Du sprichst mir aus der Seelebuxtebrawler hat geschrieben:Tatort: Waldlust
...
Letztlich erinnert mich dieser „Tatort“ an Amateurfilme, bei denen alle Beteiligten großen Spaß haben – nur eben das Publikum am Ende nicht...
Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Moderator: jogiwan
Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
- karlAbundzu
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Ich finde, man merkt schon, dass da Profis am Werk sind, die Spaß an einer anderen Art von Poduktion hatten.
Also hatten alle Beteiligten Spaß und EIN Zuschauer Für mich ok.
Also hatten alle Beteiligten Spaß und EIN Zuschauer Für mich ok.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
- buxtebrawler
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort: Im Schmerz geboren
Wiesbaden, jenes verschlafene kleine Nest im Hessischen, das außer einer bekannten Spielbank nichts Besonderes an sich hat. Ach ja, und den „Tatort“, für den es seit 2010 eine Spielwiese für unterschiedliche aus der Reihe fallenden bis experimentelle Beiträge zur altgedienten ARD-Krimiserie darstellt. Doch was da am 12.10.2014 ab 20:15 Uhr über den Bildschirm in Millionen Haushalte flimmerte, damit war nicht unbedingt zu rechnen und lief zurecht kurz zuvor bereits auf diversen Filmfestivals, wurde mit Preisen ausgezeichnet und von der Kritik gelobt: „Im Schmerz geboren“ von Regisseur Florian Schwarz („Das Schneckenhaus“) und Drehbuchautor Michael Proehl ziehen einen wahnwitzigen Thriller nach Muster Shakespear’scher Dramen, Motiven Dürrenmatts („Der Besuch der alten Dame“) und Vorbild altgriechischer Tragödien auf, zitieren sich durch die Film- und Kunstgeschichte und lassen rekordverdächtige rund 50 Opfer über die Klinge des Schnitters springen.
Alexander Held („Die Spiegel-Affäre“) führt als on- und offscreen direkt mit dem Publikum kommunizierender Erzähler durch eine Handlung um den hochkultivierten ehemaligen Polizeischüler und Freund des LKA-Ermittlers Felix Murot (Ulrich Tukur), Richard Harloff (Ulrich Matthes, „Bornholmer Straße“), der eine gänzlich andere Laufbahn einschlug, nach Bolivien ging und dort zum Kopf eines Drogenkartells avancierte. Aus einer Dreiecksbeziehung zwischen Harloff, Murot und einer Frau resultierte nicht nur ein Kind, sondern auch gefährlicher Wahnsinn gepaart mit Harloffs Genie, was in einen großangelegten, ausgeklügelten und bis ins letzte Detail durchgeplanten Rachefeldzug mündet, in dem kein Platz mehr für den Respekt gegenüber dem Leben ist – diesen hat Harloff bereits vor vielen Jahren in Bolivien verloren. Während sich beide Männer nun wieder begegnen, kann der gerade von einem Hirntumor genesene Murot lange Zeit nur als untätiger Statist Harloffs Inszenierung und Umsetzung seines Plans zusehen…
Zu viel über die Handlung dieses faszinierenden und hochgradig spannenden „Tatorts“ zu verraten, wäre Frevel. Sich über die inszenatorischen Qualitäten auszuschweigen, ebenfalls: Harloffs erster Auftritt ist direkt eine Hommage an die einleitende Sequenz des Italo-Western-Meisterwerks „Spiel mir das Lied vom Tod“ – in Form des Überwachungskameramitschnitts entsprechend kommentiert von Ermittlerin Schneider (Shenja Lacher), noch ohne den Filmtitel zu nennen. Überhaupt kein Hehl wird dem gegenüber aus den Parallelen zum französischen Klassiker „Jules und Jim“ gemacht, dessen in Rückblenden illustrierte ménage à trois jener in diesem „Tatort“ ähnelt, was auch seine Figuren feststellen. Die eingefärbten Freeze Frames sind alten Eastern entlehnt und dass Harloff unter dem Stendhal-Syndrom leidet, erinnert an den ehemaligen Giallo-Großmeister Dario Argento.
Doch das Schönste: All diese Anspielungen und Verweise muss das Publikum überhaupt nicht erkennen oder zuordnen können, um den Film genießen zu können. Anders als unter Tarantino beispielsweise verkommt „Im Schmerz geboren“ nicht zum selbstzweckhaften Zitatekino inklusive selbstverliebter Coolness, im Gegenteil: Die wendungsreiche Geschichte ist stark genug, um auch ohne all das bestehen zu können und zu funktionieren. Figuren und Handlung werden in kein enges Hommagen-, Zitate- oder Meta-Konzept gepresst, sondern dominieren den Film, das Drumherum ist stets schlüssiges Beiwerk. Bei den Figuren handelt es sich um echte Charaktere, allen voran beim überragenden Harloff sen. Mit seinen den weißen Anzug kontrastierenden beinahe schwarzen Augen, seinem elitären Habitus und Duktus irgendwo zwischen Bernd Stromberg und Superschurke wird er zum ebenso genialen wie psychisch kranken und letztlich tieftraurigen Strippenzieher und zum Dreh- und Angelpunkt dieses „Tatorts“. Alexander Held stemmt eine Doppelrolle als Erzähler und in kriminelle Geschäfte verwickelter Betreiber einer Kfz-Werkstatt, dem seine Söhne und schließlich sein eigenes Leben, seine Männer und seine Werkstatt genommen werden. Zu guter Letzt wird BKA-Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp) gar noch eine ganz besondere Rolle zuteil, der der Hüterin eines Geheimnisses, das sie Murot preiszugeben nicht bereit ist.
Um das nach bereits einigen fast schon verstörend kaltblütig, aber eben auch perfekt durchinszenierten Gewaltspitzen eskalierende finale Massaker noch abendprogrammtauglich zu halten, bedient man sich eines Kunstgriffs, indem man die Resultate der Brutalität zu Gemälden verfälscht, was sich jedoch gut in das ästhetische Konzept des Films einfügt. Zu diesem zählen auch die eigens vom Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks eingespielte klassische Musikuntermalung sowie die mitunter originelle Kameraführung, die ihre Figuren zu umkreisen scheint, als suche sie nach Fixpunkten, ihrer habhaft zu werden.
„Im Schmerz geboren“ ist ein Paradebeispiel für einen gelungenen „experimentellen Tatort“, ist großes Kino im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und ein perfektes Beispiel dafür, wie sehr es sich lohnen kann, ambitionierten Regisseurinnen und Regisseuren, Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren hin und wieder diese TV-Institution als Spielwiese zu überlassen – da empfindet man beinahe so etwas wie stolz, dies auch durch die eigenen Gebührenzahlungen mitermöglicht zu haben. Famos!
Wiesbaden, jenes verschlafene kleine Nest im Hessischen, das außer einer bekannten Spielbank nichts Besonderes an sich hat. Ach ja, und den „Tatort“, für den es seit 2010 eine Spielwiese für unterschiedliche aus der Reihe fallenden bis experimentelle Beiträge zur altgedienten ARD-Krimiserie darstellt. Doch was da am 12.10.2014 ab 20:15 Uhr über den Bildschirm in Millionen Haushalte flimmerte, damit war nicht unbedingt zu rechnen und lief zurecht kurz zuvor bereits auf diversen Filmfestivals, wurde mit Preisen ausgezeichnet und von der Kritik gelobt: „Im Schmerz geboren“ von Regisseur Florian Schwarz („Das Schneckenhaus“) und Drehbuchautor Michael Proehl ziehen einen wahnwitzigen Thriller nach Muster Shakespear’scher Dramen, Motiven Dürrenmatts („Der Besuch der alten Dame“) und Vorbild altgriechischer Tragödien auf, zitieren sich durch die Film- und Kunstgeschichte und lassen rekordverdächtige rund 50 Opfer über die Klinge des Schnitters springen.
Alexander Held („Die Spiegel-Affäre“) führt als on- und offscreen direkt mit dem Publikum kommunizierender Erzähler durch eine Handlung um den hochkultivierten ehemaligen Polizeischüler und Freund des LKA-Ermittlers Felix Murot (Ulrich Tukur), Richard Harloff (Ulrich Matthes, „Bornholmer Straße“), der eine gänzlich andere Laufbahn einschlug, nach Bolivien ging und dort zum Kopf eines Drogenkartells avancierte. Aus einer Dreiecksbeziehung zwischen Harloff, Murot und einer Frau resultierte nicht nur ein Kind, sondern auch gefährlicher Wahnsinn gepaart mit Harloffs Genie, was in einen großangelegten, ausgeklügelten und bis ins letzte Detail durchgeplanten Rachefeldzug mündet, in dem kein Platz mehr für den Respekt gegenüber dem Leben ist – diesen hat Harloff bereits vor vielen Jahren in Bolivien verloren. Während sich beide Männer nun wieder begegnen, kann der gerade von einem Hirntumor genesene Murot lange Zeit nur als untätiger Statist Harloffs Inszenierung und Umsetzung seines Plans zusehen…
Zu viel über die Handlung dieses faszinierenden und hochgradig spannenden „Tatorts“ zu verraten, wäre Frevel. Sich über die inszenatorischen Qualitäten auszuschweigen, ebenfalls: Harloffs erster Auftritt ist direkt eine Hommage an die einleitende Sequenz des Italo-Western-Meisterwerks „Spiel mir das Lied vom Tod“ – in Form des Überwachungskameramitschnitts entsprechend kommentiert von Ermittlerin Schneider (Shenja Lacher), noch ohne den Filmtitel zu nennen. Überhaupt kein Hehl wird dem gegenüber aus den Parallelen zum französischen Klassiker „Jules und Jim“ gemacht, dessen in Rückblenden illustrierte ménage à trois jener in diesem „Tatort“ ähnelt, was auch seine Figuren feststellen. Die eingefärbten Freeze Frames sind alten Eastern entlehnt und dass Harloff unter dem Stendhal-Syndrom leidet, erinnert an den ehemaligen Giallo-Großmeister Dario Argento.
Doch das Schönste: All diese Anspielungen und Verweise muss das Publikum überhaupt nicht erkennen oder zuordnen können, um den Film genießen zu können. Anders als unter Tarantino beispielsweise verkommt „Im Schmerz geboren“ nicht zum selbstzweckhaften Zitatekino inklusive selbstverliebter Coolness, im Gegenteil: Die wendungsreiche Geschichte ist stark genug, um auch ohne all das bestehen zu können und zu funktionieren. Figuren und Handlung werden in kein enges Hommagen-, Zitate- oder Meta-Konzept gepresst, sondern dominieren den Film, das Drumherum ist stets schlüssiges Beiwerk. Bei den Figuren handelt es sich um echte Charaktere, allen voran beim überragenden Harloff sen. Mit seinen den weißen Anzug kontrastierenden beinahe schwarzen Augen, seinem elitären Habitus und Duktus irgendwo zwischen Bernd Stromberg und Superschurke wird er zum ebenso genialen wie psychisch kranken und letztlich tieftraurigen Strippenzieher und zum Dreh- und Angelpunkt dieses „Tatorts“. Alexander Held stemmt eine Doppelrolle als Erzähler und in kriminelle Geschäfte verwickelter Betreiber einer Kfz-Werkstatt, dem seine Söhne und schließlich sein eigenes Leben, seine Männer und seine Werkstatt genommen werden. Zu guter Letzt wird BKA-Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp) gar noch eine ganz besondere Rolle zuteil, der der Hüterin eines Geheimnisses, das sie Murot preiszugeben nicht bereit ist.
Um das nach bereits einigen fast schon verstörend kaltblütig, aber eben auch perfekt durchinszenierten Gewaltspitzen eskalierende finale Massaker noch abendprogrammtauglich zu halten, bedient man sich eines Kunstgriffs, indem man die Resultate der Brutalität zu Gemälden verfälscht, was sich jedoch gut in das ästhetische Konzept des Films einfügt. Zu diesem zählen auch die eigens vom Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks eingespielte klassische Musikuntermalung sowie die mitunter originelle Kameraführung, die ihre Figuren zu umkreisen scheint, als suche sie nach Fixpunkten, ihrer habhaft zu werden.
„Im Schmerz geboren“ ist ein Paradebeispiel für einen gelungenen „experimentellen Tatort“, ist großes Kino im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und ein perfektes Beispiel dafür, wie sehr es sich lohnen kann, ambitionierten Regisseurinnen und Regisseuren, Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren hin und wieder diese TV-Institution als Spielwiese zu überlassen – da empfindet man beinahe so etwas wie stolz, dies auch durch die eigenen Gebührenzahlungen mitermöglicht zu haben. Famos!
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort: Meta
Regisseur Sebastian Markas („Hit Mom – Mörderische Weihnachten“) mittlerweile sechster „Tatort“ ist wieder so einer, der mit Begriffen wie „experimentell“ umschrieben wird – und ein weiterer, bei dem das „Experiment“ gelungen ist! Das Berliner Ermittlerduo Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) sieht sich in diesem 2017 u.a. auf der Berlinale gedrehten und 2018 ausgestrahlten Fall mit einem Spielfilm konfrontiert, der sämtliche Ereignisse vorwegzunehmen scheint – also einem Film im Film bzw. gar einem Film im Film im Film. Daher auch der aussagekräftige Titel „Meta“, denn das Spiel mit den Meta-Ebenen wird hier ebenso exzessiv wie vergnüglich und spannend betrieben – und mit „Taxi Driver“ auch gleich noch einem verdienten Klassiker die Ehre erwiesen.
Kommissar Karow erhält ein Päckchen mit dem abgeschnittenen Finger einer, wie sich bald herausstellen soll, in einem Lagerhaus konservierten Leiche einer minderjährigen Prostituierten. Die Suche nach dem Mörder führt zu Regisseur Michael Schwarz‘ (Isaak Dentler, „Weißt was geil wär...?!“) Produktionsfirma „Meta-Film“, deren Filmprojekt seine Premiere auf der Berlinale feiert. Es handelt sich um einen düsteren Kriminalfilm, dessen Handlung erstaunlich den aktuellen Geschehnissen und dem Vorgehen der Ermittler gleicht. Damit fällt der naheliegende Verdacht zunächst auf Schwarz, doch die eigentliche Spur führt zu Drehbuchautor Peter Koteas (Simon Schwarz, „Eifelpraxis“) – der jedoch seit seinem Suizid vor einigen Monaten nicht mehr unter Lebenden weilt. Handelt es sich bei seinem Drehbuch um ein geschickt lanciertes Geständnis? Oder ist an dessen Handlung um die Organisation Gehlen, Deutschlands mit alten Nazis besetzte, antikommunistische erste Nachkriegs-Schnüffelbehörde, tatsächlich etwas dran? Rubin hält die Parallelen für Zufälle und den Fall für so gut wie abgeschlossen, doch Karow taucht immer tiefer in den Film ein und glaubt schließlich an eine Verschwörung, die zu einem Kinderprostitutionsring führt – entwickelt jedoch auch eine besorgniserregende Manie…
Die Organisation Gehlen gab es tatsächlich, ihre Geschichte ist unrühmlich und sie ist Vorläuferin des nicht minder unrühmlichen BND. Dieses nie abgeschlossene düstere Kapitel der BRD aufzugreifen, mit verdeckt in höheren Kreisen stattfindender Kinderprostitution in Verbindung zu bringen und zugleich „Taxi Driver“ nicht nur zu zitieren, sondern in Form einer großen Hommage parallel noch einmal in Karows Kopf stattfinden zu lassen, ist schon ein ausgeklügeltes Konzept. Mit den Grenzen zwischen Realität und Fiktion jedoch derart zu spielen, dass sich die Figuren nicht mehr sicher sein können, ob sie nicht selbst Teil eines geskripteten Films sind und vor diesem Hintergrund Polizeiarbeit stattfinden zu lassen, und zwar auf eine Weise, dass es auch noch funktioniert und fürs Publikum nachvollziehbar bleibt, ist beinahe genial.
Die Einblicke in Rubins familiäre Probleme um ihren Sohn und ihr Zurückholen in die Handlung in der einen oder anderen wichtigen Szene verhindern, dass „Meta“ nicht zur Einmann-Show Karows gerät, in der er auf Rubin wie ein getriebener Paranoiker wirkt und sich immer und immer wieder den Film anschaut, und zwar überlebensgroß, als Einzelperson im Kinosaal. Allein schon durch diesen Größenunterschied wirkt der Film (im Film) übermächtig und Karow klein. Damit ist „Meta“ auch Ausdruck der Faszination und der Kraft des Kinos, ein Schulterschluss zwischen Fernseh- und Kinofilm. Die Wechselwirkungen zwischen Kino und Realität werden eindrucksvoll illustriert, wenn sich die Dialoge auf der Kino-Leinwand plötzlich 1:1 mit denen in der filmischen Realität gleichen. Markas „Tatort“ ist außergewöhnlich künstlerisch, spannend, mysteriös und düster, desillusorisch, beinahe misanthropisch, ist hart und doch so voller Lebendigkeit, Leidenschaft, Gefühl. Das intelligente Drehbuch ist sicherlich nicht so originell, wie es von manch unbedarfterem Zuschauer empfunden wurde, aber es fügt die Versatzstücke des Meta- und Mindfuck-Kinos sehr aufmerksam und pointiert zu etwas Neuem zusammen, für dessen Beginn- und Schlussgag, der wirklich nicht mehr als ein nettes Augenzwinkern, jedenfalls nicht entscheidend ist, der „Tatort“ sogar mit seinen strengen Traditionen bricht, indem er Eingriffe in An- und Abspann gestattet.
Diese Rezension entstand im März 2018 auf der Meta-Ebene zwischen World Wide Web, TV und Kino, ihr Autor ist „Taxi Driver“-Fan und sie deckt eine Verschwörung auf: Die von Filmleidenschaft, Talent, einem begnadeten Team und öffentlich-rechtlich gewährter künstlerischer Freiheit, die diesen hervorragenden „Tatort“ ermöglichte.
Regisseur Sebastian Markas („Hit Mom – Mörderische Weihnachten“) mittlerweile sechster „Tatort“ ist wieder so einer, der mit Begriffen wie „experimentell“ umschrieben wird – und ein weiterer, bei dem das „Experiment“ gelungen ist! Das Berliner Ermittlerduo Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) sieht sich in diesem 2017 u.a. auf der Berlinale gedrehten und 2018 ausgestrahlten Fall mit einem Spielfilm konfrontiert, der sämtliche Ereignisse vorwegzunehmen scheint – also einem Film im Film bzw. gar einem Film im Film im Film. Daher auch der aussagekräftige Titel „Meta“, denn das Spiel mit den Meta-Ebenen wird hier ebenso exzessiv wie vergnüglich und spannend betrieben – und mit „Taxi Driver“ auch gleich noch einem verdienten Klassiker die Ehre erwiesen.
Kommissar Karow erhält ein Päckchen mit dem abgeschnittenen Finger einer, wie sich bald herausstellen soll, in einem Lagerhaus konservierten Leiche einer minderjährigen Prostituierten. Die Suche nach dem Mörder führt zu Regisseur Michael Schwarz‘ (Isaak Dentler, „Weißt was geil wär...?!“) Produktionsfirma „Meta-Film“, deren Filmprojekt seine Premiere auf der Berlinale feiert. Es handelt sich um einen düsteren Kriminalfilm, dessen Handlung erstaunlich den aktuellen Geschehnissen und dem Vorgehen der Ermittler gleicht. Damit fällt der naheliegende Verdacht zunächst auf Schwarz, doch die eigentliche Spur führt zu Drehbuchautor Peter Koteas (Simon Schwarz, „Eifelpraxis“) – der jedoch seit seinem Suizid vor einigen Monaten nicht mehr unter Lebenden weilt. Handelt es sich bei seinem Drehbuch um ein geschickt lanciertes Geständnis? Oder ist an dessen Handlung um die Organisation Gehlen, Deutschlands mit alten Nazis besetzte, antikommunistische erste Nachkriegs-Schnüffelbehörde, tatsächlich etwas dran? Rubin hält die Parallelen für Zufälle und den Fall für so gut wie abgeschlossen, doch Karow taucht immer tiefer in den Film ein und glaubt schließlich an eine Verschwörung, die zu einem Kinderprostitutionsring führt – entwickelt jedoch auch eine besorgniserregende Manie…
Die Organisation Gehlen gab es tatsächlich, ihre Geschichte ist unrühmlich und sie ist Vorläuferin des nicht minder unrühmlichen BND. Dieses nie abgeschlossene düstere Kapitel der BRD aufzugreifen, mit verdeckt in höheren Kreisen stattfindender Kinderprostitution in Verbindung zu bringen und zugleich „Taxi Driver“ nicht nur zu zitieren, sondern in Form einer großen Hommage parallel noch einmal in Karows Kopf stattfinden zu lassen, ist schon ein ausgeklügeltes Konzept. Mit den Grenzen zwischen Realität und Fiktion jedoch derart zu spielen, dass sich die Figuren nicht mehr sicher sein können, ob sie nicht selbst Teil eines geskripteten Films sind und vor diesem Hintergrund Polizeiarbeit stattfinden zu lassen, und zwar auf eine Weise, dass es auch noch funktioniert und fürs Publikum nachvollziehbar bleibt, ist beinahe genial.
Die Einblicke in Rubins familiäre Probleme um ihren Sohn und ihr Zurückholen in die Handlung in der einen oder anderen wichtigen Szene verhindern, dass „Meta“ nicht zur Einmann-Show Karows gerät, in der er auf Rubin wie ein getriebener Paranoiker wirkt und sich immer und immer wieder den Film anschaut, und zwar überlebensgroß, als Einzelperson im Kinosaal. Allein schon durch diesen Größenunterschied wirkt der Film (im Film) übermächtig und Karow klein. Damit ist „Meta“ auch Ausdruck der Faszination und der Kraft des Kinos, ein Schulterschluss zwischen Fernseh- und Kinofilm. Die Wechselwirkungen zwischen Kino und Realität werden eindrucksvoll illustriert, wenn sich die Dialoge auf der Kino-Leinwand plötzlich 1:1 mit denen in der filmischen Realität gleichen. Markas „Tatort“ ist außergewöhnlich künstlerisch, spannend, mysteriös und düster, desillusorisch, beinahe misanthropisch, ist hart und doch so voller Lebendigkeit, Leidenschaft, Gefühl. Das intelligente Drehbuch ist sicherlich nicht so originell, wie es von manch unbedarfterem Zuschauer empfunden wurde, aber es fügt die Versatzstücke des Meta- und Mindfuck-Kinos sehr aufmerksam und pointiert zu etwas Neuem zusammen, für dessen Beginn- und Schlussgag, der wirklich nicht mehr als ein nettes Augenzwinkern, jedenfalls nicht entscheidend ist, der „Tatort“ sogar mit seinen strengen Traditionen bricht, indem er Eingriffe in An- und Abspann gestattet.
Diese Rezension entstand im März 2018 auf der Meta-Ebene zwischen World Wide Web, TV und Kino, ihr Autor ist „Taxi Driver“-Fan und sie deckt eine Verschwörung auf: Die von Filmleidenschaft, Talent, einem begnadeten Team und öffentlich-rechtlich gewährter künstlerischer Freiheit, die diesen hervorragenden „Tatort“ ermöglichte.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort: Auge um Auge
„Die Leute stehen an der falschen Stelle, die auf dem Marktplatz, die vor den Flüchtlingsheimen. Aber hier, hier vor der Versicherung, hier steht keiner. Vor den Banken, vor den Konzernen, hier, wo die Wut hingehört. Hier steht kein Mensch – keiner! Die Leute draußen wüten gegen die armen Schweine – aber keiner wütet gegen die reichen Schweine!“
Der vierte Dresdner Fall des ersten rein weiblichen „Tatort“-Ermittlerduos Sieland/Gorniak ist eine Gemeinschaftsproduktion des „Stromberg“-Teams Franziska Meletzky (Regie, ihr bereits vierter Beitrag zur Reihe) und Ralf Husmann (Drehbuch) – und trotzdem ist der 2017 ausgestrahlte „Auge um Auge“ keine Komödie.
Ein Abteilungsleiter (Alexander Schubert, „heute-show“) des „Alva“-Versicherungsunternehmens wird von einem Nachbargebäude aus am hellichten Tag in seinem gläsernen Büro erschossen. Gebhardt, so der Name des Toten, galt als harter Hund, der intern gute Zahlen vorweisen konnte, weil er zahlreiche Auszahlungen an Versicherungsnehmer verweigerte. Außerdem befand er sich im Postengerangel mit Rainer Ellgast (Arnd Klawitter, „Tödliche Gefühle“). Auf diesen fällt der erste Verdacht Karin Gorniaks (Karin Hanczewski) und Henni Sielands (Alwara Höfels), während Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) den Mann aufgrund offenbar ähnlicher Ansichten zu gesellschaftlichen Themen zunächst sympathisch findet und nicht an dessen Schuld glauben will – auch wenn alles gegen ihn spricht, beispielsweise ein sich in Luft auflösendes Alibi. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass ein ehemaliger Versicherungsnehmer, dem nach einem Schadenfall die Zahlung verweigert wurde, aus Wut und Frust zur Waffe gegriffen hat. Harald Böhlert (Peter Schneider, „Bornholmer Straße“) zum Beispiel ist seit einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt und führt zusammen mit seiner Frau Ines (Marie Leuenberger, „Der Kreis“) und Aktivistin Martina Scheuring (Henny Reents, „Spur der Hoffnung“) Protestaktionen gegen die „Alva“ durch. Ellgast ist heimlich mit der „Alva“-Sekretärin Claudia Bischoff (Isabell Polak, „Vaterfreuden“) liiert und deren Kollegin Cordula Wernicke (Ramona Kunze-Libnow, „Happy Burnout“) findet kurz nach dem Mord eine Patrone in ihrer Post. Hat es der Täter auf weitere Opfer abgesehen?
Systemimmanent ist die Tatsache, dass Versicherungen zur Berufsunfähigkeit u.ä. nicht Aufgabe des Staats sind, sondern private Versicherungsunternehmen mit diesen Aufgaben betraut werden. Diese versprechen ihren Kundinnen und Kunden viel, wenn sie um sie buhlen, tun sich aber gern einmal damit schwer, auch ihren Teil der Leistungsvereinbarung zu erfüllen, wenn es zum Versicherungsfall kommt. Als marktwirtschaftlich ausgerichtete Unternehmen geht es ihnen in erster Linie um Profitmaximierung, nicht um das Wohl der Menschen. So errichten sie Prunkbauten und stopfen sich im Vorstand die Taschen voll, während manch Versicherungsnehmer, der ihnen sein Vertrauen schenkte und lange Zeit Beiträge zahlte, vor die Hunde geht. In diese Wunde legt dieser „Tatort“ seinen Finger und thematisiert in scharfzüngigen, mitunter auch launigen Dialogen das gestörte Verhältnis des konservativen, Veränderungen und Neuerungen gegenüber wenig aufgeschlossenen, gar latent xenophoben Kommissariatsleiters Schnabel zu seinen Kommissarinnen, insbesondere der sich für Flüchtlinge engagierenden Henni Sieland, gerade auch vor dem Hintergrund der lokalen „Pegida“-Idiotenaufmärsche und der Wahlerfolge der rechtsextremen AfD.
Damit beweist dieser „Tatort“ soziales Gewissen, politisches Bewusstsein und eine scharfe Beobachtungsgabe, wenngleich er mitunter etwas sehr plakativ vorgeht. Die Dynamik zwischen Schnabel und seinen „Mädels“ jedoch ist schön mitanzusehen – Brambach als Schnabel ist nach wie vor großes Ossi-Kino – und bringt viel Pepp in diesen eher konventionellen Fall, der leider recht platt den Verdacht auf Ellgast lenkt, bis auch auf diesen ein Anschlag verübt wird. Das nach einigen Beleuchtungen Sielands dysfunktionaler Beziehung zu ihrem Ole (Franz Hartwig, „Männerherzen... und die ganz ganz große Liebe“) eingeläutete düstere Finale ist dann noch einmal Anlass für wortgewaltige Gesellschaftskritik, bis der Fall gelöst ist und man sich nur noch die Frage stellen muss, wie es gelungen sein soll, mit einer Pistole auf diese Distanz durch eine Glasscheibe hindurch derart genau das Opfer zu treffen.
Wie bereits eingangs erwähnt, sollte man trotz des „Stromberg“-Teams und des Versicherungsmilieus keine Komödie oder Parallelen zur „Capitol“ erwarten. Von dieser falschen Erwartungshaltung befreit, ist „Auge um Auge“ ein von einigen Schwächen geplagter „Tatort“, der jedoch relevante gesellschaftliche Themen aufgreift, aalglatte Versicherungsangestellte nur leicht karikiert und mit seinem interessanten Team einiges wieder wettmacht. Irgendwo zwischen 6 und 7 von zehn Couscous-Portionen würde ich ihn einordnen und entscheide mich für diplomatische 6,5.
„Die Leute stehen an der falschen Stelle, die auf dem Marktplatz, die vor den Flüchtlingsheimen. Aber hier, hier vor der Versicherung, hier steht keiner. Vor den Banken, vor den Konzernen, hier, wo die Wut hingehört. Hier steht kein Mensch – keiner! Die Leute draußen wüten gegen die armen Schweine – aber keiner wütet gegen die reichen Schweine!“
Der vierte Dresdner Fall des ersten rein weiblichen „Tatort“-Ermittlerduos Sieland/Gorniak ist eine Gemeinschaftsproduktion des „Stromberg“-Teams Franziska Meletzky (Regie, ihr bereits vierter Beitrag zur Reihe) und Ralf Husmann (Drehbuch) – und trotzdem ist der 2017 ausgestrahlte „Auge um Auge“ keine Komödie.
Ein Abteilungsleiter (Alexander Schubert, „heute-show“) des „Alva“-Versicherungsunternehmens wird von einem Nachbargebäude aus am hellichten Tag in seinem gläsernen Büro erschossen. Gebhardt, so der Name des Toten, galt als harter Hund, der intern gute Zahlen vorweisen konnte, weil er zahlreiche Auszahlungen an Versicherungsnehmer verweigerte. Außerdem befand er sich im Postengerangel mit Rainer Ellgast (Arnd Klawitter, „Tödliche Gefühle“). Auf diesen fällt der erste Verdacht Karin Gorniaks (Karin Hanczewski) und Henni Sielands (Alwara Höfels), während Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) den Mann aufgrund offenbar ähnlicher Ansichten zu gesellschaftlichen Themen zunächst sympathisch findet und nicht an dessen Schuld glauben will – auch wenn alles gegen ihn spricht, beispielsweise ein sich in Luft auflösendes Alibi. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass ein ehemaliger Versicherungsnehmer, dem nach einem Schadenfall die Zahlung verweigert wurde, aus Wut und Frust zur Waffe gegriffen hat. Harald Böhlert (Peter Schneider, „Bornholmer Straße“) zum Beispiel ist seit einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt und führt zusammen mit seiner Frau Ines (Marie Leuenberger, „Der Kreis“) und Aktivistin Martina Scheuring (Henny Reents, „Spur der Hoffnung“) Protestaktionen gegen die „Alva“ durch. Ellgast ist heimlich mit der „Alva“-Sekretärin Claudia Bischoff (Isabell Polak, „Vaterfreuden“) liiert und deren Kollegin Cordula Wernicke (Ramona Kunze-Libnow, „Happy Burnout“) findet kurz nach dem Mord eine Patrone in ihrer Post. Hat es der Täter auf weitere Opfer abgesehen?
Systemimmanent ist die Tatsache, dass Versicherungen zur Berufsunfähigkeit u.ä. nicht Aufgabe des Staats sind, sondern private Versicherungsunternehmen mit diesen Aufgaben betraut werden. Diese versprechen ihren Kundinnen und Kunden viel, wenn sie um sie buhlen, tun sich aber gern einmal damit schwer, auch ihren Teil der Leistungsvereinbarung zu erfüllen, wenn es zum Versicherungsfall kommt. Als marktwirtschaftlich ausgerichtete Unternehmen geht es ihnen in erster Linie um Profitmaximierung, nicht um das Wohl der Menschen. So errichten sie Prunkbauten und stopfen sich im Vorstand die Taschen voll, während manch Versicherungsnehmer, der ihnen sein Vertrauen schenkte und lange Zeit Beiträge zahlte, vor die Hunde geht. In diese Wunde legt dieser „Tatort“ seinen Finger und thematisiert in scharfzüngigen, mitunter auch launigen Dialogen das gestörte Verhältnis des konservativen, Veränderungen und Neuerungen gegenüber wenig aufgeschlossenen, gar latent xenophoben Kommissariatsleiters Schnabel zu seinen Kommissarinnen, insbesondere der sich für Flüchtlinge engagierenden Henni Sieland, gerade auch vor dem Hintergrund der lokalen „Pegida“-Idiotenaufmärsche und der Wahlerfolge der rechtsextremen AfD.
Damit beweist dieser „Tatort“ soziales Gewissen, politisches Bewusstsein und eine scharfe Beobachtungsgabe, wenngleich er mitunter etwas sehr plakativ vorgeht. Die Dynamik zwischen Schnabel und seinen „Mädels“ jedoch ist schön mitanzusehen – Brambach als Schnabel ist nach wie vor großes Ossi-Kino – und bringt viel Pepp in diesen eher konventionellen Fall, der leider recht platt den Verdacht auf Ellgast lenkt, bis auch auf diesen ein Anschlag verübt wird. Das nach einigen Beleuchtungen Sielands dysfunktionaler Beziehung zu ihrem Ole (Franz Hartwig, „Männerherzen... und die ganz ganz große Liebe“) eingeläutete düstere Finale ist dann noch einmal Anlass für wortgewaltige Gesellschaftskritik, bis der Fall gelöst ist und man sich nur noch die Frage stellen muss, wie es gelungen sein soll, mit einer Pistole auf diese Distanz durch eine Glasscheibe hindurch derart genau das Opfer zu treffen.
Wie bereits eingangs erwähnt, sollte man trotz des „Stromberg“-Teams und des Versicherungsmilieus keine Komödie oder Parallelen zur „Capitol“ erwarten. Von dieser falschen Erwartungshaltung befreit, ist „Auge um Auge“ ein von einigen Schwächen geplagter „Tatort“, der jedoch relevante gesellschaftliche Themen aufgreift, aalglatte Versicherungsangestellte nur leicht karikiert und mit seinem interessanten Team einiges wieder wettmacht. Irgendwo zwischen 6 und 7 von zehn Couscous-Portionen würde ich ihn einordnen und entscheide mich für diplomatische 6,5.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort: Das Mädchen auf der Treppe
Schimanskis (Götz George) und Thanners (Eberhard Feik) vierter Fall „Das Mädchen auf der Treppe“ datiert auf das Jahr 1982. Es wurde der zweite „Tatort“ des Regisseurs Peter Adam, das Drehbuch stammt von Martin Gies.
Die 17-jährige Katja (Anja Jaenicke, „Die Schaukel“) passt Schimanski nach Feierabend im Treppenhaus ab. Sie ist in Sorge, weil ihre Mutter nicht nach Hause gekommen ist und bittet den Kommissar um Hilfe. Schimanski versucht, das Mädchen zu beruhigen, doch bald stellt sich heraus, dass ihre Mutter tatsächlich ermordet wurde. Die Ermittlungen ergeben, dass sie in Drogengeschäfte verwickelt war und ihr Arbeitsplatz, das Restaurant „Hawaii“, als Drogenumschlagsplatz fungierte. Da Katja ihren Vater nie kennengelernt hat, ist sie nun auf sich allein gestellt. Durch Schimanski und Thanner bekommt sie Unterstützung, an Schimmi wirft sie sich gar offensiv heran. Mit vereinten Kräften begibt man sich auf die Mördersuche…
Dieser sensibel erzählte Fall lebt vor allem von der frechen Katja, die mit ihrem Hut und ihren geschminkten Lippen optisch aus der Reihe fällt und fast wie eine Stil-Ikone wirkt. Nachdem sie innerhalb dieses Falls ihren 18. Geburtstag gefeiert hat, knüpft sie amouröse Bande mit Schimanski, deren Ausgang offen bleibt. Doch so sehr dieser einmal mehr sein Lokalkolorit betonender Fall auch suggeriert, dass die Polizei für Jugendliche da sei, so wenig können Schimanski und Thanner letztlich ausrichten: Im Prinzip ist es Katja, die den Mörder enttarnt. Als liebenswerte Figur wächst sie einem schnell ans Herz und so wirkt es durchaus nach, dass ungewiss bleibt, wie es für Katja weitergeht.
Atmosphärisch ragt auch dieser „Tatort“ heraus, die Synthie-Prog-Musik von Tangerine Dream schoss in die Charts und die ‘80er-Jahre-Stimmung passt ideal zur jungen Frau zwischen Selbstbewusstsein und Verunsicherung – eine Dekade, in der man eine solche Geschichte noch innerhalb eines TV-Krimi-Formats auf diese etwas naive Weise erzählen konnte, ohne dadurch negativ aufzufallen. Melancholie und Aufbruchsstimmung reichen sich in „Das Mädchen auf der Treppe“ die Hand.
Schimanskis (Götz George) und Thanners (Eberhard Feik) vierter Fall „Das Mädchen auf der Treppe“ datiert auf das Jahr 1982. Es wurde der zweite „Tatort“ des Regisseurs Peter Adam, das Drehbuch stammt von Martin Gies.
Die 17-jährige Katja (Anja Jaenicke, „Die Schaukel“) passt Schimanski nach Feierabend im Treppenhaus ab. Sie ist in Sorge, weil ihre Mutter nicht nach Hause gekommen ist und bittet den Kommissar um Hilfe. Schimanski versucht, das Mädchen zu beruhigen, doch bald stellt sich heraus, dass ihre Mutter tatsächlich ermordet wurde. Die Ermittlungen ergeben, dass sie in Drogengeschäfte verwickelt war und ihr Arbeitsplatz, das Restaurant „Hawaii“, als Drogenumschlagsplatz fungierte. Da Katja ihren Vater nie kennengelernt hat, ist sie nun auf sich allein gestellt. Durch Schimanski und Thanner bekommt sie Unterstützung, an Schimmi wirft sie sich gar offensiv heran. Mit vereinten Kräften begibt man sich auf die Mördersuche…
Dieser sensibel erzählte Fall lebt vor allem von der frechen Katja, die mit ihrem Hut und ihren geschminkten Lippen optisch aus der Reihe fällt und fast wie eine Stil-Ikone wirkt. Nachdem sie innerhalb dieses Falls ihren 18. Geburtstag gefeiert hat, knüpft sie amouröse Bande mit Schimanski, deren Ausgang offen bleibt. Doch so sehr dieser einmal mehr sein Lokalkolorit betonender Fall auch suggeriert, dass die Polizei für Jugendliche da sei, so wenig können Schimanski und Thanner letztlich ausrichten: Im Prinzip ist es Katja, die den Mörder enttarnt. Als liebenswerte Figur wächst sie einem schnell ans Herz und so wirkt es durchaus nach, dass ungewiss bleibt, wie es für Katja weitergeht.
Atmosphärisch ragt auch dieser „Tatort“ heraus, die Synthie-Prog-Musik von Tangerine Dream schoss in die Charts und die ‘80er-Jahre-Stimmung passt ideal zur jungen Frau zwischen Selbstbewusstsein und Verunsicherung – eine Dekade, in der man eine solche Geschichte noch innerhalb eines TV-Krimi-Formats auf diese etwas naive Weise erzählen konnte, ohne dadurch negativ aufzufallen. Melancholie und Aufbruchsstimmung reichen sich in „Das Mädchen auf der Treppe“ die Hand.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort: Das Haus am Ende der Straße
Drehbuchautor Michael Proehl hatte mit seinem Skript zu „Tatort: Im Schmerz geboren“ für einen der größten Kritikerlieblinge der öffentlich-rechtlichen TV-Krimireihe gesorgt. Zusammen mit Erol Yesilkaya entwickelte er auch das Drehbuch zu Hauptkommissar Frank Steiers (Joachim Król) Abgesang: Der Frankfurter beendet in diesem „Tatort“ von Regisseur Sebastian Marka („Hit Mom - Mörderische Weihnachten“), der bereits Ende 2013 gedreht, aber erst im Winter 2015 ausgestrahlt wurde, seine Karriere als Ermittler.
Als Kommissar Steier während eines Routineeinsatzes unvermittelt auf den mehrfach vorbestraften Nico Sauer (Maik Rogge, „Um jeden Preis“) trifft, gibt dieser zwei Schüsse ab, die durch die dünnen Wände des Wohngebäudes ein kleines Mädchen nebenan töten. Vor Gericht wird Sauer freigesprochen, nicht zuletzt, weil Steier Restalkohol von der vorausgegangenen Nacht im Blut hatte. Steier hat die Schnauze nun gestrichen voll, quittiert den Dienst und will Sauer ohne rechtliche Legitimation ans Leder. Als er Wind davon bekommt, dass Sauer zusammen mit seinem Bruder Robin (Vincent Krüger, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“) und dessen heroinabhängiger Freundin Lisa (Janina Schauer, „Der letzte Tanz“) einen Einbruch ins Haus Matthias Langenbrocks (Steffen Münster, „Karniggels“) plant, sucht er jenen Ort auf, an dem Langenbrock erschlagen wird, beobachtet von Nachbar Rolf Poller (Armin Rohde, „Zwei Weihnachtsmänner“) – selbst ein ehemaligen Kommissar. Und dieser verfolgt einen eigenen Plan: Er sperrt Steier zusammen mit dem kriminellen Trio in seinen Keller und ergeht sich in perfiden Psycho-Spielchen…
Treffen zwei ehemalige Kommissare aufeinander… Da breitet der eine dem anderen bereitwillig seine Lebensgeschichte vor dem anderen aus, welcher ihm wiederum Falschaussagen zusichert. Doch daran hat der mit seinem Leben weitestgehend abgeschlossen habende, wütende Poller wenig Interesse, vielmehr geht es ihm darum, dass sich alle vier Gefangenen ihrer wahren Charaktere gegenseitig bewusst werden. Vornehmlich will er dadurch dem noch nicht vollends versauten Robin die Augen öffnen, denn er hat die Hoffnung, dass dieser dadurch wieder zurück auf den Pfad der Tugend findet. Die Erkenntnisse, die vor allem Steier und Robin erlangen, sind bitter und desillusionierend. Nein, ein Nico Sauer lässt sich nicht mehr resozialisieren und ohne mit der Wimper zu zucken, würde er weitere Todesopfer in Kauf nehmen, wenn es zu seinem Vorteil gereicht. Und die heroinsüchtige Lisa, für die Robin sich am Einbruch beteiligte, dankt es ihm kaum, würde sich für den nächsten Schuss prostituieren und Bayers Hustenmittel jederzeit Robin vorziehen.
So gesetzlos und perfide Poller auch vorgeht: Dieser „Tatort“ ist dahingehend konzipiert, dass das Publikum ihm über weite Strecken zustimmt, wenn er seine Lektionen mit Gewalt durchsetzt. Zugleich kommt dies jedoch einer Bankrotterklärung des deutschen Strafrechts gleich, denn Pollers Fatalismus bedeutet letztlich: Bestimmte Straftäter sind nicht resozialisierbar, die Polizei ist machtlos und Drogenabhängigen ist weder zu trauen noch zu helfen. So wahr das häufig sein mag, so fatal wäre es, diese Erkenntnis im Strafrecht zu verankern und dieselben Konsequenzen zu ziehen wie Poller. Letztlich demonstriert „Das Haus am Ende der Straße“ den häufig schizophren anmutenden Konflikt, in dem sich Kommissare wie Steier befinden, folgt man der Logik und dem Blick auf die Abgründe der Gesellschaft dieses „Tatorts“ – der jedoch auch nachdenklich stimmen und dabei behilflich sein kann, eigene Bekannt- und Seilschaften kritisch zu hinterfragen.
Eingebettet wurde diese Handlung in einen düsteren, gut geschauspielerten und fotografierten Thriller, der auf die mehr oder weniger typische Polizeiarbeit komplett verzichtet und sich auch auf keine Ermittlung begibt, sondern die Täter in den Mittelpunkt rückt, von denen Steier beinahe selbst einer geworden wäre. Die Anspielung des Titels auf den Rape’n’Revenge-Klassiker „The Last House on the Left“ führt natürlich in die Irre, wenngleich Rache auch hier zunächst zum treibenden Motiv wird, bis sich Steier aufgrund Pollers Spiel wieder der Vernunft besinnt. Dass über seinem letzten Fall das Damoklesschwert des möglichen Heldentods schwebt, macht diesen „Tatort“ gewiss nicht weniger spannend. 7,5 von 10 Promille Restalkohol dafür.
Drehbuchautor Michael Proehl hatte mit seinem Skript zu „Tatort: Im Schmerz geboren“ für einen der größten Kritikerlieblinge der öffentlich-rechtlichen TV-Krimireihe gesorgt. Zusammen mit Erol Yesilkaya entwickelte er auch das Drehbuch zu Hauptkommissar Frank Steiers (Joachim Król) Abgesang: Der Frankfurter beendet in diesem „Tatort“ von Regisseur Sebastian Marka („Hit Mom - Mörderische Weihnachten“), der bereits Ende 2013 gedreht, aber erst im Winter 2015 ausgestrahlt wurde, seine Karriere als Ermittler.
Als Kommissar Steier während eines Routineeinsatzes unvermittelt auf den mehrfach vorbestraften Nico Sauer (Maik Rogge, „Um jeden Preis“) trifft, gibt dieser zwei Schüsse ab, die durch die dünnen Wände des Wohngebäudes ein kleines Mädchen nebenan töten. Vor Gericht wird Sauer freigesprochen, nicht zuletzt, weil Steier Restalkohol von der vorausgegangenen Nacht im Blut hatte. Steier hat die Schnauze nun gestrichen voll, quittiert den Dienst und will Sauer ohne rechtliche Legitimation ans Leder. Als er Wind davon bekommt, dass Sauer zusammen mit seinem Bruder Robin (Vincent Krüger, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“) und dessen heroinabhängiger Freundin Lisa (Janina Schauer, „Der letzte Tanz“) einen Einbruch ins Haus Matthias Langenbrocks (Steffen Münster, „Karniggels“) plant, sucht er jenen Ort auf, an dem Langenbrock erschlagen wird, beobachtet von Nachbar Rolf Poller (Armin Rohde, „Zwei Weihnachtsmänner“) – selbst ein ehemaligen Kommissar. Und dieser verfolgt einen eigenen Plan: Er sperrt Steier zusammen mit dem kriminellen Trio in seinen Keller und ergeht sich in perfiden Psycho-Spielchen…
Treffen zwei ehemalige Kommissare aufeinander… Da breitet der eine dem anderen bereitwillig seine Lebensgeschichte vor dem anderen aus, welcher ihm wiederum Falschaussagen zusichert. Doch daran hat der mit seinem Leben weitestgehend abgeschlossen habende, wütende Poller wenig Interesse, vielmehr geht es ihm darum, dass sich alle vier Gefangenen ihrer wahren Charaktere gegenseitig bewusst werden. Vornehmlich will er dadurch dem noch nicht vollends versauten Robin die Augen öffnen, denn er hat die Hoffnung, dass dieser dadurch wieder zurück auf den Pfad der Tugend findet. Die Erkenntnisse, die vor allem Steier und Robin erlangen, sind bitter und desillusionierend. Nein, ein Nico Sauer lässt sich nicht mehr resozialisieren und ohne mit der Wimper zu zucken, würde er weitere Todesopfer in Kauf nehmen, wenn es zu seinem Vorteil gereicht. Und die heroinsüchtige Lisa, für die Robin sich am Einbruch beteiligte, dankt es ihm kaum, würde sich für den nächsten Schuss prostituieren und Bayers Hustenmittel jederzeit Robin vorziehen.
So gesetzlos und perfide Poller auch vorgeht: Dieser „Tatort“ ist dahingehend konzipiert, dass das Publikum ihm über weite Strecken zustimmt, wenn er seine Lektionen mit Gewalt durchsetzt. Zugleich kommt dies jedoch einer Bankrotterklärung des deutschen Strafrechts gleich, denn Pollers Fatalismus bedeutet letztlich: Bestimmte Straftäter sind nicht resozialisierbar, die Polizei ist machtlos und Drogenabhängigen ist weder zu trauen noch zu helfen. So wahr das häufig sein mag, so fatal wäre es, diese Erkenntnis im Strafrecht zu verankern und dieselben Konsequenzen zu ziehen wie Poller. Letztlich demonstriert „Das Haus am Ende der Straße“ den häufig schizophren anmutenden Konflikt, in dem sich Kommissare wie Steier befinden, folgt man der Logik und dem Blick auf die Abgründe der Gesellschaft dieses „Tatorts“ – der jedoch auch nachdenklich stimmen und dabei behilflich sein kann, eigene Bekannt- und Seilschaften kritisch zu hinterfragen.
Eingebettet wurde diese Handlung in einen düsteren, gut geschauspielerten und fotografierten Thriller, der auf die mehr oder weniger typische Polizeiarbeit komplett verzichtet und sich auch auf keine Ermittlung begibt, sondern die Täter in den Mittelpunkt rückt, von denen Steier beinahe selbst einer geworden wäre. Die Anspielung des Titels auf den Rape’n’Revenge-Klassiker „The Last House on the Left“ führt natürlich in die Irre, wenngleich Rache auch hier zunächst zum treibenden Motiv wird, bis sich Steier aufgrund Pollers Spiel wieder der Vernunft besinnt. Dass über seinem letzten Fall das Damoklesschwert des möglichen Heldentods schwebt, macht diesen „Tatort“ gewiss nicht weniger spannend. 7,5 von 10 Promille Restalkohol dafür.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort: Gott ist auch nur ein Mensch
Der bereits 32. Fall des komödiantischen Münsteraner „Tatort“-Teams aus Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und Rechtsmediziner Dr. Boerne (Jan Josef Liefers) findet vor dem Hintergrund der alle zehn Jahre stattfindenden realen Kunstveranstaltung „Skulptur.Projekte“ statt und begibt sich somit ins Milieu Kunstschaffender. Das Drehbuch stammt aus der Feder Christoph Silbers und Thorsten Wettckes; die Regie übernahm erneut Lars Jessen („Dorfpunks“), der damit bereits zum dritten Mal einen „Münsteraner“ inszenierte. Erstausgestrahlt wurde der „Gott ist auch nur ein Mensch“ betitelte Fall im November 2017.
Die Skulptur-Ausstellung wurde noch nicht offiziell eröffnet, da müssen Thiel & Co. auch schon in einem Mordfall ermitteln: Ein Päderast und ehemaliger Stadtrat, der aufgrund eines Justizirrtums freigesprochen wurde, wird mausetot im Inneren einer überlebensgroßen Clown-Skulptur aufgefunden – den Schuldbeweis auf einer SD-Karte gespeichert, die der Leiche implantiert wurde. Nichts liegt näher als zunächst die Eltern der missbrauchten Kinder zu befragen. Kurz darauf wird die Kunstveranstaltung jedoch von einer weiteren Leiche überschattet: einem mit einem Gandhi-Zitat drapierten Neonazi. Nun gerät die exaltiere Kunstszene ins Visier der Ermittler, u.a. Aktionskünstler Zoltan „G.O.D.“ Rajinovic (Aleksandar Jovanovic, „Auf kurze Distanz“) – ist er ein ebenso wahnsinniger wie kunstaffiner Serienmörder auf dem Selbstjustiztrip?
Das Hauptaugenmerk dieses Münsteraner „Tatorts“ liegt mitnichten auf Slapstick und/oder Klamauk, sondern auf kunstvollen Morden bzw. vielmehr kunstvoll aufbereiteten Mordergebnissen, der zwielichtigen, undurchsichtigen Gestalt des sich G.O.D. nennenden Künstlers und der Persiflage einer sich häufig selbst etwas wichtig nehmenden, schrulligen oder der Realität entrückten Künstlerinnen- und Künstlerszene, in die – welch Wunder – der narzisstische, elitäre Boerne so gut hineinpasst, dass er von G.O.D. zu seinem „Meisterschüler“ auserkoren wird. Mit seiner Prämisse orientiert sich dieser Fall damit an Psycho-Thriller-Sujets, wenn auch ohne dieses wirklich auszukosten oder komödiantisch hochzunehmen. Das ist schade, denn mit einem seine Rolle ideal ausfüllenden Aleksandar Jovanovic, der etwas vom großen Lee Van Cleef hat, waren die Voraussetzungen eigentlich gut. Stattdessen verliert sich das Drehbuch in uninteressanten Exkursionen und Nebenschauplätzen wie der unglaubwürdigen Geschichte um Kuratorin Klara Wenger (Victoria Mayer, „Die Wolke“), die Thiel angeblich bereits aus fernen Kindheitstagen kennt, in denen er zwischen anderen Hippiekindern in Mädchenklamotten gesteckt wurde – welch hanebüchener Blödsinn, allein schon angesichts des offensichtlichen Altersunterschieds der beiden.
Doch einmal mehr konnten die Drehbuchautoren nicht an sich halten und schlugen weitere Kapriolen: G.O.D. wird ein Hirntumor angedichtet und letztlich eine aktive Verwicklung in den Fall mit seiner überkonstruierten Auflösung. Sämtliche Nebenfiguren inkl. Thiels bekifftem Vater (Claus D. Clausnitzer) lässt man mind. einmal auflaufen, was hier und da für netten Dialogwitz und den einen oder anderen Gag sorgt, das Potential der Handlung jedoch weiter unterläuft: Wenn man schon aus den Psycho-Thrill-Aspekten nichts weiter herausholt, hätte man sich genüsslich der Kunstszene und ihren Eitelkeiten, ihrer Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit oder ihrer Prätentiösität widmen können. Die Persiflage bleibt jedoch oberflächlich. Und aufgrund der Selbstjustizthematik eine kritische Auseinandersetzung mit dem Versagen des Rechtssystems in bestimmten Fällen zu erwarten, hätte vermutlich ohnehin nicht in die komödiantische Ausrichtung des Münsteraner Konzepts gepasst.
Was bleibt, ist ein kurzweiliger, vergnüglicher „Tatort“ mit ganz realem Kunstbezug, der die Münsteraner Skulptur-Veranstaltung ins Bewusstsein rückt und damit bei aller Verballhornung der Kunstszene gleichzeitig Werbung für sie betreibt – zumal Künstler Christian Jankowski als Jan Christowski eine Nebenrolle einnimmt, für eine wirklich gelungene Post-Pointe jedoch auch als er selbst in Erscheinung tritt. Unter Lars Jessens Regie gelingen Kameramann Rodja Kükenthal zudem einige echte Hingucker – angesichts derer es aber umso betrüblicher ist, dass man sich gerade im Mittelteil derart verzettelt. Publikumsrenner und bewährtes Rezept hin oder her: Der Münsteraner „Tatort“ scheint sich mit Abweichungen von seiner ihm eigenen Norm besonders schwerzutun.
Der bereits 32. Fall des komödiantischen Münsteraner „Tatort“-Teams aus Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und Rechtsmediziner Dr. Boerne (Jan Josef Liefers) findet vor dem Hintergrund der alle zehn Jahre stattfindenden realen Kunstveranstaltung „Skulptur.Projekte“ statt und begibt sich somit ins Milieu Kunstschaffender. Das Drehbuch stammt aus der Feder Christoph Silbers und Thorsten Wettckes; die Regie übernahm erneut Lars Jessen („Dorfpunks“), der damit bereits zum dritten Mal einen „Münsteraner“ inszenierte. Erstausgestrahlt wurde der „Gott ist auch nur ein Mensch“ betitelte Fall im November 2017.
Die Skulptur-Ausstellung wurde noch nicht offiziell eröffnet, da müssen Thiel & Co. auch schon in einem Mordfall ermitteln: Ein Päderast und ehemaliger Stadtrat, der aufgrund eines Justizirrtums freigesprochen wurde, wird mausetot im Inneren einer überlebensgroßen Clown-Skulptur aufgefunden – den Schuldbeweis auf einer SD-Karte gespeichert, die der Leiche implantiert wurde. Nichts liegt näher als zunächst die Eltern der missbrauchten Kinder zu befragen. Kurz darauf wird die Kunstveranstaltung jedoch von einer weiteren Leiche überschattet: einem mit einem Gandhi-Zitat drapierten Neonazi. Nun gerät die exaltiere Kunstszene ins Visier der Ermittler, u.a. Aktionskünstler Zoltan „G.O.D.“ Rajinovic (Aleksandar Jovanovic, „Auf kurze Distanz“) – ist er ein ebenso wahnsinniger wie kunstaffiner Serienmörder auf dem Selbstjustiztrip?
Das Hauptaugenmerk dieses Münsteraner „Tatorts“ liegt mitnichten auf Slapstick und/oder Klamauk, sondern auf kunstvollen Morden bzw. vielmehr kunstvoll aufbereiteten Mordergebnissen, der zwielichtigen, undurchsichtigen Gestalt des sich G.O.D. nennenden Künstlers und der Persiflage einer sich häufig selbst etwas wichtig nehmenden, schrulligen oder der Realität entrückten Künstlerinnen- und Künstlerszene, in die – welch Wunder – der narzisstische, elitäre Boerne so gut hineinpasst, dass er von G.O.D. zu seinem „Meisterschüler“ auserkoren wird. Mit seiner Prämisse orientiert sich dieser Fall damit an Psycho-Thriller-Sujets, wenn auch ohne dieses wirklich auszukosten oder komödiantisch hochzunehmen. Das ist schade, denn mit einem seine Rolle ideal ausfüllenden Aleksandar Jovanovic, der etwas vom großen Lee Van Cleef hat, waren die Voraussetzungen eigentlich gut. Stattdessen verliert sich das Drehbuch in uninteressanten Exkursionen und Nebenschauplätzen wie der unglaubwürdigen Geschichte um Kuratorin Klara Wenger (Victoria Mayer, „Die Wolke“), die Thiel angeblich bereits aus fernen Kindheitstagen kennt, in denen er zwischen anderen Hippiekindern in Mädchenklamotten gesteckt wurde – welch hanebüchener Blödsinn, allein schon angesichts des offensichtlichen Altersunterschieds der beiden.
Doch einmal mehr konnten die Drehbuchautoren nicht an sich halten und schlugen weitere Kapriolen: G.O.D. wird ein Hirntumor angedichtet und letztlich eine aktive Verwicklung in den Fall mit seiner überkonstruierten Auflösung. Sämtliche Nebenfiguren inkl. Thiels bekifftem Vater (Claus D. Clausnitzer) lässt man mind. einmal auflaufen, was hier und da für netten Dialogwitz und den einen oder anderen Gag sorgt, das Potential der Handlung jedoch weiter unterläuft: Wenn man schon aus den Psycho-Thrill-Aspekten nichts weiter herausholt, hätte man sich genüsslich der Kunstszene und ihren Eitelkeiten, ihrer Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit oder ihrer Prätentiösität widmen können. Die Persiflage bleibt jedoch oberflächlich. Und aufgrund der Selbstjustizthematik eine kritische Auseinandersetzung mit dem Versagen des Rechtssystems in bestimmten Fällen zu erwarten, hätte vermutlich ohnehin nicht in die komödiantische Ausrichtung des Münsteraner Konzepts gepasst.
Was bleibt, ist ein kurzweiliger, vergnüglicher „Tatort“ mit ganz realem Kunstbezug, der die Münsteraner Skulptur-Veranstaltung ins Bewusstsein rückt und damit bei aller Verballhornung der Kunstszene gleichzeitig Werbung für sie betreibt – zumal Künstler Christian Jankowski als Jan Christowski eine Nebenrolle einnimmt, für eine wirklich gelungene Post-Pointe jedoch auch als er selbst in Erscheinung tritt. Unter Lars Jessens Regie gelingen Kameramann Rodja Kükenthal zudem einige echte Hingucker – angesichts derer es aber umso betrüblicher ist, dass man sich gerade im Mittelteil derart verzettelt. Publikumsrenner und bewährtes Rezept hin oder her: Der Münsteraner „Tatort“ scheint sich mit Abweichungen von seiner ihm eigenen Norm besonders schwerzutun.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Das kenne ich doch. aber ich vermute mal, das war keine bewusste Hommage an "Vier Fliegen auf grauem Samt".buxtebrawler hat geschrieben: des sich G.O.D. nennenden Künstlers
Grundsätzlich machen mir Deine Kritiken zu den TATORTEN aber ziemlichen Appetit auf die Serie. Gut, dass ich ein paar dutzend Folgen, die interessant klangen, mal irgendwann aus der ARD-Mediathek gelutscht hatte. Da muss ich mal irgendwann ran.
Deine Beschäftigung mit dem TATORT bestätigt aber auch mal wieder, dass es in der Reihe viele Diamanten oder zumindest Gold-Nuggets zu finden gibt, wenn man nur mal danach gräbt. Zumindest hört man ja sonst immer wieder das alte Vorurteil, der Tatort wäre langweilig, mutlos und immer dasselbe. "Und dafür zahle ich Rundfunkgebühren!?!?!?" "Gut, dass ich schon SEIT JAHREN keinen Fernseher mehr habe!!!!!!!!" "Deutsches Fernsehen kannste eh vergessen. Nur Rosamunde Pilcher und Tatort. Kotz".
Eine letzte Anmerkung: "Im Schmerz geboren" war eines meiner persönlichen TV-Highlights der letzten Jahre. Unglaublich gut. Das Team Schwarz/Proehl hat 2010 auch einen TATORT namens "Weil sie böse sind" gemacht, den ich leider bisher noch nicht gesehen habe, der aber auch fantastisch sein soll und bei dem Mathias Schweighöfer (ganz großer Schauspieler, der sich leider ständig selber verheizt) und Milan Peschel grandiose Vorstellungen geben sollen. Zum Heulen, wenn man bedenkt, dass die beiden heutzutage nur noch so was wie "Schlussmacher" zusammen drehen.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Ja, ich habe mir auch einen Vorrat interessanter Episoden angelegt, momentan noch ca. zehn Stück. Angefixt wurde ich durch interessante "experimentelle" Tatorte wie "Fürchte dich", mein Interesse an deutschen Regisseuren wie Graf oder Jessen, die immer mal wieder für die Reihe tätig sind, mein Komparseneinsatz für einen "Tatort" sowie nicht zuletzt den Umstand, dass meine Freundin sich für die Serie interessiert und sie regelmäßig verfolgt. Und die alten Schimanskis wollte ich ohnehin schon lange mal sehen. Als ich wieder angefangen hatte, TV-Programmzeitschriften zu lesen, bin ich dann auf die vereinzelten Wiederholungen im WDR gestoßen und habe mir diese zu Gemüte geführt.Arkadin hat geschrieben:Grundsätzlich machen mir Deine Kritiken zu den TATORTEN aber ziemlichen Appetit auf die Serie. Gut, dass ich ein paar dutzend Folgen, die interessant klangen, mal irgendwann aus der ARD-Mediathek gelutscht hatte. Da muss ich mal irgendwann ran.
Da gibt es einiges zu entdecken und solche Pauschalaussagen sind natürlich völliger Unfug der üblichen Internet-Kommentarspalten-Wutbürgerfraktion angesichts einer solch heterogenen Reihe mit unterschiedlichsten Autoren, Regisseuren, Schauspielern, Drehorten und Konzepten. Klassische staatstragende TV-Krimis, in denen ein Fall durch die Polizei aufgeklärt wird, der Zuschauer seine Genugtuung erhält und am Ende die Welt wieder in Ordnung ist, interessieren mich am allerwenigsten. Interessanter sind Fälle, die auf gesellschaftliche Missstände hinweisen und Beiträge zu relevanten öffentlichen Diskussionen liefern, eben keine einfachen Lösungen anbieten und die Katharsis verwehren oder auch dieses Sujet komplett sprengen. Bestimmte Reihen wie die um das aktuelle Dresdner-Team oder auch die Weimarer um Tschirner und Ulmen, an deren Humor ich einen Narren gefressen habe, würde ich gern komplett sehen, ansonsten picke ich mir gezielt einzelne heraus.Arkadin hat geschrieben:Deine Beschäftigung mit dem TATORT bestätigt aber auch mal wieder, dass es in der Reihe viele Diamanten oder zumindest Gold-Nuggets zu finden gibt, wenn man nur mal danach gräbt. Zumindest hört man ja sonst immer wieder das alte Vorurteil, der Tatort wäre langweilig, mutlos und immer dasselbe. "Und dafür zahle ich Rundfunkgebühren!?!?!?" "Gut, dass ich schon SEIT JAHREN keinen Fernseher mehr habe!!!!!!!!" "Deutsches Fernsehen kannste eh vergessen. Nur Rosamunde Pilcher und Tatort. Kotz".
"Im Schmerz geboren" ist definitiv ganz vorn dabei. Neben den von mir noch nicht gesehenen Schimanskis, Dresdnern und Weimarern habe ich noch folgende auf meiner "Suchliste", u.a. den von dir genannten:Arkadin hat geschrieben:Eine letzte Anmerkung: "Im Schmerz geboren" war eines meiner persönlichen TV-Highlights der letzten Jahre. Unglaublich gut. Das Team Schwarz/Proehl hat 2010 auch einen TATORT namens "Weil sie böse sind" gemacht, den ich leider bisher noch nicht gesehen habe, der aber auch fantastisch sein soll und bei dem Mathias Schweighöfer (ganz großer Schauspieler, der sich leider ständig selber verheizt) und Milan Peschel grandiose Vorstellungen geben sollen. Zum Heulen, wenn man bedenkt, dass die beiden heutzutage nur noch so was wie "Schlussmacher" zusammen drehen.
Happy Birthday, Sarah
Kartenhaus
Weil sie böse sind
Die Wahrheit
Es lebe der Tod
Waffenschwestern
Kälter als der Tod
Wenn jemand entsprechendes Material für mich hätte, gern Bescheid sagen.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!