40m² Deutschland - Tevfik Başer (1986)

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40m² Deutschland - Tevfik Başer (1986)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: 40m² Deutschland

Herstellunsland: Deutschland / 1986

Regie: Tevfik Başer

Darsteller(innen): Özay Fecht, Yaman Okay, Demir Gökgöl, Mustafa Guelpimar, Grit Mackentanz, Marita Petersen, Reinhold Fama, Kay Miller, Monya Fribe, Grete Schildknecht, Helene Iborg, Emma Israel, Gert Ammer, Stephanie Ammer, Naci Oezarskan, Feramuz Sancar, Margot Hopp u. A.
Schon lange lebt der türkische Arbeiter Dursun (Yaman Okay) in einer düsteren Hinterhof-Wohnung in Hamburg. Nach vielen Jahren zieht nun endlich seine junge Frau Turna zu ihm. Dursun, der die deutsche Lebensweise nicht nachvollziehen kann, sieht seine kleine Wohnung als letztes Refugium an. Turna (Özay Fecht) ist neugierig auf ihre neue Heimat und blickt erwartungsvoll in die Zukunft. Doch jeden Tag schließt Dursun seine Frau ein, wenn er das Haus verlässt. Eingesperrt und völlig isoliert wächst die Verzweiflung Turnas, bis sie ihren Freiheitsdrang nicht mehr zügeln kann.
Quelle: https://www.moviepilot.de/movies/40-qm-deutschland

Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: 40m² Deutschland - Tevfik Başer (1986)

Beitrag von buxtebrawler »

„Jeder Tag ist wie ein Tag im Gefängnis!“

Das Drama „40m² Deutschland“ des türkischstämmigen Hamburgers Tevfik Başer („Abschied vom falschen Paradies“) ist eine fast ausschließlich in einer 40 Quadratmeter großen Wohnung im Hamburger Stadtteil St. Pauli spielende Low-Budget-Produktion aus dem Jahre 1986, die Başer schrieb, inszenierte und mitproduzierte. Es handelt sich um einen der ersten deutschen Spielfilme eines türkischstämmigen Filmemacher, womöglich um den ersten seit Sema Poyraz‘ „Gölge“ aus dem Jahre 1980. Damit wird ihm ein ikonischer Status innerhalb des deutsch-türkischen Films zuteil, der damals auch in Form von viel Aufmerksamkeit und Auszeichnungen anerkannt wurde.

Dursun (Yaman Okay, „Pehlivan“) ist ein in Hamburg lebender, frustrierter türkischer Gastarbeiter, der sich vom Leben in Deutschland mehr erhofft hatte. Seine Umgebung empfindet er als verkommenen Sündenpfuhl Als er seine Ehefrau Turna (Özay Fecht, „Abschied in Berlin“) nachholt, schottet er sie weitestmöglich von der Außenwelt ab. So vegetiert sie in der kleinen Wohnung vor sich hin, lernt Deutschland fast nur durch den Blick aus dem Fenster kennen…

„40m² Deutschland” ist ein fiktionaler, aber auf realen Fällen basierender Problemfilm mit einer Frau als Oper einer arrangierten Ehe mit einen hinterwäldlerischen Mann, der keinen Zugang zur Kultur seines neuen Umfelds findet und, verstärkt durch seine negativen Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt, auch gar nicht finden will. Başer erzählt sein Kammerspiel sehr langsam und ruhig, womit er erfolgreich den Eindruck einer völligen Tristesse vermittelt, zudem komplett im türkischen (aber deutsch untertitelten) Originalton. Unterlegt sind die Bilder mit melancholischer bis trauriger Klaviermusik Claus Bantzers.

Aus ihrem Fenster heraus beobachtet Turna eine Prostituierte, ohne zu wissen, dass es sich um eine handelt. Sie fühlt sich eingesperrt und wünscht sich, dass ihr Mann wenigstens einmal mit ihr auf den Dom (ein in St. Pauli regelmäßig stattfindender Hamburger Jahrmarkt) geht. Als er ihr dies zusagt, freut sie sich und ist ganz aufgeregt. Sie kleidet sich ganz anders, überschminkt sich und versucht eine kulturelle Mimikry anhand der Bilder in ihrem Kopf, orientiert sich womöglich unwissentlich am Erscheinungsbild Prostituierter – wobei diese Interpretation zugegebenermaßen auf wackligen Beinen steht, da ihr Outfit ebenso an an Volkstänzen teilnehmende anatolische Frauen erinnert. Als ihr Mann, statt mit ihr den Dom zu besuchen, einfach nicht vom Zeitungholen zurückkommt, nimmt sie allen Mut zusammen und schleicht sich aus der Wohnung, eilt aber sofort zurück, als Licht im Treppenhaus angeht. Dursun kommt zu ihrer tiefen Enttäuschung erst spät nach Hause, behauptend, beim Kartenspielen mit Freunden die Zeit vergessen zu haben und ein anderes Mal mit ihr ausgehen gehen zu wollen.

Als in Deutschland Silvester gefeiert wird, weiß sie gar nicht, was das ist. Ihr Mann monologisiert abfällig über Deutsche, über Frauenhauer usw., formuliert im Prinzip seine Ängste als armseliger, sexistischer Patriarch. Dazu passen die sehr unangenehmen Sexszenen, die die vereinzelten Rückblenden von Brautkauf, Hochzeit und erstem Sex ergänzen. Zeitweise wirkt es, als sei er impotent, versuche aber krampfhaft, Turna zu schwängern. Als sie schließlich doch noch schwanger wird, freut er sich erstmals in diesem Film. Turna hingegen wird von (visualisierten) Alpträumen geplagt und ekelt sich immer mehr vor Dursun. Als dieser einmal mehr einen seiner Krampfanfälle bekommt, stirbt er überraschend, als er gerade nackt aus der Dusche kommt. Endlich ist Turna frei.

Unmissverständlich vermittelt Başer mit seinem Film, dass man mit einer fremden Kultur in Kontakt kommen und jeden seine eigenen Entscheidungen treffen und seine eigenen Erfahrungen machen lassen muss. Der Film, so heißt, entspreche der Tendenz damaliger türkischer Migranten. Er ist ein ebenso bedrückender wie eindringlicher Weckruf und zugleich eine harsche Kritik am frauenfeindlichen patriarchalen Machismo. Gleichsam sehenswert für Deutsche wie für Migrantinnen und Migranten, aus heutiger Sicht zudem ein hochinteressanter Meilenstein der Entwicklung des migrantischen deutschen Films.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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