Il Caso Valdemar - 1936 (G. Hoepli, U. Magnaghi)

Grusel & Gothic, Kannibalen, Zombies & Gore

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Salvatore Baccaro
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Il Caso Valdemar - 1936 (G. Hoepli, U. Magnaghi)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Originaltitel: Il Caso Valdemar

Produktionsland: Italien 1936

Regie: Gianni Hoepli, Ubaldo Magnaghi

Darsteller: Gino Eprisi, Carlo Bissi, Vincenzo Gatti, Iberia Bollain, Lav Kamenarovic
Poe im (frühen) Kino, Folge 6:

Es ist immer wieder erstaunlich, auf welche verschüttete Kleinodien man innerhalb der nicht-kanonisierten Filmgeschichte stößt, wenn man sich nur die Mühe macht, tief genug zu graben. Bei IL CASO VALDEMAR beispielweise handelt es sich nach IL CUORE RIVELATORE von 1934 nun bereits um die zweite, scheinbar vollkommen dem Vergessen anheimgefallene Poe-Adaption, die im faschistischen Italien offensichtlich als stummer Avantgarde-Kurzfilm realisiert worden ist, auf die ich bei meinen Recherchen stoße. Anders als IL CUORE RIVELATORE, dessen drei Hauptverantwortlichen Monicelli, Mondadori und Lattuada ihre Namen später durchaus mehr oder minder bekannt gemacht haben, umweht IL CASO VALDEMAR indes ein wohl noch weitaus obskurer Nebelschleier, scheint das weitere Oeuvre der beiden Regisseure Gianni Hoepli und Ubaldo Magnaghi doch mehr als überschaubar und Informationen zu ihren Biographien Mangelware zu sein. Wie schon bei IL CUORE RIVELATORE gilt auch hier: ich habe nicht die geringste Ahnung, ob IL CASO VALDEMAR den kommerziellen Filmbetrieb Italiens jemals überhaupt nur gestreift hat oder ob wir es bei dem knapp zehnminütigen Werk, was ich fast schon vermute, tatsächlich mit einem völlig unabhängigen Produkt zu tun haben, das außerhalb der Industrie und mit dem Rücken zu ihr stehend inszeniert worden ist.

Vorlage von IL CASO VALDEMAR bildet ein eher unbekannterer Text Poes, den dieser 1845 als vermeintlichen Tatsachenbericht veröffentlicht hat – erst später sollte die Aufklärung folgen, dass das Geschilderte eben keine nüchterne Wiedergabe von Fakten, sondern pure Fiktion des Dichters gewesen ist. THE FACTS IN THE CASE OF M VALDEMAR setzt sich mit dem zu seiner Entstehungszeit noch immer äußerst virulenten Idee auseinander, mit Hilfe des sogenannten animalischen Magnetismus, d.h. einer dem Elektromagnetismus verwandten Kraft, die sich angeblich in jedem Lebewesen finden soll, im Rahmen von Hypnosetherapien oder gar Hypnosemaschinen psychischen und physischen Leiden Abhilfe schaffen bzw. generell eine Bewusstseinserweiterung des Patienten herbeiführen zu können. Der Ich-Erzähler in Poes Kurzgeschichte ist ein solcher Vertreter magnetistischer Theorien und nutzt den sterbenden Körper eines Freundes, des Schriftstellers Ernst Valdemar, für ein gewagtes Experiment: während Valdemar sein Leben aushaucht, wird er vom Erzähler in Hypnose versetzt und in dieser über Monate hinweg festgehalten. Erst nachdem der zu mühsamer verbaler Kommunikation fähige eigentlich Tote, der keinen Atem, keinen Puls mehr besitzt, den Erzähler mehrmals darum bittet, ihn doch endlich aufzuwecken, entlässt der ihn aus seiner Trance – und muss mitansehen wie sein Patient sich innerhalb kürzester Zeit in eine verwesende Masse verwandelt, da der Tod sich nun endlich mit geballter Kraft das holt, was ihm lange genug vorenthalten worden ist.

IL CASO VALDEMAR ist, ähnlich wie IL CUORE RIVELATORE, ein Film, der den Geist der literarischen Vorlage nahezu perfekt einfängt. Einige wenige Abweichungen, vor allem in Bezug auf das das Experiment begleitende Personal, das in Hoeplis und Magnaghis Adaption aus drei Ärzten und einer Nonne besteht, bei Poe jedoch aus einem Medizinstudenten und zwei Krankenschwestern, fallen kaum ins Gewicht. Wichtiger ist sowieso die exzellente Bildsprache, mit der Hoepli und Magnaghi Poes Worte auf die Leinwand übersetzen. Gleich die Eröffnungsszene ist, wie ich meine, ein Goldbarren für jeden Cineasten. Wir sehen die Großaufnahme eines Statuenkopfes, von unten her gefilmt, eine Männerfigur mit prächtiger Haarmähne. Nach einem Schnitt folgt die Vorstellung zweier Ärzte und des Hypnotiseurs. Jedes Mal setzt die Kamera bei ihnen etwa auf Brusthöhe an und schwenkt dann nach oben in die ziemlich starren, unheimlichen, nahezu bedrohlich-verbissenen Gesichter, die mit aufgerissenen Augen knapp oberhalb der Linse vorbeischauen. Erst jetzt bekommen wir die gesamte Gruppe zu sehen, deren Mitglieder, drei von ihnen sitzend, der vierte hinter einem der Stühle stehend und skeptisch zuschauend, offenbar dabei sind, eine Seance abzuhalten. Ein Pendel, das zu einer Wanduhr gehört und so dicht vor der Kamera monoton hin und her schwingt, dass es die Personen im Hintergrund eine nach der anderen stetig verdeckt, ist erfolgreich darin, ein irgendwie störendes, befremdendes Element zu sein, das dem Film von Anfang an eine düstere Grundstimmung verleiht – zumal wenn sich der Poe-Kundige daran erinnert, welche Rolle Pendel gemeinhin im Werk des amerikanischen Schriftstellers spielen. Nach nur einer Minute ist immerhin klar, dass die Bildsprache von IL CASO VALEMAR der ähnlich spröden, kantigen und schwarzen von IL CUORE RIVELATORE in nichts nachsteht.

Mehr als Monicelli und Mondadori sind Hoepli und Magnaghi allerdings an Gesichtern interessiert. IL CASO VALDEMAR ist durchsetzt von Großaufnahmen dahinsiechender, angestrengt hypnotisierender oder kritisch bzw. entsetzt betrachtender Mienen – und dabei nicht so sehr darauf aus, eine Geschichte zu erzählen, sondern Emotionen zu zeigen, wie sie reichlich überzeichnet in den Antlitzen der Protagonisten zum Ausdruck kommen. So bekommen drei Nachbarinnen Valdemars etwas mit von den seltsamen Dingen, die in seinem Sterbezimmer vor sich zu gehen scheinen. Misstrauisch beäugen sie die Ärzte und Wissenschaftler, die bei dem Todkranken ein- und ausgehen. Man tuschelt, wirft irgendwo zwischen Angst und brennender Neugierde angesiedelte Blicke um sich, folgt den Männern schließlich bis zur Türschwelle, über die man seine Hälser reckt, nur um sofort von ihr verdrängt werden und die Tür vor der Nase zugeschlagen zu bekommen. Ähnlich funktioniert die anwesende Nonne wie eine Fläche, auf der sich die eigenartigen Geschehnisse rund um Valdemar problemlos spiegeln können. Im Verlauf des Films wird ihre Miene immer schreckensvoller, immer schaudernder - bis ihr endlich einmal der Rosenkranz aus den verkrampften Fingern fällt. Das geschieht im letzten Drittel, wenn Hoepli und Magnaghi die sieben Monate, die Valdemar zwischen Leben und Tod verbringt, im Zeitraffer zu einem Bilderstrom zusammendrängen, dessen Montage ich nur in den hellsten Tönen loben kann. Handgeschriebene Zettelchen mit Datumsangaben, die das Verrinnen der Zeit markieren, sind zwischen unzusammenhängende Großaufnahmen dessen geschnitten, was Hände und Mienen der Beteiligten währenddessen anstellen. Einer der Männer gähnt, der Hypnotiseur lässt die Hände beschwörerisch vor der Kameralinse kreisen, die Nonne schrickt zurück, zuweilen sind Ohren oder Brillen zu sehen, die aufgrund des rasanten Tempos, mit dem die einzelnen Aufnahmen wechseln, und der Art und Weise wie dicht die Kamera sie zu sich herangeholt hat, fast abstrakt wirken. Ein Kreuz an der Wand schlägt übrigens eine weitere Brücke zu IL CUORE RIVELATORE. Während es dort einfach nur hängt und immer mal wieder, fast wie zufällig, das Interesse der Kamera erweckt, ist es in IL CASO VALDEMAR zwar ohne Christus, dafür aber mit einer Art von Eigenleben ausgestattet. Um zu verdeutlichen wie sehr die Naturgesetze während des Experiments, das man mit dem Toten anstellt, außer Kraft gesetzt werden, ändert das Kreuz von Szene zu Szene seine Position. Zu Beginn des Experiments ist es noch brav über dem Bett Valdemars angebracht, später gerät es mehr und mehr in eine Schieflage bis es dann irgendwann sogar an der Decke landet, von wo es auf den Hypnotisierten herab zu starren scheint. Durch die schnellen Schnitte in der erwähnten Zeitraffermontage sieht das dann wirklich so aus, als würde das Kreuz munter an Wand und Decke hin und her springen, um damit eine Anklage gegen die Versündigung zu erheben, mit der der Magnetiseur und sein Gefolge sich an Gott vergehen.

Die größte Überraschung hält IL CASO VALDEMAR dann in seinem Schluss bereit, wenn Valdemar aus seiner Trance erweckt wird und sein Körper quasi sofort in sich zusammenfällt, um Monate der Verwesung nachzuholen. Was hier nämlich zu sehen ist, das sind Szenen, die sich – ich übertreibe nicht! –, was ihre spezifische Ekel-Ästhetik betrifft, durchaus mit denen messen kann, in denen man in nicht wenigen Filmen des Spätwerks Lucio Fulcis auszurutschen drohen kann. Valdemars Kopf zerfließt in einer klebrigen, feuchten Masse, als sei es der des braven Malers Schweicks persönlich, löst sich auf bis auf die Knochen, bis zu einem hämischen grinsenden Totenkopf, der dann seinerseits auseinanderfällt. Dass dieser Film von – ich muss das noch einmal unterstreichen – 1936 (!) in Szenen mündet, bei denen ich zwangsläufig den L’ALDILÀ –Soundtrack Fabio Frizzis im Ohr haben werde, das ist etwas, mit dem ich so wenig gerechnet habe, dass es mich noch jetzt, wo ich darüber schreibe, regelrecht sprachlos macht.

IL CASO VALDEMAR ist ein kleines Meisterwerk, das für mich noch den ebenfalls ausgesprochen empfehlenswerten IL CUORE RIVELATORE übertrifft. Seine Bilder sind superb, seine Montage ist ein anbetungswürdiger Götze, und sein Finale zitiert Fuci, als der noch nicht mal zehn Jahre alt gewesen ist. Ich bin entzückt!
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Salvatore Baccaro
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Re: Il Caso Valdemar - 1936 (G. Hoepli, U. Magnaghi)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Die Bildqualität ist freilich nichts für verwöhnte Augen und tatsächlich noch etwas mauer als die der von mir gesichteten Kopie, jedoch kann man IL CASO VALDEMAR, von dem ich bis eben annahm, dass ihn außer mir kein einziger Mensch jemals gesehen hat, tatsächlich in seiner ganzen Pracht unter folgendem Link abfeiern:

[BBvideo 425,350][/BBvideo]
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Reinifilm
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Re: Il Caso Valdemar - 1936 (G. Hoepli, U. Magnaghi)

Beitrag von Reinifilm »

Hey Salvatore - großartige Entdeckung. :thup:

Der Film ist wirklich ein kleines Meisterwerk und das Ende tatsächlich überraschend explizit!
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Salvatore Baccaro
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Re: Il Caso Valdemar - 1936 (G. Hoepli, U. Magnaghi)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Reinifilm hat geschrieben:Hey Salvatore - großartige Entdeckung. :thup:

Der Film ist wirklich ein kleines Meisterwerk und das Ende tatsächlich überraschend explizit!
Schön, dass er Dir gefällt - nun müssen wir nur noch eine DVD-Veröffentlichung, am besten vielleicht zusammen mit IL CUORE RIVELATORE, lancieren!
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