Originaltitel: Menuju rembulan
Produktionsland: Indonesien 2015
Regie: Ismail Basbeth
Darsteller: Tara Basro, Ratu Anandita, Cornelio Sunny, Endang Sukesi, Mila Rosinta Totoatmojo
Es beginnt wie ein Märchen: Zwei Mädchen leben auf sich allein gestellt mitten im Wald. Sie scheinen keine Sprache zu kennen, einzig ihren Instinkten zu vertrauen. Mit Speeren bewaffnet stehen sie am Ufer eines Flusses, auf den Moment wartend, der der richtige ist, um einen der vorbeischwimmenden Fische aufzuspießen. Mit Speeren bewaffnet stehen sie am Rand einer Lichtung, auf den Moment wartend, der der richtige ist, um eines der vorbeihoppelnden Kaninchen niederzustrecken. Sie braten die Tiere über einem Lagerfeuer, nagen ihnen das Fleisch von den Knochen oder Gräten. Im stets gleichen Rhythmus verläuft ihr Leben. Ein kleiner, süßer, schwarzer Hund eilt durchs Gehölz, als sei er auf der Suche nach etwas. Gesteuert wird er scheinbar von einer älteren Frau, die irgendwo unter freiem Himmel vor einem defekten Fernsehapparat sitzt und verschiedene Gegenstände auf einem Teppich anordnet, wozu sie singt und murmelt. Eines Tages wird eins der Mädchen aus heiterem Himmel vom Blitz getroffen. Die Überlebende zeigt zunächst keine Zeichen von Trauer, dafür von Magie. Nach einem stillen Totenritual erweckt sie den Leichnam zu neuem Leben. Stumpf trottet er zu einer frisch ausgehobenen Grube. Dort hineingesunken begräbt das eine Mädchen das andere unter Erde. Anschließend sitzt sie am Grab, mit geschlossenen Augen, sodass sie die vielen Menschen mit Tiermasken – Hühnchen, Häschen – nicht sehen kann, die um sie herumtanzen. Fortan sind alle Beutetiere, die sie fängt, reine Spielzeugwesen, kleine Roboterkaninchen zum Beispiel, deren Plastik sie mit den Zähnen nicht auseinanderbekommt. Dann aber geht ihr der kleine, süße, schwarze Hund in die Falle, nunmehr ebenfalls ein junger Mann mit Maske. Sie will ihn töten, doch jede Wunde, die sie ihm beifügt, materialisiert sich sofort an ihrem eigenen Körper. Deshalb wird er zu ihrem beständigen Begleiter, führt sie schließlich aus dem Wald heraus. Zuvor ist der Leichnam des toten Mädchens noch von Außerirdischen aus dem Erdboden extrahiert und einem UFO einverleibt worden, das mit ihm auf und davon fliegt. Am Meer verwandelt sich der Hund in einen Menschen. Die Frau und der neugeborenen Mann heiraten, beziehen ein Haus in irgendeiner Stadt. Glücklos ist das weitere Leben unserer Heldin. Oft starrt sie mit blindem Blick in die Ferne. Ihr Gatte schießt mit einem Gewehr auf Vögel aus Pappe. Im heimischen Garten tummeln sich die Roboterkaninchen. Der Beischlaf ist leidenschaftslos, erniedrigend. Dann aber, nachdem sie einer Tochter das Leben geschenkt hat, begegnet das Mädchen seiner toten Freundin oder Schwester, die sie zurück in den Wald lockt. Es endet wie ein Märchen.
Ganz bewusst habe ich in meiner obigen Inhaltsangabe auf irgendeinen Hauch von Interpretation verzichtet. Das liegt schlicht daran, dass ich nicht davon ausgehe, MENUJU REMBULAN in seinem gesamten epischen Symbolismus und seinen reichhaltigen Querverweise auf die mir eher unbekannte mythologische Landschaft und Historie Indonesiens überhaupt jemals völlig fassen zu können. Interessant ist immerhin, was Regisseur Ismail Basbeth auf der offiziellen Seite zu seinem ersten Langfilm über das MENUJU REMBULAN zugrundeliegende Konzept berichtet. Nachdem er auf die bisherige Rolle der Frau innerhalb der indonesischen Gesellschaft hingewiesen hat, die, seiner Meinung nach, in der Vergangenheit nicht viel mehr als die eines Objektes war, mit dem sich die Männer schmücken konnten, erklärt er: „I want to make this film with the intention of breaking those traditions. This film will break the established social relations by making and building new relations inside the film, putting the women’s position as the center, as the story driver. This film will tell a story about a young woman, Asa. Her fight to own and to control her own life against the confrontation with other authorities and dominations around her; which affects her life and her way of living. I also interpret this film as a film about a human; about the fight to be free with our own choice; to be ourselves. This film will adapt and make representations of fairytales, legends and myths in Indonesia, not all, only a notable few. I want to look and learn from these traditional stories and structures by making a brave research on the past, and making adaptations or even corrections from these stories.” Die Beispiele indes, die er anschließend anführt, um seinen offenkundig in höchstem Maße freien Umgang mit dem Mythenschatz seiner Heimat zu illustrieren, verwirren mich eher als dass sie mir MENUHU REMBULAN inhaltlich irgendwie näherbringen. Fakt scheint zu sein, dass Basbeth jedenfalls nicht einfach irgendeine bestimmte traditionelle Geschichte eins zu eins bewegte Bilder bringt, sondern dass er mitunter radikale Eingriffe in diesen Geschichten vornimmt, sie neu erzählt, neu interpretiert, um allein durch diese Änderungen, nehme ich an, seinem (indonesischen) Publikum mehr oder minder subtil eine gewisse gesellschaftspolitische, laut seinen Eigenaussagen feministische Botschaft mit auf den Weg zu geben.
Jemandem wie mir, der zu all den genuin indonesischen Kulturcodes kaum bis gar keinen Zugang hat, bleibt dann nur, den Film als ein Fest für die Augen zu genießen – denn das ist er geworden. Mit einer Langsamkeit, die sich nicht davor scheut, bei einer Einstellung minutenlang zu verharren und oftmals gerade Nicht-Ereignisse zu bebildern – so sehen wir Asa, unsere Heldin, beispielweise eine gefühlt endlose Zeitspanne lang starr ihre zukünftigen Beutetiere belauern bis es endlich zum tödlichen Speerwurf kommt -, schafft Basbeth von der ersten bis zur letzten Sekunde Bilder, die mal surreal sind, mal ziemlich schräg, mal melancholisch, immer aber ausgesprochen malerisch. Obwohl Tempo und Stimmung sich im Grunde kaum verändern – die elegische Atmosphäre des unglaublich entschleunigten Anfangs zieht Basbeth konsequent bis zum Schluss fort -, überrascht der Film einen doch immer wieder auf eine dezente Art mit einigen verrückten Einfällen wie den plötzlich auftauchenden Roboterkaninchen, den tiermaskentragenden Personen, die wohl so etwas wie Waldgeister darstellen sollen, subjektivem Kameraeinsatz bei der Beerdigungsszene, oder vor allem der bewusst trashigen Sequenz mit dem billigsten CGI-Ufo, das ich seit langer Zeit gesehen habe. Trotzdem nehmen diese Absurditäten nie derart überhand, dass der Film unter ihnen sein eher ernstes, strenges Gesicht verlieren würde. Gerade im letzten Drittel, als Asa mit ihrem vermeintlichen Traumprinzen in die Zivilisation gezogen ist, wird MENUJU REMBULAN zu einer nunmehr wenig verschleierten Anklage gegen das Patriarchat. Meine liebste Szene in dem Zusammenhang ist eine, in der Basbeth einen unangenehmen Eindruck von Asas Ehesexualität gibt, ohne den Akt selbst mehr als nur anzudeuten. Sie kniet auf allen Vieren auf dem Boden, ihr Gatte kommt herein, bleibt leicht grunzend und mit aufgeknöpfter Hose hinter ihr stehen, legt sich schließlich zum Schlafen neben sie, während Asa die ganze Zeit regungslos irgendwelche unsichtbaren Punkte an der Wand gegenüber fixiert.
Es mag sein, dass MENUJU REMBULAN in einigen Szenen derart langsam ist, dass der Film schon beinahe zu stagnieren droht, und für ein großes Publikum ist diese wortkarge Meditation in Bildern wohl sowieso nicht gedacht gewesen. Wenn ich schreibe, dass man ihn, wenn überhaupt, vielleicht als eine Mischung aus der Erzähltechnik Tarkovskijs und der Symbolik Jodorowskys bezeichnen könnte, dann ist dieser Vergleich mit Vorsicht zu genießen, denn obwohl stellenweise sogar die traditionelle Musik an Klänge aus MONTANA SACRA erinnert und die endlosen Aufnahmen von Wäldern und Feldern, in denen nicht viel passiert, durchaus auch einer Dschungelversion von STALKER hätten entspringen können, hat Basbeths Kamera zugleich doch einen wesentlich naturalistischeren Blick auf die Welt, der noch jedes Wunder im gleichen Moment, in dem es geschieht, bereits halb wieder entmystifiziert. Auf der großen Leinwand und in der richtigen physischen und psychischen Verfassung ist MENUJU REMBULAN jedoch, wie ich am eigenen Leib erfahren habe, ein überaus innovativer, anstrengender und erhebender Trip in das experimentierfreudigere Kino Südostasiens.