine Geliebte Ena einen Kopf kürzer gemacht…
Meiner kursorischen Inhaltsangabe ist es bereits anzuhören: Bei L’ULTIMO GLADIATORE handelt es sich weniger um einen mythologischen Peplum, der von den phantastischen Abenteuern eines Maciste oder Ursus berichtet, sondern um einen Peplum, dessen Basis historisch verbürgte Ereignisse bilden. Auch wenn die US-amerikanische Synchronfassung behauptet, Glaucus sei der biologische Sohn des Herkules: Unser Held ist ein mehr oder minder handelsüblicher Soldat aus den Reihen der sogenannten Barbaren jenseits des Limes – und nimmt sowieso den Großteil der Laufzeit eine etwas breitere Nebenrolle ein. Tatsächlich wirkt der gesamte Plot um Muskelmann Glaucus und seine Verlobte Ena dem Film auf irritierende Weise angeheftet oder übergestülpt: Im Mittelpunkt stehen vielmehr relativ detailreiche Beobachtungen von Machtverfall, von Ränkeschmieden am Kaiserhof, von Korruption und Korrumption, davon, wie sich sowohl Caligula als auch Messalina dadurch zugrunde richten, dass sie nach immer unerschwinglicheren Himmelskörpern greifen. Zum einen bedeutet das: Nach Jahrmarktskino schmeckt in Lenzis handwerklich routiniert inszenierten Frühwerk wenig; dafür wird eine semi-seriöse Fassade aufrechterhalten, die einem wohl gerne vorgaukeln möchte, bei L’ULTIMO GLADIATORE habe man es mit einer glaubwürdigen Geschichtsstunde in bewegten Bildern zu tun. Nennenswerte Schauwerte sucht man vergebens, - weshalb im Finale unvermittelt der Schauplatz Rom verlassen wird und eine Schlacht zwischen Angelsachsen und Römern irgendwo auf der britischen Insel reichlich plotfremd dazu herhält, wenigstens ein bisschen auf die Pauke zu hauen; erotische Spannung ist ebenfalls auf ein Minimalmaß reduziert -, weil Glaucus‘ Liebste Ena wirkt wie ein Heimchen am Herd, und weil das sadomasochistische Knistern zwischen Glaucus und Messalina zwar angedeutet, jedoch nie dramaturgisch gewinnbringend ausformuliert wird; für nennenswerte Momente des Kopfschüttelns und des Kieferklapperns sind wir sowieso im falschen Film, - wenn auch natürlich die Handvoll Auftritte von Caligula für jeden, der solche Filme wie Bruno Matteis CALIGOLA E MESSALINA oder D'Amatos CALIGOLA: LA STORIA MAI RACCONTATA genauso mag ich wie, einen kleinen Festschmaus darstellen dürften.
Alles in allem ist mir L’ULTIMO GLADIATORE dann aber doch zu steif, zu ernst, zu wenig durchdrungen von Geisterbahn-Hokuspokus, von Plastikschlangen oder Statisten in Affenkostümen, von Hünen, die Pappmachefelsen durch die Gegend schmeißen, als dass ich Umberto Lenzis ersten und einzigen Ausflug in die Gefilde der Caligula-Exploitation weder besonders wichtig für die italienische Filmgeschichte noch für das Oeuvre seines Regisseurs halten würde, - einmal abgesehen davon, dass hier zu einem der ersten Male Caligula und Messalina sich die Leinwand teilen.