Originaltitel: Jûjin yuki otoko
Produktionsland: Japan 1955
Regie: Ishirô Honda
Darsteller: Akira Takarada, Akemi Negishi, Momoko Kôchi, Nobuo Nakamura, Kokuten Kôdó
Im allerersten GOJIRA-Film hält es der Paläontologe Professor Kyohei Yamane schon nach einer Viertelstunde für durchaus möglich, dass die seltsamen Vorkommnisse, die sich auf einer entlegenen Pazifik-Inselgruppe häufen, in Zusammenhang mit einem aus jahrhundertelangem Schlaf erwachten Urweltsaurier stehen könnten. Er weist die ihm zuhörende Gruppe aus Militärs, Journalisten und Regierungsverantwortlichen darauf hin, dass es auf dem Grund des Ozeans doch zahllose Höhlen gebe, in denen sich Gott weiß was versteckt haben könnte. Außerdem sollte man sich doch an einen Fund im Himalaya-Gebirge erinnern. Dort sei man kürzlich über Fußspuren gestolpert, die möglicherweise von niemand anderem als dem sagenumwobenen Schneemenschen stammen. Natürlich müsse er als Wissenschaftler aber erstmal empirisch die Faktenlage checken, und das Wichtigste sei jetzt sowieso, zunächst ein Expertenteam zusammenzustellen, und der Sache auf den Grund zu gehen. Vielleicht hätte ich die beiläufige Erwähnung des Yetis in Yamanes Ansprache längt vergessen, wäre ich nicht kürzlich auf den – diesmal übertreibe ich kein bisschen – in den Toho-Archiven regelrecht weggesperrten Film gestoßen, den Ishirô Honda gleich nach dem Erfolg von GOJIRA 1955 auf die Beine gestellt hat, und der tatsächlich genau die Geschichte erzählt, die Professor Yamane dort nur flüchtig antippt. JÛJIN YUKI OTOKO heißt das gute Stück, dessen reiner Inhalt in etwa genauso interessant ist wie seine Produktions- und Distributionshistorie, weshalb ich ihm im Folgenden die üblichen paar kurze Zeilen widmen möchte.
Fünf Freunde sind es, die zu Beginn des Spektakels einen Skiausflug in die schneebedeckten Gebirgsregionen Japans – (um genau zu sein: in die Gegend um den Fuji-Vulkan) - unternehmen: Takashi, seine Liebste Machiko, deren Bruder Nakada sowie die Draufgänger Gen und Kaji. Ziel soll ein Gasthof irgendwo in der Wildnis sein, zu dem zu gelangen es letztere beiden so wenig abwarten können, dass sie die Gruppe, trotz Takashis Warnung, vorzeitig verlassen, um als erste den Bestimmungsort zu erreichen. Was folgt ist ein Szenario wie es auch einem zeitgenössischen Vehikel der Hammer-Studios nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte: Im Gasthof, erklärt der Wirt dem eintreffenden Trio aus Takashi, Machiko und Nakada, seien Gen und Kaji nie eingetroffen. Zudem macht kurz darauf ein Blizzard die Gegend unsicher, weswegen unsere Helden erstmal festsitzen, und nicht weiter zu einer noch entlegeneren Hütte reisen können, wo sie vermuten, dass ihre Freunde angesichts des Sturms untergekommen sind. Anrufe dort, die unerwidert bleiben, erweisen sich genauso wenig als Mittel zur Besänftigung der angespannten Nerven, sondern straffen diese nur noch, wie eine junge Frau namens Chika, die der Blizzard ebenfalls in den Gasthof geweht hat, und von der der Wirt raunend zu berichten weiß, sie gehöre zu einem befremdlichen Gebirgsvolk, das jeglichen Kontakt mit der Außenwelt meide, und über das man sich Gespenstisches erzähle. Endlich klingelt der Telefonapparat, doch was er offenbart, klingt furchtbar: Schreie ertönen, Gewehrpatronen platzen, ein Kampf scheint in der Berghütte zwischen Gen, Kaji und unbekannten Angreifer entbrannt. Der Verdacht bestätigt sich, als unser Trio am nächsten Tag endlich dort anlangt: Die Hütte selbst ist nach allen Regeln der Kunst verwüstet, Gens Leichnam findet man ganz in ihrer Nähe grausam zugerichtet, von Kaji wiederum fehlt jede Spur, dafür säumen Fellbüschel wie von einem Bären und Fußspuren den Schnee, die zwar nicht ansatzweise so eindrucksvoll sind wie die der Riesenechsen ein Jahr zuvor, jedoch definitiv einen Fall für den Kryptozoologen.
Es wird Frühjahr, der Schnee fängt an zu schmilzen, und Takashi, Machiko und Nakada sind erneut im Hochgebirge, diesmal als Teil eines Studententeams rund um Professor Koizumi, einer Koryphäe auf dem Gebiet unerforschter Fauna und Flora, der die Berge nicht verlassen will, ohne den Beweis dafür erbracht zu haben, dass sie eine bislang unentdeckte Primatenart beherbergen. Koizumis Bande ist aber nicht die einzige, die die vereisten Schluchten und weißen Wälder unsicher macht. Auch einen gewissen Ōba hat die Aussicht, exotische Tiere für seinen Zirkus zu fangen, in die Wildnis verschlagen – und als er zufällig mitbekommt, was genau das Anliegen von Koizumi ist, fasst er den Entschluss, mit seinen Handlangern sich an dessen Fersen zu heften, denn ein echter Yeti wird doch für wesentlich vollere Kassen sorgen als die paar harmlosen Äffchen, die er die letzten Tage bereits in Käfige gesteckt hat. Natürlich kommt es, wie man gar nicht anders erwarten kann: Bald sind die Studenten in die Hemisphäre des Yetis vorgedrungen, der nachts schon seine behaarten Tatzen nach der schlafenden Machiko ausstreckt. Takashi, der der Bestie hinterherläuft, gerät unversehens in das Lager von Ōba, von dessen Halunken er kurzerhand als lästiger Zeuge zusammengeschlagen und in eine Schlucht geschleudert wird. Dort findet ihn indes Chika, und bringt ihn in das anfangs erwähnte Dorf, wo sie mit ihrem Stamm lebt, einer Gruppe Höhlenmenschen, die von einem weisen Greisen eher despotisch denn demokratisch regiert wird. Gottheit besagten Stammes ist niemand anderes als der Yeti selbst, dem Takashi als Opfer dargebracht werden soll, was Chika erfolglos zu verhindern sucht, denn auf ihr Betteln und Flehen kennt der Häuptling nur handfeste Antworten. Während Takashi nun also gefesselt über der Schlucht baumelt, sich schon die ersten Geier die Schnäbel schleckend in seine unmittelbare Nähe begeben, und er im Angesicht des Todes feststellen muss, dass der Yeti möglicherweise gar nicht so ein Untier ist wie bislang angenommen, haben die Zirkusleute Chika mit einer List dazu gebracht, sie zur Felsenwohnung des Schneemenschen zu führen, wo sie dessen halbwüchsigen Sprössling als Geisel in ihre Gewalt nehmen, um das Mutter- oder Vatertier in eine Falle zu locken. Es dürfte klar sein, dass mit dem Yeti, nachdem sein Kind versehentlich erschossen worden ist, niemand mehr Kirschen essen kann, die nicht ganz rot sind vor Rachedurst…
Wie man der Inhaltsangabe schon entnehmen mag, kann man JÛJIN YUKI OTOKO durchaus als so etwas wie das rustikale Gegenstück zum urbanen GOJIRA verstehen. Während die Echse dort als personifizierte Warnung vor den negativen Nebeneffekten von Atomenergie die Metropole Tokio in Schutt und Asche legt, siedelt Hondas Affenfilm vollkommen in der Idylle von der Zivilisation noch unbelästigter Höhenzüge – und während GOJIRA quasi das Finale von Schoedsacks und Coopers KING KONG zu einem eigenständigen Spielfilm ausgebaut hat, schöpft JÛJIN YUKI OTOKO seine Inspiration hauptsächlich aus den diesem Finale vorangehenden Handlungssträngen US-amerikanischer Riesenaffenfilme. Alle Stereotypen sind versammelt: Die aufopferungsbereite edle Wilde, die aus Liebe zu einem Mann ihr eigenes Volk verrät, die geschäftstüchtigen Bösewichter, die, um ihre Kassen zu füllen, selbst über Leichen gehen, der gütige Professor, der davor warnt, Geschöpfe aus ihren natürlichen Lebensräumen zu entführen und bei diesen Entführungen nebenbei den natürlichen Lebensräumen erheblichen Schaden zuzufügen. Auch JÛJIN YUKI OTOKO funktioniert demnach als moralische Fabel, und macht es dem Rezipienten möglich, den Affenmenschen, der, im Gegensatz zu Godzilla, tatsächlich den einen oder andern sympathischen (=menschlichen) Charakterzug besitzt, als Statthalter für eine höchstens etwas plakative Öko-Botschaft zu lesen. Vor allem ist Hondas Ausflug in die Welt von Schnee und Eis aber eins: Ein unglaublich spannender, kurzweiliger, kompakt erzählter Horror- bzw. Abenteuerfilm vor atemberaubender Kulisse, mit Schauspielern, denen man, trotz ihrer Stereotypen, gerne zusieht, und einem Äffchen, dessen Kostüm vergleichsweise wenig zu Fremdscham oder unfreiwilliger Komik reizt. Gerade das Zusammenspiel zwischen den vertrauten Monster-Genre-Versatzstücken – eine Jungfrau wird vom Ungeheuer verschleppt, rückständige Eingeborene wollen Menschenopfer veranstalten, im Schutz der Dunkelheit schiebt sich eine Affenpfote ins Zelt hinein usw. – und den mitunter nahezu atemberaubenden, in sonnendurchtränktem Schneeweiß glitzernden Außenaufnehmen hat mich nicht wenig entzückt: Teilweise wirkt JÛJIN YUKI OTOKO auf mich, als habe Arnold Fanck, der Pionier des deutschen Berg-films, auf seine alten Tage in vertrauter Landschaft einen Affenhorrorfilm inszeniert – und das liegt nicht nur daran, dass ein Hauptmotiv des Scores mit dem bekannten Volkslied MUSS I DENN ZUM STÄDTELE HINAUS besetzt ist. (Ohne Scheiß, in einer für mich völlig surrealen Szene sitzen die Studenten abends zechend am Lagerfeuer und stimmen in abenteuerlichem Deutsch und zu Mundharmonika-Begleitung genau dieses Stück deutscher Musikgeschichte an – wohl ein weiteres Indiz dafür, wie vernetzt die deutsche und japanische Kultur seinerzeit gewesen sind.)
Im Prinzip braucht JÛJIN YUKI OTOKO sich vor seinem überdimensionalen Vorgänger in Hondas Oeuvre wenig bis gar nicht zu verstecken. Wie dieser behandelt er sein Sujet, das unter den Händen eines weniger versierten Regisseurs leicht zu lupenreinem Trash hätte gerinnen können, mit dem vielleicht nicht notwendigen, aber anerkennenswerten Ernst, und schafft es vor allem, diesmal in allein geographisch und personell überschaubarem Rahmen, eine Stimmung heraufzubeschwören, bei der sich jemand wie ich, der beides, Berge und Affen, sehr gerne mag, einfach nur wohlfühlt. Weshalb aber dann habe ich, um JÛJIN YUKI OTOKO überhaupt sehen zu können, auf die digitalisierte Fassung einer ziemlich ausgenudelten VHS-Kopie zurückgreifen müssen, deren Qualität derart schlecht ist, dass man die visuellen Reize des Films selbst mental rekonstruieren muss, und dass es sich verbittet, davon Screenshots anzufertigen, auf denen man wohl sowieso nicht viel mehr als Schneegestöber erkennen würde, selbst dann, wenn gerade kein Blizzard durchs Bild fegt? Soweit ich das verstanden habe, resultiert die Platzierung des Films im Giftschrank, aus dem er nur zu besonderen Anlässen, wie Honda-Retrospektiven auf Filmfestivals, entlassen wird – denn zu keinem Zeitpunkt scheint JÛ JIN YUKI OTOKO jemals auf irgendeinem Speichermedium fürs Heimkino kommerziell zugänglich gewesen zu sein -, aus mangelnder politischer Korrektheit. Oben habe ich schon kurz das reichlich verwilderte Bergvolk erwähnt, die im Yeti ein Gottwesen anbeten. Dessen Vertreter stellt Honda in etwa als genauso angenehme Zeitgenossen dar wie Ruggero Deodato seine Kannibalenbande in ULTIMO MONDO CANNIBALE, sprich: Von Inzest gezeichnet sind diese Barbaren nicht nur äußerst hässlich anzuschauen mit ihren schiefhängenden Triefaugen und läusebefallenen Mähnen, sondern auch zwischenmenschlich auf einer sehr niedrigen Evolutionsebene verblieben. Wenn ihr Häuptling Zottelgreis nicht gerade polternde Befehle vom Stapel lässt, verprügelt er schon mal diejenigen seiner Untergebenen, die zaghafte Kritik an seinen Entscheidungen anmelden - wobei die meisten aber sowieso zu nicht viel mehr fähig scheinen als primitv brummend einfachste Tätigkeiten auszuführen. Einzig Chika – so etwas wie die Me Me Lai vorliegenden Films – sticht sowohl optisch als auch durch ihr Handeln aus der verdreckten, verrohten Masse hervor, mit der man selbst dann wenig Mitleid empfindet, wenn sie von Ōbas Männern wie Vieh über den Haufen geschossen wird. Problematisch macht diese pejorative Zeichnung der indigenen Affenverehrer: Sie repräsentieren, was, laut meiner Quellen, jedem Japaner bei Sichtung des Films klargewesen sein muss, ein tatsächlich existierendes Volk, nämlich die Ureinwohner Japans, die sogenannten Ainu im Norden des Inselstaats, von deren Stellung innerhalb der japanischen Gesellschaft es vielleicht ausreicht zu sagen, dass ihre Anerkennung als kulturell eigenständiges indigenes Volk aus dem Jahre 2008 datiert. Abgesehen von fixierten Gesetzen gibt es auch noch heute in Japan einen nicht nur latenten Rassismus gegenüber den zumeist in der unteren Gesellschaftsschicht verorteten Ainu, trotzdem aber scheint ein Film wie JÛJIN YUKI OTOKO bereits recht früh als eindeutig solche rassistische Vorurteile stabilisierendes Produkt erkannt worden zu sein – wobei allerdings meine Quellen dahingehend schwanken, ob denn nun die Toho Selbstzensur übte, und den Film freiwillig aus dem Verkehr zog, oder ob erst Menschenrechtsorganisationen, die sich der Sache der Ainu annahmen, sie, sagen wir, dazu inspirieren mussten.
Keine Lösung des Dilemmas, in dem JÛJIN YUKI OTOKO damit steckt - nämlich einerseits ein Ressentiments schürender Streifen zu sein, und andererseits einer, den ich neben Hondas GOJIRA zu einem der besten japanischen Monsterfilme überhaupt zählen würde -, aber einen virtuosen Umgang mit ihm haben übrigens die obligatorischen US-amerikanischen Produzenten bewiesen. Nachdem man der Toho für den Vertrieb die Rechte abgekauft hatte, verfuhr man mit JÛJIN YUKI OTOKO wohl noch rüpelhafter als mit jedem Godzilla-Film. Nicht nur, dass er auf knapp eine Stunde heruntergekürzt worden ist, zusätzlich hat man noch extra neue Szenen mit amerikanischen Darstellern gedreht, John Carradine engagiert, damit der die verbliebenen Schnipsel als Off-Sprecher bzw. Erzähler kommentiert, und das Ergebnis schließlich 1958 unter dem Titel HALF HUMAN: THE STORY OF THE ABOMINABLE SNOWMAN in Kinos gebracht, die wohl vorrangig dazu gedacht gewesen sind, verliebten Pärchen als Refugium für ausgiebige Zungenspielen zu dienen. Ich selbst habe HALF HUMAN bislang nicht auftreiben können, kann mir aber, da ich mich schon durch vergleichbare Irrenhauskandidaten wie Jerry Warrens eigenwilliger „Hommage“ an die mexikanischen MOMIA-AZTECA-Trilogie, ATTACK OF THE MAYAN MUMMY, und Samuel M. Shermans „Aufarbeitung“ des Edgar-Wallace-Krimis DIE BLAUE HAND namens THE BLOODY DEAD gequält habe, ausrechnen, wie das Resultat ungefähr ausschauen dürfte. Verdient hat, um damit abzuschließen, JÛJIN YUKI OTOKO übrigens beides nicht. Weder, dass man diesen hübschen Film neumontiert und neusynchronisiert, noch dass man ihn einer Öffentlichkeit vorenthält, die doch eigentlich inzwischen reflektiert genug sein müsste, rassistische Tendenzen als historische Artefakte zu erkennen, zu kontextualisieren und für sich einordnen zu können. Was JÛJIN YUKI OTOKO nämlich in einer anständigen, restaurierten Fassung erst für Winterwald- und Schneesturm-Bildwelten eröffnen kann, mag ich mir nur deshalb nicht vorstellen, weil die Aussicht auf dieses Erlebnis im Moment noch reine Zukunftsmusik darstellt...
Fünf Freunde sind es, die zu Beginn des Spektakels einen Skiausflug in die schneebedeckten Gebirgsregionen Japans – (um genau zu sein: in die Gegend um den Fuji-Vulkan) - unternehmen: Takashi, seine Liebste Machiko, deren Bruder Nakada sowie die Draufgänger Gen und Kaji. Ziel soll ein Gasthof irgendwo in der Wildnis sein, zu dem zu gelangen es letztere beiden so wenig abwarten können, dass sie die Gruppe, trotz Takashis Warnung, vorzeitig verlassen, um als erste den Bestimmungsort zu erreichen. Was folgt ist ein Szenario wie es auch einem zeitgenössischen Vehikel der Hammer-Studios nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte: Im Gasthof, erklärt der Wirt dem eintreffenden Trio aus Takashi, Machiko und Nakada, seien Gen und Kaji nie eingetroffen. Zudem macht kurz darauf ein Blizzard die Gegend unsicher, weswegen unsere Helden erstmal festsitzen, und nicht weiter zu einer noch entlegeneren Hütte reisen können, wo sie vermuten, dass ihre Freunde angesichts des Sturms untergekommen sind. Anrufe dort, die unerwidert bleiben, erweisen sich genauso wenig als Mittel zur Besänftigung der angespannten Nerven, sondern straffen diese nur noch, wie eine junge Frau namens Chika, die der Blizzard ebenfalls in den Gasthof geweht hat, und von der der Wirt raunend zu berichten weiß, sie gehöre zu einem befremdlichen Gebirgsvolk, das jeglichen Kontakt mit der Außenwelt meide, und über das man sich Gespenstisches erzähle. Endlich klingelt der Telefonapparat, doch was er offenbart, klingt furchtbar: Schreie ertönen, Gewehrpatronen platzen, ein Kampf scheint in der Berghütte zwischen Gen, Kaji und unbekannten Angreifer entbrannt. Der Verdacht bestätigt sich, als unser Trio am nächsten Tag endlich dort anlangt: Die Hütte selbst ist nach allen Regeln der Kunst verwüstet, Gens Leichnam findet man ganz in ihrer Nähe grausam zugerichtet, von Kaji wiederum fehlt jede Spur, dafür säumen Fellbüschel wie von einem Bären und Fußspuren den Schnee, die zwar nicht ansatzweise so eindrucksvoll sind wie die der Riesenechsen ein Jahr zuvor, jedoch definitiv einen Fall für den Kryptozoologen.
Es wird Frühjahr, der Schnee fängt an zu schmilzen, und Takashi, Machiko und Nakada sind erneut im Hochgebirge, diesmal als Teil eines Studententeams rund um Professor Koizumi, einer Koryphäe auf dem Gebiet unerforschter Fauna und Flora, der die Berge nicht verlassen will, ohne den Beweis dafür erbracht zu haben, dass sie eine bislang unentdeckte Primatenart beherbergen. Koizumis Bande ist aber nicht die einzige, die die vereisten Schluchten und weißen Wälder unsicher macht. Auch einen gewissen Ōba hat die Aussicht, exotische Tiere für seinen Zirkus zu fangen, in die Wildnis verschlagen – und als er zufällig mitbekommt, was genau das Anliegen von Koizumi ist, fasst er den Entschluss, mit seinen Handlangern sich an dessen Fersen zu heften, denn ein echter Yeti wird doch für wesentlich vollere Kassen sorgen als die paar harmlosen Äffchen, die er die letzten Tage bereits in Käfige gesteckt hat. Natürlich kommt es, wie man gar nicht anders erwarten kann: Bald sind die Studenten in die Hemisphäre des Yetis vorgedrungen, der nachts schon seine behaarten Tatzen nach der schlafenden Machiko ausstreckt. Takashi, der der Bestie hinterherläuft, gerät unversehens in das Lager von Ōba, von dessen Halunken er kurzerhand als lästiger Zeuge zusammengeschlagen und in eine Schlucht geschleudert wird. Dort findet ihn indes Chika, und bringt ihn in das anfangs erwähnte Dorf, wo sie mit ihrem Stamm lebt, einer Gruppe Höhlenmenschen, die von einem weisen Greisen eher despotisch denn demokratisch regiert wird. Gottheit besagten Stammes ist niemand anderes als der Yeti selbst, dem Takashi als Opfer dargebracht werden soll, was Chika erfolglos zu verhindern sucht, denn auf ihr Betteln und Flehen kennt der Häuptling nur handfeste Antworten. Während Takashi nun also gefesselt über der Schlucht baumelt, sich schon die ersten Geier die Schnäbel schleckend in seine unmittelbare Nähe begeben, und er im Angesicht des Todes feststellen muss, dass der Yeti möglicherweise gar nicht so ein Untier ist wie bislang angenommen, haben die Zirkusleute Chika mit einer List dazu gebracht, sie zur Felsenwohnung des Schneemenschen zu führen, wo sie dessen halbwüchsigen Sprössling als Geisel in ihre Gewalt nehmen, um das Mutter- oder Vatertier in eine Falle zu locken. Es dürfte klar sein, dass mit dem Yeti, nachdem sein Kind versehentlich erschossen worden ist, niemand mehr Kirschen essen kann, die nicht ganz rot sind vor Rachedurst…
Wie man der Inhaltsangabe schon entnehmen mag, kann man JÛJIN YUKI OTOKO durchaus als so etwas wie das rustikale Gegenstück zum urbanen GOJIRA verstehen. Während die Echse dort als personifizierte Warnung vor den negativen Nebeneffekten von Atomenergie die Metropole Tokio in Schutt und Asche legt, siedelt Hondas Affenfilm vollkommen in der Idylle von der Zivilisation noch unbelästigter Höhenzüge – und während GOJIRA quasi das Finale von Schoedsacks und Coopers KING KONG zu einem eigenständigen Spielfilm ausgebaut hat, schöpft JÛJIN YUKI OTOKO seine Inspiration hauptsächlich aus den diesem Finale vorangehenden Handlungssträngen US-amerikanischer Riesenaffenfilme. Alle Stereotypen sind versammelt: Die aufopferungsbereite edle Wilde, die aus Liebe zu einem Mann ihr eigenes Volk verrät, die geschäftstüchtigen Bösewichter, die, um ihre Kassen zu füllen, selbst über Leichen gehen, der gütige Professor, der davor warnt, Geschöpfe aus ihren natürlichen Lebensräumen zu entführen und bei diesen Entführungen nebenbei den natürlichen Lebensräumen erheblichen Schaden zuzufügen. Auch JÛJIN YUKI OTOKO funktioniert demnach als moralische Fabel, und macht es dem Rezipienten möglich, den Affenmenschen, der, im Gegensatz zu Godzilla, tatsächlich den einen oder andern sympathischen (=menschlichen) Charakterzug besitzt, als Statthalter für eine höchstens etwas plakative Öko-Botschaft zu lesen. Vor allem ist Hondas Ausflug in die Welt von Schnee und Eis aber eins: Ein unglaublich spannender, kurzweiliger, kompakt erzählter Horror- bzw. Abenteuerfilm vor atemberaubender Kulisse, mit Schauspielern, denen man, trotz ihrer Stereotypen, gerne zusieht, und einem Äffchen, dessen Kostüm vergleichsweise wenig zu Fremdscham oder unfreiwilliger Komik reizt. Gerade das Zusammenspiel zwischen den vertrauten Monster-Genre-Versatzstücken – eine Jungfrau wird vom Ungeheuer verschleppt, rückständige Eingeborene wollen Menschenopfer veranstalten, im Schutz der Dunkelheit schiebt sich eine Affenpfote ins Zelt hinein usw. – und den mitunter nahezu atemberaubenden, in sonnendurchtränktem Schneeweiß glitzernden Außenaufnehmen hat mich nicht wenig entzückt: Teilweise wirkt JÛJIN YUKI OTOKO auf mich, als habe Arnold Fanck, der Pionier des deutschen Berg-films, auf seine alten Tage in vertrauter Landschaft einen Affenhorrorfilm inszeniert – und das liegt nicht nur daran, dass ein Hauptmotiv des Scores mit dem bekannten Volkslied MUSS I DENN ZUM STÄDTELE HINAUS besetzt ist. (Ohne Scheiß, in einer für mich völlig surrealen Szene sitzen die Studenten abends zechend am Lagerfeuer und stimmen in abenteuerlichem Deutsch und zu Mundharmonika-Begleitung genau dieses Stück deutscher Musikgeschichte an – wohl ein weiteres Indiz dafür, wie vernetzt die deutsche und japanische Kultur seinerzeit gewesen sind.)
Im Prinzip braucht JÛJIN YUKI OTOKO sich vor seinem überdimensionalen Vorgänger in Hondas Oeuvre wenig bis gar nicht zu verstecken. Wie dieser behandelt er sein Sujet, das unter den Händen eines weniger versierten Regisseurs leicht zu lupenreinem Trash hätte gerinnen können, mit dem vielleicht nicht notwendigen, aber anerkennenswerten Ernst, und schafft es vor allem, diesmal in allein geographisch und personell überschaubarem Rahmen, eine Stimmung heraufzubeschwören, bei der sich jemand wie ich, der beides, Berge und Affen, sehr gerne mag, einfach nur wohlfühlt. Weshalb aber dann habe ich, um JÛJIN YUKI OTOKO überhaupt sehen zu können, auf die digitalisierte Fassung einer ziemlich ausgenudelten VHS-Kopie zurückgreifen müssen, deren Qualität derart schlecht ist, dass man die visuellen Reize des Films selbst mental rekonstruieren muss, und dass es sich verbittet, davon Screenshots anzufertigen, auf denen man wohl sowieso nicht viel mehr als Schneegestöber erkennen würde, selbst dann, wenn gerade kein Blizzard durchs Bild fegt? Soweit ich das verstanden habe, resultiert die Platzierung des Films im Giftschrank, aus dem er nur zu besonderen Anlässen, wie Honda-Retrospektiven auf Filmfestivals, entlassen wird – denn zu keinem Zeitpunkt scheint JÛ JIN YUKI OTOKO jemals auf irgendeinem Speichermedium fürs Heimkino kommerziell zugänglich gewesen zu sein -, aus mangelnder politischer Korrektheit. Oben habe ich schon kurz das reichlich verwilderte Bergvolk erwähnt, die im Yeti ein Gottwesen anbeten. Dessen Vertreter stellt Honda in etwa als genauso angenehme Zeitgenossen dar wie Ruggero Deodato seine Kannibalenbande in ULTIMO MONDO CANNIBALE, sprich: Von Inzest gezeichnet sind diese Barbaren nicht nur äußerst hässlich anzuschauen mit ihren schiefhängenden Triefaugen und läusebefallenen Mähnen, sondern auch zwischenmenschlich auf einer sehr niedrigen Evolutionsebene verblieben. Wenn ihr Häuptling Zottelgreis nicht gerade polternde Befehle vom Stapel lässt, verprügelt er schon mal diejenigen seiner Untergebenen, die zaghafte Kritik an seinen Entscheidungen anmelden - wobei die meisten aber sowieso zu nicht viel mehr fähig scheinen als primitv brummend einfachste Tätigkeiten auszuführen. Einzig Chika – so etwas wie die Me Me Lai vorliegenden Films – sticht sowohl optisch als auch durch ihr Handeln aus der verdreckten, verrohten Masse hervor, mit der man selbst dann wenig Mitleid empfindet, wenn sie von Ōbas Männern wie Vieh über den Haufen geschossen wird. Problematisch macht diese pejorative Zeichnung der indigenen Affenverehrer: Sie repräsentieren, was, laut meiner Quellen, jedem Japaner bei Sichtung des Films klargewesen sein muss, ein tatsächlich existierendes Volk, nämlich die Ureinwohner Japans, die sogenannten Ainu im Norden des Inselstaats, von deren Stellung innerhalb der japanischen Gesellschaft es vielleicht ausreicht zu sagen, dass ihre Anerkennung als kulturell eigenständiges indigenes Volk aus dem Jahre 2008 datiert. Abgesehen von fixierten Gesetzen gibt es auch noch heute in Japan einen nicht nur latenten Rassismus gegenüber den zumeist in der unteren Gesellschaftsschicht verorteten Ainu, trotzdem aber scheint ein Film wie JÛJIN YUKI OTOKO bereits recht früh als eindeutig solche rassistische Vorurteile stabilisierendes Produkt erkannt worden zu sein – wobei allerdings meine Quellen dahingehend schwanken, ob denn nun die Toho Selbstzensur übte, und den Film freiwillig aus dem Verkehr zog, oder ob erst Menschenrechtsorganisationen, die sich der Sache der Ainu annahmen, sie, sagen wir, dazu inspirieren mussten.
Keine Lösung des Dilemmas, in dem JÛJIN YUKI OTOKO damit steckt - nämlich einerseits ein Ressentiments schürender Streifen zu sein, und andererseits einer, den ich neben Hondas GOJIRA zu einem der besten japanischen Monsterfilme überhaupt zählen würde -, aber einen virtuosen Umgang mit ihm haben übrigens die obligatorischen US-amerikanischen Produzenten bewiesen. Nachdem man der Toho für den Vertrieb die Rechte abgekauft hatte, verfuhr man mit JÛJIN YUKI OTOKO wohl noch rüpelhafter als mit jedem Godzilla-Film. Nicht nur, dass er auf knapp eine Stunde heruntergekürzt worden ist, zusätzlich hat man noch extra neue Szenen mit amerikanischen Darstellern gedreht, John Carradine engagiert, damit der die verbliebenen Schnipsel als Off-Sprecher bzw. Erzähler kommentiert, und das Ergebnis schließlich 1958 unter dem Titel HALF HUMAN: THE STORY OF THE ABOMINABLE SNOWMAN in Kinos gebracht, die wohl vorrangig dazu gedacht gewesen sind, verliebten Pärchen als Refugium für ausgiebige Zungenspielen zu dienen. Ich selbst habe HALF HUMAN bislang nicht auftreiben können, kann mir aber, da ich mich schon durch vergleichbare Irrenhauskandidaten wie Jerry Warrens eigenwilliger „Hommage“ an die mexikanischen MOMIA-AZTECA-Trilogie, ATTACK OF THE MAYAN MUMMY, und Samuel M. Shermans „Aufarbeitung“ des Edgar-Wallace-Krimis DIE BLAUE HAND namens THE BLOODY DEAD gequält habe, ausrechnen, wie das Resultat ungefähr ausschauen dürfte. Verdient hat, um damit abzuschließen, JÛJIN YUKI OTOKO übrigens beides nicht. Weder, dass man diesen hübschen Film neumontiert und neusynchronisiert, noch dass man ihn einer Öffentlichkeit vorenthält, die doch eigentlich inzwischen reflektiert genug sein müsste, rassistische Tendenzen als historische Artefakte zu erkennen, zu kontextualisieren und für sich einordnen zu können. Was JÛJIN YUKI OTOKO nämlich in einer anständigen, restaurierten Fassung erst für Winterwald- und Schneesturm-Bildwelten eröffnen kann, mag ich mir nur deshalb nicht vorstellen, weil die Aussicht auf dieses Erlebnis im Moment noch reine Zukunftsmusik darstellt...