Natura contro - Antonio Climati (1988)
Verfasst: Fr 23. Sep 2011, 16:07
Alternativtitel:
Cannibal Holocaust 2
Cannibal Holocaust II
Cannibal Holocaust II: Green Inferno
Green Inferno, The
Paradiso infernale
Originaltitel: Natura contro
Herstellungsland: Italien
Erscheinungsjahr: 1988
Regie: Antonio Climati
Darsteller: Mario Merlo, Fabrizio Merlo, May Deseligny, Pio Maria Federici, Bruno Corazzari, u.a.
Natura contro - Antonio Climati
Italien 1988
Regie: Antonio Climati
Darsteller: Mario Merlo, Fabrizio Merlo, May Deseligny, Pio Maria Federici, Bruno Corazzari, Roberto Ricci,
Jessica Quintero, David Maunsell, River Fisherman, Sasha D'Arc
Gleich zwei Filmen wurde von skrupellosen Verleihfirmen die Ehre zuteil, als Sequel von Ruggero Deodatos CANNIBAL HOLOCAUST ausgewertet zu werden, zum einen Mario Gariazzos 1985 erschienener SCHIAVE BIANCHE: VIOLENZA IN AMAZZONIA wie auch dem drei Jahre später veröffentlichten NATURA CONTRO von Antonio Climati. Obwohl gerade Gariazzos angeblicher CANNIBAL HOLOCAUST 2 mit Deodatos Meisterwerk, mal abgesehen von einigen Takten seiner Filmmusik, die ganz offensichtlich von Riz Ortlonais sensationellem Score des Originals abgekupfert worden sind, rein gar nichts zu tun hat, führt er das Genre des italienischen Kannibalenfilms doch, ob nun bewusst oder unbewusst, an seine Ursprünge zurück, indem er sich in seinem Kern als Remake von Umberto Lenzis Genreinitialzündung MONDO CANNIBALE präsentiert. Hier wie dort gerät eine Person aus dem westlichen Kulturkreis, bei Lenzi ein Mann, bei Gariazzo ein junges Mädchen, aufgrund widriger Umstände in die Fänge eines Eingeborenenstamms irgendwo im südamerikanischen Dschungel, wo sie zunächst als eine Art exotischer Sklave gehalten wird bis sie in Rang und Ansehen steigt und sich schließlich gar in ein Stammesmitglied verliebt, sozusagen in der Grünen Hölle die wahre Liebe findet. Obwohl SCHIAVE BIANCHE rein inhaltlich sich somit eng an MONDO CANNIBALE hält, ist die Art der Umsetzung dann doch eine völlig andere und konträr zu allen in der Genrehochphase entstandenen italienischen Kannibalenfilmen, nämlich weder beklemmend noch besonders schockierend, ohne eine einzige Tiersnuff-Szene oder ausgiebige Menschenfressorgien, dafür angereichert mit einem naiven Kriminalplot und vielen schnulzigen Elementen, die vor allem gegen Schluss Überhand nehmen und das Ganze mehr in die Richtung eines kitschigen Liebesfilms wenden. Wo SCHIAVE BIANCHE indes eindeutig auf die Genreursprünge verweist, ist zum einen die Tatsache, dass der Film krampfhaft versucht, seine Geschichte als authentisch zu verkaufen, gar mit eingefügten pseudo-dokumentarischen Szenen, die so tun, als seien sie nicht inszeniert, sondern bildeten tatsächlich die Wirklichkeit ab, analog zu den das Genre seit MONDO CANNIBALE begleitenden Texttafeln zu Beginn, die mehr oder weniger glaubhaft versichern, das Folgende basiere natürlich vollkommen auf wahren Begebenheiten, wie auch die Kannibalen selbst, die bei Gariazzo wie auch bei Lenzi nicht mehr als eine vernachlässigbare Randerscheinung darstellen und sich in ihrem einzigen, für die Story kaum entscheidenden Auftritt nicht mal die Bäuche vollschlagen dürfen. Ein ähnlicher Fall liegt dabei auch in Form von NUDE E SELVAGGIO vor, von Michele Massimo Tarantini im Jahre 1985 inszeniert und gerne auch als CANNIBAL FEROX 2 betitelt, ein reiner, zuweilen äußerst trashiger Abenteuerfilm, in dem die Kannibalen ähnlich blitzlichtartig auftauchen, zwar kurz blutig diverse Organe aus ihren Opfern entfernen dürfen, zum Verzehr aber schlussendlich dann doch nicht kommen, da unsre Helden sie im entscheidenden Moment aus dem Hinterhalt heraus überfallen. Allein eine solche Szene unterstreicht überdeutlich, wie drastisch sich der Markt für (italienisches) Exploitation-Kino im Laufe der 80er geändert haben muss. Während Regisseure wie Umberto Lenzi noch zu Beginn des Jahrzehnts in Werken wie MANGIATI VIVI! ohne damit rechnen zu müssen, dass ihnen die Zuschauer ausbleiben, eine extreme Gewaltszene an die nächste reihen und selbst Tierschlachtungen in voyeuristischer Großaufnahme zeigen konnten, scheint das Publikum schon ab 1985 keinen gesteigerten Wert mehr darauf gelegt zu haben, sich mit solchen Grausamkeiten konfrontiert sehen zu müssen. Alle drei Filme, SCHIAVE BIANCHE, NUDE E SELVAGGIO sowie NATURA CONTRO, sozusagen die allerletzten Ausläufer der Kannibalenfilmwelle, eint dabei, dass ihre Optik etwas sehr Amerikanisches hat, etwas Glattes, Poliertes, ohne die kleinste Pore Schmutz, was keinen Platz mehr lässt für die geschmacklosen Ausschreitungen, die dem Genre noch ein paar Jahre zuvor seinen umstrittenen Ruf beibrachte.
Drei Jahre später in NATURA CONTRO sind die Kannibalen dann vollends verschwunden, haben nicht mal mehr einen Kurzauftritt, und was bleibt, sind einzig einige Genretopoi, die Antonio Climati auf eine Weise in seinen Film einbringt, dass dieser sich über weite Strecke schon fast den Anstrich einer bewussten Kannibalenfilmparodie gibt oder zumindest einer bewussten Umkehrung der bis dato geltenden Genreregeln. Zunächst klingt die Story, die uns hier aufgetischt wird, vollkommen vertraut. Wieder mal ist ein Professor spurlos im Dschungel verschollen, und vier junge Menschen mit Namen Fred, Mark, Pete und Jemma brechen auf, um diesem Verschwinden auf eigene Faust nachzugehen. Ironischerweise vergisst das Skript diese Prämisse in der Folge über weite Strecken, wenn unsre Helden von einem Abenteuer ins nächste geraten, sich im Dschungel mit böswilligen Goldsuchern, Kinderhändlern und ihnen feindlich gesonnene Eingeborenen auseinandersetzen müssen, aber auch mal gewisse Zeit bei einem Urwalderemiten verbringen, der sie in die Kunst des Schlangenfangs einweiht, oder sich selbst dafür engagieren lassen, für einen dubiosen Affenhändler neue Ware zu besorgen, indem sie diese mittels narkotisierter Pfeile von den Bäumen schießen. Das alles klingt exakt so aufregend wie es umgesetzt wurde. Größtenteils völlig zusammenhanglos klebt Climati seine kreativen Hochsprünge aneinander, ohne dass sich daraus auch nur so etwas Ähnliches wie eine Story entwickeln würde. Die Charaktere, blass wie man nur sein kann, stolpern durch die konfusen Handlungsstränge bis sie erst am Ende, während der Zuschauer sich längst nicht mehr an den eigentlichen Grund ihrer Reise erinnert, auf einmal doch zufällig auf den vermissten Professor stoßen, und der Film in einer wirklich abstrusen Pointe gipfelt. In seiner episodenhaften Machart erinnert NATURA CONTRO stark an NUDE E SELVAGGIO, allerdings ohne dass er jemals dessen Drive und Kurzweil erreichen würde. Zerstückelt, ohne rechten Bezugspunkt, dümpelt der Film stattdessen vor sich hin, setzt selten einen Fokus und verliert sich in uninteressanten Subplots oder in seinen etwas zu glatten Landschaftsaufnahmen. Zuweilen mag man gar daran glauben, keinen nominellen italienischen Kannibalenfilmen vor sich zu haben, sondern eine BBC-Dokumentation über die mannigfaltigen Weisen, wie man Schlangen, Affen und anderes Urwaldgetier haschen kann. Ich kann nur erahnen, was jemand nach Genuss des Films empfunden haben mag, der sich tatsächlich durch die irreführende Betitelung als CANNIBAL HOLOCAUST 2 hat übers Ohr hauen lassen.
Interessant wird NATURA CONTRO, den man im Grunde als harmlosen, uninspirierten Abenteuerfilm der drögeren Sorte abtun könnte, erst, wenn man ihn auf eine Metaabene hebt und ganz konkret in Bezug zu CANNIBAL HOLOCAUST setzt. Ins Auge sticht zunächst die Tierliebe, die hier gepredigt und geübt wird. Die Stoßrichtung ist ziemlich eindeutig, wenn einer der Protagonisten gleich zu Beginn des Films in einem Biologischen Institut eine Schwimmschildkröte aus ihrem Becken nimmt, und sie sofort danach mit einem beseelten Lächeln zurück ins Wasser setzt ohne ihr auch nur ein Haar gekrümmt zu haben. Das Schlimmste, was den Affen in NATURA CONTRO geschieht, ist, dass man sie betäubt oder in Kisten sperrt. Statt dass man ihnen die Schädeldecke abtrennt und ihnen das Gehirn auslöffelt, darf einer, der offenbar einen Kreislaufkollaps erlitt, gar von einem unsrer Helden per Mund-zu-Mund-Beatmung zurück ins Leben geholt werden. Nicht zuletzt ist auch ein Nasenbär zugegen, der zufrieden und unbehelligt an Bord eines Bootes herumtrollt und sich mit einer herumliegenden Trompete amüsiert. Ich weiß nicht, inwieweit Climati und sein Team, die ja sicher noch nicht ahnten, mit welchen Mitteln ihr Film später vermarktet werden würde, sich bewusst gerade diese drei Tiergattungen aussuchten, um ihren freundlichen Umgang mit Mutter Natur unter Beweis zu stellen, an einen Zufall kann ich aber kaum glauben, wenn man bedenkt, dass es eben diese sind, die in CANNIBAL HOLOCAUST die schlechteste Behandlung erfahren. Umso überraschender und womöglich auch heuchlerischer wirkt das Ganze unter Berücksichtigung von Climatis sonstiger Filmographie, immerhin zeichnete der Mann für einige Mondos verantwortlich, deren Highlights sich nicht selten aus breit ausgewalztem Tiersnuff zusammensetzen, und ist daher nicht unbedingt prädestiniert dafür, dass man ihm seine plakativ zur Schau getragene Tierliebe so vorurteilslos abkauft. Kurios indes ist, dass gerade Antonio Climati, seines Zeichens Kamermann sowohl bei MONDO CANE als auch bei AFRICA ADDIO und damit sozusagen Mondo-Filmer der allerersten Stunde, den allerletzten klassischen Italo-Kannibalenfilm inszenieren durfte, was in gewisser Weise, wie schon SCHIAVE BIANCHE, auf die Geburt des Genres aus dem Mondo-Film verweist. Noch ein weiteres Element hierbei ist freilich auch die Anwesenheit einer Reporterin, in unserem Fall Jemma, die weibliche Hauptperson des Films. Die treibt sich zwar schon seit geraumer Zeit im Dschungel herum, um dortige Kuriositäten zu photographieren und für die Nachwelt festzuhalten, darunter einen Hersteller von Schrumpfköpfen, nie verletzt sie allerdings ihren Berufsethos, bleibt stets in den Grenzen, die die Moral ihr steckt, und ist das leuchtende Gegenteil von Alan Yates und seiner Crew in CANNIBAL HOLOCAUST, wenn sie es für ihre Aufgabe hält, Eingeborenen, denen von anderen Weißen Schlechtes widerfuhr, in ihren persönlichen Schutz zu nehmen und ihnen ihre Hilfe anzubieten.
Überhaupt ist von der Grünen Holle, wie einer der Alternativtitel von NATURA CONTRO lautet, nicht viel zu spüren, kommen doch alle Gefahren, denen unsere Helden ausgesetzt sind, von Eindringlingen in die friedliche, paradiesische Dschungelwelt, von dem Einbruch der Zivilisation mit all ihren geldgierigen, machthungrigen Auswüchsen in den Garten Eden, als der der Urwald von Climati verklärt wird. Deutlich wird das in der einzigen Szene, die unmissverständlich und direkt CANNIBAL HOLOCAUST kopiert. So wie Professor Monroe Zeuge wird, wie ein Eingeborener seine die Ehe gebrochene Gattin gemäß eines archaischen Stammesrituals dahingehend bestraft, dass er ihr einen mit Dornen gespickten Klumpen Schlamm in die Vagina einführt und sie danach erschlägt, dürfen unsere vier Protagonisten aus einer nahezu identischen Perspektiven einen Blick auf die grausame Behandlung eines Eingeborenensklaven werfen, der nach einem gescheiterten Fluchtversuch von seinen Herrn und Gebietern, die ihre Gefangenen dazu zwingen, unter unmenschlichen Bedingungen an einem Flusslauf nach Gold zu graben, mit dem Verlust seines Geschlechtsteil bestraft wird, das ihm von einer dressierten Schlange abgebissen wird. Was auf dem Papier noch einigermaßen brutal klingt, ist in der keuschen Inszenierung, die sich natürlich nicht traut, die Tat mehr als nur anzudeuten, schon eher unfreiwillig komisch, macht aber deutlich, wieweit das Genre sich seit 1980 wandelte. Hier sind es nicht mehr die Eingeborenen, die aufgrund ihrer spezifischen Lebensweise Gewalt als Tagesordnung praktizieren, vielmehr geht alle Grausamkeit von den Kolonialisten aus, die darum bestrebt sind, sich die harmonische Dschungelwelt Untertan zu machen. Sicher blasen auch Filme wie CANNIBAL HOLOCAUST oder CANNIBAL FEROX in ein ähnliches Horn, gestalten aber, was NATURA CONTRO völlig unterlässt, ihre Eingeborenen im besten Fall als ambivalent, friedliebend bis zu dem Punkt, wo man sie reizt und sie in eine beispiellosen Rachedurst verfallen, ein Punkt, der das Genre oft genug in eine rassistische oder zumindest westlich-überlegene Ecke schob. In NATURA CONTRO bietet sich stattdessen das einseitige Bild vom edlen Wilden, der Hilfe von außen bedarf, um sich überhaupt gegen die Invasoren zur Wehr setzen zu können, gegen die aufzubegehren ihm nicht mal im Traum einfallen würde. Das Schrecklichste, was Eingeborene in NATURA CONTRO begehen dürfen, schlägt sich in der wohl einzigen Szene nieder, in der der Film für ein paar Minuten vollends in Trash-Gefilde abdriften. Unsere Helden sind auf Affenfang gegangen. Noch während der Jagd werden sie von einem fremden Stamm überwältigt. Dessen Häuptling kann überraschenderweise fließend Englisch sprechen und macht den vier jungen Leuten klar, dass es ihm überhaupt nicht passt, dass sie ihm und seinen Angehörigen die Affen wegnehmen. Als Strafe müssen sie nun ebenfalls wie Affen behandelt werden. Es ist schon erstaunlich, wie ernst der Film sich gibt, wenn Jemma daraufhin gegen ihren Willen mit Bananen gefüttert und einer der Jungs dazu gezwungen wird, auf einen Baum zu klettern. Immerhin haben die Protagonisten scheinbar ebenfalls CANNIBAL HOLOCAUST gesehen und können sich aus der Affäre ziehen, indem sie sich mit ihrem Kassettenrekorder von dem Häuptling freikaufen, nachdem sie ihm weismachten, mit diesem sei er der Herr der Geräusche des Dschungels.
Prophetisch, als sei Climati bewusst gewesen, dass es über ein Jahrzehnt dauern würde bis Bruno Mattei mit zwei Filmen den eher peinlichen Versuch unternehmen würde, das schon längst verstorbene und eingesargte Genre wiederzubeleben, lässt er NATURA CONTRO mit einer Bilanz ausklingen, die einer der männlichen Protagonisten, dessen rückblickend erzählende Stimme den Film schon die ganze Zeit immer mal wieder aus dem Off unterbrach, ein paar Jahre später zieht. Inzwischen ist er heimisch in einem italienischen Küstenstädtchen und berichtet mit sich selbst im Reinen davon, wie positiv sich die Abenteuerreise im Amazonasgebiet auf sein Leben und das seiner Freunde auswirkte. Sie alle, so klingt es, haben sich selbstgefunden, sind bessere Menschen geworden, wüssten nun, was ihre Bestimmung im Leben sei. Nach all den kulinarischen Schrecken, die der Kannibalenfilm seit MONDO CANNIBALE auf seine Zuschauer niederregnen ließ, so scheint Climati sagen zu wollen, sind wir jetzt am Ziel angekommen, noch in einem Stück, erwachsen und reif, und können unter das Genre, das seinen kathartischen Zweck mehr als genug erfüllte, für alle Zeiten einen Schlussstrich ziehen.