DDR 1957
D: Ekkehard Schall, Ilse Pagé, Harry Engel, Ernst-Georg Schwill
Unter dem U-Bahnbogen auf der Schönhauser Allee treffen sich täglich die Sechzehn- und Siebzehnjährigen, denen der Platz im Elternhaus zu eng wird. Mutproben sind an der Tagesordnung, und für eine Westmark wirft man schon mal eine Laterne ein. Der Bauarbeiter Dieter sucht auf der Straße die Freiheit, Kohle flüchtet vor seinem ständig betrunkenen Stiefvater, Karl-Heinz ist schon auf der kriminellen Bahn, und Angela muß zu Hause Platz machen, wenn die Mutter den Freund empfängt. Karl-Heinz versucht, Dieter und Kohle in seine dunklen Geschäfte zu ziehen, und nach einem vermeindlichen Totschlag flüchten die beiden nach Westberlin, wo Kohle im Auffanglager tragisch ums Leben kommt. Dieter entflieht der zweifelhaften "Fürsorge" des Lagers und kehrt nach Hause zurück. Er will für seine Schuld einstehen, um danach ein neues Leben beginnen zu können - und er will zu Angela, die ein Kind von ihm erwartet. (Backcover)
An der titelgebenden Ecke hab ich ja auch schon ein paar Mal gestanden (ja, bei Konopke gibt es gute Currywürste) und war schon allein deshalb an dieser DEFA-Produktion von 1957 interessiert. Deutschland war damals natürlich bereits geteilt und Ostberlin die Hauptstadt der DDR, andererseits war es bis zum Mauerbau 1961 möglich, vom Ost- in den Westteil zu kommen, und umgekehrt.
Vor diesem Hintergrund spielt dieser Film, der zunächst erstmal damit überrascht, dass er überhaupt beschreibt, dass auch im real existierenden Sozialismus eine neue Jugendkultur entstanden war, die durchaus westorientiert war. Kohle hat in Westberlin schon über 100 Filme gesehen, und Angelas Traummann muss sein "wie Marlon Brando". Auch die Existenz jugendtypischer Verfehlungen wird nicht verschwiegen, wobei die Volkspolizei in Gestalt des Kommissars hier manchmal eher wie ein verständnisvoller Straßensozialarbeiter gezeichnet wird.
Die nächste Überraschung besteht in der Hauptfigur Dieter. Seine Eltern sind im Krieg umgekommen, sein Bruder bei der Vopo. In seinem Job auf dem Bau geschätzt, verweigert er sich einer Vereinnahmung durch das System und lässt die FDJ mehrfach abblitzen.
Weitere Punkte wie ein prügelnder und saufender Stiefvater oder eine Mutter, die ihre Tochter aus der Wohnung schickt, wenn ihr verheirateter Geliebter zu Besuch kommt, wurden ja bereits in der Inhaltsbeschreibung genannt, dürften aber wohl auch nicht unbedingt für Freudensprünge bei SED-Kadern gesorgt haben.
So verwundert es nicht, dass in der DDR die Hauptverwaltung Film zunächst nicht freigeben und erst positive Stimmen der FDJ einen Meinungsumschwung herbeiführten und der Film dann zu einer der erfolgreichsten DEFA-Filme ever wurde. In der BRD des kalten Krieges wurde der Film hingegen kein Kassenerfolg - im demokratischen Westen durfte er gar nicht gezeigt werden...
http://www.bpb.de/apuz/32270/zensur-von ... blik?p=allSo hat man es bei diesem Klein-Od mit einer erstaunlich realistischen Darstellung der DDR jener Tage zu tun. Anschauen lohnt sich!
In der Rolle der Angela ist zum ersten Mal Ilse Pagé vor der Kamera zu sehen, die knapp 10 Jahre später als Sekretärin von Sir John ein Regular der Wallace-Reihe werden sollte.
