Grüsse aus dem Jenseits - Rick Jason (1972/1974)

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Maulwurf
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Grüsse aus dem Jenseits - Rick Jason (1972/1974)

Beitrag von Maulwurf »

 
Grüsse aus dem Jenseits
A time for love
USA 1972/74
Regie: Rick Jason
Rick Jason, Jane Merrow, Benson Fong, Robert Rhodes, William Beckley, Susan Davis, Andre Marquis, Robert To, Susan Cummings


Grüsse aus dem Jenseits.jpg
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OFDB

In der IMDB kann man über GRÜSSE AUS DEM JENSEITS lesen: „I recall the writing, directing, acting and everything else were all horrible. Even today we use this an example of the worst a film can possibly be.“ Hui, das ist harter Stoff, und gleichzeitig fällt auf, dass selbst die IMDB nur das deutsche Video-Cover abbildet (zusammen mit dem deutschen Titel!), und nirgendwo ein Filmplakat zu finden ist, weder deutsch noch englischsprachig. Wird dieser Film totgeschwiegen? Und dies am Ende noch zu Recht?

Paul Chalk ist ein typischer amerikanischer Geschäftsmann: Gutaussehend, erfolgreich, ichbezogen, arschlochig. Auf Vorschlag eines Geschäftspartners fliegt er nach Hongkong, um dort eine mögliche Geschäftsvergrößerung zu prüfen. Er begegnet einer Frau, von der er das Gefühl hat, sie bereits einmal getroffen zu haben. Seltsam, lebt diese Frau, Janice, doch seit ihrer Kindheit in Hongkong, wo Paul noch niemals war. Janice, die sich damit brüstet noch niemals verliebt gewesen zu sein, zeigt Paul die Stadt, und ganz allmählich kommt man sich näher. In ihrer Wohnung lernt Paul, dass Janice Künstlerin ist, und das erste Bild von ihm vor 2 oder 3 Jahren gemalt hat. Das andere Bild entstand vor 6 Monaten. Und beide haben immer wieder das Gefühl, sich aus vergangenen Leben zu kennen, und beide werden von seltsamen Erinnerungen an frühere Leben heimgesucht.

Filme, bei denen der Produzent das Drehbuch geschrieben hat, sollten beim Zuschauer von vornherein sämtliche Alarmglocken schrillen lassen! Wenn Filmproduzenten sinnvolle Drehbücher schreiben könnten wären sie Drehbuchautoren geworden, nicht Produzenten. Und wenn dann noch Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion dabei sind ist prinzipiell schnellste Flucht angeraten. So schlimm? So schlimm! Wobei ich gestehen muss, dass GRÜSSE AUS DEM JENSEITS mich irritierenderweise auf dem richtigen Fuß erwischt hat – Eine ruhige, geradezu gemächlich erzählte, Liebesgeschichte aus dem Hongkong der frühen 70er-Jahre, mit vielen hübschen Aufnahmen der Stadt und Hauptdarstellern, denen das Schauspielern nicht wirklich in die Wiege gelegt wurde, diese Mischung hat mich tatsächlich seltsam berührt. Vor allem Rick Jason hat den Charme einer ausgedrückten Tube Senf, was aber auch an der üblen Videosynchro liegen könnte, und wirkt in seiner ganzen Art ziemlich unsympathisch. Sein Part ist es, Stuss zu reden, andere Leute so oft wie möglich vor den Kopf zu stoßen, und seinem jeweiligen Gegenüber dabei zuzuschauen, wie der– oder diejenige die Drehbuchanweisung des Nett schauen und vorsichtig lächeln versucht durchzuführen. Gerade die Szenen rund um den Wahrsager, der Paul und Janice die Wahrheit über ihre früheren Leben versucht zu erklären, sind zum Kennenlernen des Begriffs Fremdschämen absolut geeignet – Paul geriert sich gegenüber der Frau die er angeblich liebt als überheblicher Arroganzling und zeigt genau das Antlitz des Amerikaners, das alle Welt unter Schema F abgelegt hat …

Chalks Geschäftspartner Mr. Fong oder so ähnlich grinst permanent debil, sondert dabei fortwährend asiatische Weisheiten ab, und merkt gar nicht, dass er tatsächlich noch viel mehr nervt als sein Buddy Paul. Und zwischen diesen beiden Unsympathen versucht dann Janice sich einzurichten, die mit vorstehender Unterlippe (Sie ist Britin, also eher eine steife Unterlippe!) versucht gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und letzten Endes unter der Rubrik nett und harmlos einsortiert werden kann. Die armen Schauspieler, die armen Charaktere.

Aber trotzdem ich zweimal eingeschlafen bin, trotzdem hat der Film einen gewissen Charme, und das ist absolut ernst gemeint. Die Bilder von Hongkong sind sehr schön – Nicht übertrieben kitschig oder touristisch bedeutsam, eher Bilder des ganz alltäglichen Lebens in einer 4 Millionen-Metropole (die Zahl wird einmal genannt), die in den 50 Jahren seit dem Film ihr Aussehen so grundlegend und so rücksichtlos geändert hat, dass von den gezeigten Straßenzügen sicher kein einziger mehr so existiert wie er hier zu sehen ist. Eine Zeitreise also, was merkwürdigerweise mit dem Inhalt des Films korreliert. Und über diese Bilder wird eine Liebesgeschichte erzählt (oder was Produzent und Regisseur dafür halten), die in ihrer Ruhe (andere würden behaupten: Banalität. Oder Langeweile …) den Zuschauer vielleicht nicht mitzieht, aber doch ihren ganz eigenen Reiz bereithält. Es gibt keinen Sex, es explodieren keine Autos, und selbst der Erpresser, der den beiden quer durch die Stadt folgt, löst sich irgendwann in Luft auf. Ein Film zum Wohlfühlen …? Na ja, da stehen dann wiederum Paul und seine idiotischen Verhaltensweisen dagegen. Aber wenn man sich mit dem gezeigten Billigst-TV-Niveau arrangieren kann, liegt durchaus ein gewisser Charme in der Luft. Eine Entspanntheit und eine Ruhe, die das Gemüt des Zuschauers befriedet und ihn selig schlummern lässt. Ohne dass er Angst haben muss, etwas zu verpassen. Zuschauen. Entspannen. Wegdämmern.

Somit kann GRÜSSE AUS DEM JENSEITS REICH DER TRÄUME mit seinem gigantisch dummen Video-Cover (gleich welchen Anbieters) sehr wohl und mit gutem Gewissen als Schlaftablette mit städtebaulich-kulturellem Anspruch empfohlen werden. Wobei ich vollstes Verständnis habe für jeden, der diesen Schmonzes mit einem Pünktchen oder weniger versieht. Der Vollständigkeit halber möchte ich aber darauf hinweisen, dass mein Finger nicht ein einziges Mal zur Vorspultaste gezuckt ist! Was? Wer sagt da komatöses Verhalten …?

5/10
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
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