Voll das Leben - Reality Bites - Ben Stiller (1994)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
jogiwan
Beiträge: 39058
Registriert: So 13. Dez 2009, 10:19
Wohnort: graz / austria

Voll das Leben - Reality Bites - Ben Stiller (1994)

Beitrag von jogiwan »

Voll das Leben - Reality Bites

Bild

Originaltitel: Reality Bites

Herstellungsland: USA / 1994

Regie: Ben Stiller

Darsteller: Winona Ryder, Ethan Hawke, Janeane Garofalo, Steve Zahn, Ben Stiller

Story:

Obwohl sie als Jahrgangsbeste die Abschlussrede in ihrem College hält, muss Lelaina wenig später wie auch ihre Freunde die bittere Erfahrung machen, dass die Arbeitswelt nicht unbedingt auf ambitionierte Studenten wartet. Und so arbeitet Lelaina wenig später als Praktikantin in einer Morgenshow und filmt nebenher ihre Freunde, wie sie ihre Existenzängste und sonstigen Befindlichkeiten in die Kamera sprechen um irgendwann einmal daraus eine prämierte Dokumentation über die Generation X zu machen. Bis es soweit ist, lassen aber Probleme wie Geldknappheit und Arbeitslosigkeit nicht lange auf sich warten und auch in Sachen Liebe muss sich die junge Frau schon bald zwischen Bauchgefühl und Vernunft entscheiden...
it´s fun to stay at the YMCA!!!



» Es gibt 1 weitere(n) Treffer aus dem Hardcore-Bereich (Weitere Informationen)
Benutzeravatar
jogiwan
Beiträge: 39058
Registriert: So 13. Dez 2009, 10:19
Wohnort: graz / austria

Re: Voll das Leben - Reality Bites - Ben Stiller (1994)

Beitrag von jogiwan »

„Reality Bites“ ist ja auch so ein Kultfilm aus den Neunzigern, der sich knapp zwei Jahrzehnte später eher als dramaturgische Luftnummer entpuppt und noch dazu schlecht gealtert scheint. Statt das Leben und die Existenzängste der Generation X zu portraitieren, gibt es in Ben Stillers lahmen Streifen auch ein eher unglaubwürdiges Figuren-Karussell mit ihren Luxus-Problemchen, dass noch dazu auch noch sehr an der Oberfläche verhaftet bleibt. Gesellschaftlich relevante Themen wie mangelnde Zukunftsperspektiven, Ausbeutung am Arbeitsplatz, Aids und dergleichen werden zu Lasten einer vollkommen vorhersehbaren Liebesgeschichte untergeordnet und natürlich entscheidet sich die mit dem „realen Leben“ scheinbar hoffnungslos überforderte Drama-Queen Lelaina am Ende nicht für den dumm-doofen Yuppie und ein finanziell abgesichertes Leben, sondern für den chaotischen Philosophen, der noch weniger auf die Reihe bekommt. So war das damals einfach und diese Generation hatte einfach noch die Möglichkeit, sich ihre Probleme selbst zu schaffen, ehe das Internet kam und den Rest erledigte. Man wird als Zuschauer auch die ganze Zeit das Gefühl nicht los, dass in „Reality Bites“ ausgerechnet die langweiligste Figur von allen ins Zentrum der Geschichte gestellt wird. Dabei ist Winona Ryder zwar einfach süß anzusehen und auch die „ehrlicheren“ Homevideoszenen wissen zu gefallen, aber der Rest ist ein nur in Ansätzen stimmiger, und ansonsten eher trivialer und auch ziemlich verklärter Blick auf die Neunziger und eine Generation, die sich selbst einfach viel zu wichtig genommen hat und neben viel Product-Placement kaum Nachhaltiges zu bieten hat.
it´s fun to stay at the YMCA!!!



» Es gibt 1 weitere(n) Treffer aus dem Hardcore-Bereich (Weitere Informationen)
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40043
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Voll das Leben - Reality Bites - Ben Stiller (1994)

Beitrag von buxtebrawler »

Immer auf der Suche nach der nächsten filmischen „Breakfast Club“-Erfahrung und mit einer leichten Schwäche für Winona Ryder gesegnet, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich auf Ben Stillers Spielfilm-Regiedebüt „Reality Bites“ aus dem Jahre 1994 stoßen würde. Das Drehbuch stammt von Helen Childress.

„Reality Bites“ versucht, in einer Mischung aus „Romantic Comedy“ und „Coming-of-age“-Streifen das Lebensgefühl junger Erwachsener in den 1990ern nachzuzeichnen, und zwar anhand einer Gruppe Collegeabsolventen, die versuchen, sich im Leben zurechtzufinden. Das erinnert nicht nur stark an das 80er-Pendant, den inoffiziellen „Breakfast Club“-Nachfolger „St. Elmo’s Fire“, tatsächlich dürfte Joel Schumachers Generationsporträt eine große Inspirationsquelle gewesen sein. Hauptunterschied ist die Ausrichtung auf die der Generation der 90er oft angedichtete Orientierungslosigkeit gepaart mit rebellischer Verweigerungshaltung bis hin zur mit der „Grunge“-Jugendkultur in Verbindung gebrachten Apathie.

Man wird mit fünf Hauptcharakteren konfrontiert: Auf der einen Seite die Clique bestehend aus der idealistischen, in die Medienbranche drängenden Lelaina (bezaubernd: Winona Ryder), dem arbeitslosen Hobbymusiker, Freizeitphilosphen und Kurt-Cobain-Lookalike Troy (Ethan Hawke), dessen Vater im Sterben liegt und der eine von Zynismus geprägte „Scheiß auf alles“-Phase durchläuft, die beruflich erfolgreich ihre ersten Karriereschritte machende, damit und mit ihrem sprunghaften Sexualleben aber ihr schwaches Selbstbewusstsein kompensierende und unter starken Bindungsängsten leidende Vickie sowie der schüchterne, sein „Coming out“ vorbereitende Homosexuelle Sammy, auf der anderen Seite der yuppiehafte Michael (Ben Stiller), der sich in Lelaina verliebt und dadurch die Cliquen-Strukturen durcheinander bringt. Dort ist es nämlich anscheinend ungeschriebenes Gesetz, dass Lelaine und Troy etwas für einander empfinden, aber keine Versuche unternehmen, zusammenzufinden.

Ok, das gibt natürlich Anlass für reichlich Romantikkitsch und nach der anfänglich recht klischeebehafteten Vorstellung der Charaktere mag manch einer schon vorschnell das Handtuch werfen und abschalten. Doch ähnlich wie seinerzeit „St. Elmo’s Fire“ entwickelt sich der Film bzw. entwickeln sich die Charakterzeichnungen, werden facettenreicher, interessanter. Die Beziehungskiste, das unheilvolle Dreieck zwischen Lelaine, Michael und Troy zieht sich zwar durch den gesamten Film, doch die zahlreichen Nebenschauplätze, die die Schwierigkeiten der Protagonisten im Alltag zeigen, sind häufig mit einem gelungenen Sarkasmus versehen worden und nehmen z.B. die verlogene Medienwelt, aber auch andere Branchen kritisch auf die Schippe. Das ist nicht nur dramaturgisch und inszenatorisch ziemlich gelungen, sondern bewahrt den Film vor einer eindimensionalen Sichtweise, die die Clique als realitätsfremde, faule und/oder doofe Wohlstandskinder hinstellen würde. So verkehrt sich die Aussage recht bald ins Gegenteil, denn die Arbeitswelt, der „Ernst des Lebens“ erscheint wenig attraktiv und erstrebenswert, und zwar aus gutem Grunde. Ein wenig US-typische „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Ideologie darf natürlich trotzdem nicht fehlen, aber es wird wohl auch niemand erwarten, dass der Film die Systemfrage stellt.

Die Romanze bzw. das, was einmal eine werden will, zwischen Lelaina und Troy entwickelt sich dann aber erwartungsgemäß dramatisch, wobei hier das Drehbuch leider arg dick aufträgt und es irgendwann nur mehr lächerlich wirkt, welch abnormales Kommunikationsproblem die beiden haben – „Gute Zeiten – schlechte Zeiten“ ist ein Scheiß dagegen. Trotzdem: Ich als „selbst Betroffener“ behaupte, dass es Stiller und Childress tatsächlich gelungen ist, das Lebensgefühl der 90er, sofern es wirklich etwas gegeben hat, das diese Bezeichnung verdient, zumindest partiell einzufangen und unterhaltsam aufzubereiten, ohne dabei allzu sehr zu verflachen. Die letztlich dann doch – mit Ausnahme Troys, das möchte ich ausdrücklich betonen – recht klischeearmen Charaktere, der rockende Soundtrack und natürlich der grenzenlose Charme Winona Ryders, die schlicht perfekt in ihre Rolle passt, machen „Reality Bites“ zu einem guten Film, der zwar gekonnt den Spagat zwischen Kommerzkitsch und halbsubversivem Anspruch meistert, dadurch zwangsläufig aber kein schwer begeisterndes, emotional nachhaltig aufwühlendes Filmerlebnis mit dem Potential, das Leben seines Publikums zu verändern, schafft.

Das ist zumindest mein Stand nach der Erstsichtung, die ordentliche 7 von 10 Punkten zulässt. Evtl. ist da aber noch Luft nach oben, das wird ein Wiedersehen ergeben.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40043
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Voll das Leben - Reality Bites - Ben Stiller (1994)

Beitrag von buxtebrawler »

Ist mutmaßlich am 10.12.2020 bei Universal auf Blu-ray erschienen:

Bild
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten