Kürzlich bin ich in Joe D'Amatos erstem, wenn auch recht spätem, Beitrag zum Nunsploitation-Genre, IMMAGINI DI UN CONVENTO von 1979, auf eine dem Film vorangestellte Texttafel gestoßen, die behauptet, er beruhe auf dem in den 1760er Jahren verfassten, jedoch erst in den 1790er posthum veröffentlichten Roman LA RELIGEUSE von Denis Diderot, in dem der französische Aufklärer Kritik an einer Gesellschaft übt, die junge Frauen, da man keine andere Verwendung für sie hat, als Nonnen in Klöster gibt, obwohl sie hierfür weder freien Willen noch echte Berufung verspüren, und an einer Amtskirche, die dies nicht nur billigt, sondern aufgrund pekuniärer Motive auch noch fördert. Dass dem nicht so ist und D'Amato stattdessen sein, wohl bewusstes, Täuschungsspiel mit uns treibt, indem er die Aufklärung in IMMAGINI DI UN CONVENTO mit fortschreitender Laufzeit mehr und mehr gegen die Romantik, und das Christentum mehr und mehr gegen die Antike ausspielt, habe ich, hoffe ich, in meiner Kurzkritik zu besagtem Film anschaulich und verständlich beschrieben. Sechs Jahre später aber legt D'Amato seinen zweiten Nonnensexfilm vor, und obwohl er diesmal LA MONACA DEL PECCATO heißt, ist sein Motto das Gleiche geblieben: Auch dieses Werk soll auf Diderots Skandalroman basieren. Dass dem wirklich so ist und D'Amato tatsächlich offenbar daran gelegen, Diderot nun mehr oder minder gerecht zu werden, werde ich, hoffe ich, in meiner folgenden Kurzkritik zu LA MONACA DEL PECCATO anschaulich und verständlich beschreiben, während ich mit einem Auge immer wieder zu Diderots Originaltext und dessen erster Leinwandadaption durch Jacques Rivette schiele, und das andere steif und fest auf D'Amatos Unzucht-Nonnen halte.
Abb.1: Im Gegensatz zu IMMAGINI DI UN CONVENTO spricht der Vorspann diesmal die Wahrheit - die Rechtschreibefehler darf er trotzdem behalten.
LA MONACA DEL PECCATO ist, wie gesagt, nicht die erste Verfilmung von Diderots Roman. Bereits 1966 hat Jacques Rivette sich dem Stoff mit dem gleichnamigen Film LA RELIGIEUSE angenommen, in dem die damalige Godard-Muse und Nouvelle-Vague-Heroine Anna Karina der Suzanne Simonin recht schmerzlichen körperlichen Ausdruck verleiht. Allerdings stellt sich die Adaption relativ demonstrativ mit dem Rücken zum restlichen Oeuvre ihres Regisseurs. Rivette, der später, in den 70ern, neben Godard, einer der radikalsten Erbverwalter der Nouvelle Vague werden und mit Filmen von extremer Exzellenz wie dem, in seiner vollständigen Fassung, knapp dreizehnstündigen (um genau zu sein: siebenhundertsechzigminütigen!) OUT 1: NOLI ME TANGERE (1971) oder dem immerhin dreistündigen CÉLINE ET JULIE VONT EN BATEAU (1974) sein Publikum für mehr als eine Voraussetzung stellen sollte, erweist sich in seinem zweiten Spielfilm vergleichsweise massenkompatibel, indem er Szene für Szene und Wort für Wort an der Diderot’schen Vorlage haftet und sich dabei selbst kaum Raum für kreative Entfaltung lässt. Ähnlich vielleicht wie Fassbinders Übersetzung von Fontanes EFFI BRIEST (1974) in bewegte Bilder scheint es Rivette nicht so sehr darum zu gehen, seine eigene Künstlerpersönlichkeit in das literarische Vorbild zu mischen, sondern diesem literarischen Vorbild einen visuellen Ausdruck zu verleihen, der es weder beschneidet noch umdeutet, sondern ihm derart angemessen ist, dass selbst der Autor persönlich, hätte er in den 60ern in einem Pariser Kinosaal sitzen können, es, wenn nicht beklatscht, so doch zumindest nicht als schamlose Pervertierung seiner Ideen verflucht hätte.
Abb.2: D'Amato eröffnet mit einem tatsächlichen Diderot-Zitat - (in der deutschen Ausgabe von 1797 lautet es: "Wozu bedarf der Bräutigam so vieler thörichten Jungfrauen, und das menschliche Geschlecht so vieler Schlachtopfer!") -, die Rechtschreibefehler darf er trotzdem behalten.
LA RELIGIEUSE zeichnet den Lebens- und Leidensweg der Suzanne Simonin so detailgetreu nach, dass es sich für jemanden, der den Film aufmerksam geschaut hat, fast schon erübrigt, die Nase in die Romanvorlage zu stecken. Gegen ihren Willen von den Eltern ins Kloster geschickt – bzw. von ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, denn einer der Gründe, weshalb sie unter Verschluss hinter die Heiligen Mauern soll, ist eben ein sexueller Fehltritt ihrer Mutter und ihre daraus erfolgende uneheliche Zeugung und Geburt -, widerruft sie dort zunächst das Gelübde, das man ihr mittels einschmeichelnder Reden abzuringen versucht, kehrt ins elterliche Haus zurück, wird von nun an vor allem von ihrem vermeintlichen Vater wie eine wandelnde Schande behandelt, und lässt sich schließlich durch die Tränen und salbungsvollen Worte ihrer verzweifelten Mutter doch dazu zu überreden, besser den Schleier zu nehmen als, von der Familie verstoßen, auf der Straße zu landen. Obwohl Suzanne, wie sie in den Briefen, aus denen sich Diderots Roman zusammensetzt, mehrmals betont, nicht die geringste Berufung fürs klösterliche Leben in sich verspürt – einmal klagt sie, dass sie der Welt und Gott doch viel mehr als liebende Ehefrau und Mutter nutzen könne als in der strengen Zucht und Ordnung des Nonnendaseins dahinzuwelken -, richtet sie sich mehr oder weniger gut in ihrem neuen Leben ein, was vor allem an der liebevollen, nahezu mütterlichen Zuwendung der Äbtissin Madame de Moni liegt, die sie umhegt und umsorgt wie sie nur kann. Letztlich ist diese innige Beziehung zur Mutter Oberin Grund für Missgunst und Zwietracht innerhalb der Schwesternschaft. Sister Sainte-Christine, die darauf spekuliert, aufgrund ihrer adligen Abkunft, nach dem Tode der bereits gesundheitlich angeschlagenen Madame de Moni die Führung des Klosters zu übernehmen, betrachtet Suzanne als Störenfried, die ihr den in Aussicht gestellten Rang abspenstig zu machen versucht. Als Madame de Moni bettlägerig wird und die Klostergeschäfte kaum noch selbst besorgen kann, plustert Sainte-Chistine sich noch zu ihren Lebzeiten zur neuen Äbtissin auf und lässt Suzanne die ganze Härte ihres Hasses spüren.
Abb.3: D'Amatos Suzanne beim Gebet und Eva Grimaldi in ihrer ersten Filmrolle. Man beachte die stilvolle Ausleuchtung!
Für die kleinsten Vergehen – oder besser: Pseudo-Vergehen – wird Suzanne grausam bestraft, von ihren Mitschwestern gemieden, schließlich sogar des Umgangs mit Teufeln und Dämonen bezichtigt, vom Gottesdienst ferngehalten, in einem Kerker einquartiert, bespuckt und gegeißelt. Erst nach langem Martyrium kann die wehrlose junge Frau sich in der Außenwelt Gehör verschaffen. Ein Anwalt, der seit Jahren darum kämpft, sie aus dem Orden freizubekommen, und einige Geistliche werden auf ihren Fall aufmerksam. Man versetzt sie, um einen Skandal zu vermeiden, in ein anderes Kloster, und dort, unter der Regentschaft von Madame de Chelles, erlebt Suzanne plötzlich eine ganz andere Welt. Diese Äbtissin führt ihr Kloster wie einen Luxustempel. Die Nonnen kichern, schäkern, kleiden sich in kostbare Stoffe, die Mutter Oberin selbst thront zwischen ihnen wie eine weltliche Fürstin. Sex und Erotik stehen ebenfalls auf der Tagesordnung, und da Madame de Chelles Suzanne offenbar für einen schmackhaften Bissen hält, ist sie schnell den sexuellen Avancen der Dame ausgesetzt, für die Suzanne aber so wenig Sinn hat, dass es sie ein zweites Mal in bodenlose Verzweiflung stürzt.
Abb.4: Bilder, die zum Schwelgen einladen. Stilvollere Kompositionen - und diese Ausleuchtung! - hat D'Amato wohl nirgendwo sonst vorgelegt.
Am Ende von LA RELIGEUSE fügt Jacques Rivette seinem Film dann aber doch noch eine eigene, tragische Note hinzu. Was in Diderots Roman nämlich nicht vorkommt, das ist eine finale Episode, in der Suzanne, endlich der Freiheit wiedergegeben, in der Welt außerhalb der Klostermauern so wenig Halt findet, dass ihr ein Bordell als letzter Strohhalm dient. Dort stürzt sie sich während eines ausschweifenden Maskenballs, bei dem sie ihre Unschuld verlieren soll, aus einem Fenster und landet tot auf der Gasse. Allerdings fügt sich dieser schreckliche Schluss nahtlos in die kühle, fast theaterhafte Inszenierung Rivettes, die, auf den ersten Blick, wie ein Rückfall in das von der Nouvelle Vague in den 50ern so sehr geschmähte cinéma de qualité, d.h. steife, gekünstelte, melodramatische Literaturverfilmung in steifen Kostümen, voller gekünstelter Dialoge und untermalt mit melodramatischer Musik, wirken könnte, sich dann aber, mit zunehmender Laufzeit, als absolut naturalistische Herangehensweise an den Stoff entpuppt. Rivettes Kamera betrachtet Suzanne und die ihr selbst in ihrer Freundlichkeit feindlich gegenüberstehende Umwelt unbarmherzig, meist frontal, ordnet die Personen wie willenlose Schachfiguren an, deren Handlungen allesamt von gesellschaftlichen Konventionen bestimmt werden, die sie sich selbst nicht ausgesucht haben. Besonders spannend ist die Darstellung der Geschlechter in LA RELIGIEUSE, was den Film, meiner Meinung nach, zumindest subtil zu einem feministischen macht, wenn man Feminismus denn so verstehen will, dass darin Anklage gegen die Unterdrückung der Frau durch den Mann über die Jahrhunderte hinweg geübt werden soll. Die Herren, die über Suzannes Schicksal beraten, sitzen in teuren Roben ungezwungen an ihren Tischen, während Suzanne selbst demütig vor ihnen knien und die Entscheidung abwarten muss, ob ihr Leben sich nun zum Besseren oder Schlimmeren wenden wird. Zugleich ist LA RELIGIEUSE aber, dem Geist seiner Zeit geschuldet, eine (linke) Anklage gegen Staat, Herrschaft, Autorität, die Rivette aber dadurch klug verschleiert, indem er sich der (kinematographischen) Mittel dieses Staats, dieser Herrschaft, dieser Kino-Autorität bedient, um seine Kritik zu äußern. Wäre LA RELIGEUSE inszeniert wie ein poppiges, unterhaltsames, versponnenes Avantgarde-Vergnügen von Francois Truffaut, dem jungen Godard oder im hypnotischen Stil von Rivettes Debut-Langfilm PARIS NOUS APPARTIENT (1961), wäre seine Aussage wohl kaum so schwer im Magen liegend wie sie es nun tut. LA RELIGIEUSE das ist ein zweieinhalbstündiges ziemlich hartes, ziemlich trockenes Brot, das einem manchmal schon beim Kauen im Mund wehtut – und damit wird er Diderots Roman ebenfalls wenig spaßigem, teilweise ordentlich herzzerreißenden Roman mehr als gerecht.
Abb.5: Suzanne im Bade. Der zugehörige Dialog, in dem die Mutter Oberin (rechts im Bild) unsere Heroine zur Sünde überreden will, muss gehört werden, um ihm seine Theatersprache auf Stelzen aus dem achtzehnten Jahrhundert abzukaufen.
Kann D’Amato mit LA MONACA DEL PECCATO zwei Dekaden später dieses Niveau halten? Oder anders gefragt: muss, soll und will er das überhaupt? Schon bei meiner Erstsichtung vor Jahren sind mir folgende Dinge aufgefallen: 1. Anders als bei IMMAGINI DI UN CONVENTO ist der Diderot-Verweis im Vorspann kein leeres Versprechen oder das bewusste Führen des Zuschauers auf eine falsche Fährte. D’Amato mag der Vorlage nicht mit solcher Ehrfurcht gegenüberstehen wie Rivette, doch er fasst sie immerhin soweit mit Samthandschuhen an, dass sie, trotz stellenweisen Auseinanderrupfens und Plünderns, für mich dennoch eindeutig im fertigen Film erkennbar bleibt. 2. LA MONACA DEL PECCATO gleicht Rivettes LA RELIGIEUSE auch darin, dass für beide Regisseure ihre jeweilige Beschäftigung mit Diderot zu ihrem vergleichsweise zuschauerfreundlichsten Werk geführt haben. Für D’Amato heißt das: er ist geordnet und moralisch gesittet wie selten. Natürlich tauchen in LA MONACA DEL PECCATO Frauenbrüste auf, und natürlich, es wird auch einmal eine Peitsche über einen entblößten weiblichen Rücken gezogen, und ja, sogar Sex darf on screen ausgeübt werden. Trotzdem: gerade im Kontext eines vor Intimflüssigkeiten nur so triefendem Oeuvre wie das des Aristide Massaccessi wirkt LA MONACA DEL PECCATO tatsächlich wie die sprichwörtliche echte Klosterschülerin. Über weite Strecken vergisst D’Amato scheinbar völlig seine Exploitation-Sensibilitäten, und lässt den Film aussehen wie ein ernstgemeintes und ernstzunehmendes Kostüm- und Liebesdrama, dem man sein geringes Budget zwar immer mal wieder anmerkt, das aber sowieso mehr Wert auf seine kohärente, emotionsgeladene, zum Mitfühlen und Mitleiden anregende Geschichte legt, die D’Amato, sonst sicher keiner der großen Erzähler der Filmgeschichte, zum Besten gibt, als habe er nie etwas anderes getan als von anrührenden Schicksalen zu berichten. 3. LA MONACA DEL PECCATO ist stilvoll, geschmackvoll, was seine Ästhetik betrifft. Weichzeichner, delikate Beleuchtung, ein sauberer, weicher Schnitt, hübsche Kulissen, tragische Musik: das alles vereint sich zu einem Festschmaus, der, würde man die eine oder andere doch etwas expliziere Fleischbeschau herauskürzen, von mir aus auch gut und gerne im Nachmittagsprogramm irgendeines Privatsenders laufen könnte.
Abb.6: Auspeitschung einer vollbusigen Nonne - eine der skandalöseren Szenen des Films, denn viel schlimmer wird es D'Amato diesmal nicht treiben.
Ein Aspekt von LA MONACA DEL PECCATO vereint den Film mit Diderots Vorlage und Rivettes Verfilmung, während ein anderer ihn von diesen radikal scheidet. Ich beginne mit letzterem: D’Amatos Film nimmt sich etwa der ersten beiden Drittel des Diderot-Textes an. Suzanne wird bis zu dem Punkt begleitet, an dem die Intrigen gegen sie die Heilige Inquisition auf den Plan rufen, um herauszufinden, ob die Anschuldigungen, sie habe Verkehr mit dem Teufel, der Wahrheit entsprechen. Zuvor hat sie, ganz wie im Roman, zunächst gegen das Klosterleben aufbegehrt, eine mütterliche Freundin in der Äbtissin gefunden, diese dann aber durch Krankheit verloren, und sich den Hass der neuen Mutter Oberin zugezogen – die übrigens kongenial augenrollend und finstermimend von Karin Well dargestellt wird, von der es mir aber schwerfällt, sie mir nicht in einer Bärenfalle steckend und wie am Spieß schreiend vorzustellen. Ein paar Änderungen hat D’Amato in die Geschichte eingeflochten. Dass Suzanne im Kloster landet, hat einen noch handfesteren Grund als bei Diderot: ihre Mutter erwischt sie beim Sex mit ihrem Stiefvater, den das junge Mädchen indes nicht freiwillig über sich ergehen lässt. Trotzdem kommt der Vergewaltiger ungeschoren davon, und die Geschändete wird ins Konvent-Exil geschickt. Ebenfalls neu sind einige Nebenhandlungen, die D’Amato um die ziemlich in die Länge gezogene und in außerordentlich ruhigem, nahezu behäbigem Tempo erzählte Hauptgeschichte gruppiert. Zum einen ist da eine offenbar sexuell ausgehungerte Nonne, die sich eine Heiligenstatute stets als weißgeschminkten, nackten Jüngling imaginiert, was sie zu wilder Masturbation verleitet – ein Element, das sowohl zurückverweist auf D’Amatos ersten Klosteraufenthalt IMMAGINI als auch möglicherweise ein anerkennendes Kopfnicken Richtung Mingozzis FLAVIA (1974) darstellt, dessen Heldin ebenfalls in Heiligenbildern ständig einen ihr einst freundlich zulächelnden und dann vor ihren Augen geköpften Muslim vor sich sieht. Zum andern ist da eine taubstummer Jüngling, von den Nonnen als Waise im Kloster aufgenommen, nun aber zum stattlichen Mannsbild herangewachsen, den zu baden und zu waschen sich die Nonnen heimlich streiten. Eine der Nonnen wird an einer Stelle des Films, als die Situation für Suzanne sich zuspitzt, beim leidenschaftlichen Knutschen und Kopulieren mit dem jungen Mann gezeigt. Da diese Handlung ungeahndet bleibt und außerdem der wohl einzige Geschlechtsakt des ganzen Films ist, bei dem es den Anschein hat, beide Parteien seien gleichermaßen mit ihm einverstanden, eröffnet D’Amato mit dieser Szene einen Riss Hoffnung innerhalb des eher pessimistischen Films, der zumindest die vage Möglichkeit andeutet, man könne auch als Nonne wider Willen mit Eros‘ Hilfe noch sein Glück finden.
Abb.7: Statuenfetisch. Diesmal jedoch, im Gegensatz zu IMMAGINI DI UN CONVENTO, psychologisch selbst für den Laien erklärbar.
Der Aspekt aber, der LA MONACA DEL PECCATO diese Hoffnung wiederum nimmt, und ihn mit dem Anklagecharakter von Diderots Schrift verschwistert, sieht zunächst gar nicht nach einem solchen aus. Suszanne nämlich hat sich, entgegen der Romanvorlage, in den ebenfalls jungen und hübschen Klosterpriester verliebt. Der, ebenfalls ein Mann, der nicht aus freien Stücken den Predigerrock trägt, erwidert diese offenkundig romantische Liebe. Im Beichtstuhl tauscht man Zärtlichkeiten aus, erträumt sich, wenn Suzanne erstmal ihres Eides gegenüber Gott entbunden ist, eine gemeinsame Zukunft. Leider wird Suzanne von einer Mitschwester dabei bespitzelt, und als man sie offiziell als Ketzerin und Teufelsmetze bezichtigt, erinnert sich diese Mitschwester ihrer zufälligen Beobachtungen. Vor versammelter Mannschaft – D’Amato hat es sich erneut nicht nehmen lassen, einen fanatischen Inquisitor ins Geschehen zu werfen, der allerdings Donald O’Brien in IMMAGINI kaum das Wasser reichen kann – wird unsere Heldin als Hexe gebrandmarkt und ihr ihre lasterhafte Beziehung zu einem Priester vorgeworfen. Gabriele Tinti, der als besonnener Kardinal dem Tribunal vorsitzt, fragt Suzanne, was an diesen Vorwürfen dran sei, und freimütig gibt die psychisch und physisch am Ende ihrer Kräfte angelangte Frau zu: ja, es stimme, sie liebe den besagten Geistlichen, doch eine Hexe sei sie deshalb nicht, vielmehr hätten in ihrer Liebe lediglich zwei Seelen zueinandergefunden, die Gott nicht abgeschieden von der Welt in einem Kloster wissen will, sondern als Ehepaar miteinander verbunden. Was beim Verhör des Priesters, der als Nächster vorgeladen wird, erfolgt, ist eine unangenehme Überraschung, mit der D’Amato mich nun schon zum zweiten Mal beeindruckt hat. Suzannes Liebster nämlich, bis hierhin ein edler Held, der ihr Herz voll und ganz verdient, zieht angesichts der Inquisition seinen Kopf aus der Schlinge, indem er behauptet, Suzanne, die eine Hexe sei, habe ihn verführen wollen, er selbst sei an allem, was zwischen ihnen vorgefallen sei, jedoch vollkommen unschuldig. Dieser Vertrauensbruch gibt Susanne den Rest, der ihr noch fehlt, um sie den Verstand verlieren zu lassen: Sie bricht zusammen, reißt sich die Kleider vom Leib und schreit die Selbstanklage heraus, dass sie wirklich mit dem Teufel Unzucht getrieben habe. Das Bild friert ein, der Abspann läuft über ihren nun sogar von ihr selbst malträtierten Körper hinweg.
Abb.8: Eine rätselhafte Texttafel beschließt den Film. In Gänze lautet sie: "The noble famalies and benevolent societies that patronised these convents where a cruel discipline isolated all within from the world and frustrated their natural desires, were the ones responsible for her death. Susanne Simon was the last victim of the dark period which began with the inquisiton... But was she indeed the last martyr?"
In diesem Finale finden D’Amato, Rivette und Diderot schließlich zueinander. Wo Suzanne in Rivettes Verfilmung vom Regen in die Taufe kommt, sprich: von einem Kloster, in dem Frauen gewissen Systemregeln unterworfen sind, die sie ihrer Freiheit berauben und in das Korsett (männlicher) Vorstellung davon wie sie zu sein haben gepresst werden, in ein Bordell, in dem Frauen gewissen Systemregeln unterworfen sind, die sie ihrer Freiheit berauben und in das Korsett (männlicher) Vorstellung davon wie sie zu sein haben gepresst werden, hält sie den Anschuldigungen und Anfeindungen bei D’Amato letztlich nicht mehr stand und stimmt in den Chor derer ein, die sie vernichten wollen. In beiden Fällen bleibt Suzanne Opfer der ihr übergeordneten Hierarchien, bei denen es im Prinzip gar keinen Unterschied macht, ob sie sich in Form eines Klosters oder irgendeiner anderen Institution manifestieren. Ob nun also Rivettes Adaption oder die D’Amatos die objektiv „bessere“ ist, das kann man wohl nur mittels ästhetischer Kategorien entscheiden, denn rein inhaltlich nehmen sich beide, wie ich finde, nicht das Geringste - und Signore Massaccessi ist doch einmal tatsächlich ein wirklich im klassischen Sinne schöner Film gelungen.