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Darsteller(innen): Ayse Romey, Uwe Bohm, Sener Sen, Ilhan Emirli, Sevgi Oezdamar, Toto Karaca, Sebnem Selduez, Nursel Koese, Katharina Lehmann, Nedim Hazar, Corinna Harfouch, Kaya Gürel, Michael Gwisdek, David Bohm, Bembe Bowakow u. A.
Jan, ein liebenswerter Draufgänger, lernt sie kennen: Yasemin, eine dunkelhaarige Schönheit, genauso rätselhaft wie unnahbar. Sie, die wohlbehütete Tochter türkischer, traditionsbewußter Eltern, muß entscheiden zwischen ihrer Familie und ihrer ersten Liebe.
Der Spielfilm „Yasemin“ des Hamburger Schauspielers und Regisseurs Hark Bohm („Nordsee ist Mordsee“) aus dem Jahre 1988 überführte das sich mit der Lebensrealität von Migrantinnen und Migranten auseinandersetzende deutsche Kino vom eher sperrigen, spröden Sozialdrama zum den Sehgewohnheiten der zweiten Häflte der 1980er-Dekade entgegenkommenden Jugend- bzw. Coming-of-age-Liebes-Migrationsdrama mit emanzipatorischer Komponente und melodramatischen sowie gegen Ende märchenhaften Zügen. Dieser Kurswechsel wurde auch dadurch ermöglicht, dass er sich der zweiten Generation, also hier geborenen Kindern von Migranten, widmet. Die männliche Hauptrolle besetzte Bohm mit seinem Sohn Uwe. Obacht! Diese Filmkritik gibt die Handlung inklusive ihrem Ausgang grob wieder, enthält also eine Vielzahl Spoiler.
„Meine Tochter geht nicht nach St. Pauli!“
Die Handlung spielt in Hamburg: Die 17-jährige Yasemin (Ayşe Romey, „Das blaue Exil“) macht den Eindruck einer modernen, integrierten türkischstämmigen jungen Frau, die kein Kopftuch trägt und Medizin studieren will, um Ärztin zu werden. Ihr Vater (Şener Şen, „Mr. Muhsin“) unterstützt sie dabei. Durch ihre Attraktivität fällt sie dem machohaften, halbstarken Jan (Uwe Bohm) auf. Der stellt ihr nach, versucht, sie mit seinem Motorrad zu beeindrucken und kann ein heimliches Treffen mit ihr in Övelgönne arrangieren. Solche Verabredungen muss sie unbemerkt von ihren Eltern eingehen, denn als ihre Schwester kürzlich heiratete, war dise keine Jungfrau mehr – ein Schock für den dann eben doch fragwürdigen und frauenfeindlichen Traditionen nachhängenden Vater. Der will auch Yasemin, nachdem sie nach der Hochzeitswache nicht rechtzeitig nach Hause gekommen war, nicht mehr rauslassen, da er sich um die „Familienehre“ sorge…
„Du bist hier nicht in der Türkei!“
Hark Bohm lässt in Person Jans Vaters etwas Slapstick-Humor in seinen ansonsten recht ernsten Film einfließen, der bald andeutet, dass Yasemin und Jan ein reales Interesse aneinander entwickeln. Sie grinst die ganze Zeit über glücklich, wenn er bei ihr ist, doch während einer gemeinsamen Barkassenfahrt treffen sie auf alte sexistische und rassistische Türken, die ihnen das Rendezvous zu verleiden drohen, während zugleich Yasemins Vetter auf der Suche nach ihr ist. Dass man sich unter solchen Umständen kaum frei entfalten kann, macht Bohm ebenso deutlich wie das dem Ganzen innewohnende Konfliktpotenzial, das zunächst in einer Prügelei zwischen besagtem Vetter und Jan (die ebenso wie Yasemin Judo trainieren) eskaliert. Dennoch hilft Jan dem sich verdeckt in Deutschland aufhaltenden Vetter, aus dem Blickfeld der anrückenden Polizei zu geraten.
„Verfluchte Ehre!“
Doch es kommt noch wesentlich dicker: Als Yasemins Vater sie aus dem Fenster mit Jan beobachtet, dreht er vollends durch, will sie in die Türkei zurückschicken. Yasemin wird von ihrer Familie verboten, weiter zur Schule zu gehen, woraufhin ihre Lehrerin ihren Vater aufsucht und mit rechtlichen Konsequenzen droht. Yasemin, die für ihr Alter erstaunlich selbstbewusst und stark auftritt, wehrt sich gegen die Deportation und droht mit Suizid – woraufhin der Onkel entgegnet, sie solle sich ruhig umbringen, schließlich habe sie die „Familienehre“ beschmutzt… Am Ende rettet Jan sie auf einem Motorrad wie ein Ritter auf dem Pferd. Sie trägt weiß – ein Showdown mit sehr stilisierten, metapherreichen Bildern.
Die zunächst so offen wirkende türkische Familie zeigt sich bald von ihrer negativ konservativen Seite, die nahtlos übergeht in puren Sexismus und Tyrannei. Das mag seltsam anmuten, doch der Schlüssel dazu liegt in der „missglücken“ Hochzeitsnacht Yasemins Schwester, die für Vater Yusuf offenbar bedeutete, seine Tochter an der zu langen Leine gelassen zu haben und seine Liberalität infragestellte. Als wesentlich ausgeprägter und zerstörerischer als der offensichtliche Machismo Jans erweist sich also der der männlichen Mitglieder der Familie Yasemins mit ihrem Konstrukt einer imaginären „Familienehre“. Von Jans Familie hingegen erfährt man so gut wie nichts, was einerseits schade ist, andererseits ein Indiz dafür, dass sie für Jan in Liebesfragen eben keine allzu große Rolle spielt.
Dennoch ist der Film nicht am Schüren plumper Ressentiments interessiert, sondern zeichnet Yasemins Eltern durchaus differenziert und erzeugt ein Bewusstsein für die Kommunikations- und kulturellen Probleme zwischen der zweiten und der ersten Generation türkischer Immigranten. Yasemins ungetrübtes Interesse an Jan allen Vorfällen zum Trotz erscheint nicht immer 100%ig nachvollziehbar; realistischer wäre es gewesen, dass die beiden zumindest zeitweise auch an ihrer Beziehung zueinander zweifeln oder sich der von außen herangetragene Konflikt auch im Umgang miteinander über die Heimlichkeiten hinaus widerspiegelt. Dass alle Judo trainieren, mag einem damaligen kurzlebigen Trend geschuldet sein, erscheint mir aber ebenfalls nicht so ganz authentisch. Dies ändert indes nichts daran, dass der Film seine Botschaft auf sehr unterhaltsame Weise transportiert und mit seinem offenen Ende zum Nach-, vor allem aber Weiterdenken einlädt.
Der Soundtrack aus Klavier- und Synthie-Klängen ist ebenfalls gar nicht schlecht. Seine einfache Zugänglichkeit prädestinierte ihn offenbar auch zum Einzug in den Schulunterricht, wo ihn der bzw. die eine oder andere gesehen haben dürfte. Doof nur, dass die Zweitausendeins-DVD keinerlei Untertitel aufweist. Die wären vielleicht gerade für Migrantinnen und Migranten hilfreich gewesen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)