Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

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Moderator: jogiwan

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jogiwan
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Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Beitrag von jogiwan »

Renfield

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01.jpg (49.79 KiB) 54 mal betrachtet
Seit Jahrhunderten ist Robert Montague Renfield treuer Diener seines Herrn, dem Grafen Dracula und steht diesem in all seinem Abenteuern zur Seite. Als sich der werte Graf aufgrund eines Angriffs von Vampirjägern in Rekonvaleszenz befindet, hat Renfield Zeit über die doch etwas toxische Arbeitsbeziehung nachzudenken und schließt sich einer Selbsthilfegruppe an. Dort merkt er erst, wie abhängig er von seinem Meister ist und beschließt dieses Ungleichverhältnis anzusprechen. Naturgemäß ist Dracula über seinen rebellischen Diener wenig erfreut und als sich Renfield auch noch in Sache Verbrechensbekämpfung erste Sporen verdient und sich mit einer mutigen Polizistin verbündet, ist Dracula jedes noch so blutige Mittel recht, die Emanzipationsversuche seines Dieners zu sabotieren.

Große Überraschung: ich bin ja wahrlich kein großer Fan von Nicolas Cage, doch „Renfield“ entpuppt sich als großer Fun-Splatter-Spaß mit eigentlich ernster Botschaft, die hier augenzwinkernd und sehr blutig serviert wird. Wer kennt nicht die Phasen im Berufsleben, wo man als Arbeitnehmer an der Kippe zwischen pflichtgetreuer Verantwortung und gesundheitlichen und seelischen Selbstschutz steht und sich hoffentlich für Letzteres entscheidet. Hier ist es Renfield, der sich von seinem Meister emanzipieren und einerseits auf unerwartete Hilfe, wie auch auf unerwartete Probleme stößt. Doch „Renfield“ ist zum Glück nicht ernsthaft, sondern Comic-haft übertrieben und macht auch sehr, sehr großen Spaß. Blut spritzt Hektoliter-weise über den Bildschirm und Körperteile fliegen durch die Luft, während Renfield zunehmend erkennen muss, dass er als Arbeitnehmer seines Herrn Rechte einfordern muss, um nicht vor die Hunde zu gehen. Dazu kommt die Geschichte einer mutigen Polizistin, die sich gegen eine Verbrecherorganisation behaupten möchte und auch dort auf Widerstände stößt. Herausgekommen ist ein Partyfilm im hohen Tempo, bei dem das Overacting von Herrn Cage auch gut ins Gesamtkonzept passt und der mir gestern auch sehr große Freude bereitet hat. Tipp!
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jogiwan
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Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Beitrag von jogiwan »

The Substance

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01.jpg (24.57 KiB) 36 mal betrachtet
Coralie Fargeats Abgesang auf den Jugendwahn und Schönheitskult der Gesellschaft ist wahrlich kein Film, der sonderlich subtil daherkommt, sondern doch ein sehr überzeichneter Streifen, der auch nicht lange fackelt, wenn es darum geht, seine drastischen Auswirkungen fragwürdiger Entscheidungen des Alterns auch mit entsprechend drastischen Bildern zu illustrieren. Hier ist es eine nicht unattraktive Aerobic-Ikone, die irgendwann feststellen muss, dass sie für ihr Business und die von kritischen Augen beäugte Zielgruppe unattraktiv geworden ist und fallengelassen wird. Die fragwürdige Chance, eine „bessere“ Version von sich zu erschaffen entpuppt sich jedoch bald als einseitige Möglichkeit die Vorteile der Jugend nochmals als neue Person zu durchleben, während der andere Körper noch schneller altert, verkrüppelt und vereinsamt zurückbleibt, ehe im grotesken Finale alles vollends eskaliert Natürlich ist hier alles sehr überspitzt, stylisch und überzeichnet, aber im Grunde auch nichts anderes, was täglich in sozialen Medien zu sehen ist, wo Influencer ebenfalls mit Filtern, technischen Gimmicks und Materialismus versuchen etwas darzustellen, was für Außenstehende attraktiv und begehrlich wirken soll. Zu so einem Spiel gehören aber immer zwei und mir persönlich war der Streifen doch zu oberflächlich, zu plakativ und auch etwas zu sehr auf Schadenfreude ausgelegt. Möglichkeiten dazu sind hier ja zuhauf gegeben, wenn alles aus dem Ruder läuft und es am Ende nur Verlierer gibt. Andererseits freut es den Genre-Freund so etwas auf der Leinwand bzw. im Mainstream-Horror zu sehen und auch bei den Casting-Entscheidungen kann man ebenfalls nur gratulieren, aber so etwas wie „The Substance“ und seine Botschaft über fehlgeleitete Schönheitsideale als feministisch zu verkaufen, geht wohl auch nur in völlig irren Zeiten wie diesen.
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Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Beitrag von jogiwan »

Femme

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01.png (113.19 KiB) 26 mal betrachtet
Jules tritt abends als Drag Queen in einem Club auf und wird eines Nachts nach einer Show beim Zigaretten holen Opfer homophober Gewalt, wobei er den Angreifer schon zuvor in der Nähe des Clubs gesehen hat. Drei Monate später hat er noch immer nicht in sein altes Leben zurückgefunden, als er seinen Angreifer Preston zufällig in einer Schwulensauna wiedertrifft, der ihn jedoch nicht wiedererkennt. Entgegen jeglicher Vernunft lässt er sich auf ein Spiel mit Preston ein, der sich als versteckt Homosexueller auch als Alpha-Männchen präsentiert und strenge Regeln bei den Treffen vorgibt. Preston entwickelt den Plan einen Rache-Porno herzustellen um Preston vor seiner Umgebung bloßzustellen und der Kontakt intensiviert sich. Mit zunehmender Dauer kommen jedoch Gefühle ins Spiel und während die dominante Hetero-Fassade von Preston bröckelt, wagt sich Jules immer weiter in dessen Welt…

„Femme“ ist ein Thriller mit ungewöhnlicher Ausgangslage, der eine Drag Queen bzw. den offen schwulen Jules ins Zentrum seines Rache-Plots stellt. Zuerst ist es ein Akt homophober Gewalt, der Jules zum Opfer macht und die zufällige Begegnung mit seinem Angreifer, der als Klemmschwester mit heterosexueller Alpha-Männchen-Fassade sein Leben führt. Die Begegnung der ungleichen Männer bleibt nicht ohne Folge und während Jules trotz aller Alarmsignale Rachepläne schmiedet, entwickelt der dominante Preston Gefühle und verliert zunehmend die Kontrolle, als sich Jules aktiv in sein Leben schmuggelt. Dabei bietet der Streifen gleich mehrfach für den Zuschauer unangenehme Situationen in denen toxische Maskulinität auf eher passives Verhalten trifft, wobei sich hier die Positionen im Verlauf zunehmend verschieben. Bis zum Ende bleibt es spannend, ob Jules seinen Plan in die Tat umsetzen möchte, oder die beiden ungleichen Männer doch noch eine Chance haben. Und da vertut der Streifen meines Erachtens eine versöhnliche Chance, in dem er vage bleibt und dem Zuschauer keine richtige Antwort präsentiert. Dennoch ist der sehr im Zeitgeist verhaftete „Femme“ aber nicht uninteressant und bietet für Außenstehende interessante Einblicke in zwei Welten, die auf den ersten Blick unvereinbar erscheinen und doch zueinander finden könnten, wenn beide Seiten aufeinander zugehen.
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jogiwan
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Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Beitrag von jogiwan »

Ich, du, er, sie

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01.png (90.55 KiB) 10 mal betrachtet
Eine junge Frau, die vermutlich gerade Single geworden ist, lebt einen Monat in einem Wohnung, in der sie sich kaum bewegt, die Außenwelt durch ein Fenster beobachtet, sich nur von Zucker ernährt und immer wieder versucht, einen Brief zu schreiben. Danach macht sie sich auf den Weg und trifft auf einen LKW-Fahrer, den sie eine Zeit lang begleitet und der ihr aus seinem Leben erzählt. Sie begleitet ihn auf Raststätten und verpasst ihm einen Handjob in der Fahrerkabine. Im dritten Teil trifft sie auf ihre Ex-Freundin und hat leidenschaftlichen Sex, ehe alles in einer unbestimmten Zukunft für die beiden Liebenden endet.

Auch die zweite Begegnung mit dem Schaffen von Chantal Akerman nach „Jeanne Dielman“ ist natürlich kein herkömmlicher Streifen mit linearer Handlung, sondern eine Art Triptychon mit drei unterschiedlichen Segmenten. Im ersten Teil verfolgen wir eine Frau, wie sie vermutlich eine Trennung verarbeitet. Diese wird mit Voice-Over-Kommentar begleitet. Der zweite Teil ist eine Art Road-Movie, der vor allem von einem langen Monolog des Fahrers ins Zentrum stellt. Im dritten Teil werden die Zuschauer Zeuge, wie die Figur erstmalig spricht und sich mit ihrer Freundin auf natürliche Weise vor der Kamera vergnügt. Naturgemäß ist „Ich, du, er, sie“ ein Streifen für aufgeschlossene Menschen, Queer-Film-Interessierte und angehende Kunststudenten, die auch nichts gegen eine sehr langsam voranschreitende und dokumentarisch-angehauchte Erzählweise haben. Zeit und Sitzfleisch muss man schon mitbringen und ein etwaig vorhandener Voyeurismus des Publikums wird auch im letzten Drittel ebenfalls nicht erfüllt. Viel eher wirkt Chantal Akermans Steifen autobiografisch, dann wieder surreal und schwer greifbar, wie auch die Figuren, die er präsentiert. Sie wirkt hier auch wie eine Beobachterin einer Welt, die sie mit ihren jungen Jahren noch nicht versteht. Herausgekommen ist ein Arthouse-Streifen und Kritiker-Liebling, der zwar nicht wie ein herkömmlicher Spielfilm funktioniert, aber dennoch nicht uninteressant ausgefallen ist.
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