Originaltitel: Bump and Bump
Produktionsland: Deutschland 1986
Regie: Caspar Stracke
Cast: Ein Basketball und sein Besitzer
…und weiter geht die Reise in die Annalen der jüngeren deutschen Experimentalfilmgeschichte.
Diesmal ist es ein Frühwerk des Medienkünstlers und derzeitigem Professor für „Contemporary Art and Moving Image“ an der Akademie der Künste in Helsinki Caspar Strackes aus dem Jahre 1986 namens BUMP AND BUMP, das ich im Analogformat auf der Großen Leinwand sehen durfte. Ursprünglich gedreht wurde der knapp siebenminütige Film auf Super 8, für eine Festivaleinreichung aber ein paar Jahre später auf 16mm aufgeblasen.
Rein vom Inhalt her erleben wir in BUMP AND BUMP mit, wie ein junger Mann sein Basketballtraining absolviert. Es gibt keine Dialoge, keine Handlung im klassischen Sinne. Die gesamte Laufzeit über befinden wir uns in einer ordinären Sporthalle, schauen zu, wie der Knabe seinen Ball immer wieder zum Korb hinaufschleudert – und ihn meistens trifft. So ereignislos wie uninteressant, nicht?
Was BUMP AND BUMP dann aber zu einem der aufregendsten visuellen Feuerwerke macht, die in letzter Zeit vor meinen Augen abgefackelt wurden, ist die Perspektive, aus der der Film diese banale, alltägliche, im Grunde monotone Handlungsabfolge erzählt: Dem Vernehmen nach hat Stracke für seinen Kurzfilm eine eigene Konstruktion gebaut, die es ermöglichen sollte, die Trainingseinheit unseres namenlosen Helden aus der Sicht seines Basketballs zu zeigen.
Anders gesagt: Strackes Kamera und der Ball sind identisch. Letzterer existiert also strenggenommen nur in der Fiktion. Es ist die Kamera selbst, in Strackes selbstgezimmerter Schutzvorrichtung steckend, nach der zu Beginn die Hände des Jünglings greifen, die anschließend beim Dribbeln in schneller Aufeinanderfolge mit dem Hallenboden kollidiert, die schließlich sich um sich selbst drehend durch die Luft wirbelt, mitten hinein in das Korbnetz, dann wieder zurück zum Boden, in die Hände des Jungens, und immer so weiter, immer schneller werdend.
Die nachsynchronisierte Tonspur übersetzt das zunehmende Chaos auf der Bildebene eins zu eins in ein Gewirr aus Geräuschen, die offenbar tatsächlich bei einer Basketballeinheit in einer Turnhalle aufgezeichnet wurden: Es quietscht, es knallt, es zischt, es gibt kurze Momente der Stille, wenn der Ball hinauf zum Korb fliegt, dann geht der Lärm aufs Neue los.
Mit zunehmender Laufzeit werden die Bilder zunehmend abstrakter. Man könnte einige beliebige Bildfolgen von mehreren Sekunden aus BUMP AND BUMP herausgreifen, sie einem uneingeweihten Publikum zeigen, und wohl kaum jemand würde erraten, dass es sich um Sporthallenwände, um einen Basketballkorb, einen Hallenboden handelt, die da schlierenhaft an uns vorbeiziehen.
Gerade das ist dann auch die Kernqualität, die dieser sogartige Film für mich besitzt: Im Prinzip erinnert BUMP AND BUMP an all die Materialfilme seit den 60ern, in denen das Filmmaterial an sich im Vordergrund stehen sollte – keine Narration, keine Botschat, sondern die Analogrollen selbst, ob nun belichtet oder unbelichtet, ob bemalt oder mit Insektenflügeln beklebt, ob beschmutzt oder zerfetzt, ob verlangsamt oder im Zeitraffer abgespielt, ist es, der unser ganzes Interesse gilt. BUMP AND BUMP erreicht einen ähnlichen Effekt wie dieses Cinèma Pur – und zwar ganz ohne dessen Modulationen oder Manipulationen der Bildträger, sondern allein dadurch, dass er uns einen Vorgang, wie er Tag für Tag andauernd auf der Welt passiert, aus POV-Sicht der Kamera vor Augen führt.
Jenseits der pathetischen Gesten des Dramas, jenseits der überquellenden Budgets und komplexen Handlungen, jenseits der ausgeklügelten FXs und pikanten Schauwerte fasziniert eine Fingerübung wie BUMP AND BUMP auf einmal, als würde man den markerschütterndsten Blockbuster zu Gesicht bekommen.
Der Ball prallt gegen die Hallenwand, und es fühlt sich an, als sei es mein eigener Kopf, der da zurückgeschleudert wird; der Ball fliegt durch die Gegend, dass von dieser exakt nichts Intelligibles mehr zu erkennen ist; der Ball rollt über den Hallenboden in irgendeine Ecke – und auf einmal sehen wir die alltägliche Welt so, wie wir sie vor Erfindung des Kinos im Allgemeinen und der Erfindung der Super-8-Kamera niemals haben sehen können.
Sieben Minuten, wie gesagt, und danach war mir ähnlich schlecht wie nach Gaspar Noés LUX AETERNA...
Bump and Bump - Caspar Stracke (1986)
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