Wells City wird immer wieder von Bankräubern heimgesucht. Der Ältestenrat der Stadt beschließt, dies nicht länger hinzunehmen. Für ein üppiges Gehalt engagiert er den berüchtigten Revolverhelden Slim Corbett (Dean Reed), um den Räubern das Handwerk zu legen. Corbett findet recht schnell heraus, dass der Hintermann der Überfälle im Kreis der Stadtältesten zu finden ist. Doch dann gerät er selber in den Verdacht, mit der Bande unter einer Decke zu stecken.
Paolo Bianchinis „Bleigericht“ stellt einen seltsamen Hybrid zwischen den klassischen Italo-Western mit US-Touch und den Spaßwestern dar, die zeitgleich mit den ersten Spencer-/Hill-Produktionen losgetreten wurden. Hier wird allerdings noch nicht geprügelt, sondern weiterhin scharf geschossen. Doch die Nonchalance und gute Laune, mit der hier der Held ganze Kohorten über den Haufen ballert, würde bereits gut in einen „Vier Fäuste“-Film passen.
Dieser Held wird von Dean Reed gespielt, dessen Lebensgeschichte weitaus interessanter ist, als der hier vorliegende Film. Zunächst stieg der in Denver, Colorado, geborene Folk- und Country-Sänger in Südamerika zum Superstar auf und verwies dort selbst einen Elvis Presley auf die Plätze. Der überzeugte Kommunist engagierte sich für die sozialistische Bewegung in Argentinien und Chile und traf Che Guevarra. 1966 tourte er durch die Sowjetunion und nahm dort eine Platte auf. Dann ging er nach Italien, wo er in einigen Italowestern mitspielte. Ende der 60er Jahre zog er dann von Italien in den real existierenden Sozialismus. Er ließ sich in Ost-Berlin nieder und machte als „roter Elvis“ in der DDR Karriere. Anfang der 80er Jahre wurde er dann tot aus dem Zeuthener See in Brandenburg gezogen. Offiziell – und scheinbar auch ganz real – hatte er nach einem heftigen Streit mit seiner deutschen Ehefrau Selbstmord begangen, doch Gerüchte sprachen immer wieder davon, dass er von der Staatssicherheit oder der CIA aus dem Verkehr gezogen worden war. Reeds Lebensgeschichte ist in dem 2007 entstandenen Dokumentarfilm „Der rote Elvis“ von Leopold Grün festgehalten worden.
1968 ahnte man von der erzählenswerten Zukunft des Herrn Reed aber noch nichts. In „Bleigericht“ (dessen DDR-Fassung angeblich den sowohl passenden – wenn man sich Reeds Babygesicht ansieht – als auch unpassenden Titel „Bleichgesicht“ trug) spielt Reed einen gnadenlosen Killer, Detektiv und Frauenheld. Seine Figur scheint an den damals recht populären „Kommissar X“-Filmen angelehnt. Und tatsächlich werfen sich dem smarten Reed die Damen gleich reihenweise und willenlos zu Füßen. Allerdings ist Reed kein Tony Kendall und somit wirkt sein weiches, kindliches Gesicht mit der blonden Föhnwelle für diese Rolle doch ziemlich unpassend. Immerhin kann er aber seine Athletik unter Beweis stellen und zeigt eindrucksvoll, wie gut er mit dem Colt jonglieren kann.
Überhaupt zeichnet den Film eine gewisse Verspieltheit aus. Gerne wird mit dem Colt herumwirbelt, merkwürdig maskierte Männer und sogar ein Zwerg treten auf. Es wird gesprungen und getanzt, was mit dem hohen Bodycount und einigen sadistischen Einfällen nicht ganz vereinbar erscheint. Für letztere ist Peter Martell zuständig, der den Schurken gibt. Dies kann an dieser Stelle verraten werden, ohne damit eine große Überraschung zu verderben. Denn von Anfang an lässt Martell die Sau raus und keinen Zweifel daran, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Mit lautem Lachen und irrem Blick schmeißt er sich fast schon ein wenig zu sehr in die Rolle des Don José. Das ist zumindest sein Name in der deutschen Fassung. In der italienischen heißt er Douglas, was zu Verwirrung führt, wenn in den nicht-synchronisierten, ehemals gekürzten Stellen, der DVD die Namen aus der Originalfassung in den Untertiteln auftauchen. Mit seiner schicken grünen Jacke, einem zwergenhaften Helfershelfer und tödlichem Gehstock, wirkt Martell beinahe schon wie die Karikatur eines frühen Bond-Gegners. Martell hat – wie eigentlich alle Darsteller – sichtbar Spaß an seiner Rolle und geht darin voll auf.
„Bleigericht“ gehört nicht zu den Speerspitzen des Genres, sondern sortiert sich im soliden unteren Mittelfeld ein. Da es ständig irgendwo knallt oder Sprüche geklopft werden, unterhält der Film über seine Spieldauer von 85 Minuten ganz anständig.
Mit den Extras lässt sich Koch Media auch diesmal nicht lumpen. Zunächst gibt es ein interessantes Interview mit Regisseur Paolo Bianchini, bei dem allerdings die abenteuerliche Lebensgeschichte des Dean Reed nur kurz angerissen wird. Da hätte man sich doch etwas mehr Infos gewünscht. Des weiteren wurde wieder der Filmhistoriker Fabio Melelli verpflichtet, der einiges über den Film und seine Einordnung ins Genre erzählen kann. Hier – wie auch bei den anderen Beiträgen von Herrn Melelli in dieser Box – tritt allerdings wieder ein Manko auf, welches bereits in der „Western Unchained“-Reihe und der „Italo-Western Enzyklopädie Vol. 1“ unangenehm aufstieß. Die Untertitel sind derartig gestelzt und umständlich, dass es zum Teil große Mühe macht, den Sinn des Gesagten zu erfassen. Nicht ganz so katastrophal wie bei der „Western Unchained“-Reihe, aber trotzdem sollte man hier einmal den Übersetzer wechseln. Vor allem, da die Untertitel der anderen Extras diese Schwäche nicht aufweisen.
Screenshots und mehr zur "Koch Media Italo-Western Enzyklopädie Vol. 2":
http://www.filmforum-bremen.de/2013/06/ ... adie-no-2/