Pink Narcissus - James Bidgood (1971)
Moderator: jogiwan
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Pink Narcissus - James Bidgood (1971)
Originaltitel: Pink Narcissus
Produktionsland: USA 1971
Regie: James Bidgood
Darsteller: Don Brooks, Bobby Kendall, Charles Ludlam
Nachdem mich Jogi kürzlich durch seine "Empfehlung" des Wurstfilms DER U-BAHN FISTER in den Genuss kommen ließ, dieses Werk zumindest teilweise zu besehen, (weil, wie man weiß, das Kätzchen dann doch schlussendlich von seiner Neugierde getötet wird), musste ich angesichts der dort praktizierten rohen, nahezu proktologischen Hardcore-Homosexualität an deren genaues Gegenstück denken, das man ein halbes Jahrhundert vor den Untaten des Berliner U-Bahn-Sex-Maniacs in PINK NARCISSUS findet, einem der schönsten, erotischsten, farbenprächtigsten homoerotischen Filme, die zumindest mir bekannt sind...
Dass der hauptsächlich für seine homoerotischen Photographien berühmtgewordene Künstler James Bidgood Regie bei dem 1971 veröffentlichten US-amerikanischen Experimentalfilm PINK NARCISSUS geführt hat, dieses Geheimnis wird erst in den späten 90ern von dem Schriftsteller Bruce Benderson gelüftet: Im Abspann des einstündigen Streifens versteckt sich Bidgood hinter dem alleinigen Credit „Anonymous“ -, was im Laufe der Zeit zu wild sprießenden Spekulationen über den Verantwortlichen des einzigartigen Films geführt hat, als dessen Macher beispielweise mitunter Andy Warhol gehandelt wurde. Weshalb Bidgood seinen Namen seinerzeit nicht hatte preisgeben wollen, habe ich bei meinem Wälzen der Sekundärliteratur zu PINK NARCISSUS nicht abschließend beantworten können. Am verbreitetsten scheint wohl die Annahme zu sein, dass er seinen Film gar nicht für die Öffentlichkeit vorgesehen habe: Es soll ein reines Hobbyprojekt gewesen sein, größtenteils gedreht auf 8mm in Bidgoods eigenem kleinen New Yorker Appartement über einen Zeitraum von sieben Jahren hinweg. Außer Bidgood selbst sind bei der Produktion lediglich noch drei Schauspieler und ein Kameramann beteiligt. Fast wirkt es wie falsche Bescheidenheit, wenn Bidgood seine Autorschaft bei diesem Meilenstein des Queeren Kinos bald drei Jahrzehnte unter den Scheffel stellt…
Eine nacherzählbare Handlung besitzt PINK NARCISSUS nicht, - zumal der Film bis auf einige wenige Momente auch gänzlich auf Dialoge verzichtet. Vielmehr wohnen wir den erotischen Tagträumen bei, denen sich ein junger Mann, (bei dem es sich möglicherweise um einen Strichjungen handelt), hingibt, um seinem Alltag zu entfliehen. Die von dem Aktmodell Bobby Kendall verkörperte Figur versinkt zwischen ihren vier Wänden in Phantasien, die jede einen anderen Aspekt ihrer Sexualität zu repräsentieren scheint: Einmal bekleidet unser Pinker Narziss den devoten Part eines griechischen Sklaven; dann wieder dominiert er als Matador über einen Stier, (den wiederum die mit Hörner bewehrte subjektive Handkamera spielt); immer mal wieder schlüpft er in die passive Rolle eines Voyeurs, der beispielweise männlichen Tänzern in einem orientalischen Setting beäugt; oft treiben ihn die schwülen Vignetten, die vor seinem inneren Auge flimmern, dazu, zärtlich den eigenen Körper zu erkunden – was zeitgleich Bidgood genügend Gelegenheit gibt, diesen Körper seines Hauptdarstellers aus allen erdenklichen Perspektiven ins rechte, sprich, erotische Licht zu rücken: Mindestens genauso verliebt scheint Bidgoods Objektiv in die androgyne, rehhaft-schüchterne Erscheinung Kendalls wie diejenige Paul Morrisseys etwa zeitgleich in das Adamkostüms Joe Dallesandros, - weshalb es nicht verwundert, dass Kendall, obwohl er sich bald nach PINK NARCISSUS aus dem Rampenlicht zurückziehen sollte, in der Schwulenszene zu einer ähnlich kultisch verehrten Ikone avancierte.
Dass PINK NARCISSUS auch jenseits der Gay Community fest verankert ist im Kanon der US-Filmavantgarde liegt an seiner atemberaubenden Ästhetik irgendwo zwischen Poesie und Kitsch: Das verschwindend geringe Budget jedenfalls sieht man Bidgoods in grellen Rottönen, knallbunten Kostümen, artifiziellen DIY-Kulissen schwelgenden Bildern zu keinem Zeitpunkt an. Ebenso lässt sich dem Film nicht vorwerfen, er würde sich allzu sklavisch an seinen übergroßen Vorbildern des Queeren Kinos orientieren, namentlich: Jean Genet, (an dessen UN CHANT D’AMOUR die Zärtlichkeit gemahnt, mit denen Bidgood noch so beiläufige Gesten und Blicke ausstattet); Andy Warhol, (dessen bewusst unbeholfener Minimalismus Pate für die selbstgebastelten Kulissen gestanden haben dürfte); Jack Smith, (dessen überkandidelte Camp-Allüren stellenweise überdeutlich aufgegriffen werden.) Allen voran inspiriert worden zu sein scheint PINK NARCISSUS indes vom Oeuvre Kenneth Angers: An dessen FIREWORKS kann man wegen den nicht nur lieblichen, sondern stellenweise auch eine unterschwellige sadomasochistische Grausamkeit evozierenden Traumszenen denken; außerdem fährt einmal auch ein Homo-Biker umher, der direkt aus SCORPIO RISING herübergebrettert scheint; und diese irrealen Farben irgendwo zwischen SUSPIRIA und einem Douglas-Sirk-Melodrama treiben Angers Affinitäten für ein Hollywood voller Diven und Diamanten, (hinter denen sich bei näherem Hinsehen alles verschlingende Abgründe auftun), gewissermaßen auf eine Spitze, von der es wirklich bloß noch einen Katzensprung zum geschmacklosen Kitsch ist.
So sehr PINK NARCISSUS mit seinen metaphorischen Metamorphosen von Raupen zu Schmetterlingen, mit seiner tönenden Orchestermusik, (die gerne auch mal aus der Feder Mussorgysks stammt), mit seinen künstlichen Wiesen und Wäldern, seinen ekstatischen Bauchtänzen, seinen splitternden Spiegeln, die sich wie von Zauberhand in Spinnennetze verwandeln, so sehr der Film mit alldem maßlos ist wie ein überschäumender Champagner, so sehr hält sich Bidgood indes von der Pornographie fern, die ihm Kritiker immer wieder unterstellt haben, um sein lyrisches Tasten (und Finden) einer homosexuellen Filmsprache als Schund abkanzeln zu können. Im Klartext heißt das: Mit plumpem Hardcore-Sex hat PINK NARCISSUS nichts zu tun, und wenn einmal erigierte oder schlaffe Glieder in den Kader geraten, dann wie beiläufig, wie selbstverständlich. Die Ästhetik des Films fasst möglicherweise eine kurze Masturbationsszene pointiert zusammen: Zu sehen ist dort zwar in Großaufnahme, wie einer der Darsteller sich seinen Penis streichelt, - allerdings ist das gute Stück unter einem gazeartigen Schleier verborgen, eben genau so wie Bidgood seine Odyssee in die Lustträume eines Jünglings mit einem sinnlichen Firnis umhüllt, den man, wie bereits erwähnt, entweder gnadenlos kitschig oder auf becircende Weise poetisch finden kann. Nur einmal reißt dieser Firnis, nämlich, wenn aus einer Close-Up-Eichel ein Samenstrahl direkt ins Objekt abgefeuert wird – ein den Zuschauer unmittelbar affizierender Schock-Moment, den Gaspar Noe viele Jahre später in LOVE zitieren wird...
Re: Pink Narcissus - James Bidgood (1971)
Ansprechend gemachter Experimentalfilm ohne greifbare Handlung über einen jungen Mann, der sich erotischen Träumen hingibt, die wahlweisen von Stierkämpfern, Bikern, Männer-Harem und dergleichen handeln. „Pink Narcissus“ erinnert stark an Kenneth Anger, jedoch wirkt das hier weniger ernsthaft, sondern viel verspielter und mit großem Mut zum Kitsch und Überzeichnung. Ein Handlungsbogen ist rudimentär vorhanden und Szenen aneinander montiert, die einmal von idyllischer Natur, dann wieder von den Abgründen der Großstadt handeln. Immer jedoch mit sexuellem Unterton, der von Minute zu Minute gesteigert wird, bis dann auch ein ejakulierender Penis in Großaufnahme zu sehen ist. Doch auch das wirkt hier nicht plakativ, sondern ist kunstvoll und kreativ in die hübschen Bilder montiert, in denen es auch abseits von primären Geschlechtsorganen viel zu entdecken gibt. Hedonismus, Promiskuität und Narzissmus werden hier in allen Facetten ausgiebig zelebriert und so ist es auch wenig verwunderlich, dass der vor Kreativität überbordende Streifen in den Siebzigern auch den Nerv des Publikums traf und seitdem ausgiebig popkulturell auch ausgiebig zitiert wird.
it´s fun to stay at the YMCA!!!
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Re: Pink Narcissus - James Bidgood (1971)
Erscheint voraussichtlich am 30.11.2023 noch einmal bei Salzgeber auf DVD:
Extra:
- Kurzfilm Blank Narcissus von Peter Strickland (engl. OV, 12 Min.)
Bemerkung:
Sprache / Ton: ohne Dialog DD 2.0
Quelle: https://www.ofdb.de/vorabfassung/36877, ... Narcissus/
Extra:
- Kurzfilm Blank Narcissus von Peter Strickland (engl. OV, 12 Min.)
Bemerkung:
Sprache / Ton: ohne Dialog DD 2.0
Quelle: https://www.ofdb.de/vorabfassung/36877, ... Narcissus/
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!