Baby, I Will Make You Sweat - Birgit Hein (1995)
Moderator: jogiwan
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Baby, I Will Make You Sweat - Birgit Hein (1995)
Originaltitel: Baby, I Will Make You Sweat
Produktionsland: Deutschland 1995
Regie: Birgit Hein
Cast: Birgit Hein und etliche jamaikanische Jünglinge
1992 feiert Birgit Hein, eine der Pionierinnen des deutschen Nachkriegsexperimentalfilms, die mit ihrem Ehemann Wilhelm ab Ende der 60er vor allem mit ikonoklastischen Materialfilmen für Furore sorgte, ihren 50. Geburtstag. Beruflich ist Hein vom Underground längst im akademischen Establishment angekommen: Nachdem sie Anfang der 70er noch als Exotin mit ihren Filmen an der fünften Kasseler Documenta teilnahm, zu einem Zeitpunkt, als Film selbst innerhalb der Avantgarde-Szene von den wenigsten Menschen als originäre Kunstform anerkannt worden ist, verschaffte ihr das fortschreitende Jahrzehnt zunehmend Anerkennung im Kunstbetrieb; es folgen internationale Screenings, Ausstellungen, Retrospektiven, schließlich Lehraufträge an diversen Hochschulen, bis Birgit Hein 1990 zur Filmprofessorin an die Hochschule für Bildende Künste in Braunschwieg berufen wird – ein Posten, den sie erst 2007 bei ihrer Emeritierung verlässt.
Privat sieht es für Birgit Hein indes, wie man dem Off-Kommentar zu Beginn ihres 1995 veröffentlichten Spätwerks BABY I WILL MAKE YOU SWEAT entnehmen kann, nicht allzu rosig aus: Das Älterwerden macht ihr zu schaffen, zudem greift die Einsamkeit um sich, nachdem ihre letzte Liebesbeziehung eine ganze Weile zurückliegt. Sie sehnt sich nach Zärtlichkeit, nach handfestem Sex. Die Lösung: Ein One-Way-Ticket in die Karibik. In den ersten Minuten des Films richtet Birgit Hein ihre Videokamera aus dem Fenster eines Zugs oder Autos hinaus auf die Winterlandschaften eines verschneiten Deutschlands; einen harten Schnitt später haben sich die monochrom weißen Felder in einen dichten Tropendschungel verwandelt – und von dem, was die Filmemacherin dort erlebt, berichtet BABY, I WILL MAKE YOU SWEAT über seine Laufzeit von etwas mehr als 60 Minuten hinweg in einer derart entwaffnenden Offenheit und in derart eindringlichen Bildern, dass ich noch immer leicht sprachlos von meiner Kinosichtung vor ein paar Tagen bin…
Am besten nähert man sich BABY I WILL MAKE YOU SWEAT vielleicht nicht über seinen (kontroversen) Inhalt, sondern über die Bildgestaltung: Seit geraumer Zeit experimentiert Birgit Hein mit der Videotechnologie. Auch nach Jamaika hat sie einen handlichen Cam-Recorder mitgenommen, den sie auf alles Erdenkliche richtet, was ihren Weg kreuzt: Landschaften, Tiere, Menschen, banale Alltagsbeobachtungen, oder sich selbst, wie sie dem Kamerablick per Spiegelbild begegnet. Um, wie es heißt, den Realismus abzutöten, den das Medium Video zwangsläufig evoziere, hat sie ihr visuelles Reisetagebuch nachträglich dadurch verfremdet, dass sie die Videoaufnahmen unter Zuhilfenahme von 16mm-Analogmaterial von ihrem Fernsehschirm abfilmte – und zwar mehrfach. Das Ergebnis wirkt außerordentlich verwaschen, regelrecht impressionistisch, gerade bei Nahaufnahmen kann man zuweilen bloß erahnen, was genau sich da denn nun innerhalb des Kaders abspielt – ein bisschen erinnert diese ganze hazy Ästhetik an die Gitarrensounds gewisser Shoegaze-Bands etwa zur Entstehungszeit von BABY I WILL MAKE YOU SWEAT. Apropos Musik: Für den Soundtrack des Films zeichnet die (mir zuvor unbekannte) Gruppe POL verantwortlich, deren akustische Begleitung zu den quasi überästhetisierten Bildern zum Besten zählt, was ich in letzter Zeit hören durfte. Irgendwo zwischen verschwitztem Techno, Krautrock-Reminiszenzen, wunderschönen Ambient-Soundscapes und poppigen Soundskizzen entwickelt sich im Zusammenspiel mit den Originalgeräuschen von Birgit Heins Videoaufnahmen ein Klangkosmos, der für mich auch völlig losgelöst vom zugehörigen Film funktioniert.
Was aber erzählt BABY I WILL MAKE YOU SWEAT abseits von seinen berauschenden Bildern und Tönen? Vorab: Die Sprache des von Birgit Hein selbst verfassten und eingesprochenen Off-Kommentars ist anscheinend bewusst schlicht gehalten, Hauptsatz reiht sich an Hauptsatz, die Wortwahl bleibt überschaubar, deskriptiv, rein funktional: Die Anti-These zu dem, was man gemeinhin Poesie nennt. Die Filmemacherin berichtet seltsam unbeteiligt über ihre Zeit in der Karibik, so, als würde sie die Emotionen, Handlungen, Erlebnisse einer fremden Person wiederkäuen. Irritierend dabei ist allerdings der häufige Rückgriff auf Obszönitäten. Ehrlich gesagt: So häufig wie hier habe ich schon Ewigkeiten nicht mehr Begriffe wie „Schwanz“ oder „Fotze“ gehört (oder gelesen). Dass überhaupt von menschlichen Geschlechtsteilen die Rede ist, hat einen Grund: Birgit Hein liegt auf Jamaika nicht bloß allein am Strand, besorgt sich von lokalen Drogenhändlern Ganja oder besucht örtliche Reggae-Festivals, sondern partizipiert direkt an der dortigen Sextourismusindustrie. Schon im Taxi, kurz nach ihrer Landung, offeriert ihr der Fahrer unverblümt erotische Dienste – was Birgit Hein zu dem Zeitpunkt noch verschämt ablehnt. Es dauert jedoch nicht lange und sie ergreift die Chance, von Jünglingen um die 20 selbst als Frau im reifen Alter noch begehrt zu werden – oder sich zumindest temporär der Illusion hingeben zu dürfen, dass dem so sei. Was folgt, sind Beziehungen mit wechselnden Männern: Exzessiver Sex, nach dem Birgit Hein sich „durchgestoßen“ und „durchgeknetet“ fühlt; Momente, in denen sich das Machtgefälle zwischen ihren Partnern und ihr entweder auf die eine oder andere Weise zeigt, weil einer von ihnen ihr eine Ohrfeige gibt, als er bemerkt, dass sie ihn heimlich mit ihrer Videokamera filmt, oder in denen sie auf einer Party feststellt, die einzige Weiße zu sein, und spontan mit der Nase auf die herrschenden post-kolonialen Strukturen gestoßen wird, in denen sie selbst allzu tief drinhängt; Auseinandersetzungen mit dem eigenen, längst nicht mehr jugendlichen Körper, der sich für die Autorin mehr und mehr verjüngt, je länger sie mit ihren Liebhabern verkehrt.
Eventuell macht es Sinn, sich Ulrich Seidls PARADIES: LIEBE von 2012 als intimen Experimentalfilm vorzustellen, um einen ungefähren Eindruck von BABY I WILL MAKE YOU SWEAT zu erhalten: Dessen formal strengen Kompositionen weichen indes einem flaumig-fluffigen Bilderreigen; dessen ostentativ zur Schau gestellte Absurdität und Groteske weicht indes einer ganz persönlichen, darum aber nicht weniger ergreifenden, manchmal gar verstörenden Perspektive, bei der Birgit Hein beinahe objektiv literarisch wie filmisch aufzeichnet, was sie umtreibt; dessen offenherzigen Darstellungen von Körpern und Geschlechtern weichen indes Aufnahmen, die auf den ersten Blick nichts direkt mit dem sie begleitenden Off-Monolog zu tun haben – bis auf eine längere Sequenz, in der Birgit Hein offenbar doch einen Akt filmt, in den sie selbst involviert ist, und bei dem ich minutenlang nur vermuten kann, es sei ein stoßender Hintern, der sich da dicht vor dem Objektiv hebt und senkt.
Es gibt keine Konklusion, keine weiterführende Botschaft, kein Aufdröseln von Schuld und Opferschaft. BABY I WILL MAKE YOU SWEAT endet stattdessen mit Rat- und Hiflosigkeit: Sich dem Augenblick hingeben, nicht nach dem Morgen fragen. Sie wird zurück nach Deutschland fliegen, in ein paar Monaten wiederkommen, hoffen, dass ihr Lover auf sie wartet und nicht mit einer anderen Touristin weitergezogen ist. Genau in dieser offenen Form liegt jedoch, wie ich finde, die Qualität dieses doch sehr krassen Films: Weil wir dazu angehalten sind, den Kreis selbst zu schließen, uns einen Reim auf alles zu machen - oder eben dazu, uns selbst der Rat- und Hiflosigkeit hinzugeben angesichts des komplexen Geflechts, in das Birgit Hein sich - und mittels ihres Films: auch uns - verstrickt.
- buxtebrawler
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Re: Baby, I Will Make You Sweat - Birgit Hein (1995)
Wenn die Möse juckt, wird auch Frau Hochschulprofessorin zur Sextouristin, und wenn sie eine Kamera dabei hat, wird's vielleicht Kunst
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!