Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Alles, was nichts oder nur am Rande mit Film zu tun hat

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purgatorio
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR LOUNGE

Beitrag von purgatorio »

Da sich ja einige von uns gerade intensiver mit dem Werk von Lovecraft befassen - ich bin gerade mit diesem hier fertig und möchte eine deutliche Empfehlung aussprechen:

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Der Fall Charles Dexter Ward - Eine feine kleine Geschichte, die inhaltlich zwar für moderne Leser etwas vorhersehbar daherkommt (in den 1920ern und 30ern hat das Ding dem Leser bestimmt heftiger vor den Kopf gestoßen), deshalb aber nicht weniger interessant ist. Hier gibt es Ekel, wohligen Grusel, Schauer... Eine Geschichte eher am Rande des Cthulhu-Mythos. Aquatische Krabbelviecher in unterschiedlichsten Größen gibt es hier nicht. Hier steht eher Alchemie, Necromantie und geheime Verbrüderung im Mittelpunkt. Menschgemachtes Elend, trotzdem alt, aber weit weg von den großen Alten. Unabhängig davon ist die Geschichte aber aus formalen Gründen lesenswert! Unglaublich clever und raffiniert werden hier viele verschiedene Zeitebenen aus Vergangenheit und Gegenwart, punktuell sogar noch aus der Zukunft, miteinander verwoben. Wirklich gut gemacht - da schwirrt einem trotz des erstmal komplexen Geschichtengewirrs nie der Kopf, weil Lovecraft eben auch ein verdammt guter Erzähler ist. Er nimmt den Leser bei der Hand und stürzt ihn aus der Zukunft der erzählten Gegenwart mal eben 200 Jahre in die Vergangenheit. Erzählt wird dann von einem allwissenden Erzähler, der das Ende kennt aber gaaaaanz tief in der Vergangenheit beginnt. Unglaublich cool! Ich war begeistert :nick:
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
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buxtebrawler
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR LOUNGE

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Gerald Fricke / Frank Schäfer / Rüdiger Wartusch – Die Goldenen Siebziger: Ein notwendiges Wörterbuch

Eine notwendige Kritik

Die „Griffel. Magazin für Literatur und Kritik“-Herausgeber Frank Schäfer und Rüdiger Wartusch taten sich mit Gerald Fricke für das 1997 im Reclam-Leipzig-Verlag veröffentlichte „notwendige Wörterbuch“ „Die Goldenen Siebziger“ zusammen, das eine lose Tradition lexikalischer Bücher lostrat, die der ehemalige Gitarrist der Metal-Band Salem’s Law und spätere Popkultur-Essayist und Romanautor Frank Schäfer zusammen mit wechselnden Koautoren verfasste. Allen gemein ist die humoristische bis satirische Perspektive auf die jeweiligen Inhalte, es handelt sich also gewissermaßen um Mock-Wörterbücher/-Lexika. Der Startschuss dieses Braunschweiger Klüngels war diese Retrospektive auf die Jahre 1970 bis 1979 im Taschenbuchformat, wenngleich das Jahrzehnt streng genommen von 1971 bis 1980 reichte. Rund 160, von neun Schwarzweißbildern aufgelockerte und um eine kurze Einführung, ein Wondratschek-Zitat und ein Vorwort ergänzte Seiten lang wird also jener Zeitraum alphabetisch sortiert vom in eben jener Zeit sozialisierten Trio in seine einzelnen Versatzstücke zerteilt, neu zusammengesetzt und aufgearbeitet. Der bildungsbürgerlich-akademische Hintergrund der drei Autoren kommt dabei ebenso deutlich zur Geltung wie deren tendenziell progressive Haltung, wenn sie versuchen, die Bereiche Politik, Gesellschaft und Pop-/Subkultur sowie – natürlich – Literatur subjektiv, aber in breitem Umfang abzudecken.

Der Umstand, dass sich in den 1970ern Goutierbares und Scheußliches in etwa die Waage hielt, zwang die Autoren zu einer Unterscheidung in „gute Siebziger“ und „schlechte Siebziger“. Da das Buch inmitten der ’70er-Retrowelle der beschissenen Neunziger (mein Titelvorschlag für ein ’90er-Lexikon) erschien, dürfte dieser es sich auf den ersten Blick etwas einfach machende Kniff geholfen haben, ein kritisches Bewusstsein (wieder-)herzustellen, wenngleich man sich eigentlich an ein Publikum richtet, das die ’70er selbst erlebt hat und alles kennt oder zumindest kennen sollte – also an Nostalgiker(innen) und deren Subspezies. Dass nicht jeder Gag sitzt: geschenkt. Zwischen allem Sarkasmus und aller Polemik muss man auch nicht immer – schon gar nicht mit 23 weiteren Jahren Abstand – einer Meinung mit den Verfasserin sein, denn grundsätzlich ist die offensiv vorgetragene Haltung erfreulich, versteht sie es doch, insbesondere politischen und Mainstream-medialen Phänomenen mit den gebotenen hochgezogenen Augenbrauen zu begegnen. Leider ist nicht immer alles allgemeinverständlich, aber a) was ist das schon?, und b) bleibt das die Ausnahme, elitäre Akademikerschreibe weitestgehend gezügelt.

Dennoch: Ohne Vorkenntnisse wird wohl niemand aus dem Eintrag zum NATO-Doppelbeschluss schlau. Und war „Klimbim“ wirklich so schlimm? Beim „Sandmännchen“ jedenfalls liegen sie definitiv falsch: Ich habe beide Varianten gesehen und bin Augenzeuge, dass der DDR-Sandmann seinem Pendant aus dem kapitalistischen Ausland überlegen war (und ist). Schwach auf der Brust sind die Einträge über Paul Breitner und McDonald’s, auch der zu Schlöndorff ist nicht nur aus Filmhistorikersicht ungenügend. Außerdem dürfte es sich um die einzige deutsche ’70er-Rückschau handeln, die die RAF nahezu komplett ausspart. War das bewusst als eine Art Statement gedacht? Unter „Punk“ muss man sich enttäuschenderweise mit einer nichtssagenden Anekdote begnügen. Skandalös falsch ist gar die Definition von „Oi“: Diese Punk-Strömung hat einen eigenen Eintrag bekommen, in der sie rein politisch rechts verortet wird. Hereingefallen, kann man da nur sagen – und anmerken, dass ein wenig Recherche Abhilfe geschaffen hätte.

Positiver fällt der Hang der Autoren zur Literatur(-kritik) auf, der sich in relativ ausführlichen Einträgen beispielsweise zur Neuen Subjektivität niederschlägt. Mit Vergnügen habe ich – als Auto-Laie und -Ignorant wohlgemerkt! – die Absätze zu unterschiedlichen Kfz-Modellen gelesen. Mein persönlicher Höhepunkt findet sich jedoch unter „U“ wie „Unsere kleine Farm“: Die für den Verriss dieser vermutlich tatsächlich unerträglichen Sonntagnachmittags-Heile-Welt-Familienserie exemplarisch herangezogene Handlung einer Episode erscheint mir alles andere als abwegig, denn auch ich habe zeitweise in der Schule nichts mehr mitbekommen, weil ich mich trotz Kurzsichtigkeit konsequent einer Brille verweigerte, haha…

Für ein Debüt ist „Die Goldenen Siebziger: Ein notwendiges Wörterbuch“ eine annehmenswerte Einladung zu einer durchaus vergnüglichen Reise durch die Untiefen, Höhe- und Tiefpunkte sowie Absurditäten der ’70er aus der Perspektive bundesdeutscher, gebildeter jünger Männer, die jedoch bereits andeuten, was sie von den ’80ern halten. So liegt mir auch der Fricke/Schäfer-Nachfolger „Petting statt Pershing: Das Wörterbuch der Achtziger“ vor, von dem ich schon jetzt weiß, dass mein Widerspruch wohl wesentlich vehementer ausfallen wird als zu diesem handlichen Büchlein, dem in jedem Falle ein paar mehr Bilder gutgetan hätten – aber einen bunten Wälzer voller großflächiger Abbildungen bei Verdopplung der Seitenzahl dürfte einem solchen Debütantentrio wohl kein Verlag finanziert haben. Wer die ästhetische Seite der ’70er genießen will, sollte sich ohnehin besser einen schönen Giallo (wo ist dieser Eintrag eigentlich abgeblieben?) aus den guten Siebzigern einlegen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Beitrag von buxtebrawler »

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Hartmann von Aue – Erec

Hartmann von Aues „Erec“ entstand, so vermutet man, gegen Ende des zwölften Jahrhunderts und gilt, wenn auch basierend auf dem französischen „Erec et Enide“ aus der Feder Chrétien de Troyes’, als erster deutscher Artusroman, also jenem Kanon ritterlicher Sword-&-Sorcery-Fantasy-Sagen um den König mit seiner berühmten Tafelrunde. Geschrieben wurde diese Adaption im Versmaß in heute wie eine Fremdsprache anmutendem Mittelhochdeutsch. Die Studienausgabe aus dem Reclam-Verlag bietet sowohl die originale mittelhochdeutsche Schrift als auch eine neuhochdeutsche, also lesbare, Übersetzung, für die die Reime des Versmaßes ignoriert werden, in der Prosaform jedoch das Versmaß insofern beibehalten wird, dass Zeile für Zeile übersetzt wird, also stets Original und Übersetzung direkt gegenüberstehen. Ferner umfasst der über 700 Seiten starke Band im Taschenbuchformat einen umfangreichen Anhang, mit Hintergrundinformationen zur Überlieferungssituation und der Arbeit an dieser Ausgabe, einem ausführlichen Kommentar, Literaturhinweisen und einem Nachwort.

Erec, der Sohn des Königs Lac, hat noch keine „Aventüre“ bestanden und muss deshalb zurückbleiben, als fast alle anderen zur Jagd ausreiten. So begibt er sich auf einen Ausflug mit der Königin Ginive und ihren Hofdamen, währenddessen man einen von einem Zwerg und einer Dame begleiteten Ritter am Horizont erblickt. Die Königin möchte wissen, um wen es sich handelt, und schickt eine Hofdame vor, um dies in Erfahrung zu bringen. Doch der Zwerg lässt sie nicht zu seinem Herrn durch und schlägt sie gar mit seiner Peitsche, als sie weiter zum Ritter vordringen möchte. Gedemütigt kehrt sie zurück, woraufhin der unbewaffnete Erec zum Zwerg eilt und sich ebenfalls seinen Geißelschlag abholt. Diese Entehrung will Erec nicht auf sich sitzen lassen und verfolgt den Ritter, der sich als Iders entpuppt, samt dessen Gefolge bis zur Burg Tulmein des Herzogs Imain. Er findet eine Unterkunft beim verarmten Coralus, der mit seiner schönen Tochter Enite zusammenlebt, und beschließt, auf Tulmein im Sperberkampfturnier gegen Iders anzutreten. Er versichert Coralus, Enite im Falle eines Turniersiegs zur Frau zu nehmen. So geschieht es, Iders muss nach einem erbitterten Kampf gegen Erec klein beigeben und Erec heiratet Enite am Artushof.

Erec und Enite ziehen auf den Hof Garnant seines Vaters, wo er die Herrschaft übernehmen soll. Erec und Enite ziehen es jedoch vor, im Bett zu bleiben, worüber Erec seine Pflichten vernachlässigt und zum Gespött seiner Untertanen wird. Daraufhin verlässt er den Hof auf der Suche nach Abenteuern und verbietet seiner ihn begleitenden Frau das Wort. Um ihren Mann vor Angreifern zu warnen, verstößt sie jedoch mehrmals gegen sein Gebot, woraufhin er sie wie eine Sklavin behandelt und zum Führen der den Angreifern abgenommenen Pferde verdonnert. Erec muss sich im weiteren Verlauf zahlreicher weiterer Gefahren erwehren, kämpft gegen Gauner und Edelmänner, rettet jemanden unter Einsatz seines eigenen Lebens vor zwei brutalen Riesen und wird schwerstverletzt. Zu Enite wird er später sagen, dass sein ihr auferlegtes Sprechverbot lediglich ein Test ihrer Aufopferungsbereitschaft und Treue sein sollte. Im Finale schließlich bezwingt er als erster Held überhaupt den Hünen Mabonagrim, der das Leben zahlreicher Edelmänner auf dem Gewissen hat. Am Ende geht er zurück nach Garnant und herrscht dort mit Enite gerecht, ohne Fehl und Tadel, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Soweit zum Inhalt dieses unbestritten historisch unheimlich bedeutsamen Artusromans. Die neuhochdeutsche Übersetzung stellt einen annehmbaren Kompromiss aus Beibehalt der Versstruktur und allgemeinverständlicher Lesbarkeit dar, die, so mein Eindruck, auch nicht ganz so übertrieben/gezwungen altertümlich zu klingen versucht wie andere solcher Übersetzungen. Auch wenn man sich nicht sonderlich für Artusromane interessiert, lässt sich das Buch relativ stolperfrei und rasch rezipieren. Ob es sich um einen formvollendeten Genuss handelt, dem sich immer mal wieder als solcher zu erkennen gebenden und seine Zuhörer(innen) bzw. Leser(innen) direkt ansprechenden Erzähler bei seinen Ausführungen zu folgen, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Er versichert die Glaubhaftigkeit der Geschichte, die er von einem Freund erfahren haben will und lediglich weitergäbe. Wer dieser Freund sein soll, verrät er nicht, stellenweise räumt er aber ein, wie phantastisch das alles klingt und zitiert sogar sein imaginäres Publikum! Heutzutage wissen wir, dass das billige Taschenspielertricks sind, ähnlich dem Hinweis „basierend auf wahren Begebenheiten“ manch Genrefilm-Schlockers.

Wie komme ich jetzt auf den Genrefilm? Weil mir die Artusromane so etwas wie der Ursprung der Sword-&-Sorcery-Fantasy zu sein scheinen, der viel Sword und immerhin ein bisschen Sorcery bietende Erec also so etwas wie der Urahn Conan des Barbars und Artverwandter (Ator z.B. – allein deshalb hier erwähnt, weil der so viel lustiger ist als Conan) sein dürfte. Bei diesen handelt es sich zwar um Barbaren, die sich in ihrem Verhalten jedoch nicht maßgeblich von dem der ach so edlen Ritter unterscheiden. Beiden Gattungen (wenn man sie denn so nennen will) ist gemein, dass der jeweilige Held, ob nun Ritter, Barbar oder wer auch immer sich durch mittelalterliche Fantasy-Welten schwertschwingend schlagen muss, einfach immer das entscheidende Quäntchen versierter, besser, stärker als sein oft scheinbar übermächtiger Gegner ist. Ein echter Supermann eben – und damit ein recht stumpfer Topos. Darum scheint es bei Erec jedoch gar nicht unbedingt vorrangig zu gehen, bzw. fungieren diese Heldenepisoden als Aufhänger für Verhandlungen von Ehrhaftig- und -losigkeit, Scham und Pein, Gewalt und Gnade und letztlich für Erecs Entwicklung vom übermütigen Jungspund zum vorbildlichen Ritter und verantwortungsbewussten Ehemann und Herrscher, die sich möglicherweise auch als symbolträchtige Allegorie auf den Lebensweg oder zumindest Teile dessen der Normalbevölkerung lesen lässt, als eine Art Lebensratgeber gewissermaßen (Übermut tut selten gut, kämpfe mit Verstand und lass Gnade walten, ruhe dich nicht auf deinen Lorbeeren aus, stelle dich den Herausforderungen des Lebens und übernimm Verantwortung, it’s a long way to the top usw.).

Erecs Verhalten gegenüber Enite, der, wie der Erzähler nicht müde wird zu betonen, allerschönsten aller schönen Frauen, rechtfertigt das dennoch nicht und irritiert nachhaltig – so sehr, dass weder Enite, die ihr Leben dem Erecs vollständig unterordnet, noch Erec als Identifikationsfiguren vollumfänglich taugen. Und wie auch im Nibelungenlied enthält „Erec“ einige Stilistik, die heutzutage nicht ohne Grund als schlechter Stil gilt, beispielsweise heillos übertrieben detaillierte Beschreibungen besonders wertvoller Gegenstände oder schier endlose Aufzählungen, ganz zu schweigen von diversen schwarzweißmalerischen Idealisierungen. Was damals wahrscheinlich für basses Erstaunen gesorgt hat, wirkt heute eher ermüdend. Dennoch: Kann man auch außerhalb eines ÄdL-Seminars ruhig mal gelesen haben – allein schon, um festzustellen, wie wenig sich klassische Topoi – ob nun in Form der „Heldenreise“, im Fantasy-Kitsch oder in Ästhetik und Inhalt sog. Epic-Metal-Bands – bis heute geändert haben.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR LOUNGE

Beitrag von sid.vicious »

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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

sid.vicious hat geschrieben: Fr 24. Jul 2020, 18:59 Zuletzt gelesen.
Mal die Wells-Originale zu lesen kommt sicher gut...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Beitrag von sid.vicious »

buxtebrawler hat geschrieben: Mo 27. Jul 2020, 09:18
sid.vicious hat geschrieben: Fr 24. Jul 2020, 18:59 Zuletzt gelesen.
Mal die Wells-Originale zu lesen kommt sicher gut...
Es lohnt sich auf jeden Fall. DIE ZEITMASCHINE fand ich jedenfalls klasse.
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Salvatore Baccaro
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR LOUNGE

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Vor wenigen Monaten hat mich Lize Spit mit ihrem Debut-Roman UND ES SCHMILZT... an die literarischen Grenzen des Erträglichen herangeführt, (und wohl auch ein Stückchen darüber hinaus.) Den Hochsommer wiederum versüßte bzw. vergällte mir der Roman einer weiteren jungen Schriftstellerin: THE BELL JAR, der einzige Roman der US-amerikanischen Lyrikerin Sylvia Plath, publiziert im Januar 1963, nur vier Wochen bevor sich die zeitlebens suizidale Autorin das Leben nehmen wird. Ohne zynisch klingen zu wollen: Nach Lektüre des Textes wundert mich diese Tat wenig, erzählt der stark autobiographische Text doch rückblickend vom Sommer 1953, als Plaths alter ego Esther Greenwood zunächst als Volontärin bei einem New Yorker Modemagazin arbeitet, in den Ferien zunehmend psychisch entgleist, sich schließlich in Gesellschaft von Wahnvorstellungen und Selbsttötungsversuchen wiederfindet, um letztendlich in wechselnden Psychiatrischen Kliniken zu enden. Die Sprache ist glasklar, direkt, durchsetzt von stellenweise wundervollen, nie aufdringlichen Metaphern, über weite Strecke scheint die Ich-Erzählerin ihren eigenen inneren Verfall relativ teilnahmslos von außen zu betrachten. Was beginnt wie eine bitter-komische Satire auf die Oberflächlichkeit der New Yorker High Society, entwickelt sich allerdings alsbald zu einem Blick in Abgründe, bei denen für mich besonders die Darstellungen wiederholter Elektro-Schock-Behandlungen, zu denen Esther im Namen der Medizin gezwungen wird, als kaum konsumierbar hervorstechen. Tatsächlich mag ich einmal mehr kaum glauben, wie viele Jahre dieser intensive Roman bereits auf dem Buckel hat, so offen und unverblümt wie hier über (weibliche) Sexualität, über Identitätskrisen, über die Verwerfungen einer kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft, über die Schattenseiten der instituitonellen Psychiatrie, über die Sehnsucht danach, einfach morgens nicht mehr aufzuwachen, gesprochen wird, ohne dass der Text jemals weder in Selbstmitleid noch in plakative Revolte abdriften würde, und vor allem ohne dass er sich vor einer schwarzgefärbten absurden Komik versperren würde, die einem dann doch zuweilen die Mundwinkel zu einem verzerrten Grinsen hochzieht. Dass Plath kurz nach Veröffentlichung den Freitod wählt, macht das Ganze nur noch schmerzhafter. Wann lese ich eigentlich mal wieder etwas Lebensbejahendes, Zukunftszugewandtes, Optimistisches?
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

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Frank Miller / Klaus Janson / Lynn Varley – Batman: Die Rückkehr des dunklen Ritters

Zu US-Comiczeichner Frank Millers ersten erfolgreichen Arbeiten gehört seine revolutionäre Adaption des Batman-Stoffs, die als „The Dark Knight Returns“ im Jahre 1986, ursprünglich in vier Bänden, veröffentlicht wurde und eingedeutscht o.g. Titel trägt. Die deutsche Fassung erschien erstmals 1989 und liegt mittlerweile in mehreren verschiedenen Auflagen vor. Meine ist der 2017 im Panini-Comics-Verlag erschienene, 228 Seiten starke Hardcover-Band, der neben Millers und Jansons von Varley kolorierten Zeichnungen die überarbeitete Übersetzung Steve Kups‘ und Jürgen Zahns enthält. Erweitert wurde diese Ausgabe um eine Einleitung Jürgen Zahns, ein ausführliches Vorwort Millers, ein Interview Brian Azzarellos mit Miller aus dem Jahre 2015, Millers erstes Exposé, alternative Coverbilder, Skizzen und ein Nachwort Christian Endres‘. Volles Programm also, für seine 25,- EUR bekommt man einen ordentlichen Gegenwert.

Um den stagnierenden Verkäufen der DC-Comics entgegenzuwirken, entschied man sich seinerzeit zu einem im DC-Multiversum mutigen, radikalen Schritt: Batman war deutlich gealtert und befand sich in einem selbstauferlegten Vorruhestand, Superman hatte sich unlängst enttarnt und diente nun dem US-Präsidenten und der bzw. die später hinzustoßende Robin ist weiblich. Potzblitz, das hatte es zuvor nicht gegeben. Wann immer die Reihe bisher einen Reboot erhalten hatte, war Batman wieder ein topfitter, moralisch über jeden Zweifel erhabener junger Mann, an Supis Geheimidentität wurde nicht gekratzt, Robin war stets ein Junge – und sollten die vielen verschiedenen Zeichner und Autoren doch einmal erzählerisch miteinander kollidiert sein und Widersprüche produziert haben, wurde das Problem gelöst, indem man einen der Handlungsstränge schlicht zu einem parallel auf einer weiteren Erde des Multiversums stattfindenden erklärte.

Dieser Batman oder vielmehr dieser 55-jährige Bruce Wayne ist unter Millers Federkiel nun jemand, der in den 1980ern desillusioniert von Batman in der dritten Person spricht und, noch immer mit Butler Alfred auf seinem Anwesen am Rande Gotham Citys lebend, seine doppelte Identität wie eine gespaltene Persönlichkeit behandelt – im Prinzip ähnlich wie bei ehemaligen Gegenspielern à la Harvey „Two-Face“ Dent. Diesem hat er eine plastische Operation finanziert, um seine Resozialisierung zu unterstützen. Als Batman trat er lange nicht mehr in Erscheinung, die Stadt wird mittlerweile von einer brutalen Gang, die sich „Die Mutanten“ nennt, in Atem gehalten; Gotham wird stärker von Kriminalität erschüttert als je zuvor. Diese gibt letztlich den Ausschlag dafür, dass er wieder als Batman auftritt; zeitgleich tritt Harvey Dent wieder auf den Plan und droht, die Twin Towers (!) dem Erdboden gleichzumachen. Batman bereitet sich auf den Kampf gegen den Mutantenführer vor und findet in Carrie Kelly ein Mädchen, das er zum neuen Robin ausbildet.

Doch die öffentliche Wahrnehmung hat sich geändert: Es findet eine öffentlich geführte Debatte über die Legitimität der Batman’schen Selbstjustiz statt. Der US-Präsident beauftragt gar Superman damit, Batman aufzuhalten. Und tatsächlich hat sich eine Gruppierung gebildet, die sich „Batmans Söhne“ nennt und mit unverhältnismäßig brutalen Mitteln gegen Kleinkriminelle vorgeht. Batmans alter Erzfeind, der Joker, wiederum wird vom naiven Psychologen Dr. Bartholomew Wolper als geheilt erachtet, ohne zu ahnen, dass Batmans Rückkehr auch dessen schwerstkriminelles, psychopathisches Wesen reaktiviert. Schafft Batman die Psychopathen, die er bekämpft, im Endeffekt also selbst? Oder muss er als Sündenbock einer sich verändert habenden Gesellschaft und eines Politik- und Mediensystems herhalten, in dem das Pochen auf Prinzipien wichtiger geworden ist als Menschenleben, in dem sich die Verhältnismäßigkeiten vollkommen verzerrt haben? Als aus dem Kalten Krieg zwischen den Systemen ein heißer wird, muss Superman eingreifen und versuchen, die tödlichen Folgen der aggressiven US-Außenpolitik einzudämmen...

Frank Miller zieht mit „Die Rückkehr des dunklen Ritters“ sämtliche Register, unter Atomkrieg und dem Tod des Jokers macht er’s nicht. Die Vorgeschichte(n) Batmans integriert er meisterhaft in die Erzählung und entwirft ein psychologisch (das besondere Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Joker und Batman) und gesellschaftlich komplexes Szenario, das die Realität der 1980er auf- und überzeichnet auf die Spitze treibt und in Teilen den Desillusionen der 1990er vorweggreift. Miller ersetzt konventionelle Comic-Panels durch Fernsehapparate: Große Teile der Geschichte werden in Form von Nachrichtensendungen und Talkshows erzählt, die die Debatten bestimmen und anheizen – und sogar Serienmördern wie dem Joker ein Forum bieten, zum Sprachrohr seines behandelnden Psychologen und schließlich seiner selbst werden. Miller führt vor Augen, wie damals, in den Prä-World-Wide-Web-Zeiten, die Außenwelt wahrgenommen und konsumiert wurde: Übers TV-Gerät, das als kleiner, streng umrahmter Kasten in schematisch exakt angeordneten Panel-Grids in seinen Zeichnungen eine gewisse Form von Klaustrophobie erzeugt. „Die Rückkehr des dunklen Ritters“ ist auch ein abstrahiertes Porträt der Generation TV. Als Batmans Fürsprecherin tritt mit einer ebenfalls gealterten, dick gewordenen Lana Lang eine weitere altbekannte Figur auf, was beweist, wie vertraut Miller mit dem Batman-Kosmos ist.

Zunächst einmal bekommen der sensationsjournalistische Debattenstil des medialen Overkills und Supermans plumper Patriotismus ihr Fett weg, später dann Ronald Reagan, der den Kalten Krieg für Ablenkungsmanöver von US-immanenten Missständen instrumentalisiert und letztlich gar einen Atomschlag provoziert. Miller & Co. illustrieren anschaulich dessen Folgen und lassen die USA in einem nuklearen Winter versinken. Batman tut sich mit Oliver „Green Arrow“ Queen zusammen, der ihn in seinem finalen Kampf unterstützt, welcher weitere Tode bekannter Figuren fordert und am Ende einen neuen Status Quo schafft, der mit einigen Tabus in Bezug auf die Batman-Reihe bricht. Miller konnte sich also so richtig austoben und bekam ungewöhnlich viele Freiheiten für dieses Projekt, das erzählerisch dem Neo-Noir ebenso verhaftet ist wie apokalyptischer Dystopie, Medien- und Institutionskritik, der Darstellung von Menschen in Extremsituationen und – ja, auch: etwas Humor, und zwar in seiner sarkastischen Ausrichtung. Dass all diese Ingredienzien auch dramaturgisch derart adäquat ineinandergreifen, dürfte eine der größten Herausforderungen gewesen sein. Abstriche muss man jedoch beim Realismus in Kauf nehmen (da wird in Band 2 beispielsweise von einem Maschinengewehrfeuer lediglich der Geiselnehmer getroffen, nicht aber das Kind), generell geht der Actionanteil häufig zu Ungunsten des Realismus – allen körperlichen Wehwehchen des Bat-Seniors zum Trotz.

Demgegenüber steht Millers etwas kritzeliger und stellenweise regelrecht unübersichtlicher Zeichenstil, bisweilen wirken die Zeichnungen gar regelrecht plump. Das ist gerade für die Freunde und Freundinnen der ’70er/’80er-Ära gewöhnungsbedürftig, sieht nach ungebundenem, sich seine Freiheiten herausnehmendem Independent-Stil aus, kann aber bis zum Schluss nicht ganz zur erzählerischen Qualität aufschließen. Nichtsdestotrotz stand „Die Rückkehr des dunklen Ritters“ seinerzeit für eine neue Comic-Ästhetik und machte das Medium nachhaltig für ein erwachsenes Publikum interessanter. Schade nur, dass Two-Face so bald überhaupt nicht mehr erwähnt wird – so rund „Die Rückkehr des dunklen Ritters“ als in sich abgeschlossene Graphic Novel auch erscheinen mag, es wirkt, als habe man das gute alte Doppelgesicht glatt vergessen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von purgatorio »

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Ich lese mich gerade durch Bela B.s SCHARNOW - der Debütroman von dem Kerl, der Filme so liebt, wie seine Musik. Und das merkt man hier permanent. Kurz angeteasert: In einem Kaff oberhalb Berlins überschlagen sich plötzlich die Ereignisse. Ein paar nackte Typen überfallen einen Supermarkt mit Küchengeräten und kotzen ihn dabei gehörig voll, ein mordlustiges Buch quatscht derweil die Rätselhefte im Regal voll, homosexuelle Eichhörnchen wohnen der Geburt eines Superhelden bei und der Dorfpolizist zieht sich am liebsten ANTROPOPHAGUS auf VHS rein. D'Amato als verkannter Meister in einer irrsinnigen Dorfwelt, in der Gebrüderhunde von Obamas Schoßtier zur Bekämpfung einer Weltverschwörung exekutiert werden... liest sich richtig gut weg. Als würde man Pulp Fiction auf Drogen lesen. Bisher bin ich mehr als amüsiert und habe großen Gefallen an dem Schmöcker!
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supervillain
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von supervillain »

Hatte ich zwar schon auf fb als das Forum nicht ging, doch ich muss ja mal unseren Uploader testen.

Erst mal das Paket von Hallow Press aus Italien:
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muss ich scheinbar aufteilen :???:
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