Seite 1 von 1

Love Exposure - Sion Sono (2008)

Verfasst: Mi 13. Sep 2023, 05:45
von Maulwurf
 
Love Exposure
Ai no mukidashi
Japan 2008
Regie: Sion Sono
Takahiro Nishijima, Hikari Mitsushima, Sakura Andô, Hiroyuki Onoue, Yutaka Shimizu, Tasuku Nagaoka,
Yûko Genkaku, Mitsuru Kuramoto, Shinji Miyadai, Mami Nakamura, Makiko Watanabe, Jai West


Love Exposure.jpg
Love Exposure.jpg (93.07 KiB) 205 mal betrachtet
OFDB

Handlung? Puh, das ist schwierig. Ich versuch’s mal: Yu Honda ist der Sohn des christlichen Priesters Tetsu, und dementsprechend hat er sein Leben der Mutter Gottes Maria geweiht. Nur Maria wird er seine Liebe gestehen, und nur Maria wird er auch lieben. Yu hatte noch nie eine Erektion, die wird er nur bei seiner Maria haben, und daran wird er Maria auch erkennen. Als die Mutter Yus stirbt wird der Vater immer verbitterter, nimmt Yu jeden Tag die Beichte ab, und weigert sich es anzuerkennen, wenn Yu keine Sünden begangen hat. Daraufhin begeht Yu Sünden – Radiergummis seiner Mitschüler zerreißen, Ameisen zertreten, und Rowdys helfen einen Getränkeautomaten zu zerlegen. Mit eben diesen Halbstarken freundet er sich, und gemeinsam bekommt man eine wahre Obsession: Mädchen heimlich unter den Rock fotografieren. Yu wird darin zu einem wahren Meister, doch eines Tages liefert einer der Freunde ein besseres Bild als er ab, und Yu muss sich, als Preis für das schlechtere Bild, als Mädchen verkleiden, durch Tokio laufen und ein Mädchen küssen.
Yu verkleidet sich also als Sasori und begegnet Yoko, die gerade eine komplette Schlägergang aufmischt, und als Sasori hilft er ihr. Yoko, die Männer hasst, verliebt sich in – Sasori … Yokos beste Freundin ist eine ältere Frau, die sich anschickt, Tetsu zu heiraten. Dadurch werden Yu und Yoko plötzlich Geschwister. Eine perfide Situation, ruft doch Yoko abends Sasori an, und landet im Nebenraum bei Yu …
Das alles ist aber in Wirklichkeit der raffiniert ersonnene Plan der durchtriebenen Koike, die für ihren Chef, einen kriminellen Sektenführer, eine komplette katholische Familie zu dieser Sekte konvertieren soll. Sie hat sich die Familie Yus ausgesucht, weil sie außerdem auf Yu steht, in dem sie ihr Ebenbild meint gefunden zu haben. Die Familie an sich lässt sich relativ leicht kidnappen, doch Yu wird ein schwierigeres Unterfangen. Koike benutzt dafür Yoko, die sie einer Gehirnwäsche unterzogen hat …

Bild Bild

Liebes-Splatter-Porno-Kungfu-Kömodiendrama“ schreibt Computer Bild zu LOVE EXPOSURE. Hm, na gut. Das kommt also heraus, wenn Computer Bild japanische Filme besprechen soll. Mit Splatter hat der Film genauso wenig zu tun wie mit Porno oder mit Kungfu, das können wir alles getrost streichen. Komödiendrama? Trifft es relativ gut, denn die ersten zwei Stunden haben diesen früh-tarantinesken Irrwitz im Gepäck, sowohl von der Story her als auch von der Inszenierung. Da werden Kapitel eingeteilt, der Titel des Films ist erst nach zwei Stunden zu lesen, da werden Handlungsstränge mehrfach und aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Sicher keine Komödie, aber dieser oft groteske Guy Ritchie-Quentin Tarantino-Wahnsinn, der das Kino der Jahrtausendwende so rockte, der wird in dieser ersten Hälfte des Films intensiv ausgelebt. Zusammen mit unglaublich vielen Anspielungen auf Filme, auf tatsächliche Ereignisse und auf die japanische Pop-Kultur überhaupt, kann der geneigte Fan sich hier in Referenzen aalen wie nichts Gutes.

Die zweite Hälfte, also immerhin die anderen zwei Stunden dieses knapp vierstündigen Epos, laufen dann unter dem Begriff Drama, zumindest hier hat sich der F(l)achmann von der Computer Bild nicht vergaloppiert. Koike kidnappt die Familie Tetsu, und Yu wird immer verzweifelter, weil er seine über alles geliebte Yoko nicht mehr hat. Er verkleidet sich als Sasori und dringt mit Bombe und Schwert bewaffnet in das Hauptquartierder Sekte ein, um dort ein Blutbad zu veranstalten. Über dieser Aktion verliert er den Verstand und kommt in die Psychiatrie, wo, als Yoko ihn besucht, plötzlich ein Hauch von KUCKUCKSNEST durch den Raum schwebt. Die Stimmung ist düster und elegisch, und was auf dem Bildschirm passiert hat, vom Storytelling her, mit den ersten zwei Stunden rein gar nichts mehr zu tun, sondern könnte ohne weiteres auch der letzte Hard Boiled-Actionfilm von Ingmar Bergman sein.

Bild Bild

Viel habe ich bislang von Sion Sono noch nicht gesehen. ANTIPORNO, HAZARD und UTSUSHIMI waren es, aber alle drei hatten etwas gemeinsam: Sie überhöhten die Wirklichkeit, und schufen entweder eine parallele Realität, die sich anfühlt wie Reality-TV (HAZARD, UTSUSHIMI) oder es wurde eine so künstliche Welt geschaffen, dass das Ergebnis ein komplettes Kunstobjekt auf unzähligen verschachtelten Ebenen war (ANTIPORNO).
LOVE EXPOSURE ist da ganz anders. Geerdeter, realer, aber auch irgendwie biederer. Trotz des erwähnten Wahnsinns der ersten Hälfte ist LOVE EXPOSURE als Spielfilm ein gutes Stück herkömmlicher als die anderen gesehen Werke. Was dazu führt, dass ich nach der Sichtung … Nein, enttäuscht ist nicht das richtige Wort, vielleicht eher ratlos zurückblieb. LOVE EXPOSURE ist ein Film, den ich von Guy Ritchie erwarte hätte, aber, nach meinem kleinen Wissensstand, nicht von Sion Sono. Mir ist klar, dass es in einem Menschenleben kaum möglich sein dürfte, alle Referenzen aufzuschlüsseln, die hier verarbeitet werden, und mir ist auch klar, dass mit jeder gefundenen Referenz das Sehvergnügen steigt. Sono holt mit LOVE EXPOSURE zu einem gigantischen Rundumschlag gegen alles und jeden aus. Der japanische Begriff Panchira, also das optische Erhaschen der Unterwäsche einer Frau, ist natürlich der Dreh- und Angelpunkt der Handlung, genauso wie die Pop-Ikone Sasori, das immer wieder auftretende Phänomen der gewalttätigen Sekten und und und …

Vielleicht ist die Inszenierung des Films gerade wegen all dieser Referenzen so "bieder". Hätte Sono vier Stunden mit Wackelkamera eine Mockumentary gefilmt, dann wäre das wahrscheinlich kaum auszuhalten gewesen. Auf diese Weise kann man der wilden und vielschichtigen Geschichte immerhin problemlos folgen, und kann die vielen Wendungen erst so richtig genießen. Ich kann die Begeisterung, die LOVE EXPOSURE entfacht, zwar sehr wohl nachvollziehen, und die Heterogenität der Arbeiten Sion Sonos begeistert mich von mal zu mal mehr, aber mir persönlich fehlte etwas, und ich kann beim besten Willen nicht sagen was. Was bitte niemanden davon abhalten soll, diesen Film zu sehen. Denn eine wunderbare, bereichernde, und viel zu lange Erfahrung ist LOVE EXPOSURE allemal. Ich für meinen Teil werde die Zweitsichtung eines Vier-Stunden-Films wahrscheinlich frühestens in der Rente angehen. Obwohl, wenn ich so die Bilder beim Erstellen dieses Textes so anschaue, dann bekomme ich glatt Lust ...

Bild Bild

Bild Bild

6/10

Re: Love Exposure - Sion Sono (2008)

Verfasst: Mi 13. Sep 2023, 12:51
von Arkadin
Ultrakurzkommentar von 2015: Vier Stunden Wahnsinn, Liebe, Religion, Sex, Splatter uvm. Ziemliches Brett, welches aber wie im Fluge vergeht. Danach muss man erst einmal seine Gedanken ordnen und sich mit Mühe aus Shion Sonos Welt herausziehen. Toll.

Re: Love Exposure - Sion Sono (2008)

Verfasst: Mi 13. Sep 2023, 13:23
von jogiwan
Der hat mir von allen Sion Sono-Filmen bislang am wenigsten gefallen - eine kunterbunte Mischung aus Genres und allerlei Versatzstücken, die aber nicht funzen möchte und zudem auch noch arg bemüht wirkt. Hätte als Serie wohl auch besser funktioniert.

Re: Love Exposure - Sion Sono (2008)

Verfasst: Mi 13. Sep 2023, 20:56
von Adalmar
Der Film hatte noch keinen Thread??

Als großer Sono-Fan bin ich auch hiervon begeistert. Die ca. vierstündige Dauer vergeht wie im Flug. Einzig und allein Yokos Predigt zu Beethoven-Musik fand ich dann doch etwas zu dick aufgetragen. Einer der Filme, mit denen Sono seinen Status als einer der interessantesten Regisseure unserer Zeit eindrucksvoll bestätigt hat.

Re: Love Exposure - Sion Sono (2008)

Verfasst: Mi 13. Sep 2023, 21:06
von jogiwan
Adalmar hat geschrieben: Mi 13. Sep 2023, 20:56 Der Film hatte noch keinen Thread??
Das hat mich auch gewundert, aber ich hab auch nix gefunden... :???: