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Darsteller: Ingrid Thulin, Gunnel Lindblom, Birger Malmsten, Håkan Jahnberg, Jörgen Lindström, Lissi Alandh, Karl-Arne Bergman, Leif Forstenberg, Eduardo Gutiérrez, Eskil Kalling, Birger Lensander, Kristina Olausson u. A.
Zwei Frauen und ein kleiner Junge reisen mit dem Zug durch ein fremdes Land, in dem drückende Hitze herrscht und das sich auf einen Krieg vorzubereiten scheint. Da es Ester gesundheitlich schlecht geht, unterbrechen sie, ihre Schwester Anna und deren Sohn Johan die Reise in der nächsten Stadt und beziehen eine kleine Suite in einem weitläufigen, doch fast leeren Hotel. Während Johan die langen Hotelflure erkundet und Bekanntschaft mit einer Zwergen-Varietégruppe macht, belauern die beiden Frauen einander vorwurfsvoll: Anna macht sich zurecht, um auf der Straße und in Cafés Männerbekanntschaften zu suchen, Ester dagegen bleibt frustriert im Bett bei Zigaretten und Alkohol. Die Spannungen zwischen ihnen eskalieren, als Anna einen Fremden ins Hotel bringt, um mit ihm zu schlafen – Esters Zustand verschlechtert sich rapide, nur noch der kleine Johan scheint ihr Halt zu geben...
Der dritte der zur „Kammerspiel-Trilogie“ zusammengefassten Filme des schwedischen Filmemachers Ingmar Bergman („Die Zeit mit Monika“) ist der ehemalige Skandalfilm „Das Schweigen“ aus dem Jahre 1963, der eigentlich ein depressives Drama ist.
In einem heißen Sommer reisen die Schwestern Anna (Gunnel Lindblom, „Licht im Winter“) und Ester (Ingrid Thulin, „Malastrana“) zusammen mit Annas Sohn Johan (Jörgen Lindström, „Nachtspiele“) durch ein fremdes Land, das sich für kriegerische Auseinandersetzungen zu präparieren scheint. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustands der lungenkranken Ester unterbricht das Trio seine Reise und steigt in einem Hotel ab. Während Johan die langen Gänge erkundet und auf eine Gruppe kleinwüchsiger Kleinkünstler trifft, raucht, trinkt und masturbiert die frustrierte Ester, bis sie einen Hotelangestellten kennenlernt, mit dem sie anbandelt. Anna wandelt rastlos durch Kneipen und Clubs auf der Suche nach unverbindlichem Sex, den sie schließlich mit einem Kellner in einer Kirche hat. Als es Ester wieder besser geht, arbeitet sie an Übersetzungen. Ihr Zustand verschlechtert sich jedoch, als Anna ihre Bekanntschaft mit ins Hotel bringt…
Zum Titel passend dialogarm und in depressiven Schwarzweißbildern erzählt Bergman eine Geschichte, die keinen richtigen Anfang und kein entsprechendes Ende zu haben scheint. Der Ort, an dem die Reisenden ihren Halt machen, wird nicht näher definiert, die Sprache der Einheimischen ist unverständlich. Vermutlich soll es sich um einen Staat des Warschauer Pakts handeln. Die seinerzeit, immer noch ein paar Jährchen vor Ausbruch der sexuellen Revolution, skandalösen Sexszenen sind rein visuell nicht der Rede wert und weit von pornographischer oder auch nur selbstzweckhafter Darstellung entfernt. Ein paar nackte Brüste und angedeuteter Beischlaf, das war’s im Grunde genommen. Doch der Kontext, in dem hier unehelicher Sex stattfindet, wog vermutlich noch wesentlich schwerer. Bar jeder erotisierenden Darstellung ist er vollkommen ungeeignet, auf das Publikum stimulierend zu wirken, was Bergman auch nie intendiert haben wird – wer sich Derartiges von „Das Schweigen“ verspricht, sei gewarnt. Um es kurz zu machen: Was mir als mit seinem Œuvre kaum vertrauten Zuschauer Bergman mit seinem Film sagen will, erschloss sich mir nicht, ich fand keinen Zugang, empfand die düstere Schwermut des Films, der rein atmosphärisch sicherlich sämtliche Register zieht, als unangenehm. Das Verhalten der Charaktere schien mir nicht nachvollziehbar, die einzelnen Szenen gar zusammenhanglos, beinahe surreal.
Anschließende Recherchen förderten jedoch einen hochinteressanten Artikel Andreas Thomas‘ auf filmzentrale.com zutage, der den Film detailliert analysiert und interpretiert. Es scheint sich um einen symbol- und metapherreichen Spielfilm zu handeln, der voll Freud’scher Sexualpsychologie steckt, sich mit dem gestörten Verhältnis zur eigenen Person, insbesondere des eigenen Sexualtriebs, auseinandersetzt und möglicherweise in Anna und Ester das Es und das Ich des Strukturmodells der Psyche darstellt, das nach dem Wegfall eines autoritären, aber trügerische Sicherheit versprechenden Über-Ichs (der Vater der Schwestern ist gestorben) auf sich allein gestellt ist und die negativen Folgen frommer christlicher Erziehung aufzeigt.
Das klingt durchaus schlüssig und spannend, jedenfalls spannender, als sich mir der Film während meiner unbedarften Erstsichtung darstellte. Nun weiß ich aber auch, weshalb mir der Zugang fehlt, denn glücklicherweise ist meine Sozialisation nicht vergleichbar mit der des Pastorensohns Bergmans und seiner Charaktere in „Das Schweigen“. Oder anders: Gott sei Dank bin ich Atheist!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Vermutlich interessanter als der Film selbst, den ich, wie alle Bergman-Filme mit Ausnahme der TV-Fassung von "Fanny und Alexander", nicht kenne, dürfte die Tatsache sein, dass er sogar das Bundesverfassungsgericht beschäftigte aufgrund seines damaligen Rufes als "Skandalfilm", der dann wohl die meisten "Skandalzuschauer" enttäuscht haben dürfte.
Die FSK hatte den Film ab 18 freigegeben und die FBW dem Film das Prädikat "besonders wertvoll" verliehen. Dann stellte ein Staatsanwalt (wohl als Privatperson!) Strafanzeige gegen den Geschäftsführer des Atlas-Filmverleihs, das Ermittlungsverfahren wurde vom Oberstaatsanwalt in Duisburg eingestellt. Eine Beschwerde dagegen vom Generalstaatsanwalt in Düsseldorf als unbegründet zurückgewiesen.
Der dagegen gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde vom OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 25.3.1965 (2 Ws 331/64) ebenfalls abgewiesen.
Das OLG entschied:
1. Die Freiheit der Kunst ist nicht schrankenlos. Auch dieses Grundrecht unterliegt dem allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt des Grundgesetzes (Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG) und kann durch verfassungsgemäße Rechtsnormen selbst dann eingeschränkt werden, wenn dies auf Kosten der Vollständigkeit der künstlerischen Aussage gehen müßte.
2. Der besonderen Bedeutung, die der Freiheit der Kunst in einem freiheitlich demokratischen Staate zukommt, wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, daß, anders als sonst, nicht auf das Scham- und Sittlichkeitsgefühl des Durchschnittsmenschen, sondern auf das Empfinden solcher Personen abzustellen ist, die für die Kunst, auch für die zeitgenössische, aufgeschlossen oder doch zumindest um ihr Verständnis bemüht, wenn auch nicht besonders vorgebildet sind.
3. Für die strafrechtliche Beurteilung der Unzüchtigkeit eines Films ist nicht die Wirkung einzelner Szenen, für sich gesehen, maßgebend, vielmehr muß das Filmwerk als Ganzes unzüchtig sein.
4. Ein Film ist nicht unzüchtig, wenn unzüchtige Szenen mit ihrer Einordnung in das Gesamtwerk durch dessen künstlerische Bedeutung und Wirkung so veredelt, durchgeistigt, verklärt oder überlagert erscheinen und in den Hintergrund treten, daß bei einem für die Kunst aufgeschlossenen oder doch um ihr Verständnis bemühten Betrachter eine Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls vermieden wird.
Der wackere Dr. L. Sch., Erster Staatsanwalt aus Köln, gab immer noch nicht auf und legte gegen die Entscheidung Verfassungsbeschwerde ein, die allerdings vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27.7.1965 (2 BvR 320/65) abgebügelt wurde.
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buxtebrawler hat geschrieben:Anschließende Recherchen förderten jedoch einen hochinteressanten Artikel Andreas Thomas‘ auf filmzentrale.com zutage, der den Film detailliert analysiert und interpretiert. Es scheint sich um einen symbol- und metapherreichen Spielfilm zu handeln, der voll Freud’scher Sexualpsychologie steckt, sich mit dem gestörten Verhältnis zur eigenen Person, insbesondere des eigenen Sexualtriebs, auseinandersetzt und möglicherweise in Anna und Ester das Es und das Ich des Strukturmodells der Psyche darstellt, das nach dem Wegfall eines autoritären, aber trügerische Sicherheit versprechenden Über-Ichs (der Vater der Schwestern ist gestorben) auf sich allein gestellt ist und die negativen Folgen frommer christlicher Erziehung aufzeigt.
Ich glaube, im Reclam-Filmlexikon mal gelesen zu haben, dass der Film - als Abschluss der "Glaubens-Trilogie" von Bergman - die schreckliche Vision "einer Welt ohne Gott" darstelle
Dann endet man eben, wie der rothaarige Frauenkopf auf dem obigen Filmplakat, bewegungslos auf einem Phallus aufgespießt
Adalmar hat geschrieben:Ich glaube, im Reclam-Filmlexikon mal gelesen zu haben, dass der Film - als Abschluss der "Glaubens-Trilogie" von Bergman - die schreckliche Vision "einer Welt ohne Gott" darstelle
Ja, im Sinne von Gott als Über-Ich.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Ich glaube aber nicht, dass das an der von mir zitierten Stelle so gemeint war.
Es ist ja ein grundlegender Unterschied, ob man sagt: "Die Menschen brauchen Gott, eine Welt ohne Gott ist traurig, so wie in "Das Schweigen".", oder ob man sagt: "Die Welt ist traurig, wenn man von 'Gott' bzw. einer Vater-Figur geistig abhängig geworden ist und diese auf einmal fehlt."
Adalmar hat geschrieben:Ich glaube aber nicht, dass das an der von mir zitierten Stelle so gemeint war.
Es ist ja ein grundlegender Unterschied, ob man sagt: "Die Menschen brauchen Gott, eine Welt ohne Gott ist traurig, so wie in "Das Schweigen".", oder ob man sagt: "Die Welt ist traurig, wenn man von 'Gott' bzw. einer Vater-Figur geistig abhängig geworden ist und diese auf einmal fehlt."
Das stimmt natürlich. Ersteres greift zu kurz und dürfte die gewollte Interpretation des Klerus sein, letzteres hingegen war vermutlich Bergmans Intention.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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