Novemberkind - Christian Schwochow (2008)

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buxtebrawler
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Novemberkind - Christian Schwochow (2008)

Beitrag von buxtebrawler »

Novemberkind.jpg
Novemberkind.jpg (39.37 KiB) 45 mal betrachtet

Originaltitel: Novemberkind

Herstellungsland: Deutschland / 2008

Regie: Christian Schwochow

Darsteller(innen): Anna Maria Mühe, Ulrich Matthes, Christine Schorn, Hermann Beyer, Yevgeni Sitokhin, Ilja Pletner, Thorsten Merten, Adrian Topol, Christina Drechsler, Juliane Köhler, Steffi Kühnert, Sebastian Kowski, Martina Krasel, Peter Brombacher, Klaus Bieligk, Elena Duppler, Nicole Ernst u. A.
Inga (Anna Maria Mühe) ist 25 Jahre alt und lebt im mecklenburgischen Malchow. Eines Tages kommt der Literaturprofessor Robert (Ulrich Matthes) nach Malchow und animiert Inga dazu, über ihre Vergangenheit zu recherchieren. Genauer: den Tod ihrer Mutter, die laut Ingas Großeltern vor der Wende in der Ostsee ertrunken sein soll. Nach kurzer Zeit findet Inga heraus, dass ihre Mutter in Wahrheit damals mit einem desertierten Rotarmisten in den Westen geflohen ist und sie bei ihren Großeltern zurückließ. Gemeinsam mit Robert macht sich Inga auf den Weg in den Südwesten der Republik, um endgültig herauszufinden, was aus ihrer Mutter wurde. Doch mit der Zeit beginnt Inga an Roberts Integrität zu zweifeln. Offenbar sind seine Motive für die Reise andere, als die Ihrigen ...
Quelle: www.ofdb.de

Trailer:


Ganzer Film:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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buxtebrawler
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Re: Novemberkind - Christian Schwochow (2008)

Beitrag von buxtebrawler »

„Du bist kein Schriftsteller!“

Das deutsche Coming-of-Age-Drama „Novemberkind“ aus dem Jahre 2008 ist Regisseur Christian Schwochows nach dem Kinderfilm „Marta und der fliegende Großvater“ zweite abendfüllende Inszenierung, mit der der spätere Regisseur von TV-Produktionen wie „Bornholmer Straße“, „Mitten in Deutschland: NSU – Die Täter“ oder auch der Serie „Bad Banks“ zusammen mit Produzent Matthias Adler und Kameramann Frank Lamm sein Diplom erlangte. Das Drehbuch verfasste Schwochow zusammen mit seiner Mutter Heide und soll autobiographische Züge tragen.

„Fontane ist leider nicht bis nach Malchow gekommen...“

Die 25-jährige alleinlebende Bibliothekarin Inga (Anna Maria Mühe, „Was nützt die Liebe in Gedanken“) lebt im mecklenburgischen Dorf Malchow und ist Halbwaisin. Ihre Mutter sei einst in der Ostsee ums Leben gekommen, heißt es, und wer ihr Vater ist, weiß sie nicht. Sie ist bei ihren Großeltern (Christine Schorn, „Good Bye, Lenin!“ und Hermann Beyer, „Elementarteilchen“) aufgewachsen, wo es ihr an nichts mangelte. Ihre Zufriedenheit mit sich und dem Leben bekommt erste Risse, als Steffi (Christina Drechsler, „Kleeblatt küsst Kaktus“), ihre Busenfreundin, fortgeht. Zudem benötigen ihre Großeltern altersbedingt zunehmend ihre Unterstützung. Den tiefsten Einschnitt bedeutet jedoch der Besuch des ihr fremden Konstanzer Literaturprofessors Robert (Ulrich Matthes, „Der Untergang“), der ihre Mutter gekannt zu haben scheint. Diese sei einst zusammen mit einem desertierenden Sowjetsoldaten aus der DDR in die BRD geflohen und habe sie in Malchow zurückgelassen. Dies trifft Inga hart. Gemeinsam mit Robert macht sie sich auf den Weg, um mehr über ihre Mutter und ihren Vater zu erfahren. Doch welche Rolle genau spielt Robert dabei…?

„Oh Gott, klingt ja wie bei Edgar Wallace!“

Schwochows Film ist von zahlreichen Zeit- und Ortswechseln geprägt, da er zwei Geschichten gleichzeitig erzählt: Die zurückliegende in Form von Rückblenden, in denen Anna Maria Mühe auch ihre Mutter spielt, und die gegenwärtige. Malchow 1980, Konstanz 2007 und Malchow 2007 heißen die ersten Stationen, bis der Film eine wundervolle Szene präsentiert: Inga und Steffi springen ins eiskalte Wasser, nackt bzw. nur mit Fellmütze bekleidet, und lassen die Brüste hüpfen. Diese lebenslustige Szene wird jedoch von den herbstlichen und melancholischen Bildern kontrastiert, die die visuelle Ästhetik des Films bestimmen. Diese Aufnahmen sind perfekt gelungen und decken sich zu großen Teilen mit meiner Lebenswahrnehmung.

Dem gegenüber stehen Rückblenden an zurückliegende Ereignisse um Anne, die zuweilen als Flashbacks Roberts inszeniert werden, obwohl er gar nicht dabei war – das ist etwas unglücklich gelöst. Die Kamera ist sehr nah an ihren Figuren und wackelt manchmal hektisch, um den aufgekratzten Gemütszustand und das erst noch zu ordnende Durcheinander in ihren Köpfen zu illustrieren. Die Rückblenden werden zudem mittels Farbfiltern optisch verfremdet. Irgendwann ist es zu viel des Guten und die Kameraführung macht regelrecht seekrank. Dennoch setzt die Geschichte um Identitätsfindung, aber auch das Herausgerissenwerden aus der Komfortzone durch – zu viele? – Informationen inhaltliche Glanzpunkte, hat sie doch letztlich weniger mit der deutsch-deutschen Nachkriegsteilung als mit beinahe philosophischen Fragen zu tun: Möchte man wirklich alles so genau wissen, wenn man es sich doch eigentlich ganz gemütlich eingerichtet hat? Und welche Auswirkungen hat die Geschichte der Eltern auf das Selbstempfinden? Dazu gesellen sich moralische Fragen, denn Robert nutzt Ingas Lebensgeschichte im Prinzip aus, um sie in Romanform zu Papier zu bringen.

Schauspielerisch ist das alles im grünen Bereich und auch, wenn es nun wirklich kein klassisches Happy End gibt, versteht man es, etwaigen Melodramenfrust zu umgehen, indem man Inga am Schluss eine mögliche Form der Aufarbeitung mit auf ihren Weg gibt. Und so hat dieser Film letztlich auch viel mit Schreiben und Lesen zu tun. Sehenswert!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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