The Human Condition - Masaki Kobayashi (1959-1961)

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Salvatore Baccaro
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The Human Condition - Masaki Kobayashi (1959-1961)

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Originaltitel: Ningen no jôken

Produktionsland: Japan 1959-1961

Regie: Masaki Kobayashi

Darsteller: Tatsuya Nakadai, Michiyo Aratama, Chikage Awashima, Ineko Arima, Sô Yamamura, Keiji Sada

NINGEN NO JÔKEN ist eine Filmtrilogie, die von Regisseur Masaki Kobayashi nach einer Romanvorlage von Junpei Gomikawa in den Jahren 1959 bis 1961 realisiert wurde. Zusammengenommen ergeben die insgesamt sechs und zu drei kontinuierlich und sukzessive aufeinander aufbauenden Zweiergruppen geordneten Teile eine Laufzeit von knapp zehn Stunden, in denen sie das Schicksal von Kaji nachzeichnen, eines japanischen Pazifisten und Sozialisten, der vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs bemüht ist, einen Humanismus aufrechtzuerhalten, der ihm letztlich im wahrsten Sinne des Wortes unter den zunehmend hilflosen Händen zerbricht. Gleich die Eröffnungsszene ist bezeichnend für den Grundtenor der folgenden Stunden. Kaji und seine Liebste Michiko sind noch unverheiratet, bandeln jedoch bereits heftig miteinander an. Im nächtlichen Tokyo soll es zu einer Aussprache kommen. Man gesteht sich in zurückhaltenden Worten gegenseitig die tiefen Gefühle, die man füreinander hegt, während im Hintergrund ein Trupp Soldaten in den losgebrochenen Krieg marschiert. Durch unaufhörlich rieselnde Schneeflocken hindurch verlässt der Fokus der Kamera die Liebenden immer wieder, um die Kämpfer in Großaufnahme zu zeigen wie sie gespenstergleich im Stechschritt die ansonsten verlassene Straße entlangschreiten. Genauso wird NINGEN NO JÔKEN in der Folge verfahren, wenn der Film nur zu Beginn die Illusion aufrechterhält, auf Kaji und Michiko könne eine glückliche Zukunft warten, und sodann mehr und mehr die Zärtlichkeit der jungen Liebe aus dem Blick verliert, um sie auf deren Feinde zu richten: ein unmenschliches Militär, das Menschen zu Marionetten ausbildet, ein unmenschlicher Krieg, in dem selbst Unbeteiligte von den Umständen zu Marionetten degradiert werden, ein bis in die unscheinbarsten Details korruptes System, das auf Ausbeutung und Unterdrückung fußt, und in dem ein Idealist wie Kaji zwangsläufig zum Scheitern verurteilt ist.

Sein Lebensweg ist, grob gesagt, in drei Abschnitte unterteilt, die jeweils mit einem der drei Filmteile übereinstimmen. Zunächst ergreift er eine Anstellung in der besetzten Mandschurei, wo er ein Kriegsgefangenenlager verwalten soll. Michiko und er hoffen, den Krieg halbwegs unbeschadet überstehen zu können, allerdings eckt Kaji schnell mit seinen Vorgesetzen an, als er offen die unwürdigen Zustände zu beklagen beginnt, unter denen die gefangenen Chinesen Zwangsarbeit leisten müssen. Dass er mehrere Augen zudrückt, um keine Todesurteile über seine Untergebenen verhängen zu müssen, dass er in gewisser Weise mehrere erfolgreiche Ausbruchversuche deckt, um die Verantwortlichen nicht ans Messer liefern zu müssen, dass er seinen Vorgesetzten in Grundsatzfragen widerspricht und ihnen sein Ideal von Menschlichkeit begreiflich zu machen versucht, dass er schließlich gar, gemeinsam mit den Internierten, eine unrechtmäßige Hinrichtung vereitelt, das alles trägt dazu bei, dass er letztlich doch zum Kriegsdienst einberufen wird und wir ihn im zweiten Teil als Rekruten wiederfinden, dessen Ausbildung vorrangig darauf aus zu sein scheint, ihn und seine Kameraden von freidenkenden Menschen zu fremdgesteuerten Tötungsmaschinen umzuerziehen. Erneut resultiert Kajis Aufbegehren nicht etwa in einer Besserung der Zustände, stattdessen begeht einer seiner Kameraden, das schwächste Glied der Kette, das permanenten Schikanen der übelsten Sorte ausgesetzt ist, quasi vor seinen Augen Selbstmord und Kajis Bemühungen, die Offiziere, die, seiner Meinung nach, den Suizid mit zu verantworten zu haben, zur Rechenschaft zu ziehen, haben entweder gar keine Folgen oder nur die, dass er nun selbst in deren Visier gerät. Im dritten Teil ist Kaji an der Front, wo er mitten in eine eigentlich ausweglose Schlacht mit russischen Panzern hineingeworfen wird, die einem bloßen, sinnlosen Gemetzel gleicht. Mit einigen wenigen Überlebenden des Massakers zieht Kaji fortan auf der Flucht vor den russischen Truppen und auf der Suche nach der Grenze zur Mandschurei, in der er Michiko vermutet, durch das japanische Hinterland, trifft versprengte Zivilisten, aufgeriebene Soldaten, und erreicht nach unzähligen Strapazen nicht die ersehnte Freiheit, sondern ein Kriegsgefangenenlager, in dem er nun selbst, unter Oberaufsicht der Russen, Zwangsarbeit zu leisten gezwungen ist.

Schon lange habe ich keinen derart deprimierenden Film wie NINGEN NO JÔKEN gesehen. In klaren, Licht und Schatten voneinander scheidenden Schwarzweißbildern und einem unaufgeregten, gemessenen Tempo erzählt Kobayashi seine parabelhafte Geschichte, die von Anfang an exakt den Eindruck erweckt, den sie zehn Stunden später bestätigen wird: dass jede Form von Pazifismus, Humanismus und Idealismus in einer Welt wie dieser schlussendlich nur dahin führt, dass derjenige, der sie in sich trägt und sich deshalb weigert, an einem als verbrecherisch empfundenen System zu partizipieren, von diesem System nichts erwarten darf als seine früher oder später erfolgenden, gnadenlose Vernichtung. Dabei ist NINGEN NO JÔKEN übersichtlich, unkompliziert sowohl in seiner Narration als auch in seiner Ästhetik. Kobayashi verzichtet weitgehend auf jegliche Nebenhandlungen und Nebenschauplätzen, im Vordergrund steht von Beginn an Kaji, und zwar so sehr, dass selbst Michiko neben ihm schnell zu einer bloßen Randfigur verkommt. Chronologisch, sozusagen schnörkellos resultiert eine Episode seines Lebens aus der vorherigen, sodass die Abwärtsspirale, die ihn von einem jungen, aufstrebenden, hehren Idealen verpflichteten Mann zu einem verstoßenen, moralisch und physisch verkommenen Landstreicher machen wird, den unangenehmen Geschmack von etwas Unausweichlichem erhält. Genauso unprätentiös sind die Bilder, in die Kobayashi dieses Schicksal kleidet. Die Kamera erfasst ohne Spielereien, was wichtig für den Zuschauer ist, Experimente in Schnitt, Kameraperspektive oder Erzählform finden nicht statt, das Avantgardistischste, was man sich erlaubt, dürfte sein, dass die Kamera in zwei Szenen eine Schieflage einnimmt, um das Auseinanderfallen von Ordnungssystemen zu unterstreichen. NINGEN NO JÔKEN ist dadurch ein nahezu dokumentarischer Touch eigen, den viel trennt von einer Über-Inszenierung wie man sie beispielweise aus US-amerikanischen Kriegsdramen der gleichen Epoche kennt – zumal NINGEN NO JÔKEN in seiner ganzen Machart, in seiner Kompromisslosigkeit, und vor allem in seinen Gewaltdarstellungen weit über das hinausgeht, was zu dieser Zeit in Hollywood möglich gewesen wäre. Wenn echte Maden in Beinwunden züngeln, wenn die einzige große Schlacht des Films wie ein apokalyptisches Szenario komplett ohne Musik in Szene gesetzt wird, wenn die Rekrutenausbildung hauptsächlich aus Ohrfeigen und psychischen Grausamkeiten besteht, dann sind das Momente, die einem, meine ich, selbst ein halbes Jahrhundert später noch äußerst unbequem im Magen liegen.

NINGEN NO JÔKEN ist für mich jedoch vor allem auch ein Kompendium aus den unterschiedlichen Möglichkeiten, Krieg auf die Leinwand zu bringen. Zu Anfang ist der Krieg noch weit weg, man befindet sich in einem Gefangenenlager fern der Front, und dennoch spürt man ihn in jeder Handlung der Figuren, wobei die Ankunft eines Zuges mit Arbeitskraftnachschub, der aus Männern besteht, die mehr tot als lebendig aus den Abteils herausfallen, problemlos aus dem historischen Kontexts, den Kobayashi beschreibt, herausgelöst und in den eines dezidierten Holocaust-Films gesetzt werden könnte. Die Rekrutenausbildung wiederum ruft Erinnerungen wach an Kubricks FULL METAL JACKET, der, anders kann es kaum sein, NINGEN NO JÔKEN einfach gesehen haben muss, denn purer Zufall erklärt für mich die grundlegenden Übereinstimmungen zwischen den Figurenkonstellationen in beiden Werken kaum. Schließlich reißt der Film einen mitten ins Geschehen und berichtet vom Krieg in seiner rohsten Form, wenn Kaji, wie der Protagonist der etwa zeitgleich in Deutschland entstandenen Mini-Serie SO WEIT DIE FÜSSE TRAGEN, eine Odyssee durch vom Kampfgeschehen versehrtes Gebiet antritt. Versöhnliche Töne werden in NINGEN NO JÔKEN jedoch nie angestimmt. Gerade mal zwei, drei Szenen sind mir im Gedächtnis geblieben, in denen man bloß annähernd so etwas wie Humor zu spüren meint. Der Film macht keine Zugeständnisse, folgt dem einmal eingeschlagenen Weg unnachgiebig, und dürfte damit für manchen Zuschauer allein aufgrund seiner Laufzeit zu viel des Schlechten sein. Alles in allem reicht Kobayashis Anti-Kriegs-Epos für mich zwar nicht an vergleichbare Filme wie Miklós Jancsós CSILLAGOSOK, KATONÁK oder Elim Klimovs IDI I SMOTRI heran, nichtsdestotrotz ist das endlich einmal wieder ein Film, der mich in einer wahrhaft bedrückten Sprachlosigkeit zurückgelassen hat – die hiermit nun gebrochen wäre.
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