Giallo (Italien, USA 2009, Originaltitel: Giallo)
Dario gibt Rätsel auf
Linda (Emmanuelle Seigner) ist nach Turin gereist, sie freut sich darauf ihre Schwester Celine (Elsa Pataky) zu treffen. Celine ist ein gefragtes Model, Linda wartet in der Wohnung ihrer Schwester auf den Feierabend der Kleiderständerin. Nach einem kurzen Telefonat bleibt Celine verschwunden, aufgewühlt sucht Linda am nächsten Morgen die Polizei auf. Man schickt sie zu Inspector Enzo Avolfi (Adrien Brody), der verschrobene Ermittler beschäftigt sich im Alleingang mit äusserst abstossenden Gewaltverbrechen an Frauen. Zunächst verhält sich der Kriminalist abweisend, doch nach und nach lässt er die beunruhigte Linda an seinen Ermittlungen teilhaben. Tatsächlich ist die Sorge um Celine alles andere als unbegründet, die junge Frau ist in die Hände eines irren Serienkillers gefallen, der die Stadt seit einiger Zeit unsicher macht. Noch ahnt die Öffentlichkeit nichts von der bizarren Mordserie, der Killer legte seine Opfer stets an unterschiedlichen Plätzen ab, offiziell stehen die Taten nicht in Zusammenhang. Während Enzo und Linda neue Erkenntnisse gewinnen, spitzt sich die Lage für Celine bedrohlich zu. Das Model wird Zeuge, wie der offenbar wahnsinnige Mörder eines seiner Opfer grausam verstümmelt, wenig später landet Celine auf dem
"Arbeitstisch" des Schlitzers...
Dario Argento! Beim Namen dieses Regisseurs laufen den meisten Freunden des italienischen Genrekinos wohlige Schauer über den Rücken. Egal ob Fan oder Skeptiker, niemand wird ernsthaft Argentos Bedeutung für das italienische Kino in Frage stellen. Seine Gialli zählen zu den besten und wichtigsten Beiträgen des Genres, als Beispiele sollten
"Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" (L'uccello dalle piume di cristallo, 1970) und
"Profondo rosso" (1975) für sich sprechen. Auch im Horrorbereich ist das Schaffen des Herrn Argento mit unverzichtbaren Perlen gesegnet, Meisterwerke wie z. B.
"Suspiria" (1977) und
"Inferno" (1980) gehören in jede Filmsammlung! Argentos Spätwerk ist umstritten, Streifen wie
"The Card Player" (Il cartaio, 2004) oder
"The Mother of Tears" (La terza madre, 2007) ernteten jede Menge harscher Kritik, immerhin wurde der Giallo
"Sleepless" (Non ho sonno, 2001) überwiegend positiv aufgenommen. Ich konnte mich bisher mit jedem gesichteten Argento anfreunden, obschon die Werke nach
"Sleepless" durchaus für teils nachvollziehbaren Diskussionsbedarf sorgen.
"Giallo" reiht sich in die Prügelknaben innerhalb der Filmographie des Italieners ein, zahlreiche Verrisse
-inklusive Hohn und Spott- ergossen sich über den Flick. Mich schreckte dies freilich nicht ab, neugierig wurde die Blu-ray gekauft, ich konnte gar nicht anders. Sicher, bereits der Titel weckt grosse Erwartungen! Einer der Meister des Giallo, gibt einem seiner Kinder den Namen des Genres! Nun ist der liebe Dario ein kleiner Schelm und Schlingel, denn ein waschechter Giallo ist
"Giallo" nicht geworden, vielmehr fühlt sich
"Giallo" mehr nach gewöhnlichem Krimi als nach Giallo an. Wie meinen? Ist die Definition des Genres etwa in Stein gemeißelt, müssen die
"Vorgaben" wirklich um jeden Preis eingehalten werden? Und wer zum Henker stellt die verdammten Regeln überhaupt auf? Und ist es nicht sogar die Pflicht des gestandenen Genre-Regisseurs, des
"Nischenfilm-Machers", alte Grenzen zu sprengen, auf Konventionen zu pfeifen
(um das Wort "scheissen" nicht zu verwenden)? Darüber könnte man sich endlos austauschen, das kann mein kleiner Kurzkommentar aber nicht leisten, Anmerkungen sind selbstverständlich gewünscht! Wer sich ein wenig mit dem Thema Giallo beschäftigt hat, der kennt und liebt die typischen Merkmale des Genres, die sich nicht auf Rasiermesser und schwarze Handschuhe beschränken.
"Giallo" streift das Genre lediglich, begnügt sich damit ein
"gewöhnlicher Thriller" zu sein
(was auch immer das sein mag), fühlt sich wie ein
"gewöhnlicher Thriller" an. Ist das gut, ist das schlecht, ist Argento genial oder schlicht ausgebrannt? Warum überhaupt dieser Titel, wo sich der Meister doch weitgehend einen Dreck um sein Stammgenre schert
(tatsächlich?)!? Die Antwort mutet erschreckend banal an, der Killer ist gelb, der arme Kerl leidet an Gelbsucht
(Hinweis für Einsteiger: Giallo ist das italienische Wort für die Farbe Gelb). Plumpe Abzocke unter Mißbrauch einer legendären Genrebezeichnung? Oder ein cleverer und ironischer Schachzug des Altmeisters? Eventuell eine Mischung aus Frechheit und Humor?
Bevor ich mich in einer endlosen Gedankenschleife verliere, möchte ich ein paar Worte zu den Damen und Herren vor der Kamera schreiben. Da hätten wir Adrien Brody im Angebot, der als Kriminalist schwer von den eigenen Kindheitserlebnissen gezeichnet ist, ständig aus der Wäsche glotzt als würde er gleich heulend zusammenbrechen und hilflos
"Burnout-Syndrom" stammeln. Immer eine Kippe zwischen den verkniffenen Lippen, nie zur Ruhe kommend. Emmanuelle Seigner spielt teils so unglaublich hölzern, dass ich meinen Augen kaum trauen mochte. Dann schleichen sich unerwartete Momente ein, in denen sie großartig und mitreissend über die Glotze flimmert, ich bin noch immer irritiert. Elsa Pataky ist vor allem ein hübsches Opfer, sie darf ihren Peiniger wüst bepöbeln, was dem Irren sauer aufstösst. Der Killer bleibt ein Mysterium
(nicht wirklich, oder doch?). Im Ansatz bedrohlich, dann am Lolli nuckelnd und vor dem Notebook onanierend, prügelt Argento seinen Killer windelweich
(den Zuschauer ebenfalls), lässt ihn als Zwitter aus Monstrum und Schiessbudenfigur durch die Folterkammer taumeln. Die übrigen Gestalten sind nicht der Rede wert, immerhin ein paar hübsche Damen, zusätzlich eine Prise Durschnittsfratzen. Die Leistungen der Darsteller passen sich perfekt dem Gesamtwerk an, sie sind mir ein grosses Rätsel, lassen mich ungläubig und seltsam ergriffen zurück.
Was soll das? Lieber Herr Argento, was zum Teufel soll das sein? Ist der alte Herr inzwischen so senil, dass er lieber endgültig in den Ruhestand wechseln sollte? Lacht sich Argento über die Zuschauer kaputt, weil wir sein Genie nicht begreifen, nicht verstehen können/wollen/dürfen??? Ist die vermeintliche Banalität des Films eine geschickte Finte, eine ungeheuerliche Falle, in die unzählige Filmfreund getappt sind? Ist das Murks, ist das Kunst, ist das ein Haufen Grütze mit Blut? Ist das vermurkste Kunstgrütze mit Blut, Eiter und Gegeifer? Was auch immer
"Giallo" mir sagen soll, gelangweilt hat mich der Streifen zu keiner Sekunde. Dario Argento packt noch immer zu, auf andere Art
(?), aber er packt zu! Er bewegt, er erhitzt die Gemüter und Diskussionsforen. Ist Argento im Nichts oder Nirwana angekommen? Ist das Nichts das Nirwana?
(Hilfe, wo sind meine Pillen!)
Zwecks Erdung: Die BD aus dem Hause Sony zeigt den Film in solider Qualität, leider findet der interessierte Zuschauer keine relevanten Boni auf der Scheibe
(was in diesem Fall ganz besonders schade ist).
Die Zahlenwertung entfällt. Wie eine Kanonenkugel donnert die Sause durch meinen Schädel, reisst wahllos Löcher zwischen 3 und 8.
Lieblingszitat:
"Wie können Sie das ertragen?"
"Es ist mein Job."