Cover des Schubers der ungekürzten Fassung aus Österreich
The Mother of Tears (Italien 2007, Originaltitel: La terza madre)
Die verspätete Mutter
Bei Ausgrabungen findet man einen alten Sarg, an dem eine Truhe mit rätselhaftem Inhalt befestigt ist. Die ansehnliche Schatulle wird an ein Museum in Rom geschickt, der Wissenschaftler Michael Pierce (Adam James) soll den Fund untersuchen. Da Pierce momentan nicht im Hause weilt, öffnen Sarah Mandy (Asia Argento) und eine Kollegin den hölzernen Behälter. In der Kiste findet man so seltsame wie faszinierende Artefakte vor. Doch als Sarah flugs ein Buch als Übersetzunghilfe für alte Schriftzeichen aus der Bibliothek holt, wird sie bei ihrer Rückkehr Zeugin eines grauenvollen Szenarios. Ihre Kollegin wird von fürchterlichen Gestalten regelrecht zerfleischt, nur knapp kann sich Sarah dem schrecklichen Treiben per Flucht entziehen. Die Polizei schenkt den Ausführungen der jungen Frau keinen Glauben, zu befremdlich und phantastisch mutet ihre Aussage an. Bald wird Rom von einem Strudel aus Gewalt und Terror ergriffen, Mater Lacrimarum kehrt zurück! Wer kann die Mutter der Tränen aufhalten? Noch ahnt Sarah nichts davon, dass sie über magische Kräfte verfügt...
Lange, lange habe ich die Sichtung von "La terza madre" vor mir hergeschoben. Doch in der vergangenen Nacht konnte ich mein Verlangen nicht länger im Zaum halten, endlich wanderte die DVD in den Player. Die Mutter der Tränen tritt ein übergrosses, geradezu gigantisches Erbe an. Dario Argento startete seine legendäre "Mütter-Trilogie" bekanntlich bereits 1977 mit "Suspiria", 1980 folge der zweite Teil namens "Inferno". Beide Werke gelten längst als Klassiker des Horrorkinos, haben in all den Jahren nichts von ihrem Reiz, ihrer Wirkung eingebüßt. Kann sich der lang erwartete Abschluss der Trilogie mit seinen Vorgängern messen, zumindest halbwegs an diese Meisterwerke anknüpfen? Die Antwort ist so wenig überraschend wie gleichermaßen ernüchternd. Nein, an "Suspiria" und "Inferno" reicht "La terza madre" nicht heran, zu keiner Zeit, in keiner Disziplin!
Doch macht der Vergleich tatsächlich Sinn? Ist dieser Vergleich -nach all den Jahren, die zwischen den Filmen liegen- überhaupt angemessen, erlaubt und ansatzweise fair? Ja und nein!
Wie meinen? Ja, denn immerhin soll dieser Film eine Trilogie vollenden. Nein, denn in den fast drei Jahrzehnten, die bekanntlich seit "Inferno" verstrichen sind, hat sich das "Filmemachen" sehr stark verändert. Von dem Rausch aus Farben und Klängen, der hypnotisch und eindringlich über den Zuschauers kam, sich in jeder Pore, jeder Zelle bemächtigte, bis in die hintersten Winkel des Bewusstseins kroch, ist in der "Tränen-Mama" nicht mehr viel übrig geblieben. Nein, ein weiterer Klassiker ist Dario Argento nicht gelungen. Ja, der Film macht trotzdem Freude, auch wenn er weitaus gewöhnlicher ausgeführt ist, nur noch selten das Genie des Meisters erkennbar wird.
Teils wurde die angeblich ausufernde Gewalt in "The Mother of Tears" angeprangert, mit der Argento vom Mangel an Substanz ablenken will. Aber seinen wir ehrlich, übertreibt Argento es tatsächlich, ertränkt er seinen Film in einem Regen aus Blut und Gedärm? Sicher nicht, obschon es die eine oder andere rustikale Szene zu sehen gibt. Argento begibt sich nicht auf das übliche "Folter-Slasher-Niveau", nutzt die Momente des Mettguts nicht als sinnfreien Selbstzweck, sondern versucht (IMHO überwiegend durchaus gelungen) damit die Atmosphäre zu verstärken. Dennoch muten die ruppigen Szenen nicht so stimmig an, wie man es aus anderen Filmen des Italieners kennt. So kommt z.B. "Suspiria" auch nicht ohne blutige, sadistische Momente aus, aber dort sind sie wie gemalt ausgeführt, kommen trotz ihrer offensiven Art schaurig-schön daher. Nicht die blutigen Szenen sind es, die "Mother of Tears" gewöhnlich erscheinen lassen. Es ist vielmehr die weitgehende Abwesenheit besonderer Momente, der Mangel an "Argento-Feeling". Wo sind die unfassbar genialen Kamerafahrten, wo ist das unglaubliche Gespür für Atmosphäre, Architektur, Farben und Formen? Es ist nicht verloren, doch blüht nur zaghaft im Hintergrund, blitzt immer nur kurzzeitig auf.
Wie ist es um die Damen und Herren vor der Kamera bestellt? Die Hauptrolle wird von Asia Argento gespielt, die Tochter des Regisseur arbeitete schon zuvor mit ihrem Vater zusammen. Asia spaltet oft die Gemüter, ich mag ihre direkte Art, ihre stets (mehr oder weniger stark ausgeprägte) nuttige Billigkeit, in der sich bei genauer Betrachtung eine erstaunliche Tiefe erkennen lässt. Die Darstellung der in einen Taumel des Grauens stürzenden Sarah gelingt Asia Argento gut, ich habe nichts an ihrer Darbietung zu bemängeln. Valeria Cavalli bringt die magisch begabte Sarah auf den richtigen Weg. Sie verleiht ihrer Rolle der Seherin Marta Colussi ein natürliche Wärme, gepaart mit der unaufdringlichen Attraktivität einer reifen Dame. Daria Nicolodi taucht als Geistererscheinung auf, spricht ihrer Tochter Mut zu. Eine sinn- und reizvolle Besetzung, da Dario Nicolodi bekanntlich auch im wahren Leben die Mutter von Asia Argento ist. Eine gewisse Moran Atias sehen wir als Mater Lacrimarum. Leider sind ihre schauspielerischen Qualitäten nicht der Rede wert, aber immerhin erfreut sie uns mit schmackhaften Einblicken (zu den Auftritten der "Tränen-Mutti" später noch ein paar Worte). Adam James gibt den zunehmend in Bedrängnis geratenden Wissenschaftler zufriedenstellend, kann aber keine Glanzpunkte setzen. Immerhin schlägt er sich besser als die sehr blassen Herren Cristian Solimeno und Robert Madison, die als Polizisten machtlos der unfassbaren Gefahr gegenüberstehen. Richtig gut ist der kurze Auftritt von Philippe Leroy, der als Alchimist einen sehr ambivalenten und reizvollen Part spielen darf. Udo Kier soll nicht unerwähnt bleiben, seine Szenen sorgen für Gekeife, Gegeifer und ein Blutbad. Insgesamt kann man dem Ensemble ein gutes Zeugnis ausstellen, auch wenn nicht alle Mitwirkenden rundum zu überzeugen vermögen.
An dieser Stelle muss ich erneut auf die optische und inszenatorische Qualität des Films eingehen. Zunächst war ich wenig angetan von den Szenen, in denen Mater Lacrimarum höchstselbst auftaucht. Besonders im Finale scheint Argento nicht mehr in der Spur zu sein. Aber ist dem tatsächlich so? Betrachte ich Mater Lacrimarums "finale Messe" mit Wohlwollen, fühle ich mich unweigerlich an ein Theaterstück erinnert, mutet die Inszenierung gar wie eine Verneigung vor dem Theater an. Einem Könner wie Dario Argento möchte ich daher unterstellen, dass er ganz bewusst diese Ausrichtung gewählt hat. Wirkliches Geschwächel stellt sich ein, wenn digitale Effekte in den Vordergrund treten. Von anderem Kaliber sind die Makeup-Arbeiten des bewährten Sergio Stivaletti. Argento hätte gut daran getan sich stärker auf "CGI-freie" FX zu konzentrieren, wäre besser mit Modellen, Masken und Prothesen gefahren (Immer wenn altbewährte Techniken zum Einsatz kommen, fügen sich die Effekte ansprechend in den Film ein). Die Musik steuerte Claudio Simonetti bei, der schon seit einer gefühlten Ewigkeit mit (und ohne) Goblin für Dario Argento tätig ist. Simonetti verlässt sich auf erprobte Zutaten, insgesamt tönt der Score aber zurückhaltender -und etwas beliebiger- als manch andere Arbeit des Musikers.
Was bleibt nach der ersten Sichtung von "La terza madre"? Ein Tal der Tränen? Eine überraschender Volltreffer? Nein, ein unterhaltsamer und angenehmer Horrorbeitrag, der zwar als Abschluss der Trilogie nur eingeschränkt funktioniert, aber weit von einem Desaster entfernt ist. Schon allein für sein Durchhaltevermögen verdient Dario Argento unseren Respekt!
Für den deutschen Markt wurde der Film leider gekürzt, Abhilfe schafft z.B. die Scheibe aus Österreich. Die Qualität der DVD geht in Ordnung, das Making of bietet zwar nur den üblichen Sülz, lohnt für den Argento-Fan aber trotzdem. Neben der Amaray-Version im Schuber, wurde die Disc auch in einer limitierten grossen Hartbox angeboten.
Uff, nun also die unselige Wertung per Zahlenraster. Werte ich den Film als eigenständiges Werk, ziehe ich gern solide 7/10 (gut). Es ist nur Nebelstocherei, doch hätte Dario Argento "La terza madre" bereits vor 25 Jahren realisiert, wäre der Regisseur vermutlich in der Lage gewesen, die Trilogie mit einem dritten Meisterwerk zu vervollständigen.
Lieblingszitat:
"Ich muss kämpfen, ich muss kämpfen!"
"Beruhigen Sie sich. Bitte! Nehmen Sie ihre Tropfen."
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Ferner gab es noch:
Die Folterkammer des Hexenjägers (USA 1963) - Frei nach "Der Fall Charles Dexter Ward" von H. P. Lovecraft, wurde dieser Roger Corman Streifen als weitere Edgar Allan Poe Verfilmung vermarktet. Vincent Price ist einmal mehr brilliant, die märchenhafte Atmosphäre ein Traum! Die DVD von e-m-s ist ordentlich, jeder Gruselfan sollte zugreifen!
7,5/10 (gut bis sehr gut)