Luminous procuress
Luminous procuress
USA 1971
Regie: Steven Arnold
Pandora, Steve Solberg, Ronald Farrell, Doro Franco, Ruth Weiss, The Cockettes

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OFDB
Wie beschreibt man den Inhalt eines Films, der keinen Inhalt hat? Zwei junge Männer gehen in ein Haus, erhalten von der Hausherrin offensichtlich die Erlaubnis, sich das Haus anschauen zu dürfen, und betreten dann, geführt von eben der Hausherrin, eine andere Welt. Sie sehen Liebe und Lust, sie sehen fröhliche und sinnliche Menschen beider Geschlechter, die ihr Leben nicht mit Hass und Krieg vertrödeln, sondern sich der gegenseitigen Liebe und der Freude zugewandt haben. Die essen, Feste feiern, miteinander reden, lachen, Sex haben …
Wie ordnet man einen Film ein, der sich jeglicher Einordnung entzieht? 1971 war der Traum vom unbeschwerten Hippieleben vorbei, und in den Straßen der Städte hielt längst die Realität in Form von Gewalt und Drogenabhängkeit Einzug. Mit Blumen im Haar nach San Francisco trampen? Liebe und Frieden? Miteinander statt gegeneinander? Vielleicht war es in San Francisco noch ein wenig anders, vielleicht hielt sich in der dortigen Wärme und entspannten Atmosphäre die Freude am Leben und an der Lust länger als anderswo. 1969 wurde, im „traditionellen“ Hippie-Viertel Ashbury Heights, die Theatergruppe THE COCKETTES gegründet, die sich auf die Traditionen aus Stummfilm, klassischem Hollywoodfilm und Broadway-Musicals genauo bezog wie auf Kunstrichtungen wie Surrealismus und Kubismus. Die Cockettes waren letzten Endes ein nicht-kommerzielles Künstlerkollektiv,
genius hippie drag queens, pretty girls and babies all covered in glitter, wie es die Künstlerin Esmeralda ausdrückt (1).
Doch wie nähert man sich als heterosexueller Mann im 21. Jahrhundert einer queeren Künstlergruppe aus dem 20. Jahrhundert an? Und deren Präsentation? LUMINOUS PROCURESS schildert letzten Endes nichts anders als die Reise zweier junger Männer (und des geneigten Zuschauers) in die Welt von dem, was heute vereinfachend Queerness genannt wird: Die (sexuelle) Selbstbestimmung eines Menschen, unabhängig von auferlegten Erwartungen oder gesellschaftlichen Vorgaben, immer unter der Einhaltung des grundlegenden Gebots, dass Sex zwischen einer beliebigen Anzahl Menschen immer einvernehmlich zu sein hat, um damit das maximale an Lust und Erfüllung herauszuholen.
Nichts anderes zeigt dieser Film: Die Initiation in eine philosophische und sexuelle Welt, die damals wie heute unendlich weit weg scheint für Menschen wie mich, die sich wie erwähnt selber als hetero einordnen. Die sich niemals vorstellen können, in die Kleidung und die Darstellung des anderen Geschlechts zu schlüpfen. Oder gar, Gott bewahr, Sex mit Menschen des gleichen Geschlechts zu haben …
An dieser Stelle versagte der ursprüngliche Wortfluss nach der Sichtung des Films, und einige Zeit kamen andere Gedanken an die Oberfläche. Gedanken, die von den gesehen Bildern und der Atmosphäre des Films inspiriert waren: Was wäre, wenn man ein anderes Leben führen würde? Nicht die praktizierte Unterordnung unter die ökologische Sicherheit, mit der Aufopferung an den Gott Mammon und die zeitlich schier unbefristete Hingabe an den gefüllten Kühlschrank und das ausreichende Bankkonto, sondern wenn man sich zurückziehen könnte aus dem eigenen Leben, um so zu existieren, wie man es sich vor vielen Jahren einmal erträumt hatte. Frei zu sein, Natur zu erleben, Liebe zu machen, und die Grenzen des Denkens und der Vernunft zu erweitern …
Wo sind die Ideale der Jugend hin? Warum hat man die Möglichkeiten nicht genutzt, sondern sich unterbuttern lassen unter die kapitalistische Wahnvorstellung vom konsumistischem Wohlergehen?
Dies sind die Gedanken, die nach dem Sehen von LUMINOUS PROCURESS hochkamen, und die sehr schmerzten. Der Film erschafft für 74 Minuten eine Welt, die im Jahr 2025 undenkbar scheint. Eine Welt, in der nicht der ökonomische Zwang vorherrschend ist, sondern die Lust am Leben, an der Liebe, an der Erforschung des eigenen Seins unter Einbeziehung anderer Menschen, die die gleichen Erfahrungen machen möchten. Die so etwas altmodisches wie Liebe leben wollen, und nicht den Hass und die Engstirnigkeit des 21. Jahrhunderts. Eine Phantasie, sicher, aber eine schöne Phantasie. Eine, die Lust macht. Und wer sich jetzt hier angesprochen fühlt, dem kann dieser Film nur wärmstens empfohlen werden, trotz der sitzfleischerfordenden Machart und der eher enervierenden elektronischen Klangkulisse. Gesprochen wird hier sowieso nicht, von daher mein Tipp: Film einlegen, und dazu Musik hören, die einen sich individuell gut fühlen lässt. Wohlfühlen. Und bloß nicht darüber nachdenken, an welchen Stellen im Leben man falsch abgebogen ist, sondern vielmehr, ob sich nicht noch etwas ändern lässt …
(1)
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Cockettes
6/10