bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Der tödliche Schwarm
Ein Summen kündigt den Tod an: ein gigantischer Schwarm afrikanischer Killerbienen fliegt über den Vereinigten Staaten amok und hinterläßt im Hinterland eine Spur der Verwüstung. Der Insektenforscher Crane (Michael Caine) warnt die Behörden, das Problem auf die leichte Schulter zu nehmen, doch das Militär in Person von General Slater (Richard Widmark) glaubt, die Situation unter Kontrolle zu haben. Doch das Gift der Stiche ist tödlich und schließlich geht Houston erst in Flammen auf und dann unter...
„Seit 15 Jahren führen wir einen aussichtslosen Kampf gegen Insekten. Aber ich hätte nie gedacht, dass noch zu meinen Lebzeiten die letzte Schlacht beginnt. Und ich hätte nie geglaubt, dass es bei den Bienen beginnt. Sie waren doch immer unsere Freunde.“

Mit Filmen wie „Um 9 Uhr geht die Erde unter“ und „Flammendes Inferno“ hatte US-Regisseur Irwin Allan in den 1970ern eine Welle von Katastrophenfilmen losgetreten, an die er 1978 mit der Tierhorror-/Katastrophenfilm-Mischung „Der tödliche Schwarm“ nach einem Roman Arthur Herzogs als Regisseur und Produzent in Personalunion anknüpfen wollte. Doch der 21 Millionen Dollar teure Film floppte an den Kinokassen und gilt seither als unfreiwilliger Big-Budget-Trash.

Ein Schwarm afrikanischer Killerbienen fliegt gen Houston, Texas, und hinterlässt eine Spur der Zerstörung. Ihr Stich endet meist tödlich und in ihrer geballten Form lösen die Bienen eine Katastrophe nach der anderen aus. Insektenforscher Crane (Michael Caine, „Die Brücke von Arnheim“) wird mit seinen Warnungen zunächst nicht ernstgenommen; erst als er Absolution von höchster Stelle erfährt, muss Militärgeneral Slater (Richard Widmark, „Die Braut des Satans“) zähneknirschend mit ihm zusammenarbeiten. Crane lässt diverse Experten einfliegen, unter anderem seinen an den Rollstuhl gefesselten Freund Dr. Krim (Henry Fonda, „Spiel mir das Lied vom Tod“). Können sie das Unheil noch abwenden?

„Denken Sie noch ans Rasieren, wenn ihnen jemand den Kopf abschlagen will?“

Bee-Movie ja, B-Movie nein. Es ist unfassbar, welch ein Budget angesichts des Ergebnisses in „Der tödliche Schwarm“ hineingepumpt wurde. Ein beträchtlicher Teil davon dürfte für das exorbitante Staraufgebot mit gleich sieben Oscar-Gewinnern (neben den Genannten Olivia DeHavilland, Ben Johnson, Lee Grant, Jose Ferrer und Patty Duke) aufgewendet worden sein, das den Film jedoch auch nicht rettet, sondern in negativer Hinsicht noch unglaublicher anmuten lässt. Zunächst einmal suchen Männer in Schutzanzügen minutenlang nach etwas, bleiben dabei komplett stumm und der Zuschauer daher im Unklaren, worum es überhaupt geht. Auch als sie eine Station voller Leichen finden und zu reden beginnen, weiß man noch nicht Bescheid. Doch dann: Ein Helikopter gerät in einen riesigen Bienenschwarm und wird zum Absturz gebracht! Fortan greifen die Insekten in dramatischer Zeitlupe eine picknickende Familie an und nur das Kind überlebt, geplagt von Visionen von Riesenbienen (die der Film auch genauso zeigt). Daraufhin schleppt Crane seinen alten Kumpel im Rollstuhl an. Der Film thematisiert nun in aller Deutlichkeit die Konflikte zwischen dem auf intelligente Vorgehensweisen setzenden Crane und dem die Gefahr unterschätzenden General, der mit einer Chemiekeule anrücken will. Erwartungsgemäß führt diese nicht zum gewünschten Ergebnis und der Scharm zieht relativ unbeirrt weiter gen Houston, sorgt währenddessen noch für eine offensichtlich mit Miniaturmodellen gelöste Zugkatastrophe. Auch die Entwicklung eines Gegenserums geht schief, was Henry Fonda immerhin einen starken Auftritt als Dr. Krim während seines Selbstversuchs einbringt. Und womit ich nun wirklich nicht gerechnet hätte: Die Bienen bringen sogar ein Atomkraftwerk zur Explosion!

Das klingt erst einmal alles spaßig-trashig (ist auch nur eine Auflistung der spektakulärsten schlechten Ideen, derer es noch mehr gibt) und macht neugierig darauf, wie sich all die Hollywood-Stars durch ein solch schwachsinniges Drehbuch spielen. Mit augenzwinkernder Ironie vielleicht, evtl. gar als Hommage an alte Tierhorror-Klassiker und B-Movies? Pustekuchen, aber in jeder Hinsicht! „Der tödliche Schwarm“ gibt sich bierernst und knochentrocken, woran auch gelegentlich gerittene Overacting-Attacken nichts ändern. Recht deftige infernalische Bilder und der häufige Gebrauch von Zeitlupen stehen teilweise etwas arg durchschaubaren, altertümlich wirkenden Blue-Screen-Effekten gegenüber. Immerhin musste sich manch Schauspieler als überaus mutig erweisen, wenn er anscheinend echten (zahmen) Bienenschwärmen ausgesetzt wurde. Doch der ohnehin eher langsam erzählte Film wird sinnloserweise mit unnötigen Seifenoper-Elementen vornehmlich zwischen alten Menschen gestreckt, bis jede Dramaturgie verloren geht. Redundante Dialoge, gern pseudo-wissenschaftlich und ebenso bedeutungsschwanger und pathetisch, laden zum Weghören ein oder sorgen für unfreiwillige Komik – und ich beziehe mich hier schon auf die rund 110-minütige und bereits damit zu lang wirkende Kinofassung. Die Langfassung schlägt mit satten 155 Minuten zu Buche! Jerry Goldsmith‘ Soundtrack nervt mit seinen inflationär eingesetzten militärisch-heroischen Klängen und wo wir gerade bei Tönen sind (Achtung, Spoiler!): Die letztendliche Lösung des Problems mittels Signaltönen mutet doch etwas sehr zufällig an.

Ich kenne die Roman-Vorlage und kann daher kaum beurteilen, ob bereits diese vornehmlich für diesen Unfug verantwortlich war, ob der Drehbuchautor sein Skript an einem Montag schrieb oder ob Allan mit seiner Doppelfunktion als Regisseur und Produzent überfordert war und es ihm gerade nach seinen vorherigen Erfolgen an kritischer Distanz zum eigenen Schaffen mangelte. Ich weiß aber, dass selbst die trashige Unterhaltung unter diesem überambitioniert dahingestümperten Streckwerk schnell verpufft und die daraus resultierende Langeweile die beste Werbung dafür ist, Geschichten wie diese doch besser nicht in hochbudgetierter Blockbuster-Manier ins Kino zu wuchten, sondern das Feld lieber den B- und Exploitation-Filmen zu überlassen...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Eine Frage der Ehre
Zwei US-Marines werden des Mordes an einem Kameraden angeklagt. Die beiden beteuern, sie hätten dem Opfer nur auf Befehl von oben eine Abreibung verpassen wollen. Der junge Militäranwalt Daniel Kaffee (Tom Cruise), der zeitlebens im Schatten seines Vaters stand, sieht sich einem scheinbar übermächtigen Gegner gegenüber: Colonel Jessep (Jack Nicholson) führt sein Regiment mit absolutistischer Härte. Im Gerichtssaal kommt es zum Aufeinandertreffen der beiden Gegenspieler...
„Die Marines in Guantanamo sind Fanatiker!“

Der US-amerikanische Filmemacher Rob Reiner sollte keinesfalls auf Komödien wie „Der Volltreffer“ oder „Harry & Sally“ reduziert werden. Mit „This is Spın̈al Tap“ schuf er die Rock-Mockumentary schlechthin, „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“ ist eine sensible Non-Horror-Stephen-King-Verfilmung und „Misery“, Reiners zweite King-Verfilmung, ein Psycho-Thriller par excellence. Zwei Jahre nach Letztgenanntem, im Jahre 1992 also, bewies Reiner gar sein Geschick für einen trotz Mainstream-Ausrichtung recht anspruchsvollen Justiz-Thriller im Militär-Milieu, als er mit „Eine Frage der Ehre“ das gleichnamige Theaterstück Aaron Sorkins verfilmte, der auch das Drehbuch verfasste.

„Sie können die Wahrheit doch gar nicht vertragen!“

William Santiago ist tot. Der junge Nachwuchs-Marine starb nach mehreren Verlegungsgesuchen auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay, nachdem ihn seine Kameraden Dawson (Wolfgang Bodison, „The Expert“) und Downey (James Marshall, „Down“) misshandelt und ihm einen Lappen in den Mund gesteckt hatten. Beide werden vor dem Militärstrafgericht angeklagt, Santiago ermordet zu haben, um ihn davon abzuhalten, ein Fehlverhalten Dawsons zu „petzen“. Dawson und Downey jedoch sprechen von einem sog. Code Red, einem konspirativen Strafbefehl zu Disziplinarmaßnahmen gegen einen vermeintlich unkameradschaftlichen Marine. Als Pflichtverteidiger werden den beiden der junge Navy-Anwalt Daniel Kaffee (Tom Cruise, „Die Outsider“) und Joanne Galloway (Demi Moore, „St. Elmo's Fire“) zugewiesen. Kaffee verfügt über keinerlei Erfahrung vor Gericht, sondern ist in seiner erst neunmonatigen Anwaltskarriere für als „Kuhhandel“ bezeichnete Urteilsabsprachen bekannt. Sam Weinberg (Kevin Pollak, „Wayne's World 2“), Kaffees Kamerad und Kollege, ist der Dritte im Bunde der Verteidigung. Galloway wirkt auf Kaffee ein, dem Willen der Angeklagten (die sich keiner Schuld bewusst sind) zu folgen und nicht auf eine milde Strafe durch Absprache zu setzen, sondern ihre Version der Vorfälle zu recherchieren und, falls es tatsächlich einen Code Red gegeben hat, die Hintermänner zur Verantwortung zu ziehen.

„Was haben wir Falsches gemacht?“

Formell beginnt Reiners Film mit ebenso imposanten wie albernen „Domino“-Vorführungen des Militärs, Produkt der Konditionierung junger Menschen zu Befehlsempfängern und entindividualisierten Lebewesen, die zu funktionieren haben. Im Anschluss wird aus Santiagos verzweifeltem Verlegungsgesuch zitiert. In einer kurzen Rückblende lernt man den zynischen Colonel Nathan R. Jessep (Jack Nicholson, „Shining“) sowie den ihn untergebenen Ausbilder Kendrick (Kiefer Sutherland, „The Lost Boys“) kennen und ihren zunächst nicht zu beanstandenden Umgang mit der Situation. Nun führt Reiner seine fortan durch die Handlung führenden Charaktere ein. Demi Moore, insbesondere nach dem schwachen „Tödliche Gedanken“ aus dem Vorjahr, überrascht mit ausdrucksstarker Mimik und intelligenter Ausstrahlung. Tom Cruise als Daniel Kaffee wird als unerfahrener, den Fall nicht ernst nehmender Hallodri eingeführt und bleibt bis zum Schluss in seiner Paraderolle als ekelhafter Sonnyboy und Großkotz – was gesteigertes Nervpotential hat, da er trotz dessen wenn nicht zum Sympathieträger, so doch zum auf der richtigen Seite Stehenden avanciert. Zwischen den Angeklagten herrscht ein interessantes Gefälle: Downey orientiert sich stark an Dawson, blickt zu ihm auf wie zu einem großen Bruder oder gar einer Vaterfigur, scheint unfähig, eigene Entscheidungen zu treffen und zu verantworten. Insgeheim dürfte sich manch Zuschauer fragen, woraus die Marines eigentlich ihren Nachwuchs rekrutieren...

„Ihr habt keine Ahnung, wie eine Nation zu verteidigen ist!“

Der anfängliche Humor weicht während der ersten Zeugenvernehmung Colonel Jesseps, das Gespräch nimmt einen Umweg über Sexismus und wird zum richtiggehenden Psychoduell. Die Angeklagten wiederum rücken nur zögernd gegenüber Kaffee mit der Sprache heraus, einen Code Red ausgeführt zu haben, palavern aber umso mehr von unterwürfiger Kameradschaft, Treue, Ehre und Loyalität als Teil eines militärischen Ehrenkodex; eine Fehlinterpretation all dieser gemeinhin positiv konnotierten Begriffe als Resultat einer Gehirnwäsche, wie sie bei der Ausbildung von Elitesoldaten anscheinend System hat und von „Eine Frage der Ehre“ deutlich kritisiert wird. Wer einen trockenen, steifen Gerichtsfilm befürchtet hat, wurde bis jetzt Lügen gestraft, denn hier knistert es in jedem Dialog und erst nach 55 Minuten geht es überhaupt erstmals vor Gericht. Nach diesem kurzem Intermezzo will Kaffee eigentlich hinschmeißen, doch geht ihm schließlich ein Licht auf und er begreift, dass eine richtige Gerichtsverhandlung verhindert werden sollte, man deshalb ausgerechnet ihm den Fall zuspielte. Offensichtlich soll etwas vertuscht werden. Nun nimmt der justizielle Anteil richtig an Fahrt auf und die zweite Hälfte des Films spielt tatsächlich zu großen Teilen im Gerichtssaal. Der militärische Befehlsgehorsam wird kritisch hinterfragt und spätestens jetzt kristallisiert sich für jeden nachvollziehbar heraus, dass die Jungmarines als Sündenböcke und Bauernopfer herhalten sollen.

Doch auf Guantanamo wird ein Glied (J.T. Walsh, „In einer kleinen Stadt“) der konspirativen Kette schwach, meldet sich als Zeuge und gibt Rechtsbrüche zu – zum Unmut des gewissenlosen Regierungsvertreters der Anklage Captain Jack Ross (Kevin Bacon, „Sleepers“). Jener Zeuge jedoch beweist kurze Zeit später, wie er Ehre, Loyalität und alle diese hochtrabenden Begriffe für sich persönlich interpretiert und verleiht dem Fall zusätzliches fatales Gewicht. Im Laufe der von Reiner dramaturgisch geschickt und bei aller gebotenen Sachlichkeit doch emotional mitreißend und spannend inszenierten Gerichtsverhandlung kommt es zu Kompetenzgerangel und Eitelkeiten. Auf ihrem Höhepunkt ist die Luft zwischen Jessep und Kaffee schließlich zum Schneiden und Nicholson beweist nicht nur einmal mehr, warum er zu den charismatischsten Schauspielern unserer Tage gehört, sondern bekommt auch schwer im Magen liegende Aussagen in den Mund gelegt, die Einblicke in die Psyche und das Selbstverständnis eines alten Haudegen ermöglichen, der tatsächlich glaubt, in dem, was er tut, die Freiheit zu verteidigen und Leben zu retten. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit man in Anpeilung des Massenmarkts hier auf Nummer sicher gehen wollte, indem man immerhin die Möglichkeit offenlässt, dass der reaktionäre Zuschauer diesen Einzelfall zwar verurteilt, grundsätzlich aber noch zustimmend nicken kann. Besser gefällt mir meine Interpretation, dass man Jessep Unausgesprochenes aussprechen lässt, um das Publikum offen damit zu konfrontieren und zur selbständigen Reflektion aufzurufen, zur Auseinandersetzung mit dem Nationen-, System- und Mächtegeflecht, Rolle und Sinn von Grenzen, Militär etc. und dem dafür gezahlten Preis – und inwieweit das letztlich dann eben doch jeden einzelnen etwas angeht. Wie dem auch sei, mich hat der Ausgang des Films ergriffen und die Art und Weise, auf die Reiner es schafft, Spannung zu erzeugen, obwohl es ab einem gewissen Punkt „nur“ noch darum geht, wie man die Hintermänner überführt und den falschen Kodex des Schweigens bricht, ist eine dramaturgische Meisterleistung, die mich an die gute alte „Columbo“-Schule erinnert.

Nicht hinwegsehen kann ich jedoch über den einen oder anderen Kritikpunkt. Tom Cruise' nervendes Auftreten kann ich noch wohlwollend als Verweis Reiners darauf verbuchen, dass es eben nicht um Sym- oder Antipathien, sondern um Gerechtigkeit geht, der im Zweifelsfall auch jemand wie Kaffee zum Sieg verhelfen kann. Als unnötiges Beiwerk aber empfinde ich Kaffees zwischenzeitlich thematisierten Vaterkomplex. Immerhin wird auf eine Romanze zwischen Kaffee und Galloway verzichtet, auch wenn es immer mal wieder eine andere Tendenz zu nehmen scheint. Chauvinistisch und unglaubwürdig wirken dennoch Details auf mich wie das plötzliche Aufbrechen Kaffees und Weinbergs ohne Rücksprache mit Galloway, woraufhin es ohne ein erneutes Gespräch direkt in die Verhandlung geht und auch beim anschließenden Aufeinandertreffen dieses Verhalten anscheinend überhaupt kein Thema ist. So zielführend die aufreibende, engagierte Arbeit der Junganwälte auch wirkt, eine überhastete Vorgehensweise wie diese würde wohl nicht nur zu schweren Konflikten untereinander, sondern auch kaum zum gewünschten Erfolg führen; vielmehr machen diese Momente den Eindruck eines überhastet aufs Finale hin konstruierten Films oder eines ungeschickten Schnitts auf mich. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch das kitschige Ende, mit dem sich der Film meines Erachtens keinen Gefallen getan hat. Dennoch: Dieser kritische Blick aufs US-Militär ist überwiegend gut gelungen, weil brisant, enttabuisierend und Fragen nicht nur beantwortend, sondern auch aufwerfend, und das in Form spannender, ansprechender Unterhaltung. Da fühle ich mich fast genötigt, vor Reiner und Sorkin zu salutieren.
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In den Straßen der Bronx
Die Bronx in den 60er Jahren: Calogero liebt seinen Vater, den grund-anständigen Busfahrer Lorenzo (Robert De Niro). Aber er bewundert auch den charismatischen Mafiaboss Sonny (Chazz Palminteri). Eines Tages sieht der Junge, wie Sonny einen Mord begeht, verrät ihn aber nicht an die Polizei. Der Verbrecher nimmt Calogero daraufhin unter seine Fittiche...
„Ich hatte etwas Gutes für einen bösen Menschen getan!“

Das Regie-Debüt des in Mafia-Milieus spielenden Filmen erfahrenen US-Schauspielers Robert De Niro ist der 1993 veröffentlichte „In den Straßen Bronx“, dessen halb-autobiographisches Drehbuch aus der Feder von Chazz Palminteri alias Calogero Lorenzo Palminteri stammt und auf einem seiner Theaterstücke basiert. Angesiedelt wurde die Handlung im New Yorker Stadtteil Bronx in den 1960er-Jahren, einer Zeit, in der sich der Lebensstandard der Bronx zu verschlechtern begann. Der Film ist eine Mischung aus Mafia- und Coming-of-Age-Drama.

Der neunjährige Calogero (Francis Capra, „Punk!“) lebt in der Bronx zusammen mit seinen Eltern, italienischen Einwandern, in einer bescheidenen Wohnung inmitten eines vornehmlich von italienischstämmigen Migranten besiedelten Viertels. Sein Vater Lorenzo (Robert De Niro, „Taxi Driver“) verdient als Busfahrer die Brötchen und möchte mit der örtlichen Mafia um ihr Oberhaupt Sonny ( Chazz Palminteri, „Bloody Marie – Eine Frau mit Biss“) nichts zu tun haben. Als Sonny jedoch auf offener Straße einen Mann erschießt, sieht der kleine Calogero das mit an und hält bei der anschließenden Gegenüberstellung durch die Polizei instinktiv dicht. Sonny ist Calogero dafür dankbar und wird, sehr zum Unmut Lorenzos, zu einer Art Ziehvater für den Kleinen, der fasziniert zu Sonny aufblickt und sich über die Verbote seiner Eltern hinwegsetzt. Als 17-Jähriger schließlich lernt er ein afroamerikanisches Mädchen (Taral Hicks, „Im Sumpf des Verbrechens“) kennen und verliebt sich in sie – woraufhin er den Rassismus zwischen den Schwarzen und Weißen in der Bronx am eigenen Leibe zu spüren bekommt…

Talent ist ungerecht verteilt. So entpuppt sich der erstklassige Schauspieler Robert De Niro auch noch als überaus fähiger Regisseur und spielt in seinem Debüt selbst eine größere Rolle – ebenso wie Drehbuchautor Palminteri, dem eine der Hauptrollen zuteil wurde. Zu nächtlichen Bildern der Bronx erzählt eine Stimme aus dem Off, stellt ihren Stadtteil und schließlich sich selbst vor. Zu Doo-Wop-Musik zeigt „In den Straßen der Bronx“ vergnügte Bilder scheinbar unbeschwerter Jugend auf der Straße und die Bekanntmachung des Zuschauers mit dem Viertel und seiner Bewohner fällt zunächst humoristisch aus. Das Leben in der Bronx wird aus Sicht der Kinder gezeigt, die zu Mafioso Sonny aufblicken, der der Atmosphäre des Films ihre Unbeschwertheit mit seinen Todesschüssen nimmt. Auch auf den schwelenden Rassenkonflikt Italo-Amerikaner gegen Afro-Amerikaner wird am Rande eingegangen, womit die anfängliche Fassade der Idylle weitere Risse erhält. Bestehen bleibt nichtsdestotrotz eine wunderbar authentische 1960er-Atmosphäre voller Zeitkolorit, ohne in verklärende Sentimentalität zu verfallen.

Vater und Busfahrer Lorenzo will sauberbleiben und lehnt ihm angebotene kleine Jobs für die Mafia rigoros ab. Damit wird ihm die Rolle des hart arbeitenden, ehrlichen Malochers zuteil, der in seinem simplen Gemüt auf seinen Idealen verharrt und somit den perfekten Gegenentwurf zum Lebenswandel Sonnys darstellt. Calogero wächst zwischen diesen beiden Polen auf, während das Drehbuch sich davor hütet, einen von beiden zu idealisieren. Ein Zeitsprung ins Jahr 1968 läutet Calogeros Darstellerwechsel von Francis Capra zu Lillo Brancato („Der Staatsfeind Nr. 1“) ein und zeigt nun zu mitreißender Rock’n’Roll und Soul-Musik einen Jugendlichen, der nach wie vor engen freundschaftlichen Kontakt zu Sonny hegt, aber auch Teil einer eigenen Clique von juvenilen Radaubrüdern ist und sich für das andere Geschlecht zu interessieren beginnt. Sonny nimmt noch immer eine Art Vaterrolle für Calogero ein, die nun wichtiger wird als zuvor, wenn er seinen Ziehsohn davor warnen muss, gemeinsamen gefährlichen Unfug mit der Clique zu begehen – von der er so gar nichts hält. Offen tritt nun auch der Rassismus zutage, der es Calogero erschwert, eine Beziehung zur Afro-Amerikanerin Jane aufzubauen. Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in erschreckendem Ausmaße und die allgemeine Stimmung wird immer angespannter. Ihre Entladungen finden sich beispielsweise auch in einer Massenschlägerei zwischen respektlosen Bikern und den Mafiosi in ihrer Kneipe.

„In den Straßen der Bronx“ zeichnet ein angenehm unaufgeregtes und vielschichtiges Bild des Mafioso Sonny. Jegliche Romantisierungen sind dem Drehbuch fremd, doch wird suggeriert, dass Sonny eine Ordnungs- und Schutzfunktion im Viertel einnimmt, das der Polizei grundsätzlich mehr zu misstrauen scheint als ihm und das am liebsten unter sich bleibt (woran Calogero zu kratzen beginnt). Auf der anderen Seite wird deutliche Kritik an Sonny laut, einem Großkotz, vor dem die Menschen mehr Angst als Respekt haben und der niemanden vertrauen kann. Er hat einige interessante Lebensweisheiten parat, doch scheint ihm eine grundsätzlich zynische, desillusionierte Weltsicht zugrunde zu liegen. Letztlich muss auch er die Konsequenzen für sein Handeln tragen, womit der Film eine Brücke zum Beginn schlägt.

Wer einen Gangster-Action-Thriller oder großangelegte Mafia-interne Familiendramen erwartet, ist hier falsch. Vielmehr gelang Robert De Niro und Chazz Palminteri ein einfühlsames, dabei vollkommen kitschfreies und klischeearmes Porträt eines bestimmten Menschenschlags einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort und erzählt glaubwürdig eine Geschichte vom (eigenen) Erwachsenwerden, die so fantastisch geschauspielert und interessant gestaltet wurde, dass sie den Zuschauer rund zwei Stunden lang für sich vereinnahmt und ihn dabei mit viel italienischer bzw. italo-amerikanischer Lebensart vorzüglich unterhält. „In den Straßen der Bronx“ ist eher ein Film der leiseren Zwischentöne, der Zeitgeist und Lebensgefühl mehr als eine plakative oder offensichtliche Aussage transportiert. Eine lohnenswerte Zeitreise!
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Akte X – Staffel 3

"Das Ritual (The Blessing Way)"
Staffel 3, Folge 1

Etwas überladener und sich dadurch selbst im Weg stehender, weil sich dramaturgisch durch die Vielzahl an Handlungsfäden selbst blockierender Auftakt der dritten Staffel, der es zunächst spannend zu machen versucht, ob Mulder noch lebt, ihn dann durch die Navajo-Indianer mit viel Mystik wieder aufpäppeln und bei seiner Mutter Nachforschungen über seinen Vater anstellen lässt. Scully wiederum wird suspendiert, erfährt, dass ihr ein Chip implementiert wurde und wird gewarnt, dass sie umgebracht werden soll. Plötzlich taucht Skinner bei ihr auf und die Folge endet mit einem hochspannenden Cliffhanger. Das Ende macht direkt Lust auf mehr und ich bin gespannt, wie all das, was in diese Folge gepackt wurde, innerhalb dieser Staffel weiter aufgedröselt oder auch verkompliziert werden wird! 7/10

“Verschwörung des Schweigens (Paper Clip)"
Staffel 3, Folge 2

Nach dem Cliffhanger des Staffelauftakts überschlagen sich die Ereignisse um Indianer-Mystik, CIA-Außerirdischen-Verschwörung, das geheime Band, Mord und Totschlag, eingepflanzte Chips, den Mord an Mulders Vater, ein Aktenlager im Steinbruch etc. pp Anfänglich halten alle Mulder noch für tot, doch dann kommt er quicklebendig wieder. Dafür musste Scullys Schwester durch ein eigentlich für Scully bestimmtes Attentat sterben. Skinner entpuppt sich anscheinend endgültig als loyal ggü. Mulder und Scully und bringt "den Raucher" ganz schön ins Schwitzen. Großartig: Diese Folge spricht unmissverständlich die Nazi-Größen an, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA hofiert wurden, kommt auf widerliche Menschenexperimente zu sprechen und verquickt dies mit skrupellosen Geheimdiensten und Aliens. Die Folge endet damit, dass Mulder und Scully nicht mehr einfach so mir nichts, dir nichts als vogelfrei gelten, so dass die Serie auch mit von diesen Handlungsfäden losgelösten Folgen weitergehen kann. 8/10

"Blitzschlag (D.P.O.)"
Staffel 3, Folge 3

Nun wieder eine von der Rahmenhandlung losgelöste, für sich stehende Folge um einen Jungen, der einen Blitzschlag überlebte und seitdem mit einer Unmenge an Energie machen kann, was er will - z.B. andere umbringen und/oder versuchen, an seine Lehrerin heranzukommen, in die er unglücklich und manisch verliebt ist. Diese Folge bringt uns nicht nur klassische Videospielhallen näher, sondern wartet mit einem jungen Jack Black in einer Nebenrolle auf. Der Blitz-Junge ist im Übrigen großer Fan der Punkband "The Vandals", trägt deren T-Shirts und hat ihre Poster im Zimmer hängen. Konsequenterweise wird die Folge auch mit Musik der Band unterlegt. Ob sich die Horrorpunkband "Blitzkid" nach dieser Folge benannte? 7/10

"Der Hellseher (Clyde Bruckman’s Final Repose)"
Staffel 3, Folge 4

Ungewöhnliche Folge um echte und falsche Hellseher sowie einen irren Mörder, der es auf Hellseher abgesehen hat. Starker, aber sehr gelungener komödiantischer Anteil, Fragen nach Segen und Fluch des Hellsehens, nach Neugierde, Angst und lauernden Gefahren. Getragen von einem kauzigen und sympathischen alten Hellseher als Hauptrolle der Folge und gewürzt mit einigen nihilistisch anmutenden, morbiden Szenen wie der Verwesung eines menschlichen Körpers im Zeitraffer. Skurril und aus dem Rahmen fallend, die Serie irgendwie auflockernd und mir deshalb doch glatt 8/10 Punkten wert.

"Die Liste (The List)"
Staffel 3, Folge 5

In "Die Liste" wird nicht nur die Todesstrafe, sondern der Strafvollzug allgemein kritisiert und auf Misshandlungen von Gefangenen hingewiesen. Die Geschichte um einen anscheinend auf dem elektrischen Stuhl Hingerichteten, der posthum Rache nimmt, bietet Raum für einige Bilder schnellverwesender Leichen und vieler kleiner Maden und setzt somit auf den Ekel-Faktor, lahmt dramaturgisch aber immer mal wieder und ist nicht wirklich spannend. 6/10

"Fett (2Shy)"
Staffel 3, Folge 6

Ein Serienmörder lernt seine Opfer - alleinstehende Frauen - übers Internet kennen und spielt ihnen den Charmeur vor, dabei hat er's auf ihr Fettgewebe abgesehen... Ein früher Versuch, auf die Gefahren anonymer Internet-Verabredungen hinzuweisen, gekleidet in ein Ekel-Horror-Gewand. Ich genieße ja immer sehr die Bilder von Computer-Technik aus der Zeit, in der ich selbst damit anfing, und die Attacken des Fett-Junkies können sich auch sehen lassen. Leider hängt auch diese Folge dann und wann ein bisschen durch und bleibt mir das Ende zu unpräzise. 6,5/10

"Der zweite Körper (The Walk)"
Staffel 3, Folge 7

Ein Offizier der US-Armee darf nicht sterben, denn eine unbekannte Macht vereitelt jeglichen Selbstmordversuch. Am Ende ist er völlig entstellt, aber noch immer lebendig. Anderen Armee-Oberen wird übel mitgespielt, indem ihre Angehörigen getötet werden. Die Spur führt zu Leonard Trimble, der im Golfkrieg Arme und Beine verlor... Beißende Kritik an den US-Kriegen wird laut in Form verstümmelter Soldaten, das phantastische Element besorgt eine ein wenig plump integrierte Handlung um die Wanderung einer zornigen Seele auf anderen Ebenen, notdürftig in Verbindung gebracht mit Phantomschmerzen Amputierter. Auch diese Folge geizt nicht mit abstoßenden Bildern Toter und ist recht emotional geschauspielert, vertritt zudem die Auffassung, dass ein leidvolles Leben schlimmer ist als der Tod. Ich gebe knappe 7/10 Punkten.

"Parallele (Oubliette)"
Staffel 3, Folge 8

Diese Folge behandelt das unschöne Thema des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. Ein Triebtäter entführt ein 15-jähriges Mädchen, um sich an ihm zu vergehen. Zur X-Akte wird der Fall, als eine Frau, ebenfalls vor Jahren ein Missbrauchsopfer, mit dem Opfer auf seltsame Weise in Verbindung zu stehen scheint. Obwohl sie sie nicht kennt, kann sie die Worte des Entführers wiedergeben, erleidet die Verletzungen des aktuellen Opfers und wird sogar mit ihrem Blut besudelt. Man verstand es, den Entführer einerseits unscheinbar, andererseits sehr bedrohlich in Szene zu setzen und generell ist auch diese Folge ziemlich gut von allen Beteiligten geschauspielert. Eine Folge im Stil eines Mystery-Krimis, durchaus spannend umgesetzt. 7/10

"Die Autopsie (Nisei)"
Staffel 3, Folge 9

Der Auftakt der Folge ist nicht gerade ein Paradebeispiel für Glaubwürdigkeit, wenn sich ein für 29,95 $ erstandenes Video einer vermeintlichen Außerirdischen-Autopsie als offenbar authentisches, hochbrisantes Material entpuppt und der Händler auch prompt sein Leben verliert. Diese Spur jedoch führt zu mysteriösen Japanern, während Scully parallel mehr über ihr Implantat im Nacken erfährt und auf eine Gruppe Damen trifft, die allesamt das gleiche Schicksal erlitten haben. Reichlich undurchsichtige Folge, die dementsprechend auch mit einem Cliffhanger endet und sich als Doppelfolge innerhalb der übergeordneten Verschwörungs-Mythologie entpuppt. 7/10

"Der Zug (731)"
Staffel 3, Folge 10

Die Fortsetzung der vorherigen Folge wirft ziemlich viel zusammen, das sich aber nach und nach aufdröselt. Nicht nur deutsche Nazi-Forscher durften in den USA menschenverachtende Versuche durchführen, auch japanische Wissenschaftler haben sich ausgetobt und mit Lepra-Kranken sowie mit Obdachlosen etc. herumexperimentiert. Die Folge zeigt schrecklich entstellte Menschen, Massenexekutionen und -gräber und lässt Erinnerungen an den Holocaust wach werden. Mulder ist schließlich mit einem angeblichen NSA-Mann im Waggon eines Zugs gefangen, in dem er den Transport eines außerirdischen Lebewesens bzw. einer Kreuzung aus Mensch und Alien vermutet, während Skeptikerin Scully die gewonnenen Erkenntnisse über die Menschenversuche glaubt und annimmt, die Außerirdischen-Theorien würden bewusst gestreut, um die Wahrheit über die rein irdischen Experimente zu verschleiern, vertritt Mulder eine andere Theorie und nach nervenzerrender Spannung im Finale werden die möglichen Beweise für eine der beiden Thesen Opfer einer gewaltigen Explosion sowie der verschwörerischen Kreise, die wie üblich keine Gefangenen machen. Eine der bisher stärkste Folgen der Rahmenhandlung, komplex, anspruchsvoll, spannend, anklagend, gruselig, die sowohl auf der persönlichen Ebene in Bezug auf Mulder und vor allem Scully als auch hinsichtlich des großen Ganzen prächtig funktioniert. 8,5/10

"Offenbarung (Revelations)"
Staffel 3, Folge 11

Diese Folge setzt sich mit übernatürlicher christlicher Mythologie auseinander, indem ein Prediger mit falschen Stigmata ermordet und ein Junge mit offenbar echten Spontanblutungen auf den Handinnenflächen vom selben Täter gejagt wird. Scully und Mulder tauschen die Rollen, indem Scully zur (christlichen) Gläubigen und Mulder zum Skeptiker wird - ein nicht uninteressanter Eingriff in die klassische Rollenverteilung der Serie. Stark in Szene gesetzt wird auch Michael Berryman als undefinierbare Mischung aus Monster und Heiliger. Doch mit seinem Verschwinden von der Bildfläche nach ungefähr der Hälfte der Spielzeit wird aus dem starken Okkult-Mystery-Beitrag leider verstärkt christlicher Mumpitz, überfrachtet mit weiterer Bibel-Fantasterei wie dem plötzlichen Auftauchen von Zwillingen, enttäuschend mit einem viel zu blass bleibenden Antagonisten und ohne echte Schauwerte. 6/10

"Krieg der Koprophagen (War Of The Coprophages)"
Staffel 3, Folge 12

Überaus unterhaltsame, komödiantische Folge, die einmal mehr komplett aus dem Rahmen fällt. Die fast schon comichaft-trashige Handlung um (Achtung, Spoiler!) von Dung angelockte außerirdische Roboter-Kakerlaken, die leider auf Menschen losgehen, setzt auf den Insekten-Ekel-Faktor (gegen den ich weitestgehend immun bin), amüsiert mit skurrilen Charakteren, wird aber der Beziehung und Kommunikation zwischen Mulder - der sich eigentlich im Urlaub befindet - und Scully - die zu Hause ist - untergeordnet. Irre komisch verdeutlicht diese Folge Scullys Interesse an Mulder und ihre Eifersucht, die sie schließlich auch an den Ort des Geschehens reisen lässt - eine attraktive Wissenschaftlerin namens Bambi ist ihr nämlich alles andere als geheuer. Mulder wiederum benimmt sich auf emotionaler Ebene wie die Axt im Walde, lässt die sich sorgende Scully auch schon mal im Ungewissen darüber, ob er überhaupt noch lebt; generell verhalten sich beide wie ein altes Ehepaar. Zum schwarzhumorigen Running Gag wurde zuvor, dass immer, wenn Mulder anruft, gerade jemand gestorben ist. Spaßige Details wie ein über die Kamera krabbelndes Insekt und viel Wortwitz runden die Folge ab, deren Ende - Mulder erschlägt ohne Not eine faszinierende, große Schabe - aus Tierschutzsicht einen halben Punkt Abzug verursacht. 7,5/10

"Energie (Syzygy)"
Staffel 3, Folge 13

Nach rätselhaften Todesfällen in einer Kleinstadt bitte Detective Angela White Mulder und Scully um Hilfe. Treibt eine satanische Sekte ihr Unwesen? So scheint es zunächst, denn der Gehörnte Ziegenschädel ist allgegenwärtig, entpuppt sich jedoch lediglich als das Emblem des örtlichen Sportvereins. Wesentlich unheimlicher sind da zwei verschlagene, zickige Backfische. Scully hält zudem nicht viel von Angela White und wird zum zweiten Mal in Folge eifersüchtig - nicht ganz zu Unrecht, denn nachdem Scully und Mulder sich ausgiebig gegenseitig angezickt haben, stürzt die Dame sich auf Mulder. Dieser trinkt übrigens plötzlich und Scully raucht. Was zur Hölle geht da vor? Die Auflösung ist doch arg an den Haaren herbeigezogen und generell ist die Folge wieder als eine eher komödiantische zu betrachten, die sich besonders stark auf das Verhältnis Scullys zu Mulder konzentriert. Unterhaltsam ja, aber nicht so witzig wie die vorausgegangene Folge. 7/10

"Groteske (Grotesque)"
Staffel 3, Folge 14

Ein Serienmörder verstümmelt seinen Opfern die Gesichter, wird gefasst - und die Morde gehen weiter. Er behauptet, keine Verantwortung für die Morde übernehmen zu können, weil er besessen gewesen wäre. Mulders ehemaliger Lehrmeister ruft seinen ehemaligen Schüler zur Hilfe, gerät jedoch erneut in Konflikt mit Mulder, als Mulder beginnt, dem Mörder Glauben zu schenken... Atmosphärisch sehr düstere Folge um psychische Abgründe, die zwischenzeitlich gar Mulder in die Verdächtigen-Rolle drängt und die Frage offen lässt, inwieweit tatsächlich Übersinnliches im Spiel ist, jedoch mit vielen Indizien wie gezeichneten und modellierten Teufelsfratzen darauf hinweist. Eine inhaltlich gar nicht einmal sonderlich spektakuläre, aber inszenatorisch morbide Neo-Noir-Folge, die ein mulmiges Gefühl zurücklässt. In der Rolle von Mulders Mentor übrigens Kurtwood Smith ("Red" aus "Die wilden Siebziger"). Gute 7/10.

"Der Feind – Teil 1 (Piper Maru)"
Staffel 3, Folge 15

Nach längerer Zeit entschließt man sich, die Rahmenhandlung mit einer Doppelfolge wieder etwas voranzutreiben. Die Ermittlungen des Mörders von Scullys Schwester stagnieren, Scully macht ihrem Unmut dementsprechend bei Skinner Luft, welcher sich persönlich dafür einsetzt, dass der Täter überführt und bestraft wird, jedoch Druck von oben bekommt und genötigt wird, den Fall gefälligst auf sich beruhen zu lassen. Schließlich wird er gar angeschossen - ob das Teil der großen Verschwörung ist, ist noch unklar. Vorrangig geht es jedoch um aus vorausgegangenen Folgen bekannte außerirdische Gestaltenwandler bzw. Von-Körper-zu-Körper-Hoppser, die von einem im Zweiten Weltkrieg abgestürzten Jagdflugzeug auf dem Grund des Pazifiks in einen Bergungstaucher schlüpfen. Die gesamte Besatzung des Bergungsschiffs gelangt mit schweren Strahlungsverbrennungen ins Krankenhaus, bis auf einen... und dieser bleibt nicht lange in seiner einen menschlichen Hülle. Mulder zieht's bis nach Hongkong, wo schmutzige Geschäfte getätigt werden sollen und er auf einen alten Widersacher trifft. Wieder einmal ein ordentlich vollgepackter Auftakt einer Doppelfolge, die endlich die bereits vermisste Rahmenhandlung wieder aufgreift und mit gruseliger Thematik sowie drastischen Bildern der Folgen nuklearer Verstrahlung punktet und bis zum Cliffhanger immer spannender wird. 8/10

"Der Feind – Teil 2 (Apocrypha)"
Staffel 3, Folge 16

Gott sei Dank, Skinner lebt! Geheimnisvolle graue Eminenzen im Hintergrund bitten "den Raucher" eindringlich, seine bezahlten Killer besser unter Kontrolle zu halten. Ferner dreht sich wieder viel um jene bestimmte Audio-Kassette, wie gewonnen so zerronnen. Was da auf dem Meeresgrund liegt bzw. lag und nun von einem zum anderen springt, entpuppt sich als außerirdische Lebensform in Gestalt eines Ölflecks. Mulder und seine Nerds versuchen alles, um die wahren Hintergründe sowie den Mörder von Mulders Vater in Erfahrung zu bringen; letztlich landen Scully und Mulder in einem Bauwerk, in dem der CIA alles Mögliche vor der Öffentlichkeit versteckt... Diese Folge zeigt, wer über "dem Raucher" steht, ohne jedoch diese Menschen näher zu definieren. Auch sorgt sie für ein klein wenig Gerechtigkeit, indem bezahlte Killer selbst dran glauben müssen. Doch auch die unfassbare Skrupellosigkeit "des Rauchers" wird in schockierender Weise dargestellt. Verstörender Höhepunkt: das Ende der Folge, das in sehr erinnerungswürdigen Bildern zeigt, wie sich das Öl-Alien aus der menschlichen Hülle befreit, die wiederum lebendig in das ausladende Bunker-Versteck eingeschlossen wurde... Eine vollgepackte Folge, die Stoff für zwei voneinander unabhängige Folgen geboten hätte. 8/10

"Mein Wille sei dein Wille (Pusher)"
Staffel 3, Folge 17

Der "Pusher" ist ein Auftragsmörder, dem es bisher immer gelang, seine Morde wie Selbstmorde der Opfer aussehen zu lassen. Dies liegt daran, dass er Kraft der Suggestion anderen Menschen temporär seinen Willen aufzwingen und sie damit sogar in den Tod treiben kann. Diese übersinnlichen Kräfte verdankt er einem Gehirntumor! Was für ein Blödsinn, selten eine derart unglaubwürdige "Akte X"-Folge gesehen. Dabei ist die idiotische Geschichte im Prinzip der einzige Schwachpunkt dieser Episode, die nicht nur über spannende Duelle und einen charismatischen Antagonisten verfügt, sondern auch über eine Erkenntnis am Ende, die nachdenklich stimmt. Was nimmt ein Mensch alles in Kauf, um nicht mehr dem Durchschnitt anzugehören? 5-6/10

"Der Fluch (Teso Dos Bichos)"
Staffel 3, Folge 18

Archäologen entreißen den ecuadorianischen Secona-Indianern die just ausgegrabene Urne mit den Gebeinen einer für die Indianer Heiligen, um sie in einem Museum auszustellen. Als daraufhin mehrere Teilnehmer der archäologischen Expedition unter mysteriösen Umständen sterben, glaubt Mulder an einen Fluch, doch Scully bleibt skeptisch. Diese Folge vermengt die Indianer-Fluch-Thematik mit Tierhorror-Motiven, die die leider etwas langweilig geratene Handlung deutlich aufpeppen und einen schönen Eindruck davon vermitteln, wie sich ein solcher Fluch äußern könnte und man für die durch ihn verursachten Tode dennoch herkömmliche wissenschaftliche Erklärungen finden würde - ein solcher Fluch also außer für die direkt Involvierten unbemerkt sein grausames Werk verrichten könnte. Mulder und Scully werden mehr oder weniger zu ohnmächtigen Zeugen degradiert, die selbst in Gefahr geraten. Der visuell starke und auch ein bisschen gruselige Epilog rettet die Folge leicht über den Durchschnitt. 5,5/10

"Höllengeld (Hell Money)"
Staffel 3, Folge 19

Diese Folge begleitet den Zuschauer nach Chinatown, wo Mulder und Scully auf den Plan gerufen werden, weil Chinesen von Unbekannten und aus noch nicht ersichtlichen Gründen bei lebendigem Leibe im Krematoriumsofen verbrannt werden. Die Spur führt zu illegalem Organhandel; bei den Ermittlungen dabei ist der chinesisch-stämmige Detective Glen Chao, dem Mulder und Scully nicht so recht über den Weg trauen. Diese Folge thematisiert kulturelle Konflikte, Verschiedenheiten und Geheimnisse, daraus resultierendes Misstrauen und Vorurteile, aber auch die bittere Armut manch US-Amerikaners, die dazu führt, dass mangels eines funktionierenden Krankenversicherungssystems ein Vater mitansehen muss, wie seine Tochter an eigentlich behandelbarer Leukämie langsam stirbt und deshalb nach alternativen Methoden sucht. Obwohl bewusst viel Brimborium mit bedeutungsschwangeren chinesischen Schriftzeichen etc. betrieben wird, kommt diese Folge ohne Übersinnliches aus und zeigt, wie eine skrupellose Mafia die starke chinesische Gemeinschaft infiltriert und ausnutzt. Mulder und Scully haben nicht viel zu melden, treten auf der Stelle, kommen lange Zeit nicht nah genug an die verschlossenen Ostasiaten heran. Gewürzt mit ein paar erinnerungswürdigen Szenen wie der mit dem aus einer Leiche kriechenden Frosch und ansonsten viel Schwermut und Verzweiflung gelang eine sehenswerte Folge, die aus dem Rahmen fällt, aber auf Action größtenteils verzichtet und über kurz oder lang sicherlich von all den Außerirdischen, Mutanten und Verschwörungen aus dem Gedächtnis des Serienliebhabers getilgt werden wird. 7/10

"Andere Wahrheiten (José Chung’s “From Outer Space”)"
Staffel 3, Folge 20

Autor José Chung schreibt an einem Buch über Entführungen durch Außerirdische und befragt dazu Scully, die zusammen mit Mulder gerade einen Fall untersucht, bei dem zwei Jugendliche von Außerirdischen entführt worden sein wollen... Diese weitestgehend komödiantische Folge fällt nicht nur aufgrund ihres Aufbaus komplett aus dem üblichen Rahmen der Serie. Scully beantwortet Chung geduldig seine Fragen und in Rückblenden werden die jeweiligen Ereignisse aus Sicht bzw. der Erinnerung unterschiedlicher Personen geschildert, was ein amüsantes, unglaubwürdiges Zerrbild von Charakteren wie Agent Mulder ergibt und die Wahrheit tendenziös auslegt. Die verworrene Geschichte um vermeintliche Außerirdische, eventuelle tatsächliche Außerirdische und wer was womit bezweckt, wird also aus verschiedenen Perspektiven erzählt und nimmt die Sensationsberichterstattung über Ufo-Themen ebenso aufs Korn wie angebliche Alien-Autopsie-Videos. Toller Humor, der im Grunde genommen auch die Serie selbst ein gutes Stück weit karikiert und eine urkomische Pointe bereithält, wenn Scully und Mulder über sich selbst in Chungs Buch lesen. Und das überaus geschickt konstruierte Drehbuch lässt sogar trotz allem offen, ob nun wirklich außerirdische Mächte involviert waren oder nicht. 8/10

"Heimsuchung (Avatar)"
Staffel 3, Folge 21

Walter Skinners Scheidung von seiner Frau ist fast perfekt, es fehlt nur noch seine Unterschrift. Abends lernt er in einer Bar eine Frau kennen, mit der er in einem Hotelzimmer landet. Als er am nächsten Morgen nach einer alptraumgeplagten Nacht neben ihr erwacht, ist sie tot. Unter dringendem Tatverdacht stehend, fällt es Skinner schwer, sich zu rechtfertigen. Mulder und Scully jedoch sind von der Unschuld Skinners überzeugt und widmen ihr Interesse dem Fall... Endlich besinnt man sich bei "Akte X" wieder auf die großangelegte Rahmenhandlung, konzentriert sich diesmal jedoch vornehmlich auf Skinner. Man vermischt die große Verschwörung um "den Raucher" und das daraus resultierende Interesse, Skinner auch nach einem missglückten Mordversuch weiter auszuschalten, mit der Mythologie um Succubi, weibliche Dämonen. Ein solcher scheint Skinner seit Jahren zu verfolgen, doch meint er es überhaupt böse mit ihm? Die Verschwörer jedenfalls gehen einmal mehr eiskalt über Leichen, doch für Skinner wendet sich doch noch einmal das Blatt, auch in Bezug auf seine Ehe. Eine spannende Folge, die das übersinnliche Element eigentlich gar nicht gebraucht hätte, damit jedoch zumindest für einen wenn auch selbstzweckhaften Gruselfaktor sorgt. Und die unvermittelt auftauchenden Dame(n) in ihren roten Regenmänteln sind sicherlich als Hommage an "Wenn die Gondeln Trauer tragen" zu verstehen. 7/10

"Der See (Quagmire)"
Staffel 3, Folge 22

Mulder und Scully zieht es nach Georgia an den Lake Heuvelman, wo in letzter Zeit ein Mensch nach dem anderen verschwunden ist. Die Einheimischen sprechen von einem prähistorischen Seeungeheuer, das zwar noch nie jemand gesehen hat, aber als lokale touristische Attraktion ausgeschlachtet wird. Doch während Mulder die Existenz eines solchen Wesens für möglich hält, halten Scully, Wissenschaftler und Naturschützer Dr. Faraday und der örtliche Sheriff das für Ammenmärchen. Aber weitere Menschen verschwinden und eines Abends geraten auch die FBI-Ermittler in Lebensgefahr... Diese Folge ist selbstverständlich eine Ehrerbietung an die gute alte Legende von Loch Ness und seinem berühmtesten Bewohner sowie an klassischen Kreaturenhorror, ohne jedoch letzteres Feld wirklich zu beackern. Man arbeitet sich durch pointierte Dialoge und Streitgespräche, präsentiert eine einmal mehr wunderbar skeptische Scully, die diesmal ihren Hund dabei hat, und reizt die dörfliche Atmosphäre mitsamt kauzigen Charakteren aus, ohne das Ungetüm zu zeigen. Tragik trifft auf Humor auf dem Weg zum Finale, wenn es zunächst eine ganz natürliche, reichlich banale Erklärung zu geben scheint, unbemerkt von den Protagonisten die letzte Einstellung dem Zuschauer jedoch noch ein anderes Bild mit auf den Weg gibt. Sympathische und unterhaltsame Folge, wenn auch ziemlich vorhersehbar und mit neben verstümmelten Wasserleichen nur wenigen Schauwerten. 7/10

"Ferngesteuert (Wetwired)"
Staffel 3, Folge 23

In der US-Provinz geschehen plötzlich Morde anscheinend ohne wirkliches Motiv. Die Mörder sehen andere Menschen als die tatsächlich Anwesenden, fühlen sich bedroht, reagieren aggressiv und greifen zum Äußersten. Mulder und Scully untersuchen diese Fälle und finden heraus, dass das Fernsehsignal manipuliert wurde und vom Zuschauer unbemerkte Botschaften mitgesendet werden. Bei den Mördern spielte das Fernsehen eine große Rolle und es wurden umfangreiche TV-Mitschnitt-Sammlungen angefertigt. Diese sieht Scully sich nächtelang an und bekommt plötzlich selbst das Gefühl, dass sich um sie herum alles gegen sie verschwört... Diese großartige Folge hat und kann wirklich alles und ist ebenfalls zur Rahmenhandlung rund um die Verschwörungen des "Rauchers" und seines Klüngels zu zählen. Neben dem Aufzeigen einer weiteren CIA-Methode, um die Bevölkerung zu manipulieren und der geheimen und schieflaufenden Tests derselben bekommt der Zuschauer Einblicke in die Fernsehtechnik, wenn Mulders Nerd-Truppe wieder einmal konsultiert wird, tauchen ein neuer Informant sowie der bekannte Dunkelhäutige auf, werden in Dialogen nebenbei Fragen nach Auswirkungen von Medienkonsum und der Mündigkeit/Manipulierbarkeit der Bürger sowie der generelle Umgang mit dem Medium Fernsehen diskutiert und geraten Scully und Mulder in offenen Konflikt zueinander. Die zunehmende Paranoia, der Scully anheimfällt, steht stellvertretend für die latente Angst vor unbemerkter Manipulation, Überwachung, ja, "Fernsteuerung" und dem Ausgeliefertsein derartigen Techniken gegenüber, die man weder zu verstehen, noch überhaupt zu bemerken in der Lage ist. Diese paranoide Grundstimmung atmet die Folge in jeder Sekunde und ergreift Besitz vom Zuschauer. Besonders Gillian Anderson bekommt endlich wieder einmal die Gelegenheit, schauspielerisch verstärkt aus sich herauszukommen. Schlugen andere Verschwörungsfolgen zu einem Staffelende hin gern einen Haken nach dem anderen, bleibt diese Folge relativ geradlinig, sitzt aber mindestens ebenso deftig. Meines Erachtens eine der besten Folgen bisher. 8,5/10

"Der Tag steht schon fest (Talitha Cumi)"
Staffel 3, Folge 24

Zwar kann er den Amokläufer dann doch nicht davon abhalten, in einem gut besuchten Imbiss um sich zu schießen, doch heilt er den von der Polizei erschossenen Attentäter sowie seine Opfer durch Handauflegen und verschwindet während seiner Vernehmung durch die Polizei. In die Suche nach dem geheimnisvollen Unbekannten platzt "der Raucher", der eine vom dunkelhäutigen Informanten beobachtete und dadurch an Mulder herangetragene Unterredung mit Mulders Mutter hält - woraufhin diese einen Schlaganfall erleidet und ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Mulder versucht, hinter das Geheimnis der Beziehung seiner Mutter zu seinem Erzfeind zu kommen und stößt auf eine Waffe, offenbar geeignet, um fremdartige Lebewesen zu töten... Die dritte Staffel endet natürlich ebenfalls mit einer die Rahmenhandlung aufgreifenden Folge, die als inhaltlichen Paukenschlag die Involvierung Mulders Mutter zu bieten hat und den Raucher einmal mehr als Zyniker entlarvt, wenn er anscheinend aus Angst vor der "positiven Energie" des Wunderheilers diesen töten will und ihn in der Öffentlichkeit durch einen Gestaltenwandler "ersetzt". Recht unverhohlen spricht die Folge in diesen Situationen die antidemokratische Ausrichtung der US-amerikanischen Geheimdienste an. Emotional wie selten agiert Mulder, insbesondere, wenn er am Krankenzimmer seiner Mutter auf "den Raucher" trifft. Auch die Situation zwischen Mulder und dem dunkelhäutigen Informanten eskaliert indes und das Finale mündet in einem Cliffhanger oberster Kajüte, der nach der vierten Staffel gieren lässt. Aufgrund des etwas kitschigen Wunderheilers gebe ich erst einmal nur 7/10 Punkten, wobei die getrennte Bewertung zusammengehöriger Folgen natürlich immer so eine Sache ist.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Das siebte Zeichen
Seltsame Wetter- und Umweltphänomene versetzen die Welt in Unruhe: in der Karibik werden tote Meerestiere angeschwemmt, tote Soldaten eines Bürgerkriegs färben einen Fluß blutrot, eine Stadt im Irak vereist. Das alles sagt der schwangeren Abby (Demi Moore) nichts, als sie und ihr Mann (Michael Biehn) das Gartenhaus an den stillen David (Jürgen Prochnow) vermieten. Schon bald macht sich der neue Untermieter verdächtig und als Abby Zeitungsausschnitte von Morden und Kriminellen bei David findet, fürchtet sie, einen Psychopathen bei sich zu haben. Doch David ist kein Psychopath, er kommt wegen des Endes der Welt und es ist an Abby dies zu verhindern...
„Was für ein Gott bist du?!“

Exil-Ungar Carl Schultz („Die Abenteuer des jungen Indiana Jones“) drehte im Jahre 1988 den Mystery-Thriller/Okkult-Horrorfilm „Das siebte Zeichen“ nach einem Drehbuch Clifford und Ellen Greens. Der Film setzt sich mit der bevorstehenden Apokalypse auseinander.

Fischsterben an der Küste Haitis, ein blutroter Fluss in einem Bürgerkriegsgebiet, eine vereiste Wüstengegend im Irak – obwohl all diese Phänomene wissenschaftlich erklärbar sind, weisen sie beunruhigende Ähnlichkeiten mit den Vorzeichen der Apokalypse auf. Während der Vatikan Pater Lucci (Peter Friedman, „Teuflische Weihnachten“) damit beauftragt, die Vorfälle zu untersuchen, zieht der geheimnisvolle David (Jürgen Prochnow, „Mächte des Wahnsinns“) ins Gartenhaus der schwangeren, noch unter dem Eindruck einer vorausgegangenen Totgeburt stehenden Abby (Demi Moore, „Eine Frage der Ehre“) und ihres Mannes (Michael Biehn, „Terminator“). Schon bald fürchtet Abby, einen gemeingefährlichen Psychopathen zu beherbergen. Zeitgleich verteidigt ihr Mann den geistig behinderten Jimmy (John Taylor, „Dabei sein ist alles“), der seine Eltern als Rache im Namen Gottes für seine Zeugung umgebracht hat und hingerichtet werden soll. Als Abby hinter das Geheimnis Davids kommt, wird ihr die Rolle ihrer Schwangerschaft bewusst und versucht sie, die nahende Apokalypse zu stoppen…

Ich bin mir nicht sicher, was ich von „Das siebte Zeichen“ halten soll. Einerseits gelang es Schultz, den Film trotz seines Entstehungsjahrs so gar nicht nach den 1980ern aussehen zu lassen, als hätte er bewusst so viel Zeitkolorit wie möglich ausgespart. Er erzeugt eine in den ganz normalen Alltag eingebettete Endzeitstimmung, die nicht mit einem lauten Knall eingeläutet wird, sondern als schleichender Prozess Besitz in erster Linie von Abby statt von großen Menschenmassen ergreift, Daraus resultiert eine recht distanzlose, eigenwillige Atmosphäre, die angereichert wird mit (unblutigen) Versatzstücken aus dem Okkult-Horror-Subgenre. Hierfür werden religiöse Motive aufgegriffen, die interessanterweise diesmal so gar nichts mit dem Beelzebub zu tun haben, sondern einen alttestamentarischen Rachegott aufgreifen, vor dem einem Angst und Bange wird, wenn er schließlich Menschenopfer fordert und unverhohlen mit Auslöschung der Menschheit droht. Und genau hierin liegt der Knackpunkt. Nutzt Schultz biblische Schauermärchen exploitativ aus, übt damit im gleichen Atemzug Kritik an dieser Art von Religion im Allgemeinen und derart fundamentalistischen Auslegungen der Bibel im Speziellen? Oder will er exakt diese Ängste schüren, ja, predigen, und dürfte sich damit des Applaus der katholischen Kirche und anderer fragwürdiger Sekten sicher sein? Ich bin unschlüssig, vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Allein die Möglichkeit, dass der religiös motivierte Elternmord legitimiert und der Tod einer Mutter bei der Geburt ihres Kindes als heldenhafte Märtyrertat hingestellt wird, so lange nur der Nachwuchs überlebt, schlägt mir jedoch auf den Magen und verleidet mir die Freude an diesem Film.

Zugegeben, Demi Moore sah damals noch ganz niedlich aus und fügt sich passabel in ihre allerdings nicht übermäßig glaubwürdig konstruierte, unter Alpträumen leidende und bereits einen Suizidversuch hinter sich habende Rolle ein; und dass sich ein – von Prochnow relativ eindringlich gespielter – Lehrer für historische Fremdsprachen als Jesus fuckin‘ Christ persönlich entpuppt, hat insbesondere im Zusammenhang mit der offensichtlich wortwörtlichen Deutung der Bibel fast schon etwas kurios Trashiges. Wie versucht wird, die Apokalypse aufzuhalten, indem das physikalische Auftauchen weiterer Vorzeichen verhindert werden soll, bereitet bei genauerer Überlegung ebenfalls Stirnrunzeln, transportiert jedoch angesichts der irdischen Ursachen der bisherigen Vorboten tatsächlich so etwas wie gerechtfertigte Sozialkritik. Unterm Strich überwiegt der zwiespältige Eindruck, den dieser Film bei mir hinterlässt, der jedoch durchaus auch geeignet ist, fragwürdige Inhalte monotheistischer Religionen und ihr Spiel mit Ängsten ihrer Jünger zu entlarven.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Donnie Brasco
FBI-Spitzenmann Joe Pistone schleust sich als Undercover-Agent Donnie Brasco in die Mafia ein. Vier Jahre liefert er dem FBI wichtige Informationen über den Gangster-Clan, um die Bande für immer zu zerschlagen. Immer tiefer gerät Donnie in den Sog der Kriminalität. Schließlich wird er zur rechten Hand des berüchtigten Mafioso Lefty Ruggiero, dessen Vertrauen und Freundschaft er gewinnen kann. Als den Gangstern klar wird, daß in ihren Reihen ein Verräter sitzt, bleibt Donni Brasco nur eine Chance. Auf der Flucht vor den skrupellosen Killern der Mafia muß er Lefty dem FBI ans Messer liefern, bevor es ihm selbst an den Kragen geht ...
„Piss die Wand an!“

Im Jahre 1997 überraschte der genrefremde britische Regisseur Mike Newell („Vier Hochzeiten und ein Todesfall“) mit dem Mafia-Drama „Donnie Brasco“, das auf dem Buch „Donnie Brasco: My Undercover Life in the Mafia“ basiert und den wahren Fall des FBI-Agenten Joseph D. Pistone schildert, der unter dem Decknamen „Donnie Brasco“ die New Yorker Mafia-Familie Bonanno infiltrierte, woraufhin Anfang der 1980er 120 Mitgliedern der Prozess gemacht werden konnte. Der Film entstand in US-Produktion.

FBI-Agent Joe Pistone (Johnny Depp, „Edward mit den Scherenhänden“) erschleicht das Vertrauen des Mafia-Handlangers Benjamin „Lefty“ Ruggiero (Al Pacino, „Scarface“), um Informationen über und Beweise gegen den Mafia-Clan zu sammeln. Dabei freundet er sich nach und nach eng mit Lefty an, der für ihn bürgt und ihn in den von Dominic „Sonny Black“ Napolitano (Michael Madsen, „Reservoir Dogs“) geführten Teilabschnitt der Organisation einführt. Unter Pistones Doppelleben leidet jedoch seine Ehe und auch seine Vorgesetzten sind irgendwann nicht mehr mit Pistones Vorgehensweise einverstanden...

„Dieser Job frisst mich lebendig auf!“

Eine detaillierte Einführung spart sich „Donnie Brasco“ und nach einer Art Prolog um ein Diamanten-Geschäft, in das Lefty involviert ist, erfährt der Zuschauer schnell, dass der sich als Juwelierhändler ausgebende Donnie Brasco eigentlich ein Bulle ist. Die Personalie Lefty, der ganze 26 Auftragsmorde für die Mafia begangen haben soll, entglorifiziert die Mafia stark: Er ist kein sonnenbebrillter, eiskalter Typ, der über den Dingen steht und eine starke Organisation hinter sich weiß, sondern ein eher abgerissener, alternder, kranker Man mit Geldproblemen, der über die Mafia redet wie ein x-beliebiger Arbeitnehmer über seinen Arbeitgeber, dem er nicht sonderlich wohlgesonnen ist, weil er sich von ihm ausgenutzt und übergegangen fühlt. Der Film greift dies dankend auf und zeichnet die Mafia wie einen skrupellosen Konzern und die Mafiosi als soziopathische und vulgäre Rüpel. Lefty wirkt bald wie vielmehr wie ein Opfer der Umstände als ein Täter, wie ein ausgebeutetes armes Schwein, das zudem gar nicht einmal sonderlich unsympathisch ist. Das hat bisweilen etwas Komödiantisches und die Gründe für Pistones Ermittlungen geraten in den Hintergrund, die Männerfreundschaft zwischen dem alternden Lefty und dem vermeintlichen Mafia-Nachwuchs-Jungspund Brasco bestimmen die Szenerie. Die Handlung konzentriert sich vornehmlich auf Lefty und auf sein Leben, ja, sein Schicksal, während der Zuschauer wie Pistone Verständnis und eine gewisse Sympathie entwickelt.

Nach einem Ortswechsel von Brooklyn, New York nach Miami, Florida eignet sich Pistone immer mehr Verhaltensmuster der Mafia an und meldet sich ebensowenig beim FBI wie zuhause bei seiner zeternden Frau (Anne Heche, „Ich weiß, was Du letzten Sommer getan hast“), die nach ihrem Empfinden längst am Rande des Zumutbaren angelangt ist. Schließlich kommt es zu einem spannend inszenierten Showdown, während dem man sich Pistones Position nicht mehr sicher sein kann, der das FBI zum unabgesprochenen Abbruch der Mission provoziert und an dessen Ende Pistone mit sich und seinem Erfolg hadert, weil er einen Freund ans Messer liefern musste. „Donnie Brasco“ zeigt eindrucksvoll die Gefahren derartiger verdeckter Ermittlungen, die über das Entdecktwerden hinausgehen: Die Lebensgefahr beim kleinsten Fehler nicht nur für den V-Mann, sondern auch für seine Familie und sein Umfeld, seine emotionale Belastung durch den Missbrauch ihm entgegengebrachten Vertrauens, das Risiko, dass er sich ab einem gewissen Punkt tatsächlich mehr dem Gegenstand seiner Ermittlungen verpflichtet fühlt als den Behörden, das unter dem Doppelleben leidende Privatleben etc. Der Zuschauer wird gefesselt von Einblicken in eine Parallelgesellschaft, deren Schlüsselfigur der Handlung sich ihm als gar nicht so fremd entpuppt und dessen Probleme sich trotz der Mafia als „Arbeitgeber“ als Allerweltsprobleme entpuppen. Zur Faszination des erzählerisch angenehm einfach gehaltenen Films in authentischem End-‘70er-Ambiente tragen natürlich die Hauptdarsteller Johnny Depp und Al Pacino in großem Maße bei. Depp macht eine absolut souveräne Figur in seiner einmal so gar nicht exzentrischen oder exaltierten Rolle und führt prima durch die Handlung. Neben ihm brilliert Al Pacino als schnoddriger, bemitleidenswerter Mafioso mit Kleinganoven-Attitüde, der rein gar nichts mit sonstigen Mafiarollen Pacinos zu tun hat. Das ist verdammt großes Schauspielkino und unterstreicht einmal mehr die Ausnahmestellung dieses Mannes in der Spielfilmbranche. Die Überlänge merkt man „Donnie Brasco“ kaum an und ich bin zutiefst positiv überrascht, wie es Newell gelingt, einen geradlinigen und lange Zeit tendenziell vorhersehbaren Film wie diesen derart fesselnd zu gestalten. Für den optimalen Genuss sollte man jedoch nicht mit einer falschen Erwartungshaltung an ihn herangehen und einen actiongeladenen Thriller oder ein erhabenes Mafia-Epos voller Pathos erwarten – mit beidem hat „Donnie Brasco“ nichts zu tun und das ist auch gut so. Meiner Begeisterung für dieses Männerdrama verleihe ich mit 8,5 von 10 besonders schönen Fugazis Ausdruck.
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Ein Toter sucht seinen Mörder

„Er war der größte Menschenverachter, den man sich vorstellen kann!“

Im Jahre 1962 debütierte der Brite Freddie Francis („Draculas Rückkehr“), der sich einen Namen als fleißiger Horror-Regisseur für diverse britische Filmstudios machte, als Regisseur von gleich drei Produktionen. Eine davon, die deutsch-britische Koproduktion „Ein Toter sucht seinen Mörder“, ist nach dem mir unbekannten „The Lady and the Monster“ aus dem Jahre 1944 und der US-Produktion „Donovans Hirn“ aus dem Jahre 1953 die dritte Verfilmung des mir ebenfalls unbekannten Romans aus der Feder des deutschen Schriftstellers Curt Siodmak. Unter Francis avanciert der Stoff zu einem Mystery-Krimi mit Mad-Scientist-Science-Fiction- und Gruselelementen.

Der ebenso vermögende wie skrupellose Industrielle Max Holt wird schwerstverletzt, als in seinem Privatflieger eine Zeitbombe explodiert. Dr. Peter Corrie (Peter van Eyck, „Der Spion, der aus der Kälte kam“), der mit Tierversuchen daran forscht, Gehirne auch ohne Körper am Leben zu erhalten, findet mit seinen Assistenten Frank (Bernard Lee, „Die Todeskarten des Dr. Schreck“) und Ella Shears (Ellen Schwiers, „Das Rasthaus der grausamen Puppen“) die abgestürzte Maschine und birgt Holt, den er in sein Labor bringt. Dort verstirbt das Bomben- und Absturzopfer kurze Zeit später. Entgegen des Willens seines Assistenten nutzt Dr. Corrie die Gunst der Stunde und entnimmt Holts Gehirn, das tatsächlich in der Nährlösung aktiv bleibt – in ungeahntem Ausmaße: Holt ergreift zunehmend Besitz von Corrie, der sich nun auf die Suche nach dem Attentäter begibt. Ein alles andere als ungefährliches Unterfangen, denn der Mörder hat ein gesteigertes Interesse daran, unerkannt zu bleiben und bringt einen Mitwisser nach dem anderen um die Ecke.

„Ich war Max Holts Freund!“ – „Dann haben Sie ja Sammlerwert!“

Schon nach 20 Minuten macht der Film unmissverständlich klar, dass Dr. Corrie unter Einfluss Holts bzw. dem, was von ihm übrig ist, steht. Visualisiert wird dies durch eine gruselige Großaufnahme Corries weit aufgerissener Augenpartie. Doch statt sich weiter auf den Grusel-Sci-Fi-Faktor der Handlung zu konzentrierten, entspinnt der noch in schwarzweiß gedrehte „Ein Toter sucht seinen Mörder“ einen dialoglastigen, nicht unkomplexen Whodunit?-Krimi, der relativ detailliert Holts (Geschäfts-)Umfeld und Familie durchleuchtet und eine Vielzahl Verdächtiger präsentiert. Für Dr. Corrie kommt erschwerend hinzu, dass er auch selbst Opfer einer Erpressung durch den Leichenwäscher Holts wird, der das Fehlen des Gehirns bemerkte. Über alle, im Verlauf des Films immer mehr eingeführten Personalien den Überblick zu behalten, erfordert zumindest ein Mindestmaß an Konzentration, jedoch werden viele bereits kurz nach ihrer Befragung durch Corrie schon wider aus der Handlung herausgetötet. Immer mehr verdichtet sich jedoch das Bild Holts als über Leichen gehender, gieriger Kapitalist, der nicht viele Freunde, dafür umso mehr Feinde hatte; der gute Schuss Sozialkritik wird also auch in dieser Verfilmung deutlich. Ein witziges Detail ist z.B. das von Holts Sohn persönlich gemalte, hässlich und fies aussehende Porträt seines Vaters, das sich Holt über den Schreibtisch hängte. Eigentlich malt Holt junior tolle Bilder gar schrecklicher Horror-Kreaturen und Monster, zu denen seines Erachtens anscheinend auch sein Vater zu zählen war.

Das in seiner Nährlösung schwimmende Gehirn und die klischeehafte Laborausstattung verfügen über einen naiven, trashigen B-Movie-Charme, aus dem leider nicht sonderlich viel herausgeholt wird. Wann immer Holt wieder Besitz von Dr. Corrie ergreift, wird die immer selbe Augen-aufreiß-Szene zwischengeschnitten, was etwas lieblos wirkt. Dafür gibt es aber nach 30 Minuten eine schöne Point-of-View-Einlage, sind die schauspielerischen Leistungen des namhaften Ensembles fast durchgehend ernstzunehmender Natur und entschädigt die durchaus überraschende Auflösung des Rätsels am Ende für die eine oder andere Länge, die aus den mitunter reichlich angestaubten, biederen Krimi-Passagen sowie aus dem Umstand, dass man mit einem Unsympathen wie Holt nun wirklich nicht mitfiebert, resultieren. Insofern ist „Ein toter sucht seinen Mörder“ mit ein paar Abstrichen sowohl für Freunde klassischer europäischer Kriminalfilmkost als auch für an der Geschichte des phantastischen Films im Allgemeinen und des Schaffens Freddie Francis‘ im Speziellen Interessierter empfehlenswerter Film, der sich meines Erachtens leicht über dem Durchschnitt ansiedelt.
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Hochhaus des Schreckens
Ein neuerbautes Hochhaus in Barcelona ist Schauplatz mysteriöser Todesfälle. Der Sicherheitsbeauftragte Randall (Michael Moriarty) und der Parapsychologe Gold (Theodore Bikel) finden schnell den Grund: Offenbar ist eine übersinnliche Kraft am Werk.
Auf Sand gebaut

„Einmal ist Zufall, zweimal ist ein Unfall und dreimal bedeutet Feindeinwirkung!“

Die US-Horror-Produktion „Hochhaus des Schreckens“ aus dem Jahre 1987 wurde, von einer Folge für die „Geschichten aus der Gruft“-Serie einmal abgesehen, die letzte Regiearbeit des Briten Freddie Francis („Draculas Rückkehr“), der seine Karriere 1962 begonnen und sich einen Namen als fleißiger Horror-Regisseur für diverse britische Filmstudios gemacht hatte. Darf man Frank Trebbin, Autor von Sekundärliteratur zum Thema Horrorfilme, Glauben schenken, griff Produzent und Co-Autor Ken Wiederhorn („Return of the Living Dead II“) in die Regie ein und stellte den Film fertig, weshalb der Regisseur offiziell mit dem Pseudonym „Ken Barnett“ angegeben wurde.

Im neu errichteten UNICO-Hochhaus in Barcelona kommen unter mysteriösen Umständen Menschen ums Leben. Sicherheitsbeauftragter Randall (Michael Moriarty, „Stuff – Ein tödlicher Leckerbissen“) versucht, den Todesfällen auf den Grund zu gehen. Die Spur führt zu einem früheren nie aufgeklärten Ableben und Randall sieht sich gezwungen, einen Parapsychologen hinzuzuziehen.

„Sind Sie eigentlich verheiratet?“ – „Nein, ich bevorzuge es, zu trinken!“

Haunted-House-Horror in urbanem Ambiente, genauer: in einem spanischen Wolkenkratzer. Bei mir wurden schnell Erinnerungen an „Fahrstuhl des Grauens“ wach, doch damit hat „Hochhaus des Schreckens“ nicht viel zu tun – wenngleich ein Wachmann tödlich mit dem Fahrstuhl abstürzt. Doch in typischem End-'80er-Look findet zunächst ein Fensterputzer den Tod, nachdem er mit einer unsichtbaren Kraft zu kämpfen schien und aus dem 29. Stock gestoßen wurde. Als sich Schrauben wie von Geisterhand lösen, wird ein Mitglied des Wachpersonals beinahe erschlagen. Ein anderer Mann wird plötzlich von irgendetwas besessen und läuft Amok. Diesen Szenen ist gemein, dass sie nicht explizit bis zum Äußersten gehen, sondern in der Regel vorher abgeblendet wird. Das passt zum TV-Film-Niveau, auf dem sich die Inszenierung befindet. Die Handlung führt die etwas undurchsichtige, offenbar sexuell wenig ausgelastete Bürodame Carolyn Page (Jenny Agutter, „American Werewolf“) ein, von der man zunächst nicht wirklich weiß, ob sie ihren Ehemann (den der Zuschauer von Fotos kennenlernt) mit Randall betrügt oder sich diese Szenen lediglich in ihrer Phantasie abspielen.

Irgendwann vollzieht der Film dann seinen erste vorwärtsbringende Wendung, wenn er erklärt, dass Carolyns Mann Philip bereits vor zwei Jahren unter mysteriösen Umständen gestorben ist, seine Leiche aber nie gefunden wurde. Er war angesehener Architekt, aber seine Frau noch besser: Seine Pläne für das Gebäude wurden abgelehnt, doch die von seiner Frau eingereichte überarbeitete Fassung angenommen. So weit, so gut. Dass das Drehbuch Randall Menschen sehen lässt, die plötzlich verschwinden, passt ebenfalls zu den phantastischen Elementen des Films. Dass er plötzlich auch noch hellsehen kann, erscheint dann jedoch reichlich beliebig.

(Achtung, Spoiler!) Für das Finale wird schließlich ein Parapsychologe hinzugezogen und zusammen mit einem Medium versucht man, den bösen Geist des Gebäudes zu besiegen. Ab diesem Zeitpunkt wird „Hochhaus des Schreckens“ endlich visuell expliziter und damit ansprechender. Dass Philip Pages Tod erwartungsgemäß aufgeklärt wird, ist schön und gut und hätte ein Schlusspunkt unter einen atmosphärisch eher drögen Genrefilm sein können. Doch „Hochhaus des Schreckens“ ist noch längst nicht am Ende und möchte gern noch einen draufsetzen. Dafür verwandelt sich Randall völlig unvermittelt in ein Monster, wobei das Erschreckendste neben der haarsträubenden Sinnlosigkeit die starre Maskenarbeit ist. Doch „Ken Barnett“ beschert dem Publikum ein Wechselbad der Gefühle, wenn in der grandiosen, besten Szene des Films der Leichnam Philip Pages im Beton aufgedeckt wird – und sich plötzlich zu bewegen beginnt! Dieser späte Schlüsselmoment rettet den Film (wohlgemerkt aus wohlwollender Genre-Fan-Sicht) in den Durchschnittsbereich, der mit seinem dominanten, teilweise mit Chorälen versehenen Düster-Soundtrack lange Zeit vergeblich versuchte, Gänsehautstimmung aufkommen zu lassen und leider auch keine sonderlich erinnerungswürdigen schauspielerischen Leistungen anzubieten hat – einmal abgesehen von Nervensäge Moriartys Auftreten, das hier schlecht wie nie ausfiel. Freddie Francis hätte ich ein besseres Händchen für seinen letzten Film gewünscht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

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A.C.A.B. - All Cops Are Bastards
Das Akronym "A.C.A.B.: All Cops Are Bastards" entstand in den späten 1970er Jahren in Großbritannien und breitete sich rasant über die Fussballstadien der Welt aus. Cobra, Nero und Mazinga sind Mitglieder einer italienischen Spezialeinheit und genau die Typen von Polizisten, auf die die Bezeichnung tatsächlich zutrifft. Sie wollen ihre Vorstellung von Ordnung und Gesetz durchsetzen und wenn nötig eben mit Gewalt... (Quelle: Jakob GmbH)
Vermummt, in martialischer Schutzkleidung und scharf bewaffnet fallen sie in Gruppen über ihre Opfer her, die sie auf offener Straße misshandeln und verschleppen. Und landet einmal einer von ihnen vor Gericht, decken sie sich gegenseitig, verschaffen sich Alibis und entziehen sich so dem Zugriff des Rechtsstaats. Die Rede ist hier nicht etwa von besonders perfiden Straßengangs oder anderen gemeinhin als Verbrecher oder Kriminelle bezeichneten Subjekten, sondern von bestimmten Teilen der von ihren eigenen Opfern, weil von Steuergeldern bezahlten Polizei, i.d.R. sog. Bereitschaftspolizisten, die auf der Straße die Auseinandersetzung suchen, die soziale Proteste blutig niederschlagen, an Fußballfans ihr Mütchen kühlen, aber auch Opfer von Immobilienspekulanten aus ihren Wohnungen jagen, Flüchtlinge deportieren etc. Staatlich subventionierte und geförderte Schläger in Uniform, „offizielle Hooligans“, die das Gewaltmonopol für sich beanspruchen und missbrauchen.

„A.C.A.B.“ - dieses Akronym steht für „All Cops Are Bastards“, stammt ursprünglich aus Großbritannien und ist seit jeher ein auf eine simple Parole reduzierter Ausdruck einer autoritätskritischen Haltung, die sich seit Jahrzehnten durch verschiedene Bereiche der Unterschicht und diverse Subkulturen zieht, oftmals missverstanden als Generalbeleidigung sämtlicher im Polizeidienst Arbeitender oder extremistische Aussage. Dabei wird niemand, der diesen Parole verwendet oder als Tätowierung, Kleidungsaufdruck o.ä. trägt, etwas gegen Polizisten haben, die tatsächlich als „Freund und Helfer“ des einfachen Bürgers auftreten oder gegen Beamte, die Kapitalverbrechen wie Mord, Vergewaltigung etc. aufklären. Auch wird selbst am linken Rand wohl kaum angezweifelt werden, dass jede Gesellschaftsform Starke hervorbringen wird, die Schutzfunktionen für Schwächere einnehmen werden. Vielmehr wird auf den viel zu großen Teil der staatlichen Exekutive verwiesen, der sich zu willen- und verantwortungslosen Erfüllungsgehilfen der Reichen und Mächtigen macht, die geil darauf sind, ihre Autorität anderen gegenüber auszuspielen, die faschistoide Beweggründe in die Uniform treiben oder die schlicht ungestraft ihre Gewalttrieben ausleben wollen. Dank Corpsgeist, höriger Massenmedien, dreistem Lobbyismus, betrieben durch sich eine sich euphemistisch „Gewerkschaft der Polizei“ [sic!] nennende Organisation und gesellschaftliches Duckmäusertum, das Uniformen einen generellen Vertrauensvorschuss schenkt, braucht sich diese Sorte Polizisten keine Sorgen zu machen, für ihre Straftaten zur Rechenschaft gezogen zu werden, im Gegenteil: Der Trend geht dahin, sie mit immer weiteren Befugnissen, Waffen etc. auszustatten. „A.C.A.B.“ ist Ausdruck eines Bewusstseins für diese antidemokratischen Tendenzen.

„A.C.A.B. - All Cops Are Bastards“ ist auch der Titel des nach einigen TV-Serien-Arbeiten ersten Kinofilms Stefano Sollimas, Sohn des italienischen Meisterregisseurs Sergio Sollima, der als der Intellektuelle der drei großen Sergios des Italo-Westerns gilt (neben dem epischen Sergio Leone und dem zynischen Sergio Corbucci). Der in italienisch-französischer Koproduktion entstandene Film aus dem Jahre 2012 basiert auf dem gleichnamigen, investigativ recherchierten Buch des italienisches Journalisten Carlo Bonini aus dem Jahre 2009.

Der Film setzt sich mit der oben beschriebenen Spezies auseinander: Die Bereitschaftspolizisten Cobra (Pierfrancesco Favino, „Die Unbekannte“), Negro (Filippo Nigro, „Reich und verdorben“) und Mazinga (Marco Giallini, „Die entfesselte Silversternacht“) schwingen gern den Knüppel und halten zusammen wie Pech und Schwefel. Der Nachwuchspolizist Adriano (Domenico Diele, „Paura 3D“) stößt zu ihrer Einheit und wird mit ihren Gepflogenheiten vertraut gemacht, während Mazingas Sohn in die rechtsradikale Bonehead-Szene abrutscht.

„A.C.A.B. - All Cops Are Bastards“ ist zunächst einmal eine Milieustudie, die anhand jener Einheit denn Alltag der Bereitschaftspolizei schildert. Nach einem groben Überblick stößt Sollima den Zuschauer ins kalte Wasser und zeigt die uniformierten Schläger, wie sie streikende Arbeiter erst provozieren, sich in schließlich in Kampfmontur auf die unbewaffneten, ungeschützten Arbeitskämpfer stürzen und sie verprügeln sowie willkürliche Verhaftungen vornehmen. Sollima zeigt wenig heldenhafte Einsätze wie den Rausschmiss eines armen Rentners aus dessen eigener Wohnung, eine bewusst herbeigeführte Massenschlägerei mit Hooligans im Rahmen eines Fußballspiels, woraufhin Cobra und Konsorten sogar einen Zug überfallen, die reisenden Fußballfans kollektiv wie Verbrecher behandeln, sie misshandeln und sich Lügengeschichten fürs Protokoll und zur Rechtfertigung ihres Einsatzes überlegen, wie sie die Ärmsten der Armen, Flüchtlinge, deportieren, um sie aus dem Land zu schmeißen, wie sie Ausländer beleidigen und bedrohen und Migranten in Angst und Schrecken versetzen. Fragwürdige Verbrüderungsrituale sollen den Neuling auf die Gemeinschaft einschwören und verdeutlichen, dass man nur sich gegenseitig verpflichtet ist, nicht aber dem Gesetz. So deckt man sich vor Gericht und entzieht sich der Strafverfolgung. Der Film widmet sich aber auch dem Privatleben der Beamten und stellt dar, welch armselige Verlierer sie sind, die sich im Dienst den Frust von der verkümmerten Seele prügeln. Adriano steht einer rechtsextremen Partei nahe, ein Ex-Mitglied der Einheit ist bekennender Neofaschist. Ein dominanterer Handlungsfaden der eher episodenhaften Erzählweise ist der Umgang mit der Rechtsradikalität Mazingas Filius, der mit gewaltbereiten Boneheads eine Moschee besetzt hat. Zu einem der Schlüsselmomente für den jungen Adriano wird die Stürmung des Squats, für den es keinerlei Befehl gibt und der nichts anderes als ein privater Rachefeldzug ist.

Dies geht auch damit einher, dass „A.C.A.B. - All Cops Are Bastards“ zu einem beunruhigenden Porträt einer immer stärker ins politische rechte Lager kippenden Gesellschaft wird, was eben nicht nur seitens der Polizei mit einer Zunahme an Gewalt einhergeht. Um Ausgeglichenheit bemüht ist man, wenn der Fokus zwischenzeitlich auf tatsächliche Ungerechtigkeiten, die den Polizisten widerfahren, gerichtet wird. So entsteht das Bild eines an allen Enden aus den Fugen geratenen Systems, das seiner innenpolitischen Probleme nicht Herr wird und in den Beamten eben jene willfährigen Kräfte sieht, die gefälligst zu funktionieren haben, ansonsten aber weitestgehend alleingelassen werden – was wiederum einer von mehreren Erklärungsansätzen für ihr Fehlverhalten ist. Vor all diesen Hintergründen macht Adriano eine Entwicklung durch, die ihn letztlich den Corpsgeist brechen lässt und fortan vor seinen Kameraden als Verräter dasteht. Am Ende scheint der Film auf einen spannend vorbereiten und dramatisch inszenierten Showdown organisierter Gewalt zuzusteuern, der jedoch ausbleibt – der Einsatz des Abspanns verhindert ihn für den Zuschauer, der erahnen kann, was der Einheit nun blüht, wie das Urteil des Straßengerichts lautet. Des Straßengerichts? Anscheinend bedeutet die organisierte Gewalt in diesem Fall einen Vorfall im November 2007, als sich mafianahe Ultrá-Gruppen zusammentaten, um gemeinsam gegen die Polizei vorzugehen, welche sich wiederum nun endgültig „von oben“ im Stich gelassen und dem Pöbel zum Fraß vorgeworfen sahen (soweit ich einer Inhaltsangabe von Boninis Buch entnehmen konnte). Dieser Bezug wurde mir während meiner Erstsichtung nicht ganz klar. Boninis Buch scheint stärker und deutlicher auf die Auseinandersetzungen zwischen Fußball-Hooligans und der Polizei einzugehen, gewichtet ihre Bedeutung eventuell stärker. An diesen Stellen fehlen mir tiefere Einblicke in die italienische(n) Szene(n).

Wie dem auch sei: In der Tat ist es so, dass die italienische Polizei einige der übelsten faschistischen Schläger Europas beherbergt, wie trotz Verschleierungs- und Bagatellisierungsversuchen nach dem bewaffneten Überfall durch Polizisten auf die Diaz-Schule im Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua 2001 für die Öffentlichkeit sichtbar wurde. Mit unvergleichlicher Brutalität stürmten italienische Polizisten das Demonstranten als Schlafstätte und der Presse sowie Sanitätern als Basis dienende Gebäude mitten in der Nacht und stürzten sich auf die wehrlosen Schlafenden, verursachten ein wahres Blutbad. Selbst nach der willkürlichen Verhaftung der Demonstranten wurden diese noch gefoltert, gequält und erniedrigt. Satte elf Jahre zogen sich die Verhandlungen gegen die Folterknechte hin, bevor es endlich zu Verurteilungen kam. Haftstrafen musste dennoch kein Verantwortlicher antreten und die meisten wurden gar nicht erst angeklagt. Die volle Härte des Gesetzes traf hingegen Demonstranten. Dieses populäre Beispiel für Polizeigewalt, Justizwillkür und die faschistoide Ausrichtung staatlicher Autorität findet mehrfach Erwähnung in Sollimas Film (der suggeriert, dass die Männer dabei waren) und dürfte einer der Gründe sein, weshalb manch einer in Italien die Polizeiarbeit kritischer zu hinterfragen begann und weshalb man das alte Poliziesco-Genre wieder aufgriff, ohne jedoch Polizisten vornehmlich als Opfer oder Unschuldige zu verklären.

„A.C.A.B. - All Cops Are Bastards“ zwingt den Zuschauer in die Perspektive der exemplarisch herausgegriffenen Polizeieinheit – mit aller Konsequenz. Wer es gewohnt ist, dass ein Spielfilm unmissverständlich vorgibt, wer gut und wer böse ist und unzweideutige Identifikationsfiguren anbietet, wird damit seine Probleme haben. Tatsächlich ist man dann und wann geneigt, sich mit den Schergen zu identifizieren – beispielsweise wenn sie sich die Neonazis vorknöpfen. Mitunter mag es so aussehen, als würde der Film diesen Akt der Selbstjustiz rechtfertigen. Vor dem Hintergrund zuvor gezeigter eigener rechtsextremistischer Umtriebe der Polizei und der Art und Weise, wie die so gar nicht unter antifaschistischen Vorzeichen stehende Stürmung vonstatten geht, dürfte zustimmendes Nicken sich bald in Kopfschütteln verkehren, denn moralisch lässt sich kaum etwas rechtfertigen, was die Männer im Laufe der Handlung bewerkstelligen. Vielmehr stellen Szenen wie diese diejenigen Teile des Publikums vor eine Art Dilemma, die Polizeigewalt einerseits ablehnen, gewalttätiges Vorgehen gegen Rechtsradikale jedoch befürworten. Ohne dieses Thema von meiner Seite zu vertiefen, dürfte unstrittig sein, dass es sich bei gleichem Verhalten derjenigen, für die die Moschee erbaut wurde, um Notwehr gehandelt hätte, während den privat agierenden Polizisten diese Art der Legitimation fehlt. Die Konzentration auf ihr Privatleben führt zu dem Missverständnis, dass der Film Verständnis für die Polizei wecken wolle. Dies ist jedoch in erster Linie dem realistischen, nichts und niemanden romantisierenden oder glorifizierenden Stil geschuldet – was ein grundlegendes Problem entlarvt: Schnell lässt sich der latent autoritätshörige Zuschauer einlullen, nimmt den Polizisten ihre Flucht in die Opferrolle ab und redet ihre Eigenverantwortlichkeit klein, solange sie nur gegen Autonome, Hooligans etc. vorgehen, Menschen also, mit denen man selbst nichts zu tun hat. Irgendwie wird das schon alles seine Richtigkeit haben und wenn mal der Knüppel ausrutscht, ist das eben ein Kollateralschaden und eigentlich haben die Delinquenten das ja auch verdient. So eine Tracht Prügel hat schließlich noch niemandem geschadet und wer sich aus all diesen Dingen heraushält, hat auch nichts zu befürchten. Man ist froh, dass jemand die Drecksarbeit macht und einem all das Gesindel vom Hals hält. Nur was ist, wenn sie irgendwann an die eigene Tür klopfen oder sie einfach eintreten? Wenn sie einem plötzlich selbst gegenüberstehen, weil man nicht bemerkt hat, wie der Radius der persönlichen Freiheit immer kleiner wurde, wie es immer enger auch für den eigenen Lebensentwurf wurde? Spätestens dann wird man bedauern, Autoritätskritik als Staatsverrat fehlinterpretiert oder als Spinnerei abgetan und einer Exekutive alles durchgehen lassen zu haben, obwohl sie in einer parlamentarischen Scheindemokratie, in der bislang jede bedeutende Veränderung außerparlamentarisch erkämpft werden musste, bisher noch jede Schweinerei durchgeknüppelt hat. Wenn dieser Film die sich hochschaukelnde Wechselwirkung von Gewalt und Gegengewalt dokumentiert, dann zeigt er auch die schizophrene Gewalt von Polizisten letztlich gegen sich selbst, die ihre Berufswahl noch unverständlicher erscheinen lässt.

Stefano Sollimas beeindruckender Film, der unbekannte Namen befreit und natürlich aufspielen lässt, verfügt neben seinen schwer verdaulichen und unbedingt auch nach Abspannende zu reflektierenden Inhalten auch über großartige Musik; neben dem Soundtrack der Band Mokadelic erklingen Hits der White Stripes, der Pixies, Joy Division, der 4-Skins-Klassiker „A.C.A.B.“, leider anscheinend in einer Coverversion einer italienischen Neonazi-Band, sowie in einer an Zynismus nur schwer zu überbietenden Szene der von der Punkband The Clash interpretierte Equals-Song „Police On My Back“, zu dem die Polizisten ausgelassen tanzen und grölen, nachdem vor Gericht ein Freispruch errungen wurde. Etwas problematisch finde ich an Sollimas Film letztendlich dann doch, dass einfachere Gemüter mit einer beliebigen Lesart an ihn herantreten und sich gerade das herauspicken, was sie hören und sehen wollen, könnten. Unabhängig davon erkenne ich u.a. die meines Erachtens wichtige Aussage, dass wer das staatliche Gewaltmonopol schamlos ausnutzt und missbraucht, sich nicht wundern darf, wenn es auf der Straße nicht mehr akzeptiert wird. Mitleid mit Prügelbullen zu empfinden, weil sie private Probleme haben oder sich keiner Unterstützung „von oben“ mehr sicher sein können, liegt mir indes fern.

Deutlich vernommen habe ich aber auch die zwischen den Bildern eindringlich aufgeworfene Frage, wie man angesichts blanken Hasses schon längst nicht mehr nur an gesellschaftlichen Randgebieten eigentlich zukünftig zusammenleben will, wie diese Gewaltspirale zu stoppen ist und wie weitere Eskalationen verhindert werden können. Eine wichtige Debatte, die endlich losgetreten werden muss, um weitere Schwerverletzte und Tote zu verhindern und deren denkbar falscheste Antworten die weitere Aufrüstung der Polizei und jegliche Tendenzen in Richtung eines Polizeistaats bei zugleich fortwährendem, gerechtfertigtem Vertrauensverlust in die Obrigkeit wären.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Quiet Earth - Das letzte Experiment
Als Folge eines wahnwitzigen militärischen Experiments gerät die Erde aus ihrem Raum-Zeit-Kontinuum. Das Unvorstellbare ist Wirklichkeit geworden - alles organische Leben ist schlagartig vernichtet. Nur drei Menschen überleben...
„Ich hab das Gefühl, wir sind entweder tot oder in einem anderen Universum!“

Der neuseeländische Science-Fiction-Film „Quiet Earth – Das letzte Experiment“ aus dem Jahre 1985 fußt auf dem gleichnamigen Roman Craig Harrisons und orientiert sich zudem an postapokalyptischen Geschichten wie der mehrfach verfilmten „I am Legend“ von Richard Matheson. Regie führte der Neuseeländer Geoff Murphy, der später US-Produktionen wie „Freejack“ oder „The Last Outlaw“ inszenierte.

Wissenschaftler Zac Hobson (Bruno Lawrence, „Die Brücke ins Jenseits“) erwacht eines Morgens und wähnt sich als einziger verbliebener Mensch auf Erden. Bis auf die Flora scheint sämtliches Leben ausgelöscht worden zu sein. Er vermutet die Ursache in einem „Effekt“, den das multinationale Geheimexperiment „Operation Flashlight“, an dem er mitarbeitete, unbeabsichtigt ausgelöst hat. Mit der Zeit droht er, ob der Einsamkeit den Verstand zu verlieren, doch dann begegnet er Joanne (Alison Routledge, „Twilight Love - Liebe aus dem Jenseits“), anscheinend die einzig überlebende Frau, mit der er sich zusammentut. Ihre Liaison verläuft recht harmonisch, bis sie den von neuseeländischen Ureinwohnern abstammenden Api (Pete Smith, „Die letzte Kriegerin“) kennenlernen…

Murphys Film beginnt offenherzig mit dem nackten Zac Hobson in seiner Wohnung, der erst nach sechs Minuten sein erstes Wort spricht. Mit wem sollte er auch reden? Scheinbar ist er der letzte Mensch Neuseelands. Die folgende halbe Stunde vergnügt er sich nach Überwindung seiner ersten Verwirrung mit diversen Dingen, von denen wohl jeder schon einmal heimlich geträumt hat (Erinnerungen an die Supermarktszenen aus „Dawn of the Dead“ werden wach) sowie einigen, die nun nicht unbedingt jeder machen würde – beispielsweise sich in Frauenkleidern in eine Kirche zu begeben und auf Jesus zu schießen oder sich Pappkameraden diverser historischer Persönlichkeiten aufzustellen und ihnen eine Rede zu halten. Zac dabei zu beobachten, wie er die Situation zunächst zu Spaßzwecken ausnutzt, um anschließend Gefahr zu laufen, vor lauter Einsamkeit verrückt zu werden, ist interessant und regt zu „Was wäre, wenn…“-Gedankenspielen an. Die postapokalyptischen Kulissen können sich auch ohne große Zerstörung sehen lassen und das bizarre Ambiente sichert sich die Aufmerksamkeit des Zuschauers.

Nach 35 Minuten begegnet Zac Joanne und zumindest eine Viertelstunde lang können sich beide ungestört gegenseitig Kraft und Halt geben und das tun, was Mann und Frau mitunter sonst noch so tun. Dann jedoch betritt Api die Handlung und die klassische, für mindestens einen i.d.R. undankbare Dreierkonstellation nimmt ihren Lauf, es kommt zu Konkurrenzdenken und Eifersüchteleien und unser Zac verliert seine Frau an den muskulöseren Api. Auf „kleinstem Raum“ exerziert der Film zwischenmenschliche Konflikte durch, ohne dass die Protagonisten Ausweichmöglichkeiten hätten. Das letzte Drittel des Films dient dann der Bewusstwerdung des „Effekt“ genannten Zwischenfalls, der Gründe für das Überleben des Trios und den Bestrebungen, einen drohenden weiteren „Effekt“ zu verhindern. Dankenswerterweise verzichtet „Quiet Earth - Das letzte Experiment“ auf ausuferndes Technik-Gebrabbel und pseudowissenschaftliche Exkurse, bleibt diffus und setzt auf vereinzelte surreale Sequenzen wie die der an Wänden hochgehenden Männer. Ein seltsames Ende von apokalyptischer Eleganz sorgt für ein einprägsames Bild, wirft jedoch mehr Fragen auf, als es beantwortet.

„Quiet Earth - Das letzte Experiment“ greift die Angst vor unkontrollierbarer Aufrüstung zu Zeiten des Kalten Kriegs und ihren möglichen Folgen auf und erinnert die Menschen daran, welch soziale Wesen sie allen Individualisierungstendenzen und kapitalistischem Materialismus zum Trotz sind, wie sehr sie die Anwesenheit anderer benötigen. Seine Science-Fiction-Geschichte kommt ohne viel Action und Spezialeffekte aus und ist nicht nur aufgrund der Sprachlosigkeit zu Beginn eher ruhiger Natur, bietet den makellos agierenden Schauspielern (der anscheinend von der Straße gecastete Pete Smith debütiert hier) dadurch Platz zur Entfaltung und, insbesondere für Lawrence, bestimmt auch Raum für Improvisation. Mit seiner inneren Logik nimmt er es jedoch nicht sonderlich genau (so sind z.B. manche Leichen zu sehen, die meisten aber verschwunden) und hat auch keine überzeugenden Erklärungen für das Geschehene anzubieten. Seinem Verzicht auf Nerd-Talk hat er leider auch nicht wirklich viel entgegenzusetzen und das Ende in irgendeinen Zusammenhang zu bringen, ist schwierig. Es sieht imposant aus und lässt großen Interpretationsspielraum, doch einen Reim darauf, weshalb (Achtung, Spoiler!) Zac an einem Strand aufwacht und offenbar den Saturn direkt vor sich hat, konnte ich mir nicht machen. Ich würde lügen, würde ich behaupten, mich angesichts dessen von jedem Gefühl der Unbefriedigung freimachen zu können und zücke das Schildchen mit der 6,5 für diesen nichtsdestotrotz sehenswerten, sympathischen Film, der mir zumindest nach meiner Erstsichtung als etwas überbewertet durch Genre-Fans erscheint.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
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