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Have_Fun_in_Pjöngjang_2019_event_main_1920_1080.jpg (332.18 KiB) 287 mal betrachtet
Originaltitel: Pyongyang s'amuse
Herstellungsland: Frankreich / 2019
Regie: Pierre-Olivier François, Patrick Maurus
Darf man in Nordkorea lachen? Tanzen? Heiraten? Wie sieht das Leben der Nordkoreaner aus? "Have Fun in Pjöngjang" gibt Einblicke in den Alltag des südostasiatischen Landes, mit dem nur wenige Menschen in Europa mehr verbinden als einen megalomanen Diktator, Militärparaden und Atomtests. Doch Nordkorea hat auch eine andere Seite: hohe Berge und fruchtbare Felder, boomende Städte und neuerdings sogar eine echte Tourismusindustrie. Eine Dokumentation jenseits der propagandistischen Bilder, die das Augenmerk weg vom autoritären Regime auf die nordkoreanische Bevölkerung selbst legt.
„Alle Welt ist sich einig: das Land ist verloren.“
Der deutsch-französische Dokumentarfilmer Pierre-Olivier François („Korea, der hundertjährige Krieg“) hat zusammen mit Patrick Maurus, seines Zeichens Pariser Fremdsprachenprofessor, Korea-Experte und Übersetzer koreanischer Autorinnen und Autoren, innerhalb von acht Jahren vierzig Mal (!) Nordkorea besucht, um aus dem gemeinsam Erlebten und mit der Kamera Festgehaltenen den rund einstündigen Dokumentarfilm „Have Fun in Pjöngjang“ zu realisieren. Dieser wurde im Jahre 2019 vom deutsch-französischen Kulturaustauschsender TV-Sender Arte erstausgestrahlt.
„Warum wird die Berichterstattung von Klischees dominiert?“
Ziel war es, sich im Gegensatz zu so vielen anderen Dokumentationen einmal nicht auf den nordkoreanischen Staatsführer Kim Jong-un und das stalinistisch geprägte politische System zu konzentrieren, nicht vornehmlich über Raketenbau und Bombentests, Militärparaden, Gleichschaltung und Unterdrückung zu berichten, nicht das Klischee einer leidenden und darbenden Bevölkerung zu bedienen. Vielmehr wollte man sich von diesem Framing einmal befreien und, im Prinzip ähnlich wie es Sung-Hyung Cho für ihren 2016 veröffentlichten Dokumentarfilm „Meine Brüder und Schwestern im Norden“ tat, sich auf die Menschen und ihren Alltag einzulassen. Damit erhält der hermetisch wie unter einer Glocke abgeriegelte Staat ein menschliches Antlitz.
François und Maurus räumen zunächst u.a. mit dem Irrglauben auf, als Ausländer dürfe man nicht nach Nordkorea einreisen. Bewegen habe man sich im Land gut können, wenn auch unter ständiger Begleitung. Der Film liefert ein Porträt der Hauptstadt des um wirtschaftliche Autarkie bemühten – und zur ihr aufgrund wirtschaftlicher Sanktionen gezwungenen – Lands, indem er die Wolkenkratzer Pjöngjangs zeigt, den Immobilienboom der offenbar immer bunter werdenden Stadt skizziert und den Eindruck einer hochentwickelten Metropole vermittelt, deren Bewohner überaus stolz darauf sind, was sie gemeinsam aufgebaut haben. Ein Klassikrockkonzert findet simultan zu Bildern startender koreanischer Raketen auf einem sich hinter der Bühne befindenden Videobildschirm statt, Hochzeitsvorbereitungen werden begleitet und kurz und knapp das koreanische Heiratssystem erklärt sowie ein Jugendsportturnier besucht.
Ein Vulkan im Norden, aufgrund der koreanischen Gründungsmythologie eine Art Wallfahrtsort, wird aufgesucht und in beeindruckenden Bildern gezeigt. Eine nordkoreanische SitCom gibt sich frech und anzüglich, dabei trotzdem politisch korrekt. In einem öffentlichen Park vergnügen sich Menschen, was offenbar nicht inszeniert wurde. Wie bereits in Sung-Hyung Chos Film wird auch hier ständig gesungen und getanzt. Die Filmemacher verschlägt es in eine Sportschuhfabrik, an eine Bowlingbahn sowie an den beneidenswert schönen Badestrand in Wonsan. Modisch orientiert man sich auch in Nordkorea am Westen, wenn man nicht gerade Uniform trägt – Militärparaden und der Personenkult um die Kim-Dynastie werden nicht ausgespart, sondern als selbstverständlicher Teil des Alltags der Menschen gezeigt.
Aus diesem Film erfährt man von einer 100%igen Alphabetisierung der Bevölkerung durch die Revolution – ein großer Erfolg, der offenbar durch die damals geänderten Verhältnisse möglich wurde. Zur jüngeren Historie gehört Kim Jong-uns bei seinem Amtsantritt abgegebenes Versprechen, der Mangel werde ein Ende haben – womit er anscheinend rechtbehalten sollte. Nordkorea hat so etwas wie Intershops 2.0, viele Eis- und Gebäckstände laden zum Naschen ein. Ca. 40 % der Unternehmen seien inzwischen halb in privater Hand, was mich in meiner Meinung zur Wirtschaft in sozialistisch organisierten Systemen bestätigt: Produktionsmittel gehören vergesellschaftlicht und die Grundversorgung der Bevölkerung sichergestellt, alles andere aber sollte nach den Prinzipien einer echten sozialen Marktwirtschaft (die nicht mit Kapitalismus zu verwechseln ist) organisiert sein. Laut dieses Films ist unter Kim Jong-un tatsächlich eine äußerst positive Entwicklung für das Land zu verzeichnen, was seine Beliebtheitswerte innerhalb „seines“ Volks erklären dürfte. Sogar Nachhaltigkeit und den Erhalt der Artenvielfalt behalte man im Blick. Vielleicht ist der überwiegende nordkoreanische Bevölkerungsanteil ja allen persönlichen Freiheitseinschränkungen zum Trotz doch ganz zufrieden damit, fürs Kollektiv statt fürs Kapital zu arbeiten?
Ein Voice-over-Sprecher führt durch den Film, der zu einem großen Teil aus Interviews und O-Tönen besteht. „Have Fun in Pjöngjang“ ist hochinteressant; insbesondere nach einer Reihe kritischer Nordkorea-Dokus dürfte man – ehrliches Interesse am Land vorausgesetzt – das Gezeigte nicht nur als Ergänzung mit geänderter Ausrichtung, sondern als angenehmen Gegenpol empfinden. Ja, der Film zeigt kaum negative Seiten Nordkoreas. Gern hätte ich mehr über die Produktionsbedingungen erfahren, denn andere Dokumentarfilmerinnen und -filmer berichten ja i.d.R. von recht strengen Auflagen und Kontrolle des Gesagten und Gefilmten. Mit einer finalen Beurteilung halte ich mich daher zurück. Meines Erachtens trägt „Have Fun in Pjöngjang“ im Kontext mit anderen Filmen zum Thema aber zu einer ausgewogeneren Berichterstattung bei, indem er unvoreingenommen positive Eindrücke nicht nur zulässt, sondern zu seinem Hauptinteressengebiet macht – und damit nachzuvollziehen hilft, wie dieses Land in seiner Isolation, seiner Kriegsangst und seinem Militarismus eigentlich doch so verhältnismäßig gut funktioniert. Und er wirft indirekt die Frage auf, ob nicht die konventionelle westliche Berichterstattung über Nordkorea möglicherweise etwas einseitig ausfällt oder gar eigene propagandistische Zwecke verfolgt…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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