Der Rächer aus der Todeszelle - David Chiang

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Blap
Beiträge: 6841
Registriert: Sa 19. Dez 2009, 14:21

Der Rächer aus der Todeszelle - David Chiang

Beitrag von Blap »

Bild



Der Rächer aus der Todeszelle (Hongkong 1976, Originaltitel: Si qiu)

Herr Chiang kocht auf mittlerer Flamme

Lung Wen-Hsuan (Bai Ying aka Pai Ying) führt eine Horde gnadenloser Mordbuben an. Wohlhabende Bürger werden in ihren Anwesen überfallen und skrupellos getötet, zu allem Überfluss steckt der angesehene Cheng Meng (Ku Feng) mit der Bande unter einer Decke. Feng Ta-Kang (Tsai Hung) gerät in einen dieser Überfälle, trotz seiner hervorragenden Kampfkünste kann er die Übertäter nicht stoppen und wird kurzzeitig ausser Gefecht gesetzt. Es soll jedoch noch schlimmer für Feng kommen, die zuständige Polizei hält ihn für einen der Täter, sperrt den Unschuldigen in eine düstere Einzelzelle, es droht die Todesstrafe! Derweil ahnt der kleine Taschendieb Yang Lin (David Chiang) noch nichts von den ihm bevorstehenden Ereignissen, ist er doch in erster Line mit kleinen Gaunereien und seiner Herzdame Bao Ying (Lily Li) beschäftigt. Pech ereilt den fröhlichen Taugenichts, der Diebstahl einer Geldbörse bringt Yang Lin ebenfalls hinter Gitter, zwecks Erpressung eines Geständnisses steckt man den harmlosen Burschen zu Feng in die Zelle. Nach Anlaufschwierigkeiten entsteht eine tiefe Freundschaft zwischen den Männern, gemeinsam entkommt man aus dem Knast, es kommt zur unvermeidbaren Konfrontation mit Lung Wen-Hsuan und dessen Schergen...

David Chiang wurde in den späten sechziger/frühen siebziger Jahren zu einem der grössten Stars der Shaw Brothers, bei dem hier kurz vorgestellten Eastern-Drama zeichnet er auch für die Regie verantwortlich. "Der Rächer aus der Todeszelle" mag nicht immer auf den Punkt genau inszeniert sein, verliert sich hier und da in Nebensächlichkeiten, bietet aber insgesamt ansprechende Unterhaltung. Chiangs dritte Regiearbeit setzt in erster Linie nicht auf Kämpfe, der Streifen baut auf zwei sehr unterschiedlich angelegte Hauptcharaktere. Erst im Laufe des recht ausufernd angelegten Finales drückt der Chef aufs Gaspedal, sämtliche aufgestaute Energie entlädt in Fratzengeballer der soliden Gangart (Chiang überlässt die Bühne der Kampfkunst weitgehend Tsai Hung und den Fieslingen, er selbst zappelt lediglich zornig umher). Angenehmerweise schreckt das Drehbuch nicht vor tragischen Elementen zurück, ich will an dieser Stelle jedoch nicht zu viel verraten. Fürs Auge werden (auch) die üblichen "Shaw-Kulissen" geboten, deren offensichtliche Künstlichkeit einen geschätzen und stilprägenden Bestandteil der Produktionen aus diesem Hause ausmacht. Kontrast bieten die Szenen in der dunklen Zelle, ohne den Rest des Werkes zu dominieren. Kleine Liebeleien zwischen David Chiang und Lily Li kommen freilich nicht ohne Kitsch aus, indessen sorgt ein graziler Hauch Erotik für milde Würze, sehr schön.

Hauptdarsteller und Regisseur in Personalunion, David Chiang präsentiert sich nicht als strahlender und das Schwert schwingender Held. Nein, sein Yang Lin ist ein naiver Tagedieb, eine Art Robin Hood im Schmalspurformat, selbstverständlich verteilt er die Beute seiner "Arbeit" zu einem erheblichen Teil an arme Mitbürger. Keinen seriösen Job, keine Fähigkeiten im Kampf, ein liebenswerter Verlierer. Unter dem Druck überschäumender Wut, Trauer und Verzweiflung wächst er (ein wenig) über sich hinaus. Chiang löst diese Aufgabe im Finale sehr geschickt und nachvollziehbar, trotz mangelnder Kampfkunst beisst sich Yang Lin am Gegner fest, hat keine Chance und nutzt sie (mit oder ohne Erfolg? Das müsst Ihr auf eigene Faust überprüfen). Oft sah man David Chiang an der Seite eines anderen Topstars der Shaw Brothers, dem nicht minder gut beschäftigten Ti Lung. Tsai Hung ist ein ganz anderer Typ als Ti Lung, kommt weitaus kantiger und kerniger daher, die Chemie zwischem dem ungleichen Duo stimmt, ich habe Ti Lung zu keiner Sekunde vermisst. Es brodelt und brodelt und brodelt, schliesslich darf Tasi Hung ordentlich auf den Putz (das Fleisch und die Knochen seiner Gegner) hauen, auf der Speisekarte stehen die Oberschurken und diverse Helferlein der Bösewichter. Ku Feng ist sowieso eine sichere Bank, folglich überzeugt er in der Rolle des verschlagenen Geldsacks, liefert nebenbei einen ordentlichen Kampf ab. Noch besser gefällt mir der Auftritt von Pai Ying, er gibt den eiskalten Schurken grandios, hinter der biederen Fassade lauert das Raubtier. Chan Shen soll nicht unerwähnt bleiben, er nimmt den dritten Rang auf der Fahndungsliste ein. Die Damen haben nicht viel zu lachen. Lily Li sorgt sich um ihren Liebsten und gerät in den Dunstkreis der Ganoven, während Hu Chin vorgibt als Prostituierte ein glückliches und sicheres Leben zu führen.

Wer vor allem jede Menge Action mit einer Shaw Brothers Produktion verbindet und keine Lust auf Abwechslung verspürt, für den ist "Der Rächer aus der Todeszelle" vermutlich weniger gut geeignet (trotzdem rate ich zu einem Versuch). Bevor es zum grossen Geprügel auf Leben und Knochenbruch kommt werden die Weichen gestellt, die Darsteller überzeugen auch abseits der liebgewonnenen und begehrten Zappeleien. Gewohnt gute Ausstattung und ein gepflegtes Ensemble, kleine Schwächen der Inszenierung sind verzeihbar.

Die DVDs aus der Shaw Brothers Reihe von MIB spalten die Gemeinde. Zwar konnte man ordentliche Vorlagen aus Hongkong nutzen, die Bildqualität bietet daher (meist) nur wenig Anlass zur Kritik. Leider verzichtete man auf die alten deutschen Synchros, verpasste den Filmen neue Sprecher. Sehr schade, denn der spezielle und knuffige Zungenschlag geht verloren, obschon die jüngeren Versionen überwiegend gar nicht so mies wir ihr Ruf sind. "Todeszelle" wurde aber meines Wissens nach erst vor wenigen Jahren für den deutschen Markt ausgewertet, daher entfällt das "Wo-ist-die-alte-Synchro-geblieben-Problem". Auf der DVD ist weiterhin der Originalton (mandarin) enthalten, welcher mit einer anderen musikalischen Untermalung ausgestattet ist (beide Varianten reissen in dieser Disziplin keine Bäume aus). Im Bonusbereich gibt es Texttafeln in englischer Sprache auf die Augen, hinzu gesellen sich ein paar Trailer aus dem Shaw-Kosmos.

Zunächst wollte ich es bei 6/10 belassen, aber frischer Wind und "Mut zur Tragik" verhelfen dem Streifen zu 6,5/10.

Lieblingszitat:

"Was für ein schlauer Fuchs! Verkauft mich ja nicht für dumm!"
Das Blap™ behandelt Filme wie Frauen
Antworten