Originaltitel: Les fruits de la passion
Produktionsland: Japan/Frankreich 1981
Regie: Shuji Terayama
Darsteller: Isabelle Illiers, Klaus Kinski,Arielle Dombasle, Peter, Keiko Niitaka, Sayoko Yamaguchi, Hitomi Takahashi
Zunächst muss ich gestehen: Ich habe keinen von Aurys Romanen gelesen. Selbst an die Verfilmung ihrer HISTOIRE D’O von 1975 durch Just Jaeckin erinnere ich mich nur noch schemenhaft. Da sich Terayama indes, wie mir die Sekundärliteratur vermeldet, mit seiner Adaption sowieso ziemlich weit von der ursprünglichen Geschichte sowie der Intention und der Charakterzeichnungen Aurys wegzubewegen scheint, fällt dieser Mangel an Kenntnis wohl aber nicht so sehr ins Gewicht. Zumal es LES FRUITS DE LA PASSION, meinem Empfinden nach, zu keinem Zeitpunkt ein Anliegen ist, ein Film zu sein, der sich primär über seine Narration definiert. Wenn Terayama den Lüstling Kinski und die ihm in einer Ergebenheit bis zur Selbstaufgabe Sex-Sklavin Isabelle Illiers in den Fernen Osten schickt, wo Sir Stephen die O sodann in einem Bordell ablädt, auf dass sie ihm ihre grenzenlose Liebe beweise, indem sie sich zur Edelhure erniedrigt, d.h. ihm Gelegenheit gibt, sie bei allerhand obskuren Sex-Eskapaden mit ihren Freiern zu bespitzeln, dann gilt das Interesse des in der Vergangenheit selten um Ikonoklasmen und Tabubrüche verlegenen Regisseurs in jeder einzelnen Sekunde mehr den überbordenden, phantasievollen Dekors, den bizarren Figuren, verfremdenden Farbfiltern, surrealistischen Traumsequenzen und, natürlich, mehr oder minder kalkulierten Provokationen, die sich vor allem im Geschlechtlichen abspielen, denn: Offensichtlich ist LES FRUITS DE LA PASSION ein Hardcore-Porno, der wie ein Softsexstreifen montiert wurde, denn niemand kann mir erzählen, dass Klaus Kinski gerade in seiner allerersten Koitus-Sequenz, wo er eine asiatische Dirne beglückt, die junge Frau nicht wirklich penetriert, - wobei Terayama in einer Szene dann auch tatsächlich unverblümt die Grenze zum Hardcore überschreitet, wenn Isabelle Illiers das (schlaffe) Glied eines Kunden in ihren Mund nehmen muss, und sodann von Kinskis Pranke noch dichter an den Schambereich des Mannes gepresst wird.
LES FRUITS DE LA PASSION ist ein Tableau, eine lose Aneinanderreihung überladender, manchmal prätentiöser Bilder, ein Sammelsurium von Momentaufnahmen, in denen sich der Bordell-Alltag spiegelt, und Versatzstücken einer dann doch fast romantischen Liebesgeschichte: Denn ein mittelloser Kuli verliebt sich in die O allein dadurch, dass er von seiner armseligen Unterkunft genau auf dasjenige Fenster des Luxus-Laufhauses schauen kann, hinter dem diese ihr eher freudloses Dasein fristet. Er schickt ihr Rosen, beobachtet sie Tag und Nacht, wagt es schließlich, bei der Puffmutter, (dargestellt von dem berühmten japanischen Transsexuellen Peter, den man vor allem auch aus Matsumutos BARA NO SORETSU kennen könnte), um ein Stelldichein mit ihr zu bitten. Da der Arme jedoch mehr Löcher als Geld in der Tasche hat, wirft Madame ihn wie einen Bittsteller auf die Gasse. Grund genug für unseren Helden, sich einer revolutionären Zelle anzuschließen, die im Untergrund gegen die englische Kolonialmacht operiert. Durch sein Mitwirken bei einem Attentat verdient er letztlich genug, um sich die O endlich leisten zu können. Wie so oft wird Sir Stephen, der bocksgeil versteckt der Szene beiwohnt, Zeuge, wie die O auch diesen Freier von sich stößt, als er sie küssen will: Nein, dieses Privileg gehört allein ihrem Herrn und Gebieter! Doch dann wird ihr gewahr, wie viel Leid und Schmerzen der junge Mann auf sich genommen hat, nur um endlich bei ihr zu sein. Die beiden jungen Leute nähern sich an, seelisch wie körperlich, verbringen eine Liebesnacht miteinander. Grund genug wiederum für Kinski, seinen Revolver zu zücken, und kurzen Prozess mit seinem Nebenbuhler zu machen. Das ist also der schmucklose Kern dieses visuell berauschenden Films, dessen nacktes Gerippe man noch notdürftig dadurch ummanteln könnte, dass Sir Stephen eine europäische Geliebte hat, mit der er wiederum im Beisein der gefesselten O den Beischlaf vollzieht, um sie zusätzlich zu demütigen, oder damit, dass Sir Stephen als Geldgeber der erwähnten Terrorzelle fungiert, den Revoluzzern aber irgendwann den Geldhahn zudreht, und nun selbst zu deren Feindbild wird, oder dass die O von freudianischen Träumen an ihren Vater heimgesucht wird, (ohne dass der Film freilich glücklicherweise irgendwelche küchenpsychologische Interpretationen ernsthaft weiterverfolgen würde.) All diese Splitter jedoch schaffen es, meiner Meinung nach, nicht, zu verhüllen, was für ein inhaltlich leerlaufendes Werk LES FRUITS DE LA PASSION letztlich ist, und wie sehr Fragen nach Moral, Politik, Sexualität, ssofern sie überhaupt gestellt werden, Kratzer an der zugebenermaßen teilweise verstörend schönen Oberfläche bleiben.
Wunderbar ist LES FRUITS DE LA PASSION vor allem dann, wenn er die Biographien einiger von O’s Zunftgenossinnen vignettenhaft antippt: Da ist eine Hure, die den halben Tag hustend auf der Treppe sitzt, und sich partout weigert, obwohl Madame sie immer wieder darum bittet, einen Arzt aufzusuchen, so, als sei das ihr individueller Weg der Selbsttötung; da ist eine Hure, die entweder tatsächlich einmal gefeierte Schauspielerin gewesen ist oder sich das mit der Zeit nur erfolgreich eingeredet hat, und die seit Jahren auf einen Brief wartet, in dem ihr ihre nächste Rolle offeriert werden soll, und die – Achtung, Meta-Ebene! – nur dann bezahlten Sex ausübt, wenn sich ein Kamerateam bei ihr im Zimmer befindet, und ihr Treiben brav mitfilmt; da ist eine Hure, die glaubt, aus den Tiefen des am Bordell vorbeirauschenden Flusses die Melodie eines versunkenen Pianos zu hören, und die, nachdem sie sich in den Fluten zu Tode gestürzt hat, auf dem Rücken des aus den Wellen aufsteigenden Klaviers in die Höhe gehoben wird – eine unvergessliche Szene, fürwahr! Auch der trotz ihrer Omnipräsenz niemals plakativen Tiersymbolik kann ich einiges abgewinnen: Hunde und Vögel; Männer, die sich wie Hunde dressieren lassen; Männer, die O gurrend wie Tauben auf selbstgezimmerten Holzvögeln besteigen; ausgestopfte Hunde als Geschenke für die Huren; ein Papagei als Haustier des Bordells, der eines Tages aus seinem goldenen Käfig entwischt.
Viele Einflüsse schwimmen in LES FRUITS DE LA PASSION herum, ohne dass man Terayama pures Epigonentum vorwerfen könnte: Luis Bunuels BELLE DE JOUR, (ohne dass der Film dessen Dezenz bei der Illustration devianter Sexualpraktiken anstreben würde); Walerian Borwoczyk, (ohne dass der Film dessen ikonographischen Sensualismus anstreben würde); Louis Malles PRETTY BABY, (ohne dass der Film dessen realistischere Darstellung der Schattenseiten (historischer) Prostitution ernstzunehmend beleuchten würde); Nagisa Oshimas AI NO KORIDA, (ohne dass der Film dessen Blick in die Abgründe der Sexualität anstreben würde); Alain Robbe-Grillet, (ohne dass der Film seine SM-Orgien mit dessen virtuosen Dekonstruktionen von filmischem Raum und filmischer Zeit verknüpfen würde); Catherine Breillat, (ohne dass der Film deren feministische Perspektive auf weibliche Sexualität anstreben würde); Tinto Brass zu SALON-KITTY und CALIGOLA-Zeiten, (ohne dass der Film dessen subtextuelle Analysen von politischem Machtgewinn und Machtausübung anstreben würde.)
Ist LES FRUITS DE LA PASSION demnach ein Film der Defizite? Für mich ist LES FRUITS DE LA PASSION, (der möglicherweise Terayamas bekanntestes Werk sein dürfte, für mich jedoch mit Abstand sein schwächstes), ein buntes Kaubonbon, das angenehm, aber viel zu schnell auf der Zunge zergeht, und höchstens rudimentär erahnen lässt, zu welchen brillant auf dem Spagat zwischen Affront und Apotheose balancierenden Meisterwerken wie DEN'EN NI SHISU oder SARABA HAKOBUNE dieser Genius sonst in der Lage gewesen ist.