
Ein Mann, gut situiert, wohlanständig, vielleicht technisch nicht ganz auf der Höhe der Zeit, wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Ein klassisches Noir-Sujet, das zufällig in einem Western-Ambiente spielt, in dieser Form aber auch im New York oder Los Angeles des 20. Jahrhunderts ablaufen könnte. Der Mann mit Namen Jones, er könnte aber auch Smith heißen oder Miller, ein Allerweltsmann eben, Jones also reist in eine Stadt, doch unterwegs wird der Zug überfallen. Zusammen mit einem Glücksspieler und einer Saloonsängerin muss Jones sich zu Fuß auf den Weg machen in die nächste Stadt. 100 Meilen Weg, so ungefähr. Doch Jones kennt sich hier aus, und er weiß, dass ein paar Meilen entfernt eine herabgekommene Farm liegt, wo man unterkommen kann. Er weiß aber auch, dass auf dieser Farm böse Menschen leben. Diejenigen Menschen, vor denen er vor vielen Jahren geflüchtet ist. Damals, als er die rechte Hand des Anführers einer Bande von Mördern und Dieben war. Jetzt steht er wieder inmitten seiner alten Gang, die ihn sofort wieder rekrutiert um einen Banküberfall auszuführen. Aber Jones hat sich geändert, Jones ist jetzt bürgerlich geworden, und er muss seine beiden Begleiter vor den völlig zügellosen Mördern beschützen. Um aus dieser Situation heil herauszukommen muss der Mann aus dem Westen alles, was er sich in den letzten Jahren antrainiert hat, fallenlassen, und wieder zu dem Tier werden das er einmal war.
Wenn man über diesen Inhalt nachdenkt werden Erinnerungen werden wach an Filme wie Robert Siodmaks GEWAGTES ALIBI, oder vielleicht auch Delmer Daves‘ DIE SCHWARZE NATTER. Männer – Gutbürgerliche, brave und aufrechte Männer, die sich gegen Gewalt und Kriminalität zur Wehr setzen müssen. Der Großstadtthriller war Ende der 50er-Jahre durch die Zensur regelmäßig zu einem Hurrageschrei staats- und linientreuer Patrioten herabgewürdigt worden (Ausnahmen wie Don Siegels DER HENKER IST UNTERWEGS bestätigen die Regel), aber im Western konnte so ein Sujet noch mit der dafür benötigten Wildheit und Brutalität gezeigt werden (was nicht ganz richtig ist, da Ende der 50er-Jahre die Gewalt im US-amerikanischen Film generell deutlich expliziter dargestellt wurde als noch wenige Jahre zuvor). Der Mann, um den es hier geht, lebt ausschließlich in der filmischen Gegenwart, und bei ihm sind weder Name noch Herkunft jemals wirklich definiert. Seinen Nachnamen wechselt er häufiger einmal, und er kommt aus irgendeinem Kaff im Westen. Jones lebt im Hier und Jetzt, das Früher ist für ihn abgeschlossen, und nur allmählich schafft er es, sich der benötigten Rauheit wieder zu öffnen, die er für sein Überleben benötigt. Dagegen stehen die Männer der Bande, Männer der Vergangenheit. Einer Vergangenheit, in der sie die Herrscher einer kleinen Welt waren, und wo jeder, der ihnen nicht passte, einfach niedergeknallt wurde. Jetzt verstecken sie sich in einer Bruchbude irgendwo im Nirgendwo, träumen von den vergangenen Heldentaten, und terrorisieren sich gegenseitig. Der Anführer, Dock Tobin, fühlt sich als Legende, und tatsächlich wird er da draußen in der Realität immer noch gesucht. Aber eigentlich ist er ein alter Mann geworden, dem seine Leute längst auf der Nase herumtanzen. Der junge Coaley, hart und hungrig nach Blut und Aufregung, widersetzt sich ihm wo er nur kann, und wird auch Jones‘ erbittertster Feind. Coaley liebt das Leben in der absoluten Freiheit, und diese Freiheit bedeutet ihm alles. Er ganz allein kann Jones ausschalten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Saloonsängerin Billie sich vor der versammelten Mannschaft ausziehen muss. Dock Tobin hat schon lange nicht mehr die Kraft, sich gegen solche Männer zu stemmen. Sein Traum ist es, wieder zu alter Stärke zu gelangen und die Bank in Lesous zu überfallen. Eine Bank, wo so viel Geld lagert wie man es noch nie gesehen hat. Lesous, oder auch Le Sous, das Unten. Dort, wohin die Männer absteigen müssen um ihre dreckigen Geschäfte erledigen zu können. Aber auch das Unten, wonach nichts mehr kommt. Der blutige Endpunkt einer Reise, denn wer nach Lesous kommt, der ist ganz unten angelangt …
Und zu guter Letzt verweigert sich Anthony Mann sogar einem 08/15-Happy-End: Seine Protagonisten fahren neben-einander in Richtung Zivilisation, nicht mit-einander. Nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, sondern eine Zweckgemeinschaft auf Zeit, die irgendwann nach dem Abspann ihr unweigerliches Ende nehmen wird. Ein melancholischer Schlusspunkt in einer kleinen und düsteren Geschichte, eingefangen in nüchternen und realistischen Bildern. Trotz des klischeehaften Comic-Reliefs des Glücksspielers und des genauso klischeehaften Love Interests ist DER MANN AUS DEM WESTEN eine archetypische Noir-Geschichte, die hier unerbittlich abrollt und den Zuschauer schnell mitzieht in diese archaische Welt voller Gewalt und Bosheit. Spannend!