Die Fälschung - Volker Schlöndorff (1981)
Verfasst: Do 21. Sep 2023, 19:06
Originaltitel: Die Fälschung
Produktionsland: Deutschland/Frankreich 1981
Regie: Volker Schlöndorff
Cast: Bruno Ganz, Hanna Schygulla, Jerzy Skolimowski, Jean Camet, Gila von Weitershausen, Hans Peter Korff
Der Kommentar zu einer Lehrveranstaltung an der Universität Mainz von vor zehn Jahren fasst die Stellung des mit gerade mal Anfang 30 im Jahre 1979 an einem Krebsleiden verstorbenen Schriftsteller Nicolas Born innerhalb der bundesdeutschen Nachkriegsliteraturszene, finde ich, pointiert zusammen: „Wollte man für literaturgeschichtsdidaktische Zwecke einen Autor erfinden, an dem möglichst alle Strömungen, Stadien und Widersprüche der 1960er und 70er Jahre exemplarisch zu studieren wären, es käme wohl ziemlich genau Nicolaus Born (1937-1979) heraus: Kölner Realismus und Nouveau Roman, die 68er-Revolte und ihre Folgen, Glanz, Elend und Neuaneignung gesellschaftlicher Utopien, US-amerikanische Popkultur und Underground-Lyrik, Neue Subjektivität, die Spannung zwischen kleinbürgerlich-provinzieller Herkunft (Ruhrgebiet), Großstadt-Bohème (Berlin) und alternativem Landleben (Lüchow-Dannenberg), zwischen Künstlerfreiheit und familiärer Verantwortung, Engagement und Rückzug, der Kampf gegen Atomenergie und Überwachungsstaat, Radikalkritik am Wirklichkeitsraubbau der mediatisierten Welt und nicht zuletzt das relative Vergessensein all dieser Themen und Impulse heute – all das deckt Born phänotypisch ab.“
Bereits zweimal stand ich vor Borns Grab in dem Dörfchen Damnatz unweit der Elbe; mehrfach begegneten mir in meinem Literaturwissenschaftsstudium einschlägige Texte Borns; in einer Hitzacker Bibliothek, die nach Born benannt ist, hielt ich Anfang des Jahres gar einen Vortrag im Rahmen einer Konferenz, die von einer Stiftung finanziert wurde, die ebenfalls auf Borns Namen hört. Dennoch: Wirklich warm geworden bin ich mit dem Oeuvre Borns niemals. Das eine oder andere Gedicht besitzt das Potential, mich zu berühren, jedoch merke ich alles in allem immer wieder, dass mich nach 1945 Literatur (und insbesondere deutschsprachige) nur selten wirklich zu begeistern vermag: Mein Faible gilt dem 18. und 19. Jahrhundert – und auch wenn ich Borns Schaffen rein objektiv zu schätzen weiß, sprang der Funken (bislang), ehrlich gesagt, ganz selten über.
Das gilt besonders für seinen wohl berühmtesten Roman „Die Fälschung“, der kurz vor Borns Tod 1979 bei Rowohlt erschien: Auf mehreren hundert Seiten breitet sich dort das Bürgerkriegspanorama des zerschossenen Beiruts aus, durch das der Protagonist, ein deutscher Journalist namens Laschen, weitgehend orientierungslos stolpert, zwischendurch reißerischere Medienberichte verfasst, ansonsten eine Affäre mit einer deutschstämmigen Botschaftsmitarbeiten anfängt, obwohl zu Hause in Deutschland Frau und Kinder auf ihn warten, und sich vor allem in endlosen inneren Monologen selbstbemitleidet. Gerade letzterer Aspekt stieß mich bei der Lektüre regelrecht von dem Text hinfort: Ernsthaft, ich soll mir 300 Seiten lang anhören, wie ein Mann mittleren Alters vor Weltschmerz vergeht, mit seinen Gefühlen nicht klarkommt, sich in emotionale und sexuelle Abenteuer stürzt, während um ihn herum gerade der gesamte Libanon brennt? Sicher, „Die Fälschung“ birgt eine begrüßenswerte pazifistische Grundaussage, und funktioniert vor allem als Kritik am Medienbetrieb, dem sensationelle Bilder wichtiger sind als jedwede Ethik und Moral, irgendwie treten diese Momente jedoch stets in den Hintergrund, wenn Born die Kulisse des kriegsversehrten Beirut im Grunde primär nutzt, um seinen Helden weinerliche, pseudo-philosophische, stilistisch eher anstrengende Selbstgespräche führen zu lassen.
Möglicherweise, dachte ich mir, könnte es ein Schlüssel für die Euphorie sein, die der Roman bei Erscheinen auslöst, wenn ich mir die Verfilmung anschaue, die unter Regie Volker Schlöndorffs drei Jahre später entsteht. Laschen wird verkörpert von Bruno Ganz, seine Geliebte von Hanna Schygulla, der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski agiert in einem seiner seltenen Ausflüge vor die Kamera als Laschens Kameramann; das Drehbuch stammt, unter anderem, aus der Feder von Margarethe von Trotta und Jean-Claude Carrière, Igor Luther führt die Kamera, Maurice Jarre steuert den Score bei. Anders gesagt: DIE FÄLSCHUNG liest sich wie ein Who is Who des Neuen Deutschen Films nach seiner Kampfphase, als einstige Bilderstürmer wie eben Schlöndorff längst im institutionalisierten, gutbürgerlichen Kunstkino™ angekommen sind – und sich, wenig verwunderlich, an literarischen Vorlagen vergreifen, die genau dasselbe gutbürgerliche Publikum ansprechen wie ihre Filme.
Es mag nun für oder gegen mich sprechen, aber, puh, ich persönlich gehöre definitiv nicht zu diesem Publikum, hat mir die Sichtung von DIE FÄLSCHUNG doch einmal mehr vor Augen geführt, was ich am sogenannten anspruchsvollen deutschen Kino der 70er und 80er so grausig finde: Borns Roman wird quasi 1:1 adaptiert, zumindest, was seine reine Story betrifft; die teilweise wilde Montagestruktur, die Rückblenden, Gegenwart, Gedachtes mischt, auf die Leinwand zu übertragen, dafür hat Schlöndorff kein Interesse. Stattdessen ist DIE FÄLSCHUNG technisch-ästhetisch so konventionell wie man nur sein kann: Wir folgen Bruno Ganz für fast zwei Stunden durch ein zerstörtes Beirut, das man in Studiokulissen nachgebaut hat, und alles, was ich an Borns Vorlage wenig erträglich finde, potenziert sich in der Filmversion noch, wenn unser Held pausenlos aus dem Off die eigenen Zweifel an seinem Job, an seiner Ehe, an der Welt an sich preisgibt, zwischenzeitlich mit Hanna Schygulla als absolut marginalisierter Frauenrolle ins Bett steigt, und wir ansonsten mit marktschreierischen Gewaltbildern voller Explosionen, Schusswechsel, brennender Leichen befeuert werden. Der Bürgerkrieg im Libanon wird zur bloßen Hintergrundfolie, auf der der westliche Mann seine vergleichsweise mickrigen, jedoch vom Film ins Unermessliche aufgebauschten zwischenmenschlichen Probleme bejammern kann; die Medienschelte geschieht quasi en passant und ohne Pfeffer; die dramaturgisch reichlich unausgegorene Story mäandert vor sich hin und kulminiert in einem Finale, von dem ich mich nur wundern kann, dass die Verantwortlichen es NICHT ironisch, sondern offenbar bierernst gemeint haben: Ganz hat sich in Schygulla verliebt; die jedoch trifft einen anderen Mann; heimlich beobachtet unser Held die beiden bei einem Stelldichein; Ganz reist zurück nach Deutschland, sitzt im Regen in seinem Wagen vor dem eigenen Haus, die Ehefrau beäugend, die seine Rückkehr noch nicht bemerkt hat. Es ist ja fast schon eine Frechheit, das (reale) Leid einer vom Bürgerkrieg zerrissenen Gesellschaft zu instrumentalisieren, um derartige Soap-Opera-Stoffe mit einer theatralischen Kulisse auszustaffieren.
Positiv gibt es eigentlich nur zu vermelden, dass die Actionszenen kompetent inszeniert sind, dass der Score Jarres manchmal genug aufstampft, um mich aus der Lethargie zu scheuchen, und dass Skolimowski als skrupelloser Kriegsberichterstatter den ansonsten eher auf Autopilot agierenden Cast problemlos an die Wand spielt. Von all den Regisseuren, die sich in den 60ern anschickten, das deutsche Kino zu revolutionieren, ist Schlöndorff wohl weiterhin derjenige, mit dem ich am wenigsten einen Kaffee trinken wollen würde: Ich liebe Werner Herzogs nüchternen Surrealismus, ich schätze den Brechtianismus Fassbinders, selbst mit Wim Wenders ostentativ ausgelebtem Autismus kann ich mich zuweilen anfreunden, doch bei Schlöndorff habe ich stets das Gefühl, dass seine Filme oft derart dem Standard gleichen, dass mir nicht mal besonders aussagekräftige Attribute einfallen – und DIE FÄLSCHUNG ist hierfür das beste Beispiel…