Gandu - Wichser - Kaushik Mukherjee
Verfasst: Fr 2. Mär 2012, 16:45
Gandu - Wichser
(Gandu)
mit Anubrata Basu, Joyraj Bhattacharya, Rii
Regie: Kaushik Mukherjee
Drehbuch: Surojit / Q
Kamera: Kaushik Mukherjee
Musik: Five Little Indians
Keine Jugendfreigabe
Indien / 2010
Gandu geht sein Leben gehörig auf den Sack: er lebt noch bei seiner Mutter, die ihn echt annervt, die Wohnung gehört ihrem Macker, der jeden Tag nur zum Vögeln vorbeischaut und das bisschen Kohle, das er hat, muss er ihrem Typen dann genauso regelmäßig aus der Hose klauen. Ansonsten vertreibt er sich die Zeit mit Pornos oder hängt auf der Straße rum. Nur für die wilden Raps, die er textet, kann er sich begeistern. All das ändert sich, als er Riksha trifft, der ein ausgesprochenes Faible für Bruce Lee hat und einen ordentlichen Vorrat an Drogen. Während sie sich gemeinsam zudröhnen, geben sich Exzess und Absturz die Klinke in die Hand und alles verschwimmt: hatte er letzte Nacht wirklich zum ersten Mal Sex? Ist die Asian Dub Foundation tatsächlich in der Stadt, nur um mit ihm aufzutreten?
Bei indischen Filmen denkt wohl so ziemlich jeder zuerst an die teils kitschigen Bollywood-Produktionen, die gerade in den letzten Jahren immer mehr Fans finden. Das vorliegende Regie-Debüt von Kaushik Mukherjee jedoch bietet alles andere als den üblichen Mainstream, handelt es sich doch vielmehr um wirklich mutiges-und experimentelles Kino, dessen Zugang allerdings wohl einer eher kleineren Gruppe vorbehalten sein wird. "Gandu" ist nämlich ein Film, der allein schon wegen seines einzigartigen Erzähl-Stils für Aufsehen sorgt, bekommt der Zuschauer hier doch keinesfalls eine als flüssig zu bezeichnende Erzählstruktur serviert, sondern viel eher eine Geschichte, die größtenteils wie das Aneinanderreihen etlicher Video-Clips erscheint, die zudem noch recht wild zusammengewürfelt dargestellt werden. Doch gerade aus dieser Tatsache bezieht der Film seine ungeheure Wucht und erzielt dabei eine so intensive Wirkung, das die Ereignisse des Öfteren einen fast verstörten Eindruck beim Betrachter hinterlassen. Es entsteht ein phasenweise bizarrer Bilderrausch der einen in einen sogartigen Strudel hineinreisst, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt.
Dabei erzählt "Gandu" im Prinzip lediglich die Geschichte über das vollkommen trostlose Leben seiner Hauptfigur, was im Prinzip ja nicht unbedingt voraussetzt, das einen das Geschehen vom Hocker reisst. Dafür ist dann aber die mehr als außergewöhnliche Umsetzung der Story verantwortlich, die zwar ganz bestimmt nicht jeden Geschmack treffen wird, dem Film aber etwas extrem Spezielles verleiht, das ihn von anderen Werken merklich abhebt. Kaushik Mukherjee hat seinen Film mehr als nur aggressiv gestaltet, im Grunde genommen handelt es sich ganzzeitig um eine einzige visuelle-und verbale Provokation. Obszönitäten sind an der Tagesordnung und man wird mit Dialogen konfrontiert, in denen es vor Kraftausdrücken nur so wimmelt. Untermalt wird das Ganze zudem noch von aggressiven Raps, in denen "Gandu" seinen gesamten Lebensfrust verarbeitet. Dieser ist extrem hoch angesiedelt, was man selbstverständlich in erster Linie an den Texten merkt. Das der Film größtenteils in s/w gedreht wurde, ist meiner persönlichen Meinung nach ein nahezu genialer Schachzug, offenbart sich dadurch doch die gesamte Trostlosigkeit des Geschehens auf eine Art und Weise, die dem Zuschauer die depressive Grundstimmung des Szenarios wie eine bleierne Last auf die eigenen Schultern legt. Man fühlt sich erdrückt von der vorherrschenden Tristesse, die wie ein undurchdringlicher Schleier über jeder einzelnen Passage liegt und einem kaum die Möglichkeit zu atmen lässt.
Im letzten Drittel der Geschichte vermischt sich dann die Realität mit etlichen surrealen Elementen, eine Abgrenzung zwischen realität-und Fiktion scheint kaum noch möglich. Das ist dem übermäßigen Drogenkonsum von Gandu zu verdanken, der damit scheinbar der deprimierenden Realität entfliehen will. Für uns als Betrachter stellt sich das so dar, als wenn man in einen wilden Traum gerät, in dem sämtliche Grenzen verschwinden und einfach alles in einer Bildfolge erscheint, die selten einen wirklichen Sinn ergeben will. Extrem hektische Bildschnitte und die Aneinanderreihung der wildesten Fantasien lassen einen dabei tief in ein Szenario eintauchen, das äußerst verstörend in Szene gesetzt wurde, was allerdings in diesem Fall sehr positiv zu verstehen ist. Man muss sich wirklich auf diesen Film einlassen, um ihm etwas abgewinnen zu können, doch wenn man dazu in der Lage ist seinen Geist zu öffnen und das Gesehene in sich aufzunehmen, dann wird man seine helle Freude mit "Gandu" haben. Für die einen mag es Schund sein, andere werden dieses Werk als mutiges-und experimentelles Kino ansehen und auf meine Person bezogen kann ich nur sagen, das es sich hier um ein echtes Juwel handelt, das man in dieser Form wohl eher selten zu Gesicht bekommt. Man merkt doch ganz eindeutig, das es im Inneren des Regisseurs heftig gebrodelt haben muss, denn ganz offensichtlich wurde hier persönlicher Frust bewältigt. Das dabei entstandene Endergebnis dürfte für den zuschauer eine fast einmalige Erfahrung sein, denn so viel Aggressivität, Intensität und Provokation ist nicht sehr oft in einem einzigen Film vereint. Dazu zählen auch die explizit in Szene gesetzten Hardcore-Passagen, die das gewonnene Gesamtbild nur noch zusätzlich unterstreichen.
Ich habe selten einen Film gesehen, der so dermaßen mutig-und provokant dahergekommen ist. Gerade für ein Erstlingswerk eines Regisseurs bekommt man Filmkost geboten, die auf ihre ganz besondere Art einen immensen Härtegrad ausstrahlt und dabei eine Erzählstruktur an den Tag legt, die alles andere als Mainstream ist. Ist das Label Bildstörung schon von Haus aus für außergewöhnliche Film-Perlen bekannt, so dürfte diese Veröffentlichung noch einmal einen ganz eigenen Platz in der Reihe ganz besonderer Geschichten einnehmen. Im Grunde genommen ist "Gandu" ein 82 Minuten langer Video-Clip, der in tausend kleine Teilchen zerlegt wurde die aufgrund ihrer einzigartigen Aneinanderreihung einen bizarren Bilderrausch erzeugen, gegen den man beim besten Willen nicht ankämpfen kann. Hier gibt es eigentlich keinen Platz für eine Grauzone, handelt es sich doch um einen so speziellen Film, das man ihn entweder nur lieben oder hassen kann. Für mich ist hier ein kleines Meisterwerk entstanden, das insbesondere wegen seiner verstörenden Wirkung einen sehr nachhaltigen Eindruck beim Betrachter hinterlässt. Der drogenartige Bilderrausch frisst sich dabei immer tiefer in das eigene Bewustsein, so das man nicht selten das Gefühl bekommt, selbst unter Drogeneinfluss zu stehen.
Fazit:
Wild, aggressiv, provokant, obszön, laut, hektisch und absolut faszinierend, all diese Dinge treffen haargenau auf diesen Film zu. "Gandu" ist extrem mutiges Kino aus Indien, in dem die trostlose Lebenssituation der Titel-Figur auf eine absolut einmalige Art in Szene gesetzt wurde. Zwischen Absturz und Ekstase verschwinden die Grenzen zwischen Realität und Fiktion und ergeben so einen einzigartigen-und extrem wilden Bilderrausch, der einen nicht so schnell wieder los lässt. man muss diesen Film wirklich selbst gesehen haben um sich einen eigenen Eindruck zu machen, wobei das geschehen ganz bestimmt nicht bei jedem die gleiche Wirkung hinterlässt. Die Veröffentlichung von Bildstörung ist wie immer allererste sahne und es gibt keinerlei Grund zur kleinsten Beanstandung. Wer also ein Faible für den außergewöhnlichen Film besitzt, sollte sich diese DVD keinesfalls durch die Lappen gehen lassen.
Die DVD:
Vertrieb: Bildstörung
Sprache / Ton: Bengalisch DD 2.0 Stereo
Untertitel: Deutsch
Bild: 2,35:1 (16:9)
Laufzeit: 82 Minuten
Extras: Streng limitiert: Mit exklusiver Soundtrack-CD, Behind the Scenes (30 Min.), Berlin Episodes 1 & 2 (15 Min.), Where The Fuck RV? – kurze Tourdoku (10 Min.), Musikkurzclips (3 Min.), Booklet mit einem Essay von Jochen Werner
10/10