Das Schloß des Grauens - Antonio Margheriti (1963)

Grusel & Gothic, Kannibalen, Zombies & Gore

Moderator: jogiwan

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Salvatore Baccaro
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Re: Das Schloß des Grauens - Antonio Margheriti (1963)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Aus gegebenem Anlass… man möge mich in die Eiserne Jungfrau von Nürnberg einschließen, auf dass ich ihr in ihren Armen liegend folgende fünf, sechs Meinungen, Gedanken, Eindrücke des ihr gewidmeten Films zuflüstern kann:

1. Antonio Margheritis Frühwerk beginnt mit der Schilderung einer Ehe wie sie desaströser kaum sein könnte. Mary ist eine junge Amerikanerin, ein Mäuschen, wie man sagt, die ihrem Gatten Max auf dessen herrschaftliches Anwesen in Deutschland folgt. Es gibt keine einzige Szene, wo dieser seine Gemahlin nicht wie ein kleines Kind behandeln würde. Mit stolzgeschwellter Brust führt er sie durch sein Herrenhaus, die Kommunikation zwischen dem vermeintlichen Liebespaar scheint indes völlig brachzuliegen. Weder hat Mary von Max zuvor erfahren, wie viele Dienstboten ei-gentlich unter seinem Dach leben – allerdings weiß Max als echter Aristokrat das selbst nicht so genau -, noch scheint sie zu Beginn des Films mit der Familiengeschichte der Hunters – ein echt deutscher Name – mehr als in Grundzügen vertraut zu sein. Womit Max denn nun genau seine Freizeit zubringt, wird nie richtig klar. Er ist Adliger, das scheint zu reichen, und Mary ist demnach scheinbar einzig dazu bestimmt, das schillernde Schmuckstück an seiner Seite zu sein. Von Zärtlichkeit oder gar Sexualität fehlt jedenfalls jede Spur in der Interaktion des ungleichen Paars. Das ist EFFI BRIEST, potenziert um eintausend.

2. Der Film, zumindest legt das sein Originaltitel LA VERGINE DI NORIMBERGE nahe, soll in Nürnberg spielen. Als Mary bei einem Spaziergang im Garten des Hunter-Anwesens auf einen gewissen John Selby trifft, der sich ihr als Tourist vorstellt, in Wirklichkeit aber FBI-Agent auf der Suche nach war criminals ist, behauptet dieser, in völligem Verkennen der geographischen Situation Deutschlands, er sei unterwegs, sich die schönsten Schlösser entlang des Rheins anzuschauen, und da dürfe das von Nürnberg eben nicht fehlen. Interessant ist, dass der Garten, in dem dieses Gespräch stattfindet, eher in ein südlicheres Klima zu gehören scheint, zumindest wachsen dort nicht wenige, gut sichtbare Palmen, und die Außenfassade der Villa erinnert ebenfalls nicht an klassische fränkische Architektur. Der Jungfrau von Nürnberg, ein Folterinstrument in Gestalt einer Dame, die einem Sarkophag gleicht, der innen mit Sta-cheln gespickt ist, hat Bram Stoker eine wunderschöne Kurzgeschichte namens THE SQUAW gewidmet. In dieser steht das gute Stück, wie es damals noch sein sollte, in der Nürnberger Burg. Heute kann man sie im schaurigen Fol-termuseum der Stadt Rothenburg ob der Tauber finden, die dafür berühmt geworden ist, dass sie außerdem einen der wenigen international bekannten Kannibalen hervorgebracht hat. In Margheritis Film nun aber scheint die Eiserne Jungfrau Privatbesitz des Hunter-Clans zu sein. In einem abgeschiedenen Bereich, der sich aber dennoch mitten in den Wohnräumlichkeiten befindet, hat man ein kleines Museum eingerichtet, in dem die Dame neben anderem Plunder wie Ritterrüstungen, einem Käfig, in dem ein echtes (?) Skelett herumliegt und diversen Folterzangen ausgestellt ist. Sogar einen Museumswächter bezahlt Max, der Erich heißt und bei dem es sich um einen verunstalteten Christopher Lee handelt. Trotzdem sind Besucher in diesem Museum offenbar nicht willkommen. Es scheint ein reines Privatvergnügen zu sein, gerade gut genug dafür, von den Bediensteten, deren genaue Zahl wir nie kennenlernen werden, von Zeit zu Zeit abgestaubt zu werden.

3. LA VERGINE DI NORIMBERGE ist ein Film, der sich alle Zeit der Welt lässt. Nicht seine Geschichte steht die meiste Zeit, bis zum Finale eigentlich, im Vordergrund, sondern die Gruselatmosphäre, die Margheriti in einer Langsamkeit entfaltet, die mich zwangsläufig an eine der großartigsten Szenen dieser Machart erinnert, nämlich jene in de Ossorios LA NOCHE DEL TERROR CIEGO, wo der Zuschauer das allererste weibliche Opfer mindestens zehn Minuten lang dabei beobachten darf wie es sich in der Templerburgruine häuslich einrichtet, ein bisschen Jazz im Radio lauscht, um schließlich, das alles ohne eine Silbe von den Lippen zu lassen, von den reitenden resp. schleichenden Leichen zum Blutzoll herangezogen zu werden. Zum Großteil besteht LA VERGINE DI NOREMBERGE aus Momenten, in denen faktisch nichts passiert. Mary, unsere seltsam blasse Heldin, die die Augen ständig weit offen hat, deren Schockiertsein ich ihr aber selten abgekauft habe, irrt durch das, wie es sich für ein deutsches Gemäuer gehört, mit unzähligen Geheimgängen, Katakomben, Grüften und Verließen ausgestattete Hunter-Haus, und alles, worauf es ankommt, sind die Gänsehäute, die dem Betrachter dabei über den Körper gezogen werden sollen. Als Max Mary bittet, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen, dauert es zum Beispiel eine gefühlte Ewigkeit bis die Heroine mit ihrer Zofe ihre Sachen gepackt und festgestellt hat, dass sämtliche Aus- und Eingänge des Anwesens verriegelt sind. Riz Ortolanis alles zukleisternder Score tut zwar sein Tunlichstes, etwas Leben in das Ganze zu blasen, doch L VERGINE DI NORIMBERGE ist über weite Strecken vor allem eine Studie in Langsamkeit, angenehm angesiedelt außerhalb der Hast unserer Tage.

4. LA VERGINE DI NORIMBERGE ist ein frühes Beispiel für Filmproduzenten, die den shock value von allem erkannt haben, was mit Nazis zu tun hat. Die Vorgeschichte, die erklärt, wer es denn nun genau ist, der Marys Nächte mit Alpträumen füllt und in der roten Robe eines vor dreihundert Jahren in Nürnberg agierenden wahnsinnigen Scharf-richters Frauen den unaussprechlichsten Foltern aussetzt, ist, gerade in Anbetracht des Veröffentlichungsjahr 1963, ziemlich herb. Was hinzukommt, ist die Unvermitteltheit, mit der Margheriti einen aus dem plüschigen Dekor des Gothic Horrors in die ungleich realistischere Welt des untergehenden Nazi-Imperiums entführt. Während LA VERGINE DI NORIMBERGE sich bis zu seinen letzten Minuten weitgehend an Regeln gehalten hat, die nahezu alle schon in der Hochphase der sogenannten gothic novels oder Schauerromane im späten 18., frühen 19. Jahrhundert formuliert gewesen sind, erfolgt ein, zumindest für mich, unvorhersehbarer Bruch, wenn Erich dem FBI-Mann Shelby die wahre Identität des Killers und die Tatsache enthüllt, dass sein Hass auf Frauen und seine sadistische Lust an Qual grausigen Experimenten entspringen, die die Nationalsozialisten mit ihm als Verräter aus den eigenen Reihen, der ein Attentat auf den Führer mit in die Wege geleitet hat, anstellten. Margheriti lässt es sich nicht einmal nehmen, Ori-ginalaufnahmen der Bombardierung deutscher Städte in seinen ansonsten von frohen, wenn auch düsteren Farben beherrschten Film zu schneiden. Die folgenden Operationsszenen, in denen einem Mann bei lebendigem Leibe die Haut vom Gesicht entfernt wird, sind in steriles Schwarzweiß gekleidet und gefilmt, als würden sie ebenfalls Archiven von Zeitdokumenten entstammen. Dieser Trick, den Zuschauer sozusagen über drei Stufen von der realitätsfernen Grusel-Chose hin zu einer Wirklichkeit zu führen, die schlimmer ist als jedes Gespenst, wirkt selbst heute noch ziemlich modern, und erinnert mich ein wenig an ähnliche erfolgreiche Irritations- oder Schockeffekt bei Alberto Cavallone, namentlich in LE SALAMANDRE und BLUE MOVIE. Wie andere schon herausgestellt haben, konnten es die deutschen Bundesbürger Anfang der 60er noch nicht ertragen, dass über ihre Väter und Großväter schlecht gesprochen wurde, weswegen der gesamte Naziploitation-Subplot sinnvollerweise der Kastrationsschere zum Opfer fiel.

5. Damit, den so sorgsam inszenierten Spuk am Ende auf mehr oder minder natürliche Ursachen zurückzuführen, steht der Film freilich erst recht in der Tradition der klassischen Schauerromantik. Schon bei Ann Radcliffe, um nur die be-kannteste Vertreterin zu nennen, erweisen sich die klappernden Geister und untoten Mönche am Ende als ausgemachte Spitzbuben, die den Mummenschanz der Vergangenheit nur nutzten, um ihre Verbrechen besser kaschieren zu können. LA VERGINE DI NORIMBERGE fährt eine ähnliche Schiene, wenn das vermeintlich Übernatürliche schon mitten im Film zumindest stark angezweifelt wird. Mary hat sich in der Szene, die ich meine, in ihrem Schlafzimmer verschanzt. Der Unhold, anscheinend der wieder zum Leben erwachte Henkersmann von vor dreihundert Jahren, versucht, ihre Tür aufzubrechen. Mary greift zu einem Messer, sticht ihm in die Hand, die sich durch das zersplitterte Holz schiebt. Der Angreifer schreit, zieht sich zurück, flieht. Wenn es blutet, sagt Mary sich, kann es doch kein Gespenst sein, oder? Dass es letztlich ein von den Nazis Gefolterter ist, macht nur umso deutlicher, dass die kindlich-naiven Schaurigkeiten früherer Epochen wie säuglingsfressende Kobolde, ruchlose Nonnen oder scheppernd in Rüstung fahrende Teufelchen einfach nicht mehr mithalten können mit den wahren Schrecklichkeiten des 20. Jahrhunderts.

6. Eine Szene hat für mich aus LA VERGINE DI NORIMBERGE herausgestochen. Als der vermummte Folterknecht nicht bekommt, was er möchte, nämlich Mary, um ihr die gediegensten Qualen angedeihen zu lassen, stapft er auf der Suche nach einem anderen Opfer durchs Unterholz. Obwohl das Hunter-Haus recht abgelegen zu sein schien, hat er keine Probleme in nächster Nähe eine ziellos am Straßenrand herumstehende Dame aufzugabeln. Diese wird nun in den Folterkeller verfrachtet, in dem Mary zufällig kauert und Zeugin der nun folgenden Vorgänge wird, in gewisser Weise den Zuschauer repräsentierend, der den derben Methoden des Schurken im Jahre 1963 wohl noch atemloser zugesehen hat als heutzutage. Der Vermummte stülpt der gebundenen Dame einen Käfig mit einer Ratte vors Gesicht. Da die offenbar schon länger nicht mehr gefüttert worden ist, springt sie ihr regelrecht entgegen, um ihr die Nase zu zerfleischen. Das mag technisch für heutige Augen eher mau inszeniert sein, als recht derb habe ich es doch empfunden, und immerhin wesentlich schockierender als beispielweise die gefärbten Meerschweinchen in Canevaris L’ULTIMA ORGIA DEL III REICH.

Nürnberg, so viel steht jedenfalls fest, scheint durchaus eine Reise wert zu sein.
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jogiwan
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Re: Das Schloß des Grauens - Antonio Margheriti (1963)

Beitrag von jogiwan »

Unterhaltsamer Neo-Gothic-Grusler von Antonio Margheriti, der hier eine junge Ehefrau in einem alten Schloss mit einem selbsternannten Richter konfrontiert, der am liebsten junge Frauen mit mittelalterlichen Folterinstrumenten in die Mangel nimmt. Dabei ist Margheriti nicht zimperlich und präsentiert zwei, angesichts des Entstehungsjahres, doch recht herbe Gewalteinlagen, die auch heutzutage ihre Wirkung nicht verfehlen. Der kurzweilige Streifen hält sich nicht mit Nebensächlichkeiten auf und startet von Beginn an durch, die Verdächtigen geben sich die Klinke in die Hand und auch wenn die (in früheren Auflagen verstümmelte) Auflösung etwas krude um die Ecke biegt, so lässt sie die ganze Geschichte doch in einem anderen Licht erscheinen. „Das Schloss des Grauens“ ist meines Erachtens jedenfalls recht schön und stimmig gemacht, bietet hübsche Locations, lustige Miniaturen inkl. Stunt-Puppe und Christopher Lee in einer wie üblich etwas zwielichtigen Rolle. Wer diese Art von Streifen mag, wird hier auf der ganzen Linie bestens bedient und auch wenn ab und an mal etwas zu viel durch Gänge gestöckelt wird, so ist der Grusler doch sehr gelungen.
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jogiwan
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Re: Das Schloß des Grauens - Antonio Margheriti (1963)

Beitrag von jogiwan »

Hier ein paar Bilder dazu:
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