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Originaltitel: The Shallows
Produktionsland: USA 2016
Regie: Jaume Collet-Serra
Darsteller: Blake Lively, Óscar Jaenada, Angelo Josue Lozano Corzo, Brett Cullen, Sedona Legge
Meine liebste Szene in JAWS – und möglicherweise meine liebste Haihorror-Szene überhaupt – ist jedoch eine, in der Haifische nur verbal und nicht visuell ihren Auftritt haben. Es handelt sich um den wirklich großartigen Monolog, in dem Robert Shaw als alter Seebär Quint dem Ozeanologen Matt Hopper und Sheriff Martin Brody, mit denen er hinausgeschippert ist, um dem Großen Weißen den Garaus zu machen, sein bislang intensivstes Erlebnis mit Haien erzählt. Vor vielen Jahren, nämlich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, sei er Mannschaftsmitglied der Indianapolis gewesen, die, unter anderem, die atomaren Bestandteile zur Insel Tinian bringen sollte, aus denen man später die Atombombe bastelte, deren Namen Little Boy schon mal im Voraus all die Opfer ihres Abwurfs über Hiroshima verhöhnt hat. Nach Erledigung des Auftrages wurde das Schiff jedoch, auf dem Rückweg in die USA, von einem japanischen U-Boot torpediert und versenkt, worauf die fast elfhundert Mann starke Besatzung hilflos mehrere Tagen mitten im Ozean trieb. „Didn’t see the first shark for about a half-hour”, erzählt Quint seinen Zuhörern. „Tiger. 13-footer. […] What we didn’t know, was that our bomb mission was so secret, no distress signal had been sent. They didn’t even list us overdue for a week. Very first light, Chief, sharks come cruisin’ by, so we formed ourselves into tight groups. It was sorta like you see in the calendars, you know the infantry squares in the old calendars like the Battle of Waterloo and the idea was the shark come to the nearest man, that man he starts poundin’ and hollerin’ and sometimes that shark he go away… but sometimes he wouldn’t go away. Sometimes that shark looks right at ya. Right into your eyes. And the thing about a shark is he’s got lifeless eyes. Black eyes. Like a doll’s eyes. When he comes at ya, he doesn’t even seem to be livin’… ’til he bites ya, and those black eyes roll over white and then… ah then you hear that terrible high-pitched screamin’. The ocean turns red, and despite all your poundin’ and your hollerin’ those sharks come in and… they rip you to pieces. You know by the end of that first dawn, lost a hundred men. I don’t know how many sharks there were, maybe a thousand. I do know how many men, they averaged six an hour. Thursday mornin’, Chief, I bumped into a friend of mine, Herbie Robinson from Cleveland. Baseball player. Boson’s mate. I thought he was asleep. I reached over to wake him up. He bobbed up, down in the water, he was like a kinda top. Upended. Well, he’d been bitten in half below the waist. […] So, eleven hundred men went into the water. 316 men come out, the sharks took the rest, June the 29th, 1945.” Am Ende seines Berichts, den er Brody und Hopper in der nur spärlich ausgeleuchteten Schiffskabine gehalten hat und dem die beiden Männer schweigend, jedoch mit vielsagenden Blicken gefolgt sind, schließt Shaw mit einem trockenen Kommentar, der das geschilderte Grauen für mich noch einmal um ein Vielfaches verstärkt. „Anyway, we delivered the bomb”, sagt er und führt eine weitere Tasse mit Hochprozentigem zu seinem grinsenden Mund.
Weder JAWS selbst noch irgendein späteres Werk des von ihm ausgelösten Sharkploitation-Genres – sei es nun, in Mexiko, ¡TINTORERA! (1977) oder CYCLONE (1979), oder, in Italien, L’ULTIMO SQUALO (1981) oder CRUEL JAWS (1995), oder, in den USA, SHARK ATTACK (1999) oder DEEP BLUE SEA (1999) - konnte für mich die in Shaws kargen, nüchternen Worten mehr angedeutete als ausagierte Höllenvision auf offener See auch nur annähernd ebenbürtig visualisieren – von solchen Trash-Festen wie Lamberto Bavas SHARK: ROSSO NELL’OCEANO (1984) oder gar den Asylum-Unfug SHARKNADO (2013) ganz zu schweigen. Mich am ehesten zu identifizieren gelingt es mir noch mit dem realistischeren, semi-dokumentarischen Ansatz, den neuere Haihorror-Filme wie OPEN WATER (2003) oder THE REFF (2010) vertreten. OPEN WATER, irgendwann einmal von irgendwem als BLAIR-WITCH-PROJECT auf dem hoher See bezeichnet, vertraut nicht auf großartige Spezialeffekte oder aus-geklügelte Actionszenarien oder ausgefeilte Charakterstudien, um seinem Publikum wenn nicht das Fürchten zu lehren, so doch zumindest für den nächsten Surf- oder Badeausflug ein unangenehmes Gefühl in der Bauchgegend zu verschaffen. Stattdessen könnte die Grundidee des Films, der dann auch im weiteren Verlauf nichts Nennenswertes hinzuaddiert werden wird, minimalistischer nicht sein: Zwei Taucher, Mann und Frau, werden von dem Boot, das sie raus aufs Meer gefahren hat, schlicht vergessen, und finden sich, zurück an die Oberfläche geschwommen, mutterseelenallein auf weiter See vor. Bald schon leisten ihnen jedoch Haie Gesellschaft, und bringen erst ihn zur Strecke, bevor sie sich angesichts der ausweglosen Situation für Suizid entscheidet. Die Kamera befindet sich stets dicht an den Charakteren, etwa auf Wellenhöhe, sodass OPEN WATER weitgehend aus Großaufnahmen feuchter Gesicht besteht, die sich panisch nach der nächsten auf sie zusteuernden Flosse umschauen, kurz-um: Es wirkt tatsächlich, als würden wir Found-Footage-Material sehen, das ein unsichtbarer Dritter von dem Todeskampf unserer beiden Helden mit seiner ebenfalls unsichtbaren Kamera aufgenommen hat. Man sieht die Haie selten – es handelt sich allerdings um keine Modelle, sondern um Lebendexemplare des völlig ungefährlichen Karibischen Riffhaies -, dafür umso mehr das, was ihre Anwesenheit in den Körpern derjenigen hervorruft, die gezwungen sind, mit ihnen in Kontakt zu treten.
Ein ähnliches Konzept verfolgt THE REEF des Australiers Andrew Traucki, der sich mit seinen drei bisherigen Langfilmen vollkommen dem naturalistischen Tierhorror verpflichtet hat – in BLACK WATER (2007) sind es Krokodile, in THE JUNGLE (2013) Found-Footage-Leoparden (oder doch Leoparden-Männer, ähnlich den Leoparden-Frauen in Amando de Ossorios LA NOCHE DE LOS BRUJOS (1974)!?) und in THE REEF eben Haie, die seinen Allerwelthelden nach dem Leben trachten. Im Gegensatz zu OPEN WATER bietet THE REEF schon ein geringfügig komplexeres Storygerüst: Statt einem einzigen Pärchen ist es eine Gruppe bestehend aus zwei Frauen und drei Männern, die auch nicht einfach im Ozean vergessen werden, sondern erstmal mit ihrer Segelyacht auf ein Riff laufen und kentern müssen, bevor sie sich – bis auf einen, der es vorzieht, auf dem Schiffsrumpf zu bleiben – schwimmend zurück gen Festland aufmachen. Das liegt natürlich so weit entfernt, dass bald die Kräfte schwinden, gruppeninterne Zwistigkeiten aufbrechen und die ersten Haie vorsichtig ihre Zähne nach den strampelnden Beinen unserer Protagonisten ausstrecken. Wie in OPEN WATER sind diese so gut wie unsichtbar, mehr Schatten als konkrete Monstren, und komplett aus Fleisch und Blut. Was THE REEF grundlegend von OPEN WATER unterscheidet, lässt sich am besten vielleicht an den Finalen beider Filme veranschaulichen: OPEN WATER besitzt eins der nihilistischsten Filmenden, die man sich vorstellen kann: Unsere Heldin löst die Taucherausrüstung von ihrem Rücken und stürzt sich unter Wasser, um niemals mehr aufzutauchen, tötet sich selbst, bevor die Haie ihr das abnehmen können. Bald schon beruhigt das Meer sich an der Stelle, wo sie verschwunden ist. Es wirkt, als sei sie niemals dort gewesen. THE REEF haut da schon mehr auf einen versöhnlichen Putz, wenn das bis dahin überlebende Pärchen sich einen wahren Wettlauf mit einem Hai zu einer Felseninsel liefert, und der männliche Part des Paares in letzter Sekunde von ihm weggerissen wird, während der weibliche Part es ebenfalls in letzter Sekunde gerade noch auf die rettende Klippe schafft. Allein ihr Überleben vermittelt schon eine andere Botschaft als die in OPEN WATER. Während es dort zwischen den Zeilen heißt, dass wir, in bestimmten Situationen, so klug und so kräftig und so willensstark sein können wie wir wollen, wir verlieren doch unser Leben, so sagt THE REEF vielmehr, dass man kämpfen muss zum Schluss, dann besteht immerhin noch die Möglichkeit, den Kopf aus der Schlinge bzw. aus dem Wasser zu bekommen. Ich erzähle das alles, weil mir Jaume Collet-Serras THE SHALLOWS von 2016 vorkommt wie der logische dritte Schritt innerhalb dieser Entwicklung. Er hat einen mehr oder minder realistischen Anfang, wird dann mehr und mehr überrannt von sattsam bekannten Klischees und überspitzter Dramatik, um schließlich in dem wohl kitschigsten Ende auszulaufen, das ich seit langem in einem Spielfilm gesehen habe. Worum geht es aber überhaupt?
Nancy reist nach Mexiko, um einen Strand zu besuchen, der der Lieblingsplatz ihrer kürzlich an Krebs verstorbenen Mutter und an dem sie vor etwa zwanzig Jahren mit ihr im Bauch surfen gewesen ist. Allein genießt sie an dem versteckten Ort, der aussieht, als seien die von Experten gephotoshoppten Bilder eines Reisekatalogs zum Leben erwacht, die Wellen, die Sonne, die Erinnerungen an die geliebte Tote. Anfänglich hält sie sich von den beiden jungen Männern fern, die ebenfalls dort surfen, schließlich knüpft man Bekanntschaft, doch Nancy will noch bleiben, die Nacht dort verbringen, während die beiden zurück zur Küste aufbrechen. Da stößt Nancy auf einen Walkadaver, der nicht nur voller an ihm pickender Möwen ist, sondern offensichtlich auch einem Haiangriff zum Opfer fiel. So frisch wie er aussieht, kann der Mörder nicht fern sein, und wirklich: Als sie versucht, so schnell wie möglich zum Strand zurückzukommen, sieht sie schon die gefürchtete Flosse auf sich zukommen, und flüchtet erstmal auf den Rücken des erlegten Wals. Alle Versuche, die beiden ihren Kram zusammenpackenden und mit ihrem Jeep da-vonfahrenden Männer auf sich aufmerksam zu machen, scheitern. Zu weit ist sie schon von der Küste entfernt. Dafür schenkt ihr der Hai mehr von seiner Aufmerksamkeit und stürzt sie kurzerhand von dem Kadaver ins Meer. In letzter Not rettet Nancy sich auf eine aus dem Ozean herausragende Felsspitze. Dass die aber am nächsten Morgen von der Flut überspült werden wird, ist ihr genauso klar wie, dass die hereinbrechende Nacht sie erstmal dazu verdammt, dort auszuharren. Gesellschaft hat sie nur von einer verletzten Möwe, die ihr von nun an nicht mehr von der Seite weicht, und die sie auf den Namen Steven Seagull tauft. Am nächsten Morgen reihen sich dann die Katastrophen: Ein Trunkenbold, der am Strand gepennt und sich bereits ihren dort herumliegenden Rucksack gesichert hat, kann der Verlockung nicht widerstehen, zu ihrem Surfbrett zu paddeln und sich das auch noch unter den Nagel zu reißen, und wird genauso von dem nimmersatten Hai zerlegt wie die beiden Surfer, die zurückkehren, Nancy wild mit den Armen wedelnd auf dem Felsen erblicken und dumm genug sind, ihr beide entgegen- und damit mitten in das Haifischmaul hinein zu schwimmen. Währenddessen steigt die Flut, und Nancy hat die Wahl: Zu warten bis das Wasser ihr bis zum Hals steht oder zu versuchen, es bis zu einer nahen Boje zu schaffen…
Leicht ist es, sich die Kulisse von THE SHALLOWS als die eines Theaterstücks vorzustellen. Nehmen wir Platz an der Küste, unserem Auditorium, und richten wir die Blicke auf die See hinaus, erweckt diese den Eindruck einer Bühne mit drei wichtigen Stationen: 1) dem Waldkadaver rechts in unserem Blickfeld, in der Mitte 2) der stetig schwindende Felsen, und 3) die unaufhalt-sam mit den Wellen wippende Boje ziemlich weit links. Dahinter öffnet sich der Ozean, um mit dem Horizont zu verschmelzen. Zwischen diesen drei Stationen bewegt sich unsere Heldin sukzessive von rechts nach links, nachdem sie der Hai erstmal dazu gezwungen hat, Position zu beziehen. Ihre Reise beginnt bei dem toten Wal, geht über den Felsen und endet bei der Boje. Zwi-schendurch können wir zusehen wie der langfingrige Säufer und die beiden Surfer aus dem Auditorium ins Meer springen, und es, wenn überhaupt, nur bis zu Nancys Felsen schaffen bevor sie unser Antagonist unweigerlich in die Tiefe reißt. Verglichen mit OPEN WATER und THE REEF hat THE SHALLOWS einen eindeutigeren Bühnencharakter. Nicht nur, dass eine klassische dreigliedrige Struktur gewahrt bleibt, bei der jede Station von Nancys Kampf ums Überleben auch eine auf einem schrittweisen Entwicklungsprozess ihres Selbst und eine auf dem stetigen Zuziehen der Spannungsschraube ist, gerade auch die Einheit von Raum und Zeit hat einen Reiz, der den beiden vorherigen Filmen fehlt, bei denen man allein, weil sie hauptsächlich im offenen Meer spielen, rein optisch überhaupt nicht feststellen kann, wieweit und ob überhaupt die Figuren sich von der Stelle bewegt haben.
Interessanterweise sind die drei Stationen Wal-Felsen-Boje aber auch Sinnbilder für die Kapriolen, die das Drehbuch schlägt. Der Walkadaver, das ist ein Anblick, so realistisch, dass es beinahe schon surrealistisch wirkt, mit seinem Kranz aus kreischenden Möwen auf seinem wettergegerbten, vernarbten Körper. Nachdem der Hai, einem Rammbock gleich, Nancy von ihm runtergeschubst und sie erstmal Zuflucht auf dem Felsen gesucht hat, beginnt der vermeintlich naturalistische Anstrich des Films aber schon zu bröckeln, und THE SHALLOWS schlägt schon ziemlich früh, nämlich noch in seinem ersten Drittel, den Weg ein, den THE REEF erst weit gegen Ende unter der Konvention hat einbrechen lassen. Dass Nancy einen Begleiter in Form einer Seemöwe bekommt, ist ja noch vertretbar, doch dass der Hai, der scheinbar nichts Besseres zu tun hat als darauf zu warten, dass Nancy oder irgendwer sonst zu ihm ins Wasser hüpft – wieso frisst er denn nicht einfach in aller Ruhe seinen Walfisch auf? Müsste der nicht für vier, fünf Mahlzeiten reichen? -, das ist schon ein Schritt in eine Richtung, wo es mehr darum geht, den animalischen Gegner nicht als instinktgetriebenes, im Prinzip unschuldiges Tier, sondern als im Prinzip bösartigen, gefräßigen, dazu fast schon taktisch kühl agierenden Antagonisten darzustellen. Wenn der Hai das absolute Böse ist, dann muss Nancy natürlich nicht nur optisch strahlen – die mir bislang unbekannte Blake Lively, berühmt geworden durch die US-amerikanische Jugendserie GOSSIP GIRL, sieht nämlich in etwa so aus wie ich mir das All-American Girl From Next Door vorstelle -, sondern auch seelisch eine gute Partie abgeben, sprich: eine Entwicklung durchleben, die sie zum Final Girl erst legitimiert. In einem Telefongespräch mit ihrem Vater zu Beginn erfahren wir: Sie hat Medizin studiert. Sie hat abgebrochen. Sie hängt nun irgendwie in der Luft. Dann noch der Tod der Mutter. Ihr Vater hätte sie gerne als Kämpferin. Im Moment hält er nicht so viel von ihr und ihrem Lebenswandel. Es hagelt Vorwürfe, und so weiter. Im Laufe von THE SHALLOWS wird Nancy nunmehr genau zu dem: Eine Kämpferin, die ihr Leben in die eigene Hand nimmt. Man könnte sagen: Der Hai zwingt sie zur Emanzipation. Nur, dass ihre Emanzipation eigentlich darauf hinausläuft, dass sie nicht zu einer selbstbestimmten Frau wird, die ihren eigenen Kopf durchsetzt, sondern zu Daddys Girl. Das wird besonders evident im Finale von THE SHALLOWS: Nancy klammert sich mit letzter Kraft an die Boje, die der Hai geschickt und zielsicher immer wieder attackiert, um sie von ihr herunterzuschleudern. Da kommt ihr eine Idee, die mir in der Situation niemals gekommen wäre: Sie hält sich fest an der letzten Eisenkette, die die Boje über Wasser hält – die letzte, weil der Hai alle andern schon zerbissen hat -, und lässt sich von ihr, ist sie einmal gelöst, zum Meeresgrund ziehen. Der Hai folgt ihr dicht auf den Fersen – und knallt mit seiner Fresse direkt auf das Eisending, dessen Namen ich nicht kenne, das aber ursprünglich dafür da war, sämtliche die Boje haltende Ketten zu vereinen, und wird von diesem förmlich aufgespießt. Nancy sehen wir im Epilog gemeinsam mit kleiner Schwester und Vater im Sonnenschein am Strand sitzen. Ihr Bein ist heil, nur eine Narbe erzählt von den erlittenen Verletzungen. Ihr Vater nickt gütig, und sie stürzt sich mit Schwesterlein und Surfbrett in die Fluten. Wüsste ich es nicht besser, würde ich annehmen, dieser Schlussakkord, dessen Kitsch schon in den Ohren wehtut, sollte eine Halluzination Nancys sein - ähnlich wie bei den wohl bewusst unglaubwürdigen letzten Szenen in Scorseses TAXI DRIVER (1978) -, kurz vor ihrem Sterben. Allerdings sind die letzten Szenen von THE SHALLOWS wirklich derart übertrieben harmonietrunken, dass der Film dadurch kurz vorm Abspann zur Parodie werden würde – und irgendwie fühlt es sich für mich einfach nicht danach an, dass vorliegender Film nicht doch zuletzt in der Botschaft aufgehen will, dass das Paradies auf Erden nicht fern ist, wenn man nur auf Papa hört, brav sein Studium durchzieht und bei einer Haiattacke einen klaren Kopf und einen selbst in Extremsituationen jedem Fashion-Model die Show stehlenden Body behält.
Was THE SHALLOWS dann vielleicht aber noch am weitesten wegführt von dem subtilen Unbehagen, das mir OPEN WATER und THE REEF, der eine mehr, der andere weniger, beschert hat, ist der Entschluss, den Großen Weißen ins denkbar schlechteste Licht zu rücken: Der Hai in THE SHALLOWS ist weder einer aus Fleisch und Blut noch ein lebensgroßes Modell, sondern besteht vollkommen aus Pixeln – und leider sieht man ihm das in jeder Sekunde seiner Auftritte an. Kein Wunder also, dass er so intelligent agiert. Seine Informationen sind ihm allesamt von Programmierern eingespeist worden. Der Kampf zwischen Nancy und ihm ist also nicht so sehr einer zwischen Mensch und Tier, sondern zwischen Mensch und CGI. Diese Affinität für die moderne Technik, die in OPEN WATER und THE REEF gänzlich fehlt, obwohl alle drei Filme ja im gleichen Computer-Age entstanden sind, zeigt sich auch an dem einzigen inszenatorischen Novum vorliegenden Films: Wenn Nancy am Anfang mit Vater und Schwester skypt, und mit ihrer besten Freundin whatsapped, dann werden die jeweiligen Smartphone-Fensterchen über das – ich nenne es mal: normale – Filmbild gelegt. Das sieht dann z.B. so aus: Da ist eine überästhetisierte Panoramaauf-nahme des Strands, wo Nancy als kleiner Punkt umherstrolcht, und rechts oben ein Videofenster mit dem Gesicht des Schwes-terchens, und rechts unten das Videofenster mit Nancys eigenem Gesicht. Die Leinwand wird zu einem Smartphone-Display, auf dem sich, während der eigentliche Film den bewegten Desktop bildet, beliebige Tasks öffnen lassen. Wir sehen Nancy aus der Ferne und ganz nahe, ihr Gesicht in Großaufnahme. Da alles parallel abläuft, sehen wir auch ihre Schwester hunderte Kilometer weg irgendwo in den USA. Schon einige Zeit frage ich mich, wie das Kino eigentlich mit Phänomenen wie Sozialen Netzwerken und der dadurch resultierenden Gleichzeitigkeit von Ereignissen umgehen wird. Gerade im Sektor von Filmen wie vorliegendem – für ein junges Publikum, den Digital Natives, die schon als Säuglinge ein Facebook-Profil habe – stellt sich scheinbar diese Frage auch den Machern. Solche Werke wie THE DEN (2013) oder UNKNOWN USER (2014) lösen das Problem, wenn man es denn als eines sehen möchte, ja nur halb. Sie sind zusammenkompiliert aus Aufnahmen von Live-Chats, Bildnachrichten, heimlichen Webcam-Mitschnitten etc., und spielen deshalb komplett in einem intradiegetischen Raum. Interessanter wird es für mich bei Filmen wie THE SHALLOWS, die weiterhin die bekannte filmische Illusion wahren wollen, andererseits aber versuchen, irgendwie auch die der Postmoderne inzwischen immanenten veränderten Zeit- und Raumwahrnehmungen abzubilden. THE SHALLOWS‘ Lösung ist da wohl nicht der Weisheit letzter Schuss, aber immerhin schon mal ein interessanter Anfang.
Irgendwie ist es schon bezeichnend, stelle ich gerade fest, dass ich an einem Film, in dem es eigentlich darum geht, dass eine blonde Schöne von einem großen Weißen verfolgt wird, ausgerechnet lobe, wie er das Geskype seiner Protagonistin in den Bildkader integriert. THE SHALLOWS ist wahrscheinlich wirklich nur etwas für Leute, die von Haien nicht zu viel bekommen können, denen der neuste Asylum-Blödsinn aber dann doch zu sehr verschwendete Zeit und Liebesmüh ist. Mehr braucht man über diesen Film, glaube ich, nicht zu wissen. Er wurde gedreht, um kurzfristig zu unterhalten, und langfristig vergessen zu werden. Vielleicht komme ich ja auf ihn zurück, wenn ich in zehn Jahren rückblickend über die Anfänge des sogenannten Skype-Cinemas schreibe, und zwar im allerersten Kapitel, das dann „Archaismen“ heißen wird.