Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Der Mann aus dem Westen (Anthony Mann, 1958) 7/10

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Ein Mann, gut situiert, wohlanständig, vielleicht technisch nicht ganz auf der Höhe der Zeit, wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Ein klassisches Noir-Sujet, das zufällig in einem Western-Ambiente spielt, in dieser Form aber auch im New York oder Los Angeles des 20. Jahrhunderts ablaufen könnte. Der Mann mit Namen Jones, er könnte aber auch Smith heißen oder Miller, ein Allerweltsmann eben, Jones also reist in eine Stadt, doch unterwegs wird der Zug überfallen. Zusammen mit einem Glücksspieler und einer Saloonsängerin muss Jones sich zu Fuß auf den Weg machen in die nächste Stadt. 100 Meilen Weg, so ungefähr. Doch Jones kennt sich hier aus, und er weiß, dass ein paar Meilen entfernt eine herabgekommene Farm liegt, wo man unterkommen kann. Er weiß aber auch, dass auf dieser Farm böse Menschen leben. Diejenigen Menschen, vor denen er vor vielen Jahren geflüchtet ist. Damals, als er die rechte Hand des Anführers einer Bande von Mördern und Dieben war. Jetzt steht er wieder inmitten seiner alten Gang, die ihn sofort wieder rekrutiert um einen Banküberfall auszuführen. Aber Jones hat sich geändert, Jones ist jetzt bürgerlich geworden, und er muss seine beiden Begleiter vor den völlig zügellosen Mördern beschützen. Um aus dieser Situation heil herauszukommen muss der Mann aus dem Westen alles, was er sich in den letzten Jahren antrainiert hat, fallenlassen, und wieder zu dem Tier werden das er einmal war.

Wenn man über diesen Inhalt nachdenkt werden Erinnerungen werden wach an Filme wie Robert Siodmaks GEWAGTES ALIBI, oder vielleicht auch Delmer Daves‘ DIE SCHWARZE NATTER. Männer – Gutbürgerliche, brave und aufrechte Männer, die sich gegen Gewalt und Kriminalität zur Wehr setzen müssen. Der Großstadtthriller war Ende der 50er-Jahre durch die Zensur regelmäßig zu einem Hurrageschrei staats- und linientreuer Patrioten herabgewürdigt worden (Ausnahmen wie Don Siegels DER HENKER IST UNTERWEGS bestätigen die Regel), aber im Western konnte so ein Sujet noch mit der dafür benötigten Wildheit und Brutalität gezeigt werden (was nicht ganz richtig ist, da Ende der 50er-Jahre die Gewalt im US-amerikanischen Film generell deutlich expliziter dargestellt wurde als noch wenige Jahre zuvor). Der Mann, um den es hier geht, lebt ausschließlich in der filmischen Gegenwart, und bei ihm sind weder Name noch Herkunft jemals wirklich definiert. Seinen Nachnamen wechselt er häufiger einmal, und er kommt aus irgendeinem Kaff im Westen. Jones lebt im Hier und Jetzt, das Früher ist für ihn abgeschlossen, und nur allmählich schafft er es, sich der benötigten Rauheit wieder zu öffnen, die er für sein Überleben benötigt. Dagegen stehen die Männer der Bande, Männer der Vergangenheit. Einer Vergangenheit, in der sie die Herrscher einer kleinen Welt waren, und wo jeder, der ihnen nicht passte, einfach niedergeknallt wurde. Jetzt verstecken sie sich in einer Bruchbude irgendwo im Nirgendwo, träumen von den vergangenen Heldentaten, und terrorisieren sich gegenseitig. Der Anführer, Dock Tobin, fühlt sich als Legende, und tatsächlich wird er da draußen in der Realität immer noch gesucht. Aber eigentlich ist er ein alter Mann geworden, dem seine Leute längst auf der Nase herumtanzen. Der junge Coaley, hart und hungrig nach Blut und Aufregung, widersetzt sich ihm wo er nur kann, und wird auch Jones‘ erbittertster Feind. Coaley liebt das Leben in der absoluten Freiheit, und diese Freiheit bedeutet ihm alles. Er ganz allein kann Jones ausschalten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Saloonsängerin Billie sich vor der versammelten Mannschaft ausziehen muss. Dock Tobin hat schon lange nicht mehr die Kraft, sich gegen solche Männer zu stemmen. Sein Traum ist es, wieder zu alter Stärke zu gelangen und die Bank in Lesous zu überfallen. Eine Bank, wo so viel Geld lagert wie man es noch nie gesehen hat. Lesous, oder auch Le Sous, das Unten. Dort, wohin die Männer absteigen müssen um ihre dreckigen Geschäfte erledigen zu können. Aber auch das Unten, wonach nichts mehr kommt. Der blutige Endpunkt einer Reise, denn wer nach Lesous kommt, der ist ganz unten angelangt …

Und zu guter Letzt verweigert sich Anthony Mann sogar einem 08/15-Happy-End: Seine Protagonisten fahren neben-einander in Richtung Zivilisation, nicht mit-einander. Nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, sondern eine Zweckgemeinschaft auf Zeit, die irgendwann nach dem Abspann ihr unweigerliches Ende nehmen wird. Ein melancholischer Schlusspunkt in einer kleinen und düsteren Geschichte, eingefangen in nüchternen und realistischen Bildern. Trotz des klischeehaften Comic-Reliefs des Glücksspielers und des genauso klischeehaften Love Interests ist DER MANN AUS DEM WESTEN eine archetypische Noir-Geschichte, die hier unerbittlich abrollt und den Zuschauer schnell mitzieht in diese archaische Welt voller Gewalt und Bosheit. Spannend!
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
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Maulwurf
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Romeo is bleeding (Peter Medak, 1993) 7/10

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Ein Mann tut nicht immer das, was für ihn am besten ist. Manchmal tut er das Schlechteste.

Jack zum Beispiel. Jack ist Polizist. Weil Jack aber Träume hat, und diese Träume Geld kosten, hat er seine Haut an den mächtigen Don Falcone verkauft. Jack verrät der Mafia, wo die Bundespolizei die Mafia-Kronzeugen unterbringt, im Gegenzug bekommt er einen Haufen Geld. Alles läuft gut, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die russische Mörderin Mona Demarkov auftaucht. Die nämlich soll erledigt werden, und Jack gibt den Namen des konspirativen Hotels auch schnurstracks weiter. Aber als die Mafiakiller dort ankommen, ist Mona längst umquartiert – Und Jack soll das Problem schnellstens lösen, und zwar auf allerhöchste Anweisung des Bosses persönlich. Denn andernfalls wird seine Frau zerstückelt, wird sein Haus angezündet, und werden seiner Freundin die Eingeweide herausgerissen. Das eine Problem bei der Sache ist, dass Mona immer genau dort ist, wo Jack sie gerade nicht vermutet. Zum Beispiel direkt vor ihm. Das andere Problem ist, dass seine Libido beim Anblick Monas regelmäßig überschwappt …

Ein mehr als nur kleiner Hauch von Noir weht über die Bühne, wenn die ersten Bilder von ROMEO IS BLEEDING eine Wüste zeigen, ein heruntergekommenes Diner, und einen einsamen Mann, der darauf wartet, dass sein Schicksal sich vollzieht. Wir reisen in die Vergangenheit dieses Mannes und lernen, dass er mal ein respektabler Polizist war, eine schöne Frau und ein schmuckes Häuschen hatte, und dass es ihm gut ging. Und wir lernen, dass er Träume hatte. Träume, die einen Mann schnell einmal auf die schiefe Bahn bringen können.

Viele der Figuren in diesem Film sind irgendwie größer als in der Wirklichkeit. Größer, oder schmutziger, oder gemeiner, kaum ein Charakter ist hier in irgendeiner Weise realistisch. Nicht Gary Oldman, der als käuflicher Cop offensichtlich für seine Rolle des ein Jahr später entstandenen LEON – DER PROFI übt. Nicht ein Botox-geglätteter Roy Scheider als Don Falcone, der wie ein überspitzt formulierter Michael Corleone wirkt. Und überhaupt, dieser Name: Richter Giovanni Falcone wurde bei Palermo 1992 von der Mafia auf bestialische Weise ermordet, und ich bin mir nicht sicher, ob ein Mafiaoberhaupt mit dem Namen Falcone eine stille Hommage oder eine Satire sein soll. Und am allerwenigsten realistisch ist Lena Olin als Mona, die Killerin in Strapsen, die sich mit der Flex einen Arm amputiert um den eigenen Tod vortäuschen zu können. Ihre Rolle ist deutlich zwischen BASIC INSTINCT (aus dem gleichen Jahr!) und Filmen von, sagen wir, Jim Wynorski oder David Decoteau angesiedelt: Pure Gewalt in Gestalt einer fleischgewordenen Sexfantasie, die den kleinen Jack nur am Schniepel zu ziehen braucht um eine willige Marionette zu haben. Wobei die spekulative Frage gestattet sein mag, was passiert wäre, wenn Mona und Jacks Frau Natalie sich einmal getroffen hätten. Ob hier die grobe Handlung von LEON vorweggenommen worden wäre …?

Aber im Ensemble funktionieren all diese Kasperlefiguren erstaunlich gut. Die Polizisten sind für New Yorker Verhältnisse erstaunlich wenig korrupt, die Mafia ist erstaunlich zurückhaltend in ihren Methoden, und die russische Auftragskillerin ist in ihrer Gesamtheit einfach erstaunlich. Ein wunderbares Schmierentheater mit einer wunderbar melancholischen Grundstimmung, die nicht auf elegante Shootouts setzt, sondern sich lieber vielmehr darin gefällt, über lange Zeit den Abstieg des Jack Grimaldi so lustvoll-grausam wie möglich zu erzählen. Erst im letzten Drittel nimmt die Gewalt erstaunliche Ausmaße an, und im gleichen Umfang wie die Gewaltexzesse sich steigern, wächst auch die Fähigkeit der Protagonisten, selbst schwere Verletzungen problemlos zu überstehen. ROMEO IS BLEEDING entpuppt sich als Comic im Neo Noir-Gewand, das über Superhelden und Superschurken mit Marvel-Touch (nämlich mit menschlichen Schwächen) versucht, einen ernstzunehmenden Thriller zu inszenieren, stattdessen aber etwas gegen die Wand fährt, was einer Krimiparodie erstaunlich ähnelt: Comics übernehmen die Herrschaft über die Realität, und am Ende dieser Entwicklung wird ein Film wie SIN CITY stehen, der mit ähnlich überzogenen Figuren und mit dem bewussten Verlust jeglicher Bodenhaftung ein Fass aufmacht, dessen Bodensatz mit Filmen wie ROMEO IS BLEEDING angereichert wurde.

ROMEO IS BLEEDING macht Spaß wenn man sich darauf einlässt, und er hat mit seinen Figuren und seiner Stimmung Filmemachern wie Quentin Tarantino, der im gleichen Jahr den etwas wilderen TRUE ROMANCE schrieb, den Weg geebnet: Die lakonischen Hard Boiled-Luschen auf ihrem Weg in den ganz persönlichen Untergang. Und dann passt auch der Cameo von Dennis Farina als Kronzeuge, der sich die Seele aus dem Leib labert, womit wir ganz schnell zu eben diesen Dialogen Tarantinos kommen, zu Tarantinos europäischem Epigonen Guy Ritchie, und zu Farinas großartigem Auftritt als Mafioso in Ritchies BUBE, DAME, KÖNIG, GRAS. Bloß ROMEO IS BLEEDING ernstnehmen, das darf man auf keinen Fall …
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Maulwurf
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Trio Infernal (Francis Girod, 1974) 7/10

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Filme über Zeitgenossen, die aus reiner Gier andere Menschen gleich reihenweise ermorden, kennt man eigentlich eher aus amerikanischen Filmen. Aber aus Frankreich? Spannenderweise gab es den Serienmörder Georges Sarret tatsächlich, und die hier geschilderte Geschichte scheint extrem nah an der Wirklichkeit, bis hin zu dem Fakt, dass die Namen der Personen die historisch korrekten Namen sind …

Im Frankreich der 20er Jahre lernt der Wirtschaftsanwalt Georges Sarret die junge Deutsche Philomène Schmidt kennen. Er kommt auf den Idee, Philomène mit einem alten und kranken Mann zu verheiraten, eine Lebensversicherung auf dessen Frau abzuschließen (wobei die erforderliche ärztliche Untersuchung mit Hilfe eines Komplizen und ein wenig Schminke problemlos durchgeführt werden kann), und gegebenenfalls beim Tod des alten Mannes ein klein wenig nachzuhelfen. Als Philomènes Schwester Catherine dazustößt ist das Trio Infernal komplett. Mehrere Hochzeiten und Todesfälle später wird der Komplize, weil er zu gierig wurde, mitsamt seiner Freundin ermordet und in Schwefelsäure aufgelöst, und anschließend ist die Bahn frei für einen richtig großen Plan: Philomène organisiert eine junge und kranke Waise, Catherine pflegt diese, und wenn die Waise stirbt wird offiziell Catherine Schmidt sterben und das Geld für fünf(!) Lebensversicherungen eingestrichen. Ob das gut geht?

Wie gesagt, der Film orientiert sich bis auf ein oder zwei kleinere Ausnahmen an der wahren Geschichte, und ist auch ohne diese Vorkenntnisse sehr wohl zu goutieren. Allein die lange und sehr intensive Auflösung der beiden Leichen mittels Schwefelsäure und das Wegschaffen des dadurch entstanden Breis ist düsteres und intensives Kino wie man es nicht oft sieht. Doch der Weg dorthin dauert ein wenig, und die Beziehung zu den Figuren aufzubauen ist nicht ganz einfach, sind doch alle drei Charaktere von Grund auf schlechte Menschen, deren Haupteigenschaften Habgier und Habsucht sind, gepaart mit einer gesunden Bereitschaft über Leichen (beziehungsweise das was von ihnen übrig ist) zu gehen. Die geld- und lebensgierige Philomène, dargestellt von einer Romy Schneider auf dem absoluten Höhepunkt ihres Könnens, ist natürlich herauszuheben, genauso wie die Skrupellosigkeit Sarrets (Michel Piccoli). Sicher, beide wollen raus aus dem spießigen Muff der frühen 20er-Jahre, aus dem scheinbar sicheren und ruhigen Lebens eines Anwalts und seiner Geliebten. Aus der Kleinbürgerlichkeit und dem Spießertum. Beide wollen feiern, wollen leben, Liebe machen … Der Weg von hier bis zu den Charakteren aus Filmen wie beispielsweise GRIFTERS ist ein logischer Weg, trotz des grundsätzlich anderen Ansatzes, und wer Filme über Trickbetrüger mag, könnte möglicherweise auch bei TRIO INFERNAL seinen Spaß haben, der sich aber nicht im bieder-heimeligen Ambiente US-amerikanischer Filme wohlfühlt, sondern eher von Begriffen herkommt wie Zynismus oder Menschenverachtung.

Als Gegensatz zu dem wahrlich teuflischen Duo Sarret/Philomène dann Mascha Gonska als Catherine, die ruhiger als Philomène erscheint, aber in deren Adern die gleiche unruhige Lust nach Liebe und Leben fließt. Und mit deren Schicksal, das im Film ein wenig anders als im wahren Leben verlief, wird dann auch die Nähe zum Zuschauer aufgebaut. Catherine ist die einzige des Trios, die sich Gefühle erlaubt, oder die es zum Kotzen findet, Leichen wegschaffen zu müssen. Und auch der Plan mit Magalie, dem kranken Mädchen, scheint Catherine nicht immer zu schmecken, obwohl die von Sarret verordnete lesbische Liebe doch gleichzeitig auch eine gewisse indifferente Zuneigung erzeugt. Das, was an dieser Stelle zwischen Catherine und Magali angedeutet wird, hat viel mit Erniedrigung und Demütigung zu tun, und Catherines schlussendliche Reaktion darauf ist möglicherweise der einzig richtige Weg. Gleichzeitig fällt auf, dass Magali innert kürzester Zeit eine robuste Gesundheit an den Tag legt, was andeutet, dass auch Magali in diesem Spiel aktiv dabei ist, anstatt nur als Figur über das Spielbrett geschoben zu werden. Aus exploitativer Sicht ein bemerkenswerter Gedanke …

Das, was das unheilige Dreigestirn Piccoli, Scheider und Gonska hier abliefert, ist menschenverachtender Hedonismus auf allerhöchstem (Schauspiel-) Niveau, ähnlich wie es sonst nur spanische oder italienische Exploitationer der untersten Kategorien hinbekommen, untermalt von einer leichten und komischen Musik Ennio Morricones, die aber unmerklich immer düsterer und abgründiger wird, und das Treiben sehr zutreffend beschreibt. Sind die ersten kleinen Betrügereien noch verspielt und heiter, so ist spätestens der Mittelteil des Film, die Ermordung von Chambon und Noemie, eine Tortur für die Charaktere genauso wie für den Zuschauer. Wir begleiten die drei Infernalischen hautnah dabei, die Toten in das obere Stockwerk zu bugsieren und in Schwefelsäure aufzulösen, was nicht ohne Kotzerei und ordentlich Ekelhaftem vonstattengeht. Noch intensiver und anstrengender ist es, die aufgelösten Leichen als mit Fleischbrocken und Knochen durchsetzte Suppe wieder in den Garten zu bringen, um sie dort mit dem Erdreich zu vermanschen. Eine Knochenarbeit, im wahrsten Sinne des Wortes, und nicht nur bei den Figuren liegen die Nerven blank. Selbst der kurze Imbiss Catherines sieht in diesem Zusammenhang aus wie etwas, was man normalerweise eigentlich nicht essen mag, während Philomène gleichzeitig ihre erwachenden sexuellen Begierden nicht mehr unterdrücken kann …

Und so entwickelt sich TRIO INFERNAL von einer mit Sex und mehr oder weniger knuffigen Betrügereien durchzogenen, leichten Geschichte zuerst zu einer ekeligen und blutigen Moritat, um dann, mit der Handlung rund um das junge Mädchen mit Tuberkulose, zu einer widerlichen und abgrundtief bösen Story um Manipulation zu werden. Hier schwinden die Sympathien für die Figuren schnell, und einzig Catherine bleibt als Identifikationsfigur noch übrig, gerade weil sie von wirklich allen Beteiligten dieses miesen Spiels bis zur letzten Konsequenz ausgenutzt wird. Mit dieser Episode werden Emotionen ins Spiel gebracht, die den Zuschauer nachhaltig schmerzen, und ihn am Ende plötzlich und unerwartet niederwerfen. Und doch ist es gleichzeitig grotesk was hier alles passiert: Grotesk sind die verschiedenen Hochzeiten, grotesk ist die Auflösung der Leichen am Heiligabend, und grotesk ist der zur Schau gestellte Zynismus der Charaktere. TRIO INFERNAL erweist sich dadurch als bitterböser und stellenweise exploitativer Kommentar zur Befindlichkeit der Bourgeoisie, die hier ihre Phantasien ausleben darf, und dabei vor nichts und niemandem Halt macht. Geld und Sex, Sex und Geld, und gerne auch ein gerüttelt Maß an Macht, das ist es, was die Spießbürger dieser Welt antreibt. Wirklich nur die Spießbürger? Wenn wir ehrlich sind ist es doch das, was uns alle antreibt, und vielleicht wären wir auch gerne wie Sarret und Philomène: Skrupellos, versaut, rücksichtslos, und geil. Ein Film als Spiegelbild der Gesellschaft, und zwischen den Zuständen im Jahr 1925, 1974 und 2025 scheint gar kein großer Unterschied mehr zu liegen …
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Maulwurf
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8 Blickwinkel (Pete Travis, 2008) 8/10

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Salamanca, Spanien. Ein Attentat auf den Präsidenten der USA, und fast gleichzeitig ein verheerender Bombenanschlag auf ein internationales Treffen zur Bekämpfung des Terrorismus. Viele Opfer, Chaos, Entsetzen, und mittendrin eine Gruppe Personen. 8 BLICKWINKEL erzählt, wie diese Minuten aus dem jeweiligen, ja, Blickwinkel dieser Personen ablaufen. Was da passiert. Was diese Personen wissen. Und vor allem was sie nicht wissen. Für den Zuschauer ergibt sich am Ende ein schlüssiges Bild, aber eben auch nur für den Zuschauer …

Rex Brooks: Knüppelharte Nachrichtenredakteurin, die eine Horde von Kameraleuten quer über die Plaza der Stadt jagt, und gleichzeitig das Bindeglied ist zwischen der Reporterin draußen vor dem Ü-Wagen und dem Nachrichtensprecher daheim im Studio. Rex Brooks sieht auf ihrem Bildschirm, wie der Präsident von den Kugeln getroffen wird. Sie hört eine kleinere Explosion. Und Thomas Barnes stürmt in ihren Übertragungsraum und will die Bilder des Attentats überprüfen.

Thomas Barnes: Special Service-Agent, der dem Präsidenten letztes Jahr einmal das Leben gerettet hat indem er die für diesen bestimmte Kugel mit seinem eigenen Körper auffing, und jetzt seinen ersten Einsatz seit diesem Zwischenfall hat. Sein Job ist es, den Präsidenten bei der Rede auf der Plaza zu beschützen. Und gleichzeitig allen zu zeigen, dass er wieder fit ist. Da, ein Mann in der Menge greift in die Jackentasche! Ein schneller Schlag auf den Arm - und die Kamera des Touristen fällt zu Boden. Und da, ein sich bewegender Vorhang in einem eigentlich leeren Gebäude. Vielleicht nur der Wind. Vielleicht ein Attentäter? Und wer ist der Mann, der mit dem Rücken zum Präsidenten filmt? Genau dorthin, wo der Vorhang sich bewegt, der sich nicht bewegen dürfte …

Howard Lewis: Tourist aus den USA, der eine Auszeit von der Familie braucht und eine Europareise macht. Mit seiner Videokamera filmt er alles was für ihn eine fremde Welt ist und was ihn fasziniert. Und das Ereignis, den eigenen Präsidenten live zu erleben, lässt er sich natürlich nicht entgehen. Er filmt die Gebäude rund um die Plaza. Er filmt den Präsidenten. Er filmt, als die Kugeln ihr Ziel treffen. Und er filmt immer noch, als eine Frau eine Tasche unter die Bühne schleudert. War die Frau nicht vorhin mit dem Spanier zusammen, der sich als spanischer Polizist entpuppt?

Enrique: Ein spanischer Polizist, dessen Aufgabe es ist, den Bürgermeister von Salamanca zu beschützen. Da er aber in Zivilkleidung unterwegs ist, kollidieren seine Interessen auf Schärfste mit denen von Thomas Barnes. Ist Enrique wirklich ein Polizist? Wer ist die Frau, die er mit ihrem Liebhaber gesehen hat, und die er dafür böse rügt? Ist das die Frau mit der Tasche? Wieso sitzt diese Frau jetzt als Rettungssanitäterin in einer durch die Stadt rasenden Ambulanz, die Enrique wie ein Verrückter verfolgt?

Präsident Ashton: Der Mann, um den sich narrativ alles dreht. Ein US-Präsident hat aber natürlich eine komplett andere Sicht auf die Dinge als ein Personenschützer, ein Tourist oder eine Nachrichtenredakteurin. Ein US-Präsident sieht Dinge, die sonst niemand weiß, außer seinen engsten Vertrauten. Und auch die vielleicht nicht immer …

Die Geschichte an sich ist nicht unbedingt logisch, und in dem Augenblick, in dem das in sich geschlossene Konzept des Sprengstoffanschlags verlassen wird und aus dem Film eine hektische und übereilte Hetzjagd durch die vollgestopften Straßen Salamancas wird, in dem Augenblick verliert der Film leider auch einiges von seiner inneren Spannung, was aber durch das hohe Tempo durchaus wettgemacht wird. Die erste Hälfte von 8 BLICKWINKEL hingegen ist so grandios aufgebaut, mit den Menschenmengen, dem Attentat auf den Präsidenten und der Explosion auf der Plaza, und dies alles immer und immer wieder, jeweils mit einem anderen Hauptakteur und einer anderen subjektiven Darstellung, dass die kleinen Löcher in der Story weder auffallen noch interessieren. Die Story baut einen immensen Druck auf und kann diesen Druck auch sehr lange halten. Der Zuschauer wird in den Strudel der Erlebnisse gerissen und fühlt sich, als ob er bei dem Anschlag tatsächlich live dabei ist. Inklusive der anschließenden Erschöpfung.

8 BLICKWINKEL erzählt einen Zeitraum von ungefähr einer halben Stunde aus den Perspektiven unterschiedlicher Menschen. Jeder sieht etwas anderes, jeder erlebt etwas anderes, und die Kreuzungspunkte dieser Menschen, wenn sie sich treffen und Informationen oder auch Kugeln austauschen, sind die Fixpunkte der Geschichte. Rund um diese Punkte baut sich eine ungeheure Spannung auf, reißt die Dynamik der Erzählung der Zuschauer mit sich fort und presst ihn erfolgreich auf sein Sofa. So und nicht anders geht gut unterhaltendes Actionthriller-Kino mit Anspruch! Ein Film, den ich gerne mal im Kino sehen würde …
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Maulwurf
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Scorpio, der Killer (Michael Winner, 1972) 8/10

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Der CIA-Agent hat den jungen Auftragskiller schon vor langer Zeit unter seine Fittiche genommen und ihm alles beigebracht, was man zum Überleben in diesem Metier so braucht. Jetzt ist der CIA-Agent älter geworden, und sein Chef hält ihn für entbehrlich. Schlimmer noch, der Agent soll angeblich ein Verräter sein und Geheimnisse an die Konkurrenz hinter dem Eisernen Vorhang verkaufen. Der CIA-Agent muss weg, und der richtige für diesen Job ist dessen jüngerer Schützling. Der allerdings frühzeitig weiß, dass er selber auf der Abschussliste der Agency steht. Der ausgesprochen akribisch vorgeht, eben weil das Überleben in seinem Job von akribischem Vorgehen abhängt. Und der vielleicht keine Skrupel hat seinen alten Freund zu töten, der aber genau, ganz genau sogar, wissen will warum er dies tut. Und an dieser Stelle hat die Agency keine überzeugenden Antworten …

Ein alter CIA-Agent also, und ein junger Killer. Der Alte hat den Jungen ausgebildet, ihm das Rüstzeug zur perfekten Tötungsmaschine mitgegeben, und jetzt soll der Junge den Alten umbringen. Eine Handlung, die erstmal wenig Überraschungen verspricht, und schnell auch mal im Mittelmaß der uninteressanten Actionszenen und pseudo-philosophischen Dialoge versinken könnte.

Regisseur Michael Winner hat einen anderen Weg gewählt: Als Darsteller des altgewordenen Außenagenten Burt Lancaster, der dem altgedienten CIA-Agenten Cross viel Ausstrahlung und eine gesunde Portion Lebenserfahrung mitgeben kann. Und der junge und hungrige Killer Scorpio wird von Alain Delon gegeben, der hier vor der Situation stand, dass er als europäischer Superstar in einem amerikanischen Film ein No Name war, der sich seinen Namen erst erspielen musste. Der also das junge und hungrige, das seine Rolle verlangte, auch als Schauspieler an den Tag legen musste. Beide Darsteller agieren wie gewohnt erstklassig, und können ihre Rollen mehr als nur reichlich ausfüllen.

Der dritte Darsteller ist die Stadt Wien, in der große Teile der Handlung spielen. Wien mit seiner Melancholie, mit der alten und ehrwürdigen Tradition als Drehscheibe zwischen Ost und West. Als Tummelplatz der Agenten. Wo das Strandgut des zweiten Weltkrieges eine neue Heimat fand, und damit meine ich beide Seiten der Heimatlosen, und die vor allem in den Zeiten des Kalten Krieges immer eine besondere Rolle innehatte. Der alte Mann Cross und der junge Killer Scorpio also inmitten dieser Geschichte und vergangene Dekadenz atmenden Kulissen, die aber auch modern können. Cross und sein Freund Lang, sitzen in einem Straßencafé, draußen rauscht der Verkehr der modernen Stadt vorbei, und im Hintergrund spielt eine Musikerin auf der Zither. Wiener Flair – Alt und modern nebeneinander, und es muss nicht immer passen, aber es ist diese spezielle Atmosphäre von Gestern und Heute, von Alt und Neu. Von Jung und Alt …

Überhaupt, dieser Freund Lang, eine Figur wie aus einem der frühen Romane von Robert Ludlum. Ein Überlebender aus einem KZ, Musiker ein Leben lang, der jetzt in Wien lebt, nach 30 Jahren endlich wieder Brahms spielen kann ohne die Bilder in seinem Kopf zu haben, und der diejenigen, die in die Gasduschen mussten, als glücklich bezeichnet, weil für sie die Qual ein Ende hatte. Cross hat Lang aus dem KZ befreit, und dafür wird Lang ihm ewig dankbar sein. Eine Gestalt, wie sie damals in Europa sicher nicht untypisch war, und wie sie in Romanen und Filmen immer wieder auftauchte. Sei es eben in den Ludlum.-Romanen oder in Filmen nach Johannes Mario Simmel, in denen sich Krieg und Gegenwart oft auf eine ähnliche Weise vermischten.

Daneben dann Scorpio, der Killer. Der neben seinem Job als eiskalter Engel auch ein hoffnungsloser Romantiker ist, der seine Freundin in Washington mit Blumen überhäuft und mit ihr gerne kuschelig Essen geht. Und der gleichzeitig seinen Job perfekt beherrscht, mit schurkischen Auftraggebern genauso gut verhandeln kann wie vermeintlichen Freunden das Lebenslicht auszublasen. Scorpio passt perfekt in dieses Wien zwischen den Zeiten, denn auch er ist ein Mensch zwischen den Welten. Genauso wie Cross, den sein Job nicht zu sehr abgehärtet hat, und der seine Frau und seine Freiheit immer noch mehr liebt als alles andere. Cross bewegt sich wie ein guter und erfahrener Agent sich bewegt: Im Zickzack, immer vorwärts, niemals stehenbleiben wenn er gejagt wird, immer sehr viele Schritte vorausdenkend. Darum braucht das psychische Duell Cross versus Scorpio gar keine gehäuften Actionszenen, allein durch die Ähnlichkeit dieser beiden Männer und ihrer zur Schau gestellten Sensitivität entsteht schon genügend Spannung. Die zentrale Verfolgungsjagd der beiden durch die U-Bahn-Baustelle der Stadt Wien ist packend inszeniert, pure Hochspannung, und hat eine starke Auflösung, aber die eigentliche Spannung des Films speist sich aus eben dem Duell dieser beiden Ausnahmeschauspieler und gut erdachten Charaktere. Beide Männer sind Wanderer zwischen den Welten, genauso wie die Umgebung in der sie sich bewegen. Es ist faszinierend und in hohem Maße aufregend den beiden zuzuschauen, und der salomonische Schluss des Films passt dann auch noch in der gleichen Perfektion zu diesen Männern. Großes Starkino aus Zeiten, in denen nicht der Special Effect das Maßgebliche war, sondern die Wucht der Erzählung. Erstklassig!
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Luminous procuress (Steven Arnold, 1971) 6/10

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Wie beschreibt man den Inhalt eines Films, der keinen Inhalt hat? Zwei junge Männer gehen in ein Haus, erhalten von der Hausherrin offensichtlich die Erlaubnis, sich das Haus anschauen zu dürfen, und betreten dann, geführt von eben der Hausherrin, eine andere Welt. Sie sehen Liebe und Lust, sie sehen fröhliche und sinnliche Menschen beider Geschlechter, die ihr Leben nicht mit Hass und Krieg vertrödeln, sondern sich der gegenseitigen Liebe und der Freude zugewandt haben. Die essen, Feste feiern, miteinander reden, lachen, Sex haben …

Wie ordnet man einen Film ein, der sich jeglicher Einordnung entzieht? 1971 war der Traum vom unbeschwerten Hippieleben vorbei, und in den Straßen der Städte hielt längst die Realität in Form von Gewalt und Drogenabhängkeit Einzug. Mit Blumen im Haar nach San Francisco trampen? Liebe und Frieden? Miteinander statt gegeneinander? Vielleicht war es in San Francisco noch ein wenig anders, vielleicht hielt sich in der dortigen Wärme und entspannten Atmosphäre die Freude am Leben und an der Lust länger als anderswo. 1969 wurde, im „traditionellen“ Hippie-Viertel Ashbury Heights, die Theatergruppe THE COCKETTES gegründet, die sich auf die Traditionen aus Stummfilm, klassischem Hollywoodfilm und Broadway-Musicals genauo bezog wie auf Kunstrichtungen wie Surrealismus und Kubismus. Die Cockettes waren letzten Endes ein nicht-kommerzielles Künstlerkollektiv, genius hippie drag queens, pretty girls and babies all covered in glitter, wie es die Künstlerin Esmeralda ausdrückt (1).

Doch wie nähert man sich als heterosexueller Mann im 21. Jahrhundert einer queeren Künstlergruppe aus dem 20. Jahrhundert an? Und deren Präsentation? LUMINOUS PROCURESS schildert letzten Endes nichts anders als die Reise zweier junger Männer (und des geneigten Zuschauers) in die Welt von dem, was heute vereinfachend Queerness genannt wird: Die (sexuelle) Selbstbestimmung eines Menschen, unabhängig von auferlegten Erwartungen oder gesellschaftlichen Vorgaben, immer unter der Einhaltung des grundlegenden Gebots, dass Sex zwischen einer beliebigen Anzahl Menschen immer einvernehmlich zu sein hat, um damit das maximale an Lust und Erfüllung herauszuholen.

Nichts anderes zeigt dieser Film: Die Initiation in eine philosophische und sexuelle Welt, die damals wie heute unendlich weit weg scheint für Menschen wie mich, die sich wie erwähnt selber als hetero einordnen. Die sich niemals vorstellen können, in die Kleidung und die Darstellung des anderen Geschlechts zu schlüpfen. Oder gar, Gott bewahr, Sex mit Menschen des gleichen Geschlechts zu haben …

An dieser Stelle versagte der ursprüngliche Wortfluss nach der Sichtung des Films, und einige Zeit kamen andere Gedanken an die Oberfläche. Gedanken, die von den gesehen Bildern und der Atmosphäre des Films inspiriert waren: Was wäre, wenn man ein anderes Leben führen würde? Nicht die praktizierte Unterordnung unter die ökologische Sicherheit, mit der Aufopferung an den Gott Mammon und die zeitlich schier unbefristete Hingabe an den gefüllten Kühlschrank und das ausreichende Bankkonto, sondern wenn man sich zurückziehen könnte aus dem eigenen Leben, um so zu existieren, wie man es sich vor vielen Jahren einmal erträumt hatte. Frei zu sein, Natur zu erleben, Liebe zu machen, und die Grenzen des Denkens und der Vernunft zu erweitern …
Wo sind die Ideale der Jugend hin? Warum hat man die Möglichkeiten nicht genutzt, sondern sich unterbuttern lassen unter die kapitalistische Wahnvorstellung vom konsumistischem Wohlergehen?
Dies sind die Gedanken, die nach dem Sehen von LUMINOUS PROCURESS hochkamen, und die sehr schmerzten. Der Film erschafft für 74 Minuten eine Welt, die im Jahr 2025 undenkbar scheint. Eine Welt, in der nicht der ökonomische Zwang vorherrschend ist, sondern die Lust am Leben, an der Liebe, an der Erforschung des eigenen Seins unter Einbeziehung anderer Menschen, die die gleichen Erfahrungen machen möchten. Die so etwas altmodisches wie Liebe leben wollen, und nicht den Hass und die Engstirnigkeit des 21. Jahrhunderts. Eine Phantasie, sicher, aber eine schöne Phantasie. Eine, die Lust macht. Und wer sich jetzt hier angesprochen fühlt, dem kann dieser Film nur wärmstens empfohlen werden, trotz der sitzfleischerfordenden Machart und der eher enervierenden elektronischen Klangkulisse. Gesprochen wird hier sowieso nicht, von daher mein Tipp: Film einlegen, und dazu Musik hören, die einen sich individuell gut fühlen lässt. Wohlfühlen. Und bloß nicht darüber nachdenken, an welchen Stellen im Leben man falsch abgebogen ist, sondern vielmehr, ob sich nicht noch etwas ändern lässt …

(1) https://en.wikipedia.org/wiki/The_Cockettes
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Quantez, die tote Stadt (Harry Keller, 1957) 6/10

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Quantez, ein kleines und verkommenes Kaff irgendwo im Nirgendwo. Auf dem Weg zwischen der ausgeraubten Bank und Mexiko ein willkommener Unterschlupf. Außenrum nur Wüste und Kojoten. Doch wo sind die Einwohner? Der Ort ist völlig verwaist, was die vier Männer und die Frau vor Rätsel stellt. Heller ist der Anführer, der mittels Einschüchterung und Pistole den anderen befiehlt was sie zu tun haben. Doch das Hirn, das hat Gentry, der ältere und müde Mann, der alle Wasserstellen in der Wüste kennt. Im Gegensatz zum jungen und unerfahrenen Teach, der noch gar nichts weiß, so viel lernen müsste, und der sich partout nichts vorschreiben lassen will. Dann ist da noch Gato, das Halbblut das gar keines ist. Gato ist Weißer, aber bei den Indianern großgeworden, und ihnen gehört auch seine Sympathie. Und zu guter Letzt Chaney, eine älter gewordene Saloonsängerin, und alle Männer der Gruppe wollen eigentlich gar nicht die Beute, sondern nur Chaney. Und wenn sie vom Gold reden, dann meinen sie eigentlich Chaney mit den Haaren aus gesponnenem Gold. Eigentlich gehört Chaney zu Heller, aber die Avancen von Teach reizen sie sehr, und selbst der nüchterne und pragmatische Gentry kann sich ihren Reizen nicht völlig entziehen.
Vier Männer und eine Frau in einem verlassenen Kaff in der Wüste. Und nur vier Pferde zur Verfügung. Draußen lauern Indianer, aber die viel größere Gefahr sind sie sich selbst. Die Eifersucht, die Machtspiele, die Verlockung des vielen Geldes, die Gier nach Sex …

Und so ist QUANTEZ tatsächlich ein Kammerspiel, das im Wesentlichen in einer einzigen Nacht in einer abgelegenen und unzugänglichen Ortschaft spielt. Der zentrale Ort ist der Saloon, wo alle Fäden zusammenlaufen, und auch wenn der Saloon öfters einmal verlassen wird, so konzentriert sich doch alles hier, in diesen Kulminationspunkt der Gefühle und der Wahrheiten. Hier wird getrunken, hier wird um die Gunst Chaneys gestritten, hier wird Gato gefoltert. Die Nacht und die möglicherweise wartenden Indianer werden ignoriert und dem eigenen Affen wird Zucker gegeben. Durch wieviel wird das Geld eigentlich geteilt? Fünf Personen und vier Pferde, da könnte eigentlich einer hier bleiben. Für immer. Aber wer? Mitten in der Nacht kommt ein alter Sänger vorbei, ein fahrender Barde, der das fünfte Pferd hätte. Aber Gentry hat sich geschworen, nie wieder zu töten, und hilft dem alten Mann zu entkommen. Man ahnt, dass Gentry eine Vergangenheit hat, die auf dem Tod vieler Männer gründet, und gerade seine Abgeklärtheit führt irgendwann zur zentralen Frage: Wer zieht nun wirklich schneller? Heller, der denkt, dass er der Größe Beste Schönste ist? Teach, der von sich behauptet von Pistolen etwas zu verstehen? Oder Gentry, der wahrscheinlich mehr Männer auf dem Kerbholz hat als die anderen zusammen?

Trotz einiger inszenatorischer Längen gelingt es dem Regisseur Harry Keller, eine durchgehend dunkle und spannende Atmosphäre aufzubauen. Die Charaktere der Männer sind grundverschieden und reiben sich ganz natürlich aneinander, wobei die Fokussierung auf einen einzigen Handlungsort ein Übriges tut. Fast könnte man an Sartres HINTER VERSCHLOSSENEN TÜREN denken: Eine Gruppe Menschen, die von ihrer ganzen Art grundsätzlich nicht zusammenpassen und immer im Konflikt stehen werden, sind aufeinander angewiesen um ihr Leben zu retten, und haben doch nichts Besseres zu tun als sich zu zerfleischen. Sartre im Westerngewand? Mag sein, und die Ausführung ist nicht die schlechteste Idee. Keller pirscht immer wieder auf Höhepunkte zu, die dann aber nicht ausgespielt werden, sondern sich als einzelne Bausteine der Grundspannung nach und nach potenzieren. Dadurch bleibt ein andauernder Adrenalinpegel bestehen, und auch wenn der ein oder andere Dialog zu lang ist und diese Grundspannung damit immer wieder unterbricht, wird der Zuschauer schnell an das Drama angebunden und die Frage in den Raum gestellt, wer bitteschön diesen Film wohl überlebt. Eine Frage, die nicht aus dem Stegreif beantwortet werden kann, denn letzten Endes hat ja doch jeder aus der Gruppe Dreck am Stecken, ist auf die ein oder andere Art ein Bastard und damit ein potentielles Tot-umfall-Opfer der Aktion moralisches Drehbuch. Denn leider muss man auch konstatieren, dass Harry Keller kein Anthony Mann ist, und sich größere Brutalitäten nicht zutraut. Brutalitäten, die dem Film gut zu Gesicht gestanden und ihn aus dieser B-Film-Ecke mit Bühnenflair herausgeholt hätten. Julie London, die ein Jahr später in DER MANN AUS DEM WESTEN gezwungen wird sich vor der Kamera ganz langsam auszuziehen, ist dann halt doch ein anderes, ein aggressives und vor allem deutlich amoralischeres, Kaliber als Dorothy Malone, die aufgefordert wird ein Lied zu trällern.

QUANTEZ hat so seine Schwächen, was sehr schade ist, denn die Grundidee ist stark und intensiv dargebracht, und ein mutigerer Regisseur (oder ein mutigeres Drehbuch, wer weiß) hätte aus dem B-Western mit Sicherheit mehr herausholen können. Was aber niemanden davon abhalten sollte, diesen kleinen und düsteren Western anzuschauen, der aus dem Zusammen- und vor allem dem Gegeneinanderspiel von Menschen so einiges herausholt, und der in seiner Aussage spannenderweise nichts an Aktualität verloren hat.
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
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