Nuestra Señora de Paris - Teo Hernandez (1982)

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Salvatore Baccaro
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Nuestra Señora de Paris - Teo Hernandez (1982)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Originaltitel: Nuestra Señora de Paris

Produktionsland: Frankreich 1982

Regie: Teo Hernandez

Darsteller: Notre Dame de Paris
(To) Combust = In Flammen aufgehen. Eins meiner liebsten Verben der englischen Sprache. In der Hommage des mexikanisch-stämmigen Experimentalfilmers Teo Hernandez an die Notre Dame de Paris – NUESTRA SENORA DE PARIS aus dem Jahre 1982 – geht gleich die gesamte gotische Kathedrale in Flammen auf, - und zwar allein durch die Art und Weise, wie Hernandez seine 8mm-Kamera umherwirbeln lässt, und ihre flüchtigen, hektischen, hysterischen Impressionen im Anschluss virtuos zusammenmontiert.

Die imposante Außenfassade. Die berühmte Rosette, mit 12m Durchmesser eine der größten Europas. Die Drolerien auf den Balustraden: Gehörnte Fabelwesen, die die Stadt zu bewachen scheinen. Buntglasfenster, Chorgewölbe, die Kirchturmspitzen. Hernandez fokussiert sich auf Details, aus denen sich während der zweiundzwanzigminütigen Laufzeit nicht etwa ein homogenes Ganzes zusammenaddiert. Vielmehr zersplittern all diese Details in einen chaotischen Bilderstrom, der die Kathedrale bis über die Grenzen der Abstraktion heraus zerlegt, zerfasert, zergliedert, kurz gesagt: In Flammen aufgehen lässt.

Wir hören, zusammengestellt von Hernandezs Zunftgenossen Jakobois: Gebete, Predigten, die frommen Litaneien der Kirchenbesuchermassen, genauso eingeschnürt in repetitive Loops wie die schweren Drones und schrillen Power-Noise-Attacken, (von denen ich mir gut vorstellen kann, dass es sich bei ihnen ausnahmslos um verfremdete Originalgeräusche aus dem Innern des Gotteshauses handelt), und die sich andauernd wiederholenden, im Sekundentakt wechselnden, in wahren Maschinengewehrsalven montierten Bilder. Die Kamera rast über Lichtreflexionen dahin, sie zu grellen Schlieren verschmierend. Die Kamera rotiert um die Rosette, sodass sie zu einer weißbrennenden Korona zu werden scheint. Die Kamera schießt auf die Fratzen der Gargouilles zu, als wolle sie sie mit inbrünstigen Küssen bestürmen. Nicht umsonst hat Hernandez die Kamera einmal eine „phallische Erweiterung“ genannt, und die rapiden Rhythmen, die innerhalb seines Oeuvres nicht nur NUESTRA SENORA DE PARIS auszeichnen, einen „sexuellen Akt“.

Wenn es Sinn macht, irgendetwas als ein wunderschönes Attentat zu bezeichnen, dann hat NUESTRA SENORA DE PARIS genau dieses Attribut verdient: Einerseits ist dieses Kleinod unglaublich anstrengend, atemlos machend, auszehrend. Andererseits habe ich jedoch selten Bezaubernderes gesehen als diese violetten, roten, blauen Farbspiele, die Hernandez den Kathedralfenstern abtrotzt, oder die sich in einer Rasanz um die eigene Achse drehenden Rosettenblüten, dass man meinen könnte, schäumende Gischt oder einen Schwarm neonfarbener Fischchen zu betrachten, oder die sich vermeintlich vor dem Kamera-Auge wegduckenden Steinungeheuer und die scheinbar zur Seite wegtrudelnden Eingangspfortentorbogen.

Den ganzen Tag könnte ich mir diese sich mit vollen Händen selbstverschwendenden Energieströmen zuschauen: Streichhölzer, die Feuer fangen, heftig lodern, verlöschen - bis irgendwann die gesamte Schachtel leer ist. Danach: Lichtpunkte, die vor den Augen tanzen, und die Ohren halb taub wegen diesem infernalischen Tonspur-Lärm.
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